Regio 4/2015

Page 41

s41_ra415_augenklinik:Layout 1

27.3.2015

15:53 Uhr

Seite 41

Er leitete bis vor kurzem die Augenklinik am Universitätsspital Basel und forschte zur Entstehung von Glaukomen. Seit kurzem ist Professor Josef Flammer pensioniert, leitet jedoch noch die Grundlagenforschung, betreut Doktoranden und berät Kolleginnen und Kollegen. Die Erkenntnisse zur Bedeutung der Fehlregulation der Blutversorgung für die Entstehung des Normaldruckglaukoms fanden unter der Bezeichnung Flammer-Syndrom Eingang in die medizinische Terminologie. Interview mit Prof. Josef Flammer der Augenklinik am Universitätsspital Basel

Regio aktuell: Was genau ist ein Glaukom? Prof. Josef Flammer: Das Glaukom ist in

der Literatur nicht ganz einheitlich definiert. In der Vergangenheit hat man es nach dem Hauptrisikofaktor definiert: War der Augendruck erhöht, dann war es ein Glaukom. Mittlerweile wissen wir, dass derselbe Schaden auch ohne erhöhten Augendruck entstehen kann. Deswegen definiert man das Glaukom heute nach dem Schaden: Ist der Sehnervenkopf ausgehöhlt, spricht man von einem Glaukom. Dabei wird die Verbindung der Netzhaut zum Hirn unterbrochen: Das Auge sieht weiterhin, aber das Gehirn erhält die Informationen nicht mehr.

Wie erkennen Betroffene, dass sie an Glaukom erkrankt sind? Das ist genau die Crux an der Geschichte, dass der Patient das lange nicht merkt – dies aus folgendem Grund: Es kommt zu Ausfällen im Gesichtsfeld. Und das merkt man anfänglich nicht. Das ist wie mit dem Blinden Fleck, den wir ja auch nicht wahrnehmen. Kommt im Gesichtsfeld etwas dazu, so merken wir das sofort, fällt jedoch etwas aus, so merken wir das nicht. Unser Gehirn ergänzt die fehlenden Anteile aus Informationen der Umgebung, die man noch erkennt. Dazu kommt, dass die Ausfälle in beiden Augen meist nicht identisch sind und so die Bilder sich gegenseitig ergänzen. Zusammen ergibt das noch immer ein sinnvolles Bild. Das chronische Glaukom entdeckt man nur, wenn man danach sucht. Merkt es der Patient selbst, dann ist es bereits schon sehr spät. Bei den selteneren, akuten Glaukomen hingegen führt der rasche Anstieg des Augendruckes zu heftigen Schmerzen und bleibt deswegen nicht unbemerkt. Was lässt sich unternehmen, um ein chronisches Glaukom zu vermeiden? Macht es Sinn, regelmässig den Augenarzt aufzusuchen?

Gibt es eine Regel, ab welchem Alter ein Augenarzt aufgesucht werden soll? Ab vierzig sollte man mal, dies als ganz grobe Regel, zum Augenarzt. Ist dann alles gut, so kann man wieder fünf Jahre warten. Der Besuch beim Augenarzt hängt letztlich von der Risikosituation ab. Gibt es Glaukom in der Familie oder liegen andere Krankheiten wie Diabetes vor, dann müsste man ihn früher aufsuchen. Welches sind die wesentlichen Erkenntnisse der Forschung zu Glaukom in den vergangenen zwanzig Jahren? Wir haben in Basel das Glück gehabt, dass wir während dreier Jahrzehnte intensivst an der Front mitarbeiten konnten. Wir konzentrierten uns dabei auf die Frage, wie ein Glaukom-Schaden entsteht. Da haben wir gesehen, dass dies kein so mechanischer Vorgang ist, wie man früher dachte. Heute wissen wir, dass es sich eher um molekularbiologische Phänomene handelt, die dazu führen, dass Zellen langsam absterben und sich das Gewebe umbaut. So entsteht eine Exkavation, eine Aushöhlung des Sehnervenkopfes, wodurch dann die Verbindung zum Gehirn verloren geht. Wir stellten uns vor allem die Frage, welche Rolle dabei die Regulation der Durchblutung spielt. Es gibt Menschen, die eine veränderte Regulation haben und deswegen auch etwa sehr schnell kalte Hände und einen tiefen Blutdruck haben. Sie können ein so genanntes Normaldruckglaukom entwickeln. Das war unser Schwerpunkt. Mittlerweile sind unsere Erkenntnisse weltweit anerkannt, das aber erst nach jahrzehntelanger Knochenarbeit. Interview: cf !

4-2015 !

www.regioaktuell.com

Eben ist ein im Jahre 2000 von Josef Flammer geschriebenes Buch zum Thema Glaukom neu überarbeitet in der vierten Auflage im Hans Huber Verlag erschienen. Die Autoren sind Katarzyna Konieczka und Konstantin Gugleta.

!

Universitätsspital Basel, Augenklink Mittlere Strasse 91, 4056 Basel Tel. 061 265 87 87 www.unispital-basel.ch

pr

Die frühe Diagnose ist das Wichtigste, denn behandeln lässt sich nur, was erkannt ist. Ein chronischer Augendruckanstieg hat interessanterweise ein ähnliches Risikoprofil wie Arteriosklerose (Diabetes, Störung der Blutfette, hoher Blutdruck, Rauchen etc.). Der Augendruck kann aber auch ohne diese Faktoren ansteigen. Dann gibt es die andere Gruppe von Menschen, die einen Glaukomschaden entwickeln trotz normalem Augendruck:

Was lässt sich tun, ist das chronische Glaukom mal da? Als erstes senkt der Augenarzt den Augendruck. Kommt danach die Sache zum Stillstand, dann sind wir zufrieden. Schreitet das Glaukom trotz gutem Druck fort, kommen andere Therapien in Frage, vor allem die Optimierung der Durchblutung des Auges. Verlorene Sehkraft lässt sich zwar nicht rückgängig machen. Eine weitere Verschlechterung lässt sich jedoch meist stoppen, und zwar in jeder Phase.

SPITZENMEDIZIN UND FORSCHUNG

Glaukome entstehen schleichend und unauffällig

Betroffen sind hier eher jüngere, schlanke Menschen mit oft kalten Händen und tiefem Blutdruck, also genau das Umgekehrte. Entsprechend ist auch die Behandlung anders.

41


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.