Herzensangelegenheit für Technologien
LEITARTIKEL | VON NADINE EFFERT
Wenn es um den medizinischen Fortschritt geht, wirken Medizin und Technik in einem dynamischen Wechselspiel miteinander. Wer von KI, Robotern und 3D-Verfahren profitiert? Die vielen Millionen Menschen, die nicht nur in Deutschland von Herz-Kreislauf-Krankheiten betroffen sind.
Es sind Meldungen wie diese, welche fast täglich eine neue Ära durch die Nutzung intelligenter Technologien in der Herzmedizin einläuten: „Computermodelle und maschinelles Lernen verbessern die Herzdiagnostik“, „mRNA-Technologie könnte bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen helfen“ oder „14-Jähriger entwickelt KI-App, die Herzkrankheiten erkennt“. Letztere Nachricht sorgte erst jüngst für Furore, denn die App von Siddarth Nandyala aus Dallas, Texas, soll HerzKreislauf-Probleme anhand von Herztonaufzeichnungen eines Smartphones ausmachen –und dies in nur sieben Sekunden und mit einer Genauigkeit von über 96 Prozent.
Hohe Sterblichkeit
Dass Herz-Kreislauf-Krankheiten schnell(er) und unkompliziert(er) erkannt und behandelt werden, wäre ein wichtiger Fortschritt, denn sie verzeichnen in Deutschland die höchste Sterblichkeit, vor Krebserkrankungen als Todesursache, und die höchste Last durch Hospitalisierungen. „Die Sterblichkeit durch HerzKreislauf-Erkrankungen bewegt sich in Deutschland weiterhin auf einem sehr hohen Niveau und in der Lebenserwartung befinden wir uns in Westeuropa unter den Schlusslichtern“, gibt Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, zu bedenken. Laut Statistischem Bundesamt beliefen sich die Krankheitskosten für die Versorgung von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems allein im Jahr 2020 auf 56,7 Milliarden Euro.
ZAHL ZUM STAUNEN
Todesursache
Chronische ischämische Herzkrankheit
Akuter Myokardinfarkt (Herzinfarkt)
Herzinsuffizienz
Hypertensive Herzkrankheit
Vorhofflimmern und Vorhofflattern
Hirninfarkt
Gestorbene 1 Anteil in %2
Sterbefälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen insgesamt 2023 Quelle: Statistisches
ohne Totgeborene und ohne gerichtliche Todeserklärungen | 2 an allen Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Sichtbare Fortschritte
Das Gute: In der Kardiologie hat sich in den vergangenen 30 Jahren viel getan. Die Errungenschaften des medizinischen Fortschritts sind hierzulande für die Menschen unübersehbar: Laut Deutschem Zentrum für Herz-KreislaufForschung e. V. hat sich zum Beispiel die Zahl der Herzinfarkttoten seit 1980 halbiert, unter anderem dank einer verbesserten Notfallversorgung. In Deutschland tragen rund eine Million Menschen einen Herzschrittmacher in ihrem Brustkorb, weil ihr Herz nicht mehr im richtigen Takt schlägt. Er bewahrt die Erkrankten nicht nur vor einem frühen Tod, er ermöglicht ihnen sogar ein Leben ohne Einschränkungen. Und Herzrhythmusstörungen? Die können heutzutage via medizinscher App auf dem Smartphone oder mittels EKG in Form einer smarten Uhr am Handgelenk aufgespürt werden mit dem Ziel, Schlaganfälle zu vermeiden.
2.500.000.000-mal
So oft hat das Herz eines 70-jährigen Menschen bereits geschlagen.
Quelle: https://herzstiftung.de/system/files/2023-06/HB0223-fakten-herz.pdf; Zugriff 2025
Weitere Fortschritte in Diagnostik und Therapie sind wünschenswert – genauso wie ein gesunder Lebensstil eines jeden Menschen. Denn Fakt ist: Nikotinverzicht, regelmäßige Bewegung und ausgewogene Ernährung sind für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen von elementarer Bedeutung. „Allerdings sind nahezu 50 Prozent aller Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, allen voran die koronare Herzkrankheit, nicht allein durch eine Lebensstiländerung beeinflussbar, sondern bedürfen zusätzlich einer medikamentösen oder interventionellen Therapie“, ergänzt der Experte.
Digitale Technologien Ganz klar, in Zukunft werden digitale Technologien verstärkt zur Anwendung kommen Schon heute helfen künstliche Intelligenz (KI) und Roboter bei Operationen, sorgen hochauflösende 3DVerfahren für optimale Planung bei Eingriffen und hält Virtual Reality zu Schulungszwecken Einzug in die OP-Säle des Landes. Was zum Beispiel bei Prostatakrebs schon länger zum Einsatz kommt, bringt nun auch in der Herzchirurgie mehr Fingerspitzengefühl ins Spiel: der Operationsroboter. Für ausgewählte Eingriffe bietet die herzmedizinrevolutionierende Technik große Vorteile: Vor allem sind die minimalinvasiven Zugänge zum Brustraum weniger belastend für Patientinnen und Patienten, es entstehen weniger Schmerzen, die Wundheilung erfolgt schneller, und die Herzoperierten können durch die raschere
(Destatis), 2025
Genesung deutlich früher wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden. „Wir haben durch die Technologie die beste Visualisierung des OP-Gebietes, können in kleinsten Räumen mit den Instrumenten manövrieren und feinste Bewegungen durchführen“, betont Prof. Dr. med. Jochen Börgermann, Chefarzt des Herzzentrums Duisburg des Evangelischen Klinikums Niederrhein (NRW), das als zweite Klinik in Deutschland den Operationsroboter für Operationen der Mitralklappe und der koronaren Bypass-Operation angeschafft hat. Durch die Bedienung der Instrumentarien an der Konsole könnten der Operateur oder die Operateurin eine sehr entspannte Haltung einnehmen und auch lange Operationen sehr gut durchführen.
Künstlichkeit im Kommen Doch könnten in Zukunft vielleicht 3D-Drucker Teile oder sogar ganze Herzen produzieren? Forschende rund um den Globus, so auch zum Beispiel von der Nephropathologischen Abteilung des Uni-Klinikums Erlangen, arbeiten zumindest daran. Keine einfache Aufgabe, schließlich ist das Herz ein äußerst komplexes Organ, welches nur etwa zu 30 Prozent aus Muskelzellen besteht. Die übrigen 70 Prozent machen beispielsweise Blutgefäß- oder Bindegewebszellen aus. Ein Herz mittels 3D-Druck herzustellen wäre ein echter Meilenstein für die Medizin: „Bereits das Erstellen von kleineren Teilen des menschlichen Herzens ist ein großer Erfolg“, so Prof. Dr. Felix B. Engel, Leiter der AG Experimentelle Nieren- und Herzkreislaufforschung/Nephropathologie. „Diese herzähnlichen Systeme können beispielsweise anstelle von Tierversuchen dazu verwendet werden, die Wirkung von Medikamenten zu testen, oder als eine Art Herzpflaster, um die Herzfunktion von Patientinnen und Patienten mit einer schweren Herzinsuffizienz zu unterstützen.“ Übrigens: Eine weltweit erste Studie mit Pflastern aus gezüchteten, schlagenden Herzzellen läuft derzeit an den Universitäten Göttingen und Lübeck ...