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Wettkampf mit dem Schicksal
Gedächtnisschwund, Verlust der Körperkontrolle und Wahnvorstellungen sind nur drei Symptome der Erbkrankheit Chorea Huntington, an die die Psychologin Nancy Wexler ihren Großvater und schließlich auch ihre Mutter verloren hat. Seit sie 22 Jahre alt war, bestimmen das Erbleiden und ihr Kampf gegen die Krankheit, den „Tod auf Raten“, wie sie sie nennt, ihr Leben. Die Entschlüsselung des Huntington-Gens im Jahr 1993 war nicht nur ein persönlicher Durchbruch. Er sollte auch die Erforschung zahlreicher anderer Erbkrankheiten vorantreiben.
Dem drohenden Verfall durch die HuntingtonKrankheit will Nancy Wexlers Mutter entgehen: Ein Jahr nachdem sie erfahren hat, dass sie das Huntington-Gen ebenso wie ihr Vater und ihre Brüder in sich trägt, versucht sie, sich das Leben zu nehmen. Doch Leonore Wexler wird von ihrem Mann gefunden und kann gerettet werden. Der Selbstmordversuch ihrer Mutter sollte den Auftakt für Nancy Wexlers jahrzehntelange Forschungsarbeit bilden.
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Weltweite Aufklärungsarbeit
Unterstützt von ihrem Vater, der bereits im Jahr 1973 die Hereditary Disease Foundation gründete, treibt Wexler seitdem die
Die Entdeckung von GenAbweichungen hilft bei der Früherkennung von Krankheiten.
Aufklärungsarbeit rund um Huntington weltweit voran. Sechs Jahre nach Gründung der Stiftung stirbt ihre Mutter an den Folgen der Krankheit. Seitdem reist Nancy Wexler um die Welt, besucht Huntington-Kranke in Neuguinea, verbringt mehrere Monate im Jahr in einem kleinen venezolanischen Dorf, in dem eine Familie seit Jahrzehnten an der tödlichen Erbkrankheit leidet, und hält Vorträge in China, Los Angeles, New York und Italien.
Wichtige Pionierarbeit
1993 dann der große Durchbruch: Das Gen, das die noch unheilbare Krankheit verursacht, wird entdeckt. Zeitgleich wurden erste Tests entwickelt, die das Gen zu 100 Prozent nachweisen können – und das Jahrzehnte vor Ausbruch von Huntington. Nancy Wexler selbst lässt sich nie testen, lebt lieber mit der Ungewissheit. Bis sich die Symptome nicht mehr verleugnen lassen. Im Jahr 2020, im Alter von 74 Jahren,
Huntington: genetische Last mit Hoffnung

Nancy Wexler leitete jahrzehntelang die Hereditary Disease Foundation (HDF) und arbeitete eng mit Forschern zusammen, um das Huntington-Gen zu identifizieren. Ihre Arbeit führte 1993 zur Entdeckung des einen für die Krankheit verantwortlichen Gens, genannt Huntingtin. Dadurch wurden die genetische Diagnose und vielversprechende Therapieansätze möglich. Die Deutsche HuntingtonHilfe e. V. klärt auf.
Bislang gilt Huntington als unheilbar – das könnte sich aber ändern. Seit der Entdeckung des für die Erkrankung verantwortlichen Gens arbeiten Forschende mit Hochdruck an einer Therapie. Erste Wirkstoffe sind bereits in der Erprobung. Sie zielen darauf ab, die Bildung der krank machenden Form des Huntingtin-Proteins zu verhindern, beziehungsweise seine Konzentration im Gehirn zu reduzieren. Denn bei den Betroffenen sorgt eine Mutation im Huntington-Gen dafür, dass sich eine Kette aus drei DNA-Bausteinen – das Triplett aus Cytosin, Adenin, Guanin, kurz CAG – zu oft wiederholt. Diese Wiederholungen verändern das Huntingtin-Protein so, dass bestimmte Nervenzellen im Gehirn absterben. In Deutschland sind deutlich mehr als 10.000 Menschen von der HuntingtonKrankheit (HK) betroffen. Einer von ihnen ist Klaus. Der Familienvater lebt selbst bereits seit zehn Jahren mit der Krankheit. Durch die Deutsche Huntington-Hilfe erfuhren er und seine Familie sehr viel Unterstützung im Umgang mit der Erkrankung. Trotz ihrer Seltenheit zählt sie zu den häufigsten autosomal-dominanten neurodegenerativen Erkrankungen. Sie wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an die Nachkommen weitervererbt.
Die Herausforderung
Die Krankheit tritt in der Regel zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr auf, kann jedoch auch in der frühen Kindheit oder im hohen Alter beginnen. Dann verläuft sie für die Betroffenen über Jahrzehnte fortschreitend. Symptome umfassen psychische und kognitive Störungen sowie unkontrollierbare Bewegungsstörungen, Sprech- und Schluckstörungen . Der Krankheitsverlauf ist sehr individuell machte sie ihre Diagnose öffentlich. Wexlers akribische Forschung und Arbeitswut haben derweil einen großen Beitrag zur Entwicklung von Gentests geleistet. Heute gilt Huntington als Modellerkrankung für andere Erbleiden, von
1993 wird das Gen, das die Krankheit verursacht, entdeckt.
der Mediziner und Forschende lernen können. Mit Hochdruck arbeiten sie an einer möglichen Korrektur des verantwortlichen HuntingtinGens. Sollte das gelingen, könnte auch die Behandlung zahlreicher anderer genetisch bedingter Krankheiten, wie etwa Mukoviszidose, vorangetrieben werden.
und braucht einen guten Therapieplan. Das Leben mit Huntington stellt eine große Herausforderung für die gesamte Familie dar. Kinder sorgen sich darum, das Gen eventuell geerbt zu haben, und stellen ihre Lebens- und Familienplanung infrage. Angehörige sind rund um die Uhr für die Erkrankten da und stoßen oft an ihre Grenzen. Betroffene werden fälschlicherweise als betrunken oder verrückt wahrgenommen. Das Zusammenleben wird schwieriger und beeinträchtigt erheblich die Lebensqualität aller Beteiligten.
Mangel an spezialisierten Zentren
Die Suche nach angemessener medizinischer Versorgung gestaltet sich kompliziert. In Deutschland gibt es einige wenige spezialisierte Behandlungszentren, welche sich über das Europäische HuntingtonNetzwerk organisieren und untereinander austauschen. Als noch schwieriger erweist sich die Suche nach niedergelassenem Fachpersonal auf den Gebieten der Psycho- und Ergotherapie, Logopädie sowie Ernährungsberatung, das angemessen mit der Erkrankung umgehen kann.
Klaus, ein Familienvater, der seit zehn Jahren mit der Erkrankung lebt. #StarkMitHuntington
MEHR INFORMATIONEN
Als bundesweit aktive Selbsthilfeorganisation setzt sich die Deutsche Huntington-Hilfe e. V. für die Interessen von Huntington-Familien ein. Spenden sind unabdingbar, um wichtige Unterstützung und Hilfsangebote bereitzustellen. Wenn Sie mehr über unsere Arbeit erfahren möchten, sehen Sie unser Video über Klaus an, und besuchen Sie unsere Website: www.dhh-ev.de
Mit einem Gentest wird das Erbgut eines Menschen untersucht. Dr. Teresa Neuhann, Fachärztin für Humangenetik am MZG – Medizinisch Genetisches Zentrum in München, erklärt, für wen der Blick in die Gene sinnvoll ist, wie eine humangenetische Sprechstunde und Diagnostik ablaufen und welche therapeutischen Möglichkeiten sich durch das Wissen um genetisch bedingte Erkrankungen auftun.

Untersuchungen. Ein Beispiel ist die humangenetische Abklärung bei Patienten mit Krebserkrankungen, um festzustellen, ob es sich um eine genetisch bedingte Hochrisikoform handelt – diese Patienten benötigen auf ihr Risiko
Beantwortung aller Fragen, um Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen und umfassend informiert eine Entscheidung für oder gegen eine genetische Analyse zu treffen. Der persönliche, auf Vertrauen basierende Arzt-Patienten-Kon -
Entwicklungsstörung oder heterogenen Krankheitsbildern.
Zum Leistungsspektrum des MGZ gehört auch die sogenannte Liquid Biopsy. Was steckt dahinter?
Frau Dr. Neuhann, was verbirgt sich hinter dem MGZ – Medizinisch Genetisches Zentrum?
Das MGZ ist eine inhabergeführte Praxis für Humangenetik mit ambulanter Patientenversorgung und eigenem Labor unter einem Dach. Wir bieten Patientensprechstunden und Diagnostik in allen Teilbereichen der Humangenetik an. Wenn also ein Verdacht auf eine genetisch bedingte Erkrankung besteht, dann können genetische Untersuchungen Licht ins Dunkel bringen.
Welche Patientinnen und Patienten stellen sich in der humangenetischen Sprechstunde vor?
Zum einen stellen sich Patienten vor, bei denen der Verdacht auf eine bestimmte genetisch bedingte Erkrankung besteht beziehungsweise diese als Differentialdiagnose abzuklären ist. Hierbei handelt es sich um diagnostische angepasste Vor- und Nachsorgeuntersuchungen, auch ergeben sich zum Teil Konsequenzen für die Therapie. Daneben stellen sich jedoch auch gesunde Personen zur Abklärung eines in der Familie bekannten genetischen Risikos vor.
Neben erblich bedingten Tumorerkrankungen – welche weiteren diagnostischen Schwerpunkte gibt es am MGZ? Dazu zählen unter anderem Entwicklungsauffälligkeiten oder Fehlbildungen bei Kindern, neurologische und kardiovaskuläre Erkrankungen, Hautund Augenerkrankungen, Nieren-, Leber- und Pankreaserkrankungen, aber auch Fertilitätsstörungen und Auffälligkeiten in der pränatalen Diagnostik. Letztlich gibt es in allen Bereichen der Medizin genetisch bedingte Krankheitsbilder.
Was passiert in einer humangenetischen Sprechstunde? In diesem Rahmen werden zunächst die Anamnese und der Stammbaum erhoben, gegebenenfalls erfolgt eine körperliche Untersuchung – je nach Fragestellung. In Zusammenschau aller Befunde wird dann gemeinsam mit den Patienten besprochen, welche Differentialdiagnosen in Betracht zu ziehen sind und welche genetische Diagnostik sinnvoll ist. Das Gespräch dient insbesondere auch der allgemein verständlichen takt steht dabei im Fokus. Wird eine genetische Diagnostik veranlasst, werden Ergebnis und die Bedeutung des Befundes, auch für Angehörige und Nachkommen, in einem abschließenden Gespräch erläutert und ein „Fahrplan“ für die weitere Betreuung durch die mitbehandelnden Ärztinnen und Ärzte erstellt. Oft handelt es sich um seltene Erkrankungen, hier koordinieren wir die interdisziplinäre Betreuung und Anbindung.
Werden die von Ihnen angebotenen Leistungen, sprich genetische Beratung und Diagnostik, von der Krankenkasse bezahlt? Ja, die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten gemäß dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab, kurz EBM. Für Privatversicherte kann eine Vorabklärung der Kostenübernahme für die genetische Diagnostik sinnvoll werden.
Die Liquid Biopsy – also flüssige Biopsie – kommt aktuell unter anderem in der Onkologie zum Einsatz; hier werden genetische Varianten von Tumoren oder Metastasen nicht invasiv im Blut nachgewiesen. Es braucht also keine Entnahme einer Gewebeprobe. Dies kann therapieentscheidend sein, da je nach genetischer Variante, die im Tumor vorliegt, unterschiedliche Medikamente indiziert sind. Außerdem lässt sich die Krebstherapie so ohne großen Aufwand für den Patienten regelmäßig überwachen.
Braucht es eine Überweisung zu Ihnen? Nein, nicht zwingend. Tatsächlich werden viele unserer Patienten von ihren betreuenden Ärzten überwiesen. Es ist aber auch möglich, uns direkt zu kontaktieren und einen Termin zu vereinbaren.
Wie läuft ein genetischer Test ab? Für die Analyse bedarf es einer Blutabnahme. Je nachdem, welche Fragestellung vorliegt, werden im Labor die entsprechenden Gene oder Genregionen analysiert. Dafür stehen uns eine Reihe verschiedener Techniken zur Verfügung. Es kann aber auch eine Exom-Analyse notwendig sein, bei der alle Gene analysiert werden –etwa bei Personen mit komplexer www.mgz-muenchen.de
Liegt die Zukunft der Medizin in den Genen? Je mehr wir über die genetisch bedingten Krankheitsbilder und die Genetik wissen, desto mehr erkennen wir, dass es sich hierbei nicht nur um seltene, exotische Krankheitsbilder handelt, sondern dass genetisch bedingte Erkrankungen viele Menschen betreffen. Und weil sich in der Entwicklung von Therapien genetisch bedingter Erkrankungen derzeit so viel Spannendes tut, werden in Zukunft immer mehr Menschen mit erblich bedingten und auch bislang unheilbaren Erkrankungen von der Humangenetik profitieren.

MEHR INFORMATIONEN
Das MGZ – Medizinisch Genetisches Zentrum bietet humangenetische Sprechstunden und Diagnostik für alle Teilbereiche der Humangenetik an. Im akkreditierten Labor des MGZ werden molekulargenetische und zytogenetische Untersuchungen mit modernsten Analysemethoden durchgeführt. Die ärztlichen Mitarbeitenden sind als Fachärztinnen und Fachärzte für Humangenetik mit unterschiedlichen Schwerpunkten Ansprechpartner für klinische und differentialdiagnostische Fragestellungen.