Terra Mater 2/2019

AUSGABE 02 / 2019 MÄRZ / APRIL AT/DE/IT EUR 7,00 CH SFR 9,00 BE/LUX EUR 8,00

PUMAS AUF DER PIRSCH Exklusiv entdeckt in Patagonien DIE INDIANER VON NEW YORK Überleben im Schatten der Freiheitsstatue

GENIES MIT GEWISSEN 22 kluge Köpfe, die unsere Welt ein bisschen besser machen – und welche Rolle Hollywoodstar Leonardo DiCaprio dabei spielt.

INHALT

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TERRA MATER März / April 2019

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46 TERRA-MATER-FOTOWETTBEWERB 2018 Mit offenen Augen durch die Natur: Unsere großartigen Leserinnen und Leser haben unseren Fotowettbewerb wieder zu einem tollen Erfolg gemacht. Staunen Sie über die Bilder der Gewinner.

64 EIN WUNDER NAMENS RIESENQUALLE Ein verschollener Meeresbewohner taucht wieder auf – erstaunlicherweise im Wiener Tiergarten Schönbrunn.

66 DIE GEISTER PATAGONIENS Monatelang ging Fotograf Ingo Arndt in Torres del Paine auf die Pirsch, um das Leben der Pumas zu dokumentieren – in Eis und Schnee, bei Kälte und Wind. Dann versöhnten ihn viereinhalb Sekunden mit allen erlittenen Strapazen.

STANDARDS 3 Editorial 6 Logbuch 136 Mailbox & Impressum

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Cover: Karolis Strautniekas/Folio Illustration Agency

18 GENIES MIT GEWISSEN Sie können Leonardo DiCaprio heißen, um die Welt ein bisschen besser zu machen, müssen aber nicht: 22 kluge Köpfe als Beweis für das Gegenteil.

58 VON MAUERN UND MENSCHEN Eine Lesegeschichte der besonderen Art: Hürden sind ein untaugliches Rezept, um unter sich zu bleiben.

98 EINE MÜHSAME DELIKATESSE Im Norden Spaniens, wo der Atlantik gegen das Ufer anbrandet, gedeiht eine Gaumenfreude namens Entenmuschel. Nur die Mutigsten schaffen es, diese zu ernten.

114 EIN MENSCH IN TAÏF Maqbul Altalhi ist Imker nahe Mekka. Er geht nie auf Urlaub, weil auch seine Bienen keinen freien Tag kennen.

116 DIE INDIANER VON NEW YORK Sie teilen sich das Land mit Millionären und lernen aus dem Internet, wie man jagt. Aber die Ahnen sind auf ihrer Seite.

Fotos: Florian Bachmeier, Ingo Arndt, Maria Feck, Fred Bavendam/Minden Pictures; Illustration: andreasleitner.com

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WISSEN 32 TARNEN UND TÄUSCHEN Sehen ist gut, nicht gesehen werden oft besser: Die Fauna entwickelte im Lauf der Evolution ver­ blüffende Strategien, um Beute zu machen und nicht zur Beute zu werden.

44 EIN TAG, DER DIE WELT VERÄNDERTE Am 19. Februar 1855 erschien die erste Wetterkarte: ­Damit überholt erstmals der Wetterbericht das Wetter.

82 DER BUCHSTABE I Sie kennen das Spiel „Stadt, Land, Fluss“? Dann haben wir für Sie ein paar ungewöhnliche Lösungsvorschläge.

87 DAS TERRA MATER JOURNAL Neues aus Wissenschaft und Forschung: seltene ­K rankheiten, neue Energien und die Wahrheit über das gesunde tägliche Achterl Wein.

96 MEILENSTEINE DER ZEITMESSUNG Sonnenuhren sind die ältesten Instrumente, um die Zeit zu messen – und es gibt sie sogar für die Hosentasche.

INSPIRATION 8 MOMENTAUFNAHMEN VON MUTTER ERDE Zum Beispiel: eine Kathedrale der Stille, errichtet von Zypressen in der einsamen Sumpflandschaft Louisianas.

84 KOLUMNE Mooslechners Merkwürdigkeiten.

130 EIN ORT ZUM ENTDECKEN Das Tote Meer steckt zwar nicht voller Leben, doch voller Erstaunlichkeiten.

132 MIT DEN BESTEN EMPFEHLUNGEN Von 100 Jahre Frauenwahlrecht in Wien bis zur Wolf-Ausstellung in Luzern: Nehmen Sie sich Zeit.

134 TERRA MATER BEWEGT Sehenswertes bei ServusTV. 138 PHYSIK DES ALLTAGS Ein Bumerang kehrt nicht zurück, weil der Werfer ­geschickt ist, sondern weil die Physik es so will.

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WELTBILD

ZIMMER MIT AUSSICHT LADAKH, INDIEN. Wer in Ladakh lebt, im hintersten Zipfel Indiens, der hat sich früh mit dem Gebirge zu arrangieren. Nur im Sommer können die Bewohner, mit ­ihren Siedlungen eingezwängt zwischen den Bergketten des Himalaya und des Kara­ korum, ihrem Leben einigermaßen unge­ stört nach­gehen, die Äcker bestellen und mit ­Tourismus ihr Einkommen aufbessern.

In den endlos kalten und windigen Winter­ monaten scheinen Gletscher und Felsen noch näher an die Häuser heranzurücken und schauen selbst während der Mußestunden den Menschen streng über die Schulter.

Foto: Nadia Ferroukhi

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WELTBILD

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„GLAUBE AN ETWAS, DAS

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Leonardo DiCaprio:

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GRÖSSER IST ALS DU SELBST!“ Der Hollywood-Star ist längst nicht mehr nur Schauspieler: Vor allem kämpft er als Umweltaktivist für eine bessere Welt – und macht damit einer neuen Generation kluger Köpfe Mut, es ihm gleichzutun.

TEXT: ROBERT SPERL ILLUSTRATION: KAROLIS STRAUTNIEKAS

1 Illustration: Karolis Strautniekas/Folio Illustration Agency; Foto: Terra Mater factual Studios

DER 22. APRIL 2016 BRACHTE NEW YORK STRAHLENDES WETTER. Für ei-

nen Frühlingstag war es erstaunlich warm, 26 Grad Celsius. Wer durch die Straßen und Parks flanierte, öffnete so viele Jackenknöpfe wie nur möglich. Im Sitzungssaal der Vereinten Nationen am East River stieß die Klimaanlage an ihre Grenze, doch hatte das weniger mit den Temperaturen draußen zu tun. Schuld daran war der Schauspieler, den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ans Rednerpult gebeten hatte. Jeder kannte den Gast, es gab freundlichen Applaus. Doch mit jedem weiteren Satz der Rede breitete sich mehr schweigende Unruhe aus, selten unterbrochen von Beifall.

Der Grund für die gespannte Atmosphäre war wohl, dass Leonardo DiCaprio mit einem Hinweis auf Abraham Lincoln und die Sklaverei begann und dann zügig auf das kollektive Versagen der Menschheit in Sachen Weltklima zu sprechen kam. ­Bereits zwei Jahre zuvor, zur Eröffnung des

UN-Klimagipfels, hatte DiCaprio vor dem Plenum gesprochen, zum selben Thema.

Man hatte ihm offenbar nicht zugehört, wenig war passiert. Die Vertreter der 193 anwesenden Staaten bekamen diesmal trotzdem keine Philippika zu hören. Schlimmer: Es war eine emotionslose Bestandsaufnahme zum Scheitern im Tagesordnungspunkt „Überleben der Menschheit“.

An diesem Tag befasste sich das Plenum mit der Ratifizierung des Pariser Klima­vertrags, doch dieser, so UN-­ Friedens­botschafter DiCaprio, sei sein Papier nur wert, wenn ihn alle ernst nehmen. Nicht mehr und nicht weniger sagte DiCaprio, und er war in diesen Minuten hinter seinem Rednerpult so weit entfernt vom doppelten Boden Hollywoods wie nur irgendwie vorstellbar und derart nüchtern, dass das schlechte Gewissen greifbar wurde.

Dann beendete DiCaprio seine Rede, die sich so zusammenfassen lässt: No more excuses. Er verbeugte sich kurz, ging in den zögernden Applaus hinein ab und hinterließ eine betretene Zuhörerschaft.

Leonardo DiCaprios Austria-Connection Die erste Zusammenarbeit mit den Wiener Terra Mater Factual Studios und DiCaprio als Executive Producer war 2016 der preisgekrönte Doku-Thriller The Ivory Game (Thema Elfenbeinschmuggel, oben DiCaprio mit Regisseur Richard Ladkani). Im Jänner 2019 folgte Sea of Shadows: Im Golf von Kalifornien wildern mexikanische Drogenkartelle und chinesische Mafia den TotoabaFisch und zerstören dabei die Umwelt.

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NACHHALTIGKEIT

GESCHICHTEN DES GELINGENS Es gibt viel zu ändern auf dem Weg in unsere Zukunft. Das muss nicht schmerzhaft sein. Es stimmt froh, die Welt besser zu machen.

Damit uns das leichter fällt: Hier präsentieren 22 kluge Köpfe ihre Ideen, große und kleine, zum Nachdenken und Nachmachen.

TEXT: GOTTFRIED DERKA, RAFFAEL FRITZ, KATHARINA KROPSHOFER, ROBERT SPERL ILLUSTRATION: KAROLIS STRAUTNIEKAS

IM LEBEN LERNEN STATT IN DER SCHULE Wer: Greta Thunberg, Schülerin, Stockholm/Schweden Was: Schulschwänzen als Klimaaktivismus Weil schwedische Politiker zu wenig für das Erreichen der ­Klimaziele tun, begann ein schwedisches Mädchen, öffentlichkeits­wirksam zu streiken.

Mit einem Schild, auf dem „Skolstrejk för Klimatet“ steht (deutsch: „Schulstreik für das Klima“), findet man die 16-­jährige ­Greta Thunberg jede Woche vor dem schwedischen Parlament. Sie habe die vor­ herrschende Klimapolitik satt, die nicht ­genug für die Zukunft dieser Welt unter­ nehme. Das schlägt Wellen: Mehr als 20.000 Schüler in rund 270 Städten schlossen sich an, ihre Rede bei der 24. UN-­ Klima­konferenz in Polen ging um die Welt: „Viele Leute sagen, Schweden sei zu klein, um etwas zu bewirken. Aber ich zeige, dass du nie zu klein bist, um eine Veränderung zu erreichen.“ Sie fordert seitdem auf, jeden Freitag mit ihr zu protestieren – so lange, bis die Staaten mit ihren Klima­ zielen auf Kurs sind.

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ENTDEC ELT KE W

Illustration: Karolis Strautniekas/Folio illustration agency

Blün ist eine Gruppe von Landwirten, die lokal, nachhaltig und qualitätsbewusst produzieren. Wie? Wasser und gentechnik­ freies Fischfutter ernähren Barsche und Welse. Die Fischgülle düngt auf Kokos­ substrat lebende Nutzpflanzen: Karotten, Süßkartoffeln, Zwiebeln, Pilze. Im Glas­ haus angestellt: Hummeln, Schlupfwespen, Milben. Dieses Aquaponik-Prinzip ist alt, Blün reizt es neu aus. Was Blün ist? Effi­ zient: Zehn Kilo Futter erzeugen zehn Kilo Fisch. Ehrgeizig: Vermarktet wird per Post und über lokale Anbieter, aber man vertreibt auch das Konzept. Ehrlich: ­Produziert wird nur zehn Monate im Jahr, um die Glashäuser nicht fossil beheizen zu müssen. Das Sortiment wechselt: Es gibt eine Sommer- und eine Winterkollektion.

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Lebensmittel, produziert nach der Idee der Kreislaufwirtschaft mit nur zwei ­Zutaten: Wasser und Fischfutter.

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Wer: Stefan Bauer, Philipp Filzwieser, ­Bernhard Zehetbauer, Gregor Hoffmann, Michael Berlin, Wien Was: Blün – eine 5-Personen-Kooperative zur nachhaltigen und ressourcenschonenden Lebensmittelproduktion

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WENN BARSCHE KAROTTEN FÜTTERN

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JETZT HAB ICH DAS KLIMA KAPIERT!

Wer: George Marshall, Gründer von Climate Outreach, Oxford/UK Was: Klimawandel-Kommunikation

Unsere Gehirne können Klimawandel und seine Folgen nur schwer verarbeiten.

Marshall schreibt und spricht darüber, wie man Kommunikation darüber besser macht.

George Marshall hat ein Buch geschrieben. Lieber redet er aber: Das sei der Schlüssel für alles. Doch noch spalte das Thema Klimawandel politisch mehr als Abtreibung oder Waffenkontrolle. An seinem Institut Climate Outreach wird erforscht, welche Kommunikationsstrategien bei Menschen Anklang finden.­ Dafür redet er auch mit Vertretern großer Widersacher wie der Ölindustrie: „Es bringt nichts, die Leute anzugreifen und ihnen zu sagen, wie furchtbar ihre­ Arbeit ist.“ Erreichen könne man Leute nur über einen persönlichen Bezug. ­„Listen wie ‚10 Dinge, die du gegen den Klimawandel tun kannst‘ haben keiner­ lei Effekt, solange sich die Leute immer noch fragen, wozu sie das tun sollten.“

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DIE GALERIE

DER BESTEN Der Terra-Mater-Fotowettbewerb war diesmal spannend wie nie: Eine Vielzahl der eingereichten Bilder war würdig für das Podium. Entsprechend anspruchsvoll die Aufgabe für unsere Jury, die Sieger des Jahres 2018 zu küren. Gratulation an die Preisträger und viel Vergnügen beim Betrachten.

Kategorie Landschaft – Platz 1 SIBYLLE MAUS, Mannheim, Baden-Württemberg „Diese Aufnahme ist während einer Fahrt im Heißluftballon über den Stubenbergsee in der Steiermark entstanden.

Es war wenig Wind, daher konnten wir länger dem Treiben tief unter uns zusehen. ­Dabei ist mir diese besondere Struktur im Eis aufgefallen.

Wahrscheinlich war das Eis hier aufgetaut und fror dann wieder. Mich hat das Muster an eine Nervenzelle erinnert.

Den Eisläufern waren die Risse wahrscheinlich gar nicht ­bewusst – die waren nur aus unserer Perspektive sichtbar.“

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FOTOWETTBEWERB 2018 LANDSCHAFT

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Columbus Day in New York City.

Für die Shinnecock kein Grund zum Feiern: Sie und viele andere n ­ ennen den Tag Indigenous ­Peoples’ Day und treffen sich, um das Leid ihrer Geschichte zu teilen.

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LEBENSWEISEN

DIE INDIANER

VON NEW YORK Lange vor den Europäern waren sie schon hier. Sie jagten, wo heute Hochhäuser stehen, und fischten, wo sich nun reiche New Yorker am Strand fläzen. Ein Besuch im ShinnecockReservat auf Long Island, zwei Autostunden von Manhattan.

TEXT: CHRISTINA SCHMIDT FOTOS: MARIA FECK

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LEBENSWEISEN

Quadratkilometer, die sie heute noch besitzen.

Ihnen blieb nichts anderes übrig, als Putzkräf­ te, Dienstboten und Caddies für die Weißen zu werden. Dafür forderten sie Entschädigungen.

Sie schätzen den Wert des verlorenen Gebiets auf 1,7 Milliarden Dollar – die Grundstücke um Southampton gehören zu den teuersten der USA. Doch der Oberste Gerichtshof hat die Klage im Jahr 2016 abgewiesen.

Tradition und Moderne.

Linda Franklin sitzt in ihrer neu eingerichteten Küche und trinkt Kapselkaffee, ­während sie mit Räucherwerk und Adlerfedern eine ­rituelle ­Zeremonie abhält.

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AUTONOMIE – ABER WIE?

Linda Franklin stellt eine kleine Holzkiste auf die Marmorplatte in ihrer Küche. Sie ist mit Metall beschlagen und verschlossen. Darin verwahrt sie ihre Gebetsgegenstände: Zedernholz, Salbeiblät­ ter, Maismehl, zu einem Zopf geflochtenes Stroh.

Und eine Feder. Sie stammt von einem Adler aus dem Westen – sie musste ihn darum bitten, er­ zählt Franklin. Sie sagt, fiele ihr die Adlerfeder zu Boden, müsste sie eine ganze Zeremonie ab­ halten, um sie wieder zu reinigen.

Es macht Linda Franklin stolz, dass die jun­ gen Shinnecock wieder beginnen, sich für ihre Herkunft zu interessieren. „Plötzlich haben sie einfach angefangen“, sagt sie. „Viele von ihnen gehen weg, aufs College, aber ihre Wurzeln ha­ ben sie hier. Die kann ihnen niemand nehmen.“ Trotzdem sorgt sie sich um die Jugendlichen. Seit einiger Zeit bringen sie neue Freunde mit und die wiederum Drogen und wer weiß was sonst noch. „Die zeigen keinen Respekt für unser Land.“ Das Reservat ist Eigentum der Shinnecock – und das schon immer. Anders als andere Stämme haben sie wenigstens nicht nur ein paar unfrucht­ bare Quadratkilometer in Oklahoma zugewiesen bekommen. Der Staat darf das Reservat nur mit Erlaubnis des Stammes betreten. Das gilt genau­ so für Beamte, Feuerwehrleute und Polizisten.

Nur bei besonders schweren Straftaten darf das FBI ohne Erlaubnis ermitteln.

Die Shinnecock können sogar ein eigenes Justizsystem aufbauen. Das Auto für den Reser­ vatssheriff haben sie bereits angeschafft. Es steht vor dem Shinnecock Nation Cultural Center

Zweihundert Jahre lang, ab 1640, hatten die Shinnecock und die britischen Siedler friedlich nebeneinander existiert, sogar miteinander gehandelt. Doch dann wollten reiche New Yorker mehr Land besitzen. im Norden des Reservats; allerdings noch ohne Reifen. Linda Franklin befürchtet, dass die Shin­ necock Indian Nation ein Fluchtpunkt für die Kriminellen Long Islands werden könnte. Ge­ rüchte über bewaffnete Gesetz­lose streuen sich außerhalb des Reservats so nachdrücklich, dass ein Sanitäter, der zufällig gerufen wird und hier auf Ortsfremde trifft, raunt: „Ihr solltet hier nicht sein. Das ist nicht sicher.“ Am Abend lodert unweit der Kirche ein ­Lagerfeuer. Ringsum liegen Baumstämme, auf de­ nen zerbrochene Krüge, Steine, gewebte Decken platziert sind. Becky Smith hat sie dort drapiert, für ihren Sohn. Der war in Gangstreitereien gera­ ten, und niemand wusste, wie ihm geholfen wer­ den könnte. Schließlich entzündete Becky Smith ein Lagerfeuer, jeden Abend, einen ganzen Win­ ter lang. Die Idee dazu war auf einmal in ihrem Kopf gewesen. Becky Smith ist sich sicher: Dafür waren ihre Vorfahren verantwortlich. „Sie haben die Idee in meinen Kopf gepflanzt, darauf bin ich nicht von allein gekommen.“ Im Frühjahr kamen die Gangs dann zur Ruhe, ihr Sohn war wieder in Sicherheit. Das Feuer entzündet die Frau trotzdem, sooft sie kann.

Für eine junge Mutter, die verhaftet wurde. Für eine Familie, deren Haus abgebrannt ist; für die vielen unbekannten indigenen Frauen in ganz Nordamerika, die unterdrückt und vergewaltigt werden oder verschwinden; für die Völker, die in Aufruhr sind, weil sie beginnen, sich zu orga­ nisieren. Gemeinsam gegen das Vergessen. Da­ mit die Shinnecock einen Ort haben, an dem sie zusammenkommen können. Denn all das fehlt noch immer – eine In­frastruktur, die aus einer Häusersiedlung eine Gemeinschaft macht.

Komplexe Identität. Vogelfedern treffen auf das Star-Spangled Banner: Sich abgrenzen und doch dazugehören – das ist der schwierige Spagat, den die Indigenen heute machen müssen.

Lebendige Tradition. Beim alljährlichen Shinnecock-Powwow kommen Indianer von der ganzen Ostküste nach Long Island, um gemeinsam rituelle Tänze aufzuführen.

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ENERGIE

DIE KOCHEN AUCH NUR MIT WASSER Die Wärme des Sommers in den Winter hinübertragen: Das soll mit riesigen Wasserspeichern möglich werden. Schon bald könnten diese die Fernwärmenetze von Österreichs Städten unterstützen.

Wasser heiß machen – fertig.

Was wie das einfachste Koch­ rezept der Welt klingt, ist das Grundprinzip, nach dem Groß­ wärmespeicher funktionieren.

Die riesigen wassergefüllten Becken dienen als Zwischen­ lager für thermische Energie.

Das heißt, sie nehmen Wärme auf, wenn viel davon zur Ver­ fügung steht, und geben sie bei Bedarf wieder ab. „So können wir zum Beispiel im Sommer Abwärme aus Fabriken, Kraft­ werken und anderen Quellen speichern und sie im Winter ins Fernwärmenetz einspeisen, über das viele Städte ihre Heiz­ leistung beziehen“, erklärt Ingo Leusbrock vom AEE – Institut für Nachhaltige Technologien.

Der Experte für Energie­ versorgung leitet eine Arbeits­ gruppe beim Forschungs­ projekt Giga_TES, in dem der Fokus auf Erdbeckenspeichern liegt. Diese im Boden versenkte Variante des Großwärme­ speichers ist bereits in Deutsch­ land und vor allem in Däne­ mark im Einsatz. In Österreich befinden sich derzeit verschie­ denste Konzepte in der Ent­ wicklung. Ein prominentes Beispiel: die geplante BIG-­ Solar-Anlage in Graz, die einen Erdbeckenspeicher mit Sonnen­ kollektoren kombiniert.

Das dänische Vorbild lässt sich jedoch nicht so einfach auf Österreich umlegen – hierzu­ lande herrschen ganz andere Bedingungen. Leusbrock: „Die ­dänischen Kollegen können im Grunde einfach ein Loch

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SONNENKOLLEKTOREN

FABRIK

STADT WÄRMESPEICHER

KRAFTWERK

Wasser als Energiepuffer. Ein Erdbeckenspeicher nimmt im Sommer Abwärme aus Kraftwerken und Fabriken auf. Über das Fernwärmenetz lassen sich damit im Winter Gebäude beheizen.

graben, um einen Speicher an­ zulegen. In Österreich müssen wir genauer auf Grundwasser, ­Bodenbeschaffenheit und der­ gleichen achten. Sonst geht zu viel Wärme verloren oder die Kosten steigen zu stark.“ Künftig sollen diese über­ dimensionalen Thermoskannen die Fernwärmesysteme in ­Österreichs Städten emissions­ ärmer machen. „Viele denken bei Energiewende hauptsäch­ lich an Strom“, sagt Leusbrock. „Dabei ist das Thema Heizung fast noch wichtiger. Immerhin 50 Prozent unseres Energie­ bedarfs wenden wir für Wärme und Kälte auf.“

Großes Vorbild. Eine Solar-Großanlage in Verbindung mit einem Erdbeckenspeicher steht seit 2015 in der dänischen Kleinstadt Vojens, deren Heizbedarf damit zu fast 50 Prozent gedeckt wird.

MEDIZIN

DAS UNGESUNDE ACHTERL Alkohol ist Kulturgut und soziales Schmiermittel – und bringt jährlich Millionen Menschen ins Grab. Die Medizin zeigt: Das gesunde Achterl gibt es nicht. Getrunken wird es trotzdem.

11,6 LITER

So viel trinken die Öster­reicher im Durchschnitt jährlich, in reinem Alkohol gerechnet.

Damit liegt Österreich international im oberen Mittelfeld. Weltweiter Rekordhalter ist übrigens Moldawien mit 15,2 Litern.

7

MASS BIER

PROZENT

Vier am Tag, drei am Abend: Auf diese Menge beschränkte Ernst der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha, in der Hoftrinkordnung von 1648 den Konsum „vors gräffliche und adelige Frauenzimmer“.

der Einwohner von Libyen geben laut Weltgesundheitsorganisation WHO an, nie Alkohol zu t­ rinken. Damit ist Libyen offiziell das trockenste Land der Welt – wenn man der Statistik glauben mag.

27

1.

aller Verkehrs­unfälle mit ­Personenschaden weltweit sind laut Weltgesundheits­ organisation WHO auf Alkoholkonsum zurückzuführen.

In einer britischen Studie zu schädlichen Effekten von Drogen auf Gesundheit und Gesellschaft landete Alkohol ganz oben – vor Heroin.

PROZENT Foto: Arcon-Sunmark

99,5

PLATZ

10

1,50

MILLIONEN JAHRE

ist es her, dass sich bei unseren Vorfahren eine Genmutation verbreitete, dank der unser Körper Alkohol abbauen kann. Sie ermöglichte unseren Vorfahren wohl, überreife Früchte zu konsumieren.

0

US-DOLLAR

ist der Preis für ein großes Bier (0,5 Liter) in Manila laut „Bad Habits Index“ der Deutschen Bank. Damit ist die philippinische Hauptstadt Preissieger. Platz zwei geht an den bis­herigen Spitzenreiter: Prag.

12,00 US-DOLLAR

So die der Gesundheit zuträglichste Alkoholmenge, der bisher größten Meta-Analyse im Fachjournal The Lancet zufolge.

Alkoholkonsum habe zwar ­positive Effekte, die negativen überwögen jedoch eindeutig.

kostet ein großes Bier in ­Dubai, das im „Bad Habits Index“ am anderen Ende der Skala liegt. Auf den Plätzen folgen die berüchtigt teuren Pflaster Oslo ($ 10,30) und Hongkong ($ 8,90).

13.000 JAHRE

So alt sind die Überreste einer neolithischen Brauerei, die 2018 in einer Höhle bei Haifa entdeckt wurden. Es sind die ältesten Hinweise für die Herstellung von alkoholischen Getränken.

Die Leute, die dort Bier brauten, waren wahrscheinlich noch nicht einmal vollständig sesshaft, sondern Halbnomaden.

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DIE LETZTE SEITE

PHYSIK DES ALLTAGS

WAR EINMAL EIN BUMERANG … UND DASS ER ZUM WERFER ZURÜCKKEHRT, IST PHYSIK.

Für den Hausgebrauch kann man so sagen: Ein ­Bumerang ist ein Kreisel mit Flügeln. Sehen wir uns die beiden Puzzlesteine deshalb genauer an.

Flugbewegung überlagern sich. Der obere Arm rotiert in den Gegenwind hinein, der untere aus ihm heraus. In Summe strömt die Luft am obe­ ren Arm also schneller an und erzeugt somit auch mehr Auftrieb.

Warum aber die Kreisbahn? Stellen Sie sich den rotierenden Bumerang zu einer Scheibe ver­ wischt vor (4 und 5). Weil der Auftrieb an dieser oben größer ist als unten, würde man eigentlich erwarten, dass die Scheibe nach links kippt und sich flach legt. Der Bumerang ist aber auch ein Kreisel. Er weicht der erwarteten Bewegung um 90° aus. Die Scheibe lenkt gewissermaßen wie ein rollendes Rad ein (5). Der Bumerang be­ schreibt somit eine Kreisbahn und kommt – im Idealfall – exakt zum Werfer zurück.

Zuerst der Kreisel: Die Kräfte, die an einem Kreisel angreifen, wirken sich – salopp gesagt – immer erst um 90° in Rotationsrichtung aus. Am besten sieht man das bei einem Kreisel in Schief­ lage (1). Dieser müsste eigentlich nach rechts umfallen. Tut er aber nicht! Solange er rotiert, führt nämlich der Zug der Gravitationskraft zu einem Kippen horizontal nach hinten. Diese um 90° ausweichende Bewegung eines rotieren­ den Objekts nennt man im Fachjargon Präzes­ sion. Dadurch beschreibt die Kreiselspitze eine Kreisbahn.

Jetzt zu den Flügeln: Die beiden Arme des Bumerangs weisen ein Tragflächenprofil auf (2).

Ein Bumerang wird beinahe senkrecht ab­gewor­ fen (3) und nicht waagrecht, wie oft ­vermutet wird. Durch die Rotation pflügen die Arme durch die Luft. Die anströmende Luft erzeugt an beiden Armen einen Auftrieb. Am oberen Arm ist dieser aber größer (4). Warum?

Der durch die Luft fliegende Bumerang spürt ja zusätzlich auch einen Gegenwind. Die Windgeschwindigkeiten durch Rotation und

Die nächste Ausgabe von TERRA MATER erscheint am 11. April.

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Mag. DDr. Martin Apolin, 53, ist Physiker und Sportwissenschaftler.

Neben seine Tätigkeit als AHS-Lehrer hat er über 20 populärwissenschaftliche Bücher und Schulbücher geschrieben.

Illustration: Janosch Slama; Foto: Privat

GANZE DISSERTATIONEN WURDEN DAR­ ÜBER GESCHRIEBEN, WARUM BUMERANGS ZUM WERFER ZURÜCKKOMMEN – WEIL KOMPLEXE PHYSIK DAHINTERSTECKT.

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