Predigt 04 Juli 2021

Predigt 7-04-2021 Was für ein merkwürdiger biblischer Text! Von Torheit ist hier die Rede. Und von Torheit soll ich Euch heute erzählen. Seid Ihr heute etwa in die Kirche gekommen, um Törichtes von mir zu hören? Und ich stehe doch auch nicht hier, um Törichtes von mir zu geben!

Ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen.

Bei diesen Worten unseres Predigtabschnittes regt sich erst einmal Widerspruch. Haben wir in den vergangenen Monaten nicht gemerkt, wie sehr wir die Weisheit der Weisen brauchen? Ohne die Arbeit der Wissenschaftler wären wir dem Corona-Virus vollständig ausgeliefert gewesen. Kluge Erkenntnisse, der Verstand der Verständigen – sie sind doch bitter nötig! Egal wo wir hinschauen – Pandemien, der Klima- wandel, Hunger und wirtschaftliche Not – ohne Wissen und Klugheit sind die Herausforderungen unserer Zeit nicht in den Griff zu bekom- men. Wissen ist überlebenswichtig – und es braucht große Anstren- gung, dass viele Menschen an diesem Wissen Anteil bekommen und von diesem Wissen profitieren. Auf die Torheit dagegen könnten wir doch gut verzichten: Wohin törichtes Verhalten – von Politikern wie von Bürgerinnen und Bürgern – führt: Auch das haben wir in der vergangenen Zeit zur Genüge bemerkt und sehen es auch täglich neu. Wäre doch das Handeln in unserer Zeit öfter von Verstand und Weis- heit als von der Torheit der Toren geleitet!

In einer Zeit, in der sich viele nach mehr Weisheit und mehr Wissen sehnen, hören wir diese Verse von Paulus an seine Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Korinth. Schon die rhetorische Kunstfertig- keit, in der er seine Argumente vorträgt, weist darauf hin: Wir würden Paulus gründlich missverstehen, wenn wir meinten, dass er gegen

Weisheit und Vernunft, gegen Wissen und die Wissenschaft argumen- tieren würde.

Er selber war ein kluger Denker. Wenn man seine Briefe studiert, kann man schnell entdecken, dass Paulus sich im Wissen seiner Zeit auskannte. Er war gebildet und hatte auch ein Handwerk als Zeltma- cher erlernt. Menschliches Wissen ist wichtig für uns. Wir brauchen es, um unser Leben zu meistern. Dazu hat uns Gott unseren Verstand gegeben.

II. Was aber meint Paulus dann mit seinem schneidenden Plädoyer für die Torheit? Es geht ihm nicht um die Torheit des menschlichen Han- delns in der Welt, es geht ihm um die Torheit des Handelns Gottes aus Sicht der Maßstäbe, die Menschen üblicherweise an die Religion an- legen. Mit diesen Maßstäben hatte Paulus zu kämpfen. Und das nicht irgendwo vor gelehrten Menschen in einer Akademie, sondern mitten in der von ihm gegründeten Gemeinde in Korinth.

Der Apostel schreibt seiner Gemeinde einen Brief, weil sie ihm fremd geworden ist. Sie leidet unter einem Höhenrausch. Sie will im- mer höher hinaus. Er will sie wieder zurück auf den Boden holen und zur Besinnung bringen. Ihrem Verstand, ihrem Denken, ihren hoch- fliegenden Ideen und Vorstellungen stellt er die Schwäche und die Torheit Gottes entgegen. Leidenschaftlich ringt er um die passenden Worte, um der Gemeinde klarzumachen: »Das, was Ihr für wichtig, klug und weise haltet, ist nichts im Vergleich zu diesem unbegreifli- chen Geschehen am Kreuz.« Hier zeigt sich ein anderer Maßstab als der des »Schneller, Höher, Weiter«, der sich in der Hafenstadt Korinth im Denken der Gemeindeglieder breitgemacht hat, die sich gegensei- tig im Glauben zu übertrumpfen suchen.

Paulus stellt dazu die Torheit der Predigt, also das Wort vom Kreuz, zwei religiösen Sichtweisen gegenüber. Beide Sichtweisen hat er auch in seiner Gemeinde vor Augen. Um ihr ins Gewissen zu reden, illus- triert er die beiden Sichtweisen am Beispiel der Juden und der Grie- chen.

Juden – so Paulus – fordern Zeichen. Sie erwarten vom Messias, dem Gesalbten Gottes, den Beweis göttlicher Macht und Stärke. In derTradition des Königs Davids müsste ein siegreicher Retter erscheinen, der seine Macht zeigt. Wer dagegen unterliegt und gar am Kreuz stirbt, der ist verflucht. In dieser Sichtweise musste das Kreuz ein Ärgernis, ja ein Skandal sein.

Die Griechen – so Paulus – sehen im Kreuz eine Torheit. Denn das Kreuz steht im Widerspruch zu jeder vernünftigen Vorstellung von Gott. Wenn Gott als das höchste und größte Prinzip allen Seins gedacht wird, eben als die umfassende Weisheit der Welt – wie soll sich dann das Kreuz damit zusammendenken lassen? Das Kreuz ist doch das Gegenteil zu allen Vorstellungen göttlicher Weisheit – ein Ort am äußersten Rand der Gesellschaft. Das muss ja als der pure Blödsinn, als vollkommene Torheit erscheinen!

Kein Wunder, dass eine der ältesten uns bekannten Darstellungen vom Kreuz eine hämische Karikatur ist. Sie stammt aus dem dritten Jahrhundert von einer Hauswand in Rom. Da hat jemand ein Kreuz in den Stein geritzt und sich über die Christen lustig gemacht. An dem Kreuz hängt ein Mensch mit einem Eselskopf. Darunter steht ein Mann mit ausgebreiteten Armen, daneben in ungelenken Buchstaben die Erklärung: »Alexander betet zu seinem Gott.« Die Botschaft ist klar: Wie dumm, wie töricht, zu jemandem zu beten, der am Kreuz hinge- richtet worden ist!

III.

Das Kreuz ist von Anfang an eine Zumutung – bis heute, auch in der Kirche, auch unter Christen. Ein Gott, der sich verletzlich macht, der zulässt, dass Menschen ihn demütigen, lächerlich machen, ihn mit allen Mitteln weghaben wollen? Genau das ist die Torheit des Kreuzes. Genau das ist das Ärgernis des Kreuzes.

Doch was in unseren Augen Dummheit Gottes ist, ist in Wahrheit seine Weisheit. Und was in unseren Augen Schwäche Gottes ist, ist in Wahrheit seine Stärke. Warum? – Weil er es aushält mit denen, die ihn ablehnen. Weil er in unser Herz schaut und sieht, wie viel Angst darin wohnt – die Angst vor dem Urteil der anderen; die Angst, sein Gesicht zu verlieren; die Angst, überfordert zu sein; die Angst, Fehler zuzugeben; die Angst, enttäuscht zu werden; die Angst, verletzt zu werden.

Er sieht, wie wir versuchen, unsere Angst zu verbergen und die Starken zu spielen. Und er hält uns aus, bleibt bei uns und liebt uns heraus aus der Angst hinein in seine Nähe, hinein in seine Kraft, hinein in seine Weisheit.

Der starke Gott ist gerade nicht erhaben über Leid und Schmerz.

Seine Stärke zeigt sich darin, dass er Schmerz und Leid aushält. Er offenbart sich im Kind in der Krippe und im Mann am Kreuz.

Der scheinbar Unberührbare wird berührbar, ja verletzlich, unterwirft sich der Vergänglichkeit. Das ist das Wort vom Kreuz, das Paulus den Ko- rinthern als den allein seligmachenden Grund des Glaubens verkündet.

Hier ist der Maßstab, der alle Maßstäbe kritisiert, die Menschen an Religion anzulegen gewohnt sind.

Gott, der Starke, der Allwissende, thront nicht über alldem, was uns Menschen umtreibt, was unser Herz zu zerreißen droht. Seine

Stärke zeigt sich am Kreuz. Er lädt auf sich unsere Schmerzen und unsere Schuld und hält sie beide aus. Als Mensch unter Menschen sucht er uns. Wie ein Mensch, der mit seinen Nächsten spricht und selber ganz dabei ist mit Leib und Seele, begeg- net er uns. So sucht er uns. So möchte er uns gewinnen. Das ist seine Weisheit.

IV. Diese Weisheit Gottes können wir Menschen nicht ergründen.

Allein Gottes Geist kennt die Tiefen der Gottheit. Gott in seiner Tiefe ist für uns nicht nur schwer zu ergründen, sondern auch leicht zu verwech- seln. Die Schwäche Gottes am Kreuz ist leicht zu verwechseln mit purer Ohnmacht.

Dabei ist da eine Kraft, die sich in der Schwachheit und der Niedrigkeit erweist. Eine Kraft, die aufrichtet und tröstet, eine Kraft, die gebrochene Herzen verbindet und heilt, eine Kraft, die Menschenherzen auch dort gewinnt, wo wir an unsere Grenzen kommen.

Ein besonders beeindruckendes Beispiel dafür war im vergangenen Jahr in Italien zu erleben. Als das Corona-Virus heftig wütete und die Kliniken unter Überlastung litten, zögerten viele Priester nicht, sich weiter an Sozialstützpunkten oder in den Kliniken um ihre Gemein- deglieder zu kümmern. Sie gingen ihrer seelsorgerlichen Aufgabe nach und unterstützten auch auf besonders betroffenen Intensivstationen Patienten und medizinisches Personal. Dabei nahmen sie bewusst in Kauf, dass sie ihr eigenes Leben riskierten und – in mehr als hundert Fällen – auch opferten. In einem Fall sogar, indem ein Priester auf das Beatmungsgerät für sich verzichtete und es an einen jüngeren Patienten weitergab.

Gottes lebensschaffende und liebesstiftende Kraft endet nicht an unseren Grenzen – nicht an den Grenzen unserer Kraft, nicht an

den Grenzen unserer Gesundheit, nicht an den Grenzen unseres Wissens.

Gott geht hinein in die Tiefe des Sterbens, in die Tiefe der Angst und die Tiefe der Schuld. So öffnet Gott neue Räume – Räume des Glau- bens, Plätze des Mutes und Orte der Hoffnung.

Dass Gott sich dahin begibt und Menschen zum Leben ermächtigt – egal, ob sie leben oder sterben, das ist seine Weisheit.

Das Kreuz ist das Zeichen dieser Weisheit. Sie muss denen als Tor- heit erscheinen, die den Maßstab nur im eigenen Leben sehen können. Damit sie uns aber zu Gottes Kraft und zur Seligkeit wird, brauchen wir immer wieder das Wort vom Kreuz.

Es macht uns zu seinen Hö- rerinnen und Hörern und hilft so unserem Glauben auf: Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft.

Hier ist die Weisheit, in der Gott sich mit uns verbindet und zwar jetzt und heute und bis in alle Ewigkeit.

Amen.