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Action

Play it again. And again … Von Berlin nach Casablanca in knapp sechs Wochen – ohne Geld, aber dafür mit viel Rhythmus und Flow: „39 Days – A Roadtrip“ ist eine Musik-Expedition von vier Freunden durchs spätsommerliche Europa und Nordafrika. Hier 39 Fakten in voller Fahrt. Text: Simon Schreyer, Illustrationen: Thomas Kussin

1 Basics: Vier gute Freunde

Mitte zwanzig brechen am 1. August 2010 von Berlin aus auf zu einer Tour de Force nach Marokko: Jamie SeidlCurtis a. k. a. „Jolly Jay“, David Glover, Hanno Martius a. k. a. HtoO und Max Wentzler. Mit dabei: zwei Mikrofone, Instrumente, ein Verstärker, ein Sofa am Dach. (Das vierköpfige Filmteam reist im Begleit­ wagen.)

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Ziel: die erste Hip-HopBlockparty Marokkos in Casablanca. Zwei von den ­vieren, Jolly Jay und HtoO, rappen und texten wie die Füchse, David spielt eine ­weiße Les Paul, und Max ist Charmeschleuder, Checker und DJ in Personalunion.

3 Vorgegebener Ankunfts-

tag: 8. September, vier Tage vor dem Konzert (inschallah!) – in Marokko steht dieses Datum am ausgiebig gefeierten Ende des Fastenmonats Ramadan.

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Die Bedingung: null Budget! Die Reisekasse wird allein durch Straßen-Gigs und den Verkauf der hausgemachten, sehr hörenswerten CD („Scattered Colours on a Rubik’s Cube“, mit gehaltvollen Beats von DJ Doe Diggler, Mr. Boss und Gästen) und T-Shirts (na50

türlich Fair Trade) aufgefüllt. Kassenstand bei Reisebeginn ist null. Für einen ersten vollen Tank sorgt ein AbschiedsGig im Berliner Mauerpark.

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kanntschaften und Club-Promoter sind die unabdingbaren Friends on the Road, emotionale Tankstellen, Couch-­ Bezieher und großzügige Weiterhelfer.

Kunden, denen dieses Produkt gefällt …: Wem das UK-Hip-Hop-Album zusagt, der freut sich sicher auch über Themlot (Sound Scientists), The Pharcyde, Jehst, Chester P (The Taskforce), Jam Baxter (Contact Play) und Children of the Damned.

Gefährt: ein 1840 Kilogramm schwerer schwarzer Land Rover Defender, der im Laufe der Reise mit Tags lokaler Graffiti-Künstler dekoriert wird. Er ist ein vollwertiger Reisegefährte der deutschenglischen Morgenlandfahrer.

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10 Verbündete: Gemein-

Die Texte: Hanno und J­ amie reimen schonungslos, haarscharf und um drei Ecken gedacht über die Verlockung der Snooze-Taste, die zweifelhaften Reize Paris Hiltons, die berüchtigte „Koffein-Spinne“ und die Wirren einer außer Rand und Band geratenen Popkultur.

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Der Track: Unterwegs entsteht gemeinsam mit Instrumentalisten und MCs eine Soundcollage, deren Grundlage eine Berliner Basslinie ist. Eingespielt wurde sie von Jolly Jays Stiefvater Uve Müllrich, der seinerseits mit den 1980 gegründeten WorldBeat-Pionieren „Dissidenten“ den Orient bereiste.

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Das Netzwerk: Befreun­ dete Musiker, Facebook-Be-

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same Gigs und Aufnahmen entstehen auf der Reise u. a. mit Yarah Bravo (DJ Vadims Ehefrau und One-Self-Kollaborateurin), Faye Simon, DJ Word, MC Amalgam, Meggie Smith, Biz2risk, Hoofer und den in arabisch-französischer Kunstsprache reimenden Marokkanern Flip & Flow.

11 Feinde: innere und

äußere Schweinehunde, die da sind Hitze, Hunger, Parkverbotsschilder, Lagerkoller, Steine werfende Hausbewohner, künstlerisches Chaos, Zeitdruck, Taschendiebe.

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Täglich Brot: Nichts verdient heißt nichts gegessen, und wenn, dann auch eher etwas aus der Abteilung Pasta, Pesto und Peanutbutter. Pizza

gibt’s nur zur Feier besonders erfolgreicher Tage.

13 Rettende Betten: Nur

in Amsterdam und im französischen Pontarlier gönnen sich die Jungs Betten. Zelt, Rückbank und das Sofa am Autodach sind die unbequeme Norm.

14 Wer B sagt, muss auch

C sagen: Der Weg von Berlin nach Casablanca dauert 7870 Kilometer. Wegen teurer Auto­ bahnmauten in Frankreich und der lastgewichtsbedingten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h weichen die fahren­den Musiker auf Bundes­straßen aus.

15 Freispiel durch Frei-

stil: Bei verbaler, gereimter Improvisation (Freestyle) ist Jamie Meister. Ihm fallen ad hoc ­freche und optimale Beschreibungen der Zuhörer ein. Als in Nizza eine Dame um die fünfzig mit geschürzten Lippen und durchgeschwitztem Leiberl auf die Jungs zutanzt, reimt er über Ecstasy im fortgeschrittenen Alter – auch auf die Gefahr hin, dass die Französin Englisch versteht.

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Key to the Highway: Die Frage nach dem Autoschlüssel wird immer wieder mit hochgezogenen Augen-


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