The Red Bulletin_1010_GER

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Action

Mitternachtssonne auf den Lofoten. Nach ein paar Tagen wird die Uhrzeit zur Neben­ sache: Man isst, wenn man hungrig, und schläft, wenn man müde ist. Oder geht nachts um zwei zum Strand, um den Wellen zuzusehen.

ein Landvogt, der Jahr für Jahr jede Fischerfamilie bis auf die letzte Øre auspresste. Dessen jüngster Nachfahre hat nicht mehr ganz so viel Macht, aber noch immer einen eigenen Stuhl in der Kirche. Bis vor fünfzig Jahren, berichtet Jan, hat eine Familie das ganze Jahr über hier gelebt, am Ende der Welt. Die jüngste ­Tochter verließ das Tal bis zu ihrem sechsten Lebensjahr kein einziges Mal. Zurück in Jans Hütte, stellen wir uns ihr Leben vor: ihre Welt, die links am Meer und rechts an den Bergen zu Ende war, die nichts von Autos und Hochhäusern, Menschenansammlungen und Badewetter wusste und an deren Außengrenzen ­unheimliche Trolle und gefräßige Gespenster wohnten. (Das ­behaupteten nämlich die Eltern, um den Forscherdrang der ­Kinder im Zaum zu halten.) Am schlimmsten muss es im Winter gewesen sein, wenn der Wind den Schnee zu betonharten Platten presst und die Polarnacht kein Ende nehmen will. Oder am schönsten? Als es Abend wird, sägen wir Brennholz, holen Trinkwasser vom See, machen das Geschirr sauber. Wir haben aufgehört, Reporterfragen zu stellen, und begonnen, Jans Antworten zu verstehen. Es gibt Forellen, die ersten, die wir selbst gefangen haben. Wir haben sie auf offenem Feuer selber zubereitet. An ­ihren weniger verkohlten Stellen schmecken sie nach Stille und Weite, nach Wind und nach Mitternachtssonne. Wirklich. www.wanggaard.com

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