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Unter den rasenden Reportern gehört Red Bulletin-Mann Werner Jessner zu den flinken: Er lieh sich die Maschine von Vizeweltmeister Dani Pedrosa. Hier sein 260-km/h-Fahrbericht. TEXT Werner Jessner BILD Oliver Mark

9:16

Vorbildliche Coverage der Serie fürs TV. Für die Performance unseres Mannes hätte es ein flinker Maler auch getan.

26

Dani Pedrosas Startnummer seit Jugendjahren.

400 Grad

ist die optimale Betriebstemperatur der Carbonbremsen. Beißen sie nicht, bist du zu langsam.

A

m Abend davor erledigst du die Dinge, für die man unbedingt zwei gesunde Hände braucht. Du wäschst dir die Haare, schneidest die Nägel, packst alles so ein, dass sich auch ein Fremder zurechtfindet, nur für den Fall. Der Schlaf wird flach und unruhig sein, das weißt du schon im Voraus, drum wird es dich auch nicht stören. Morgen in der Früh wirst du wahrscheinlich keinen großen Appetit haben, auch das weißt du. Und doch ist es ein bisschen mehr als nur normale Nervosität, mehr als das übliche Kribbeln vor großen Abenteuern. Das hier ist die echte Welt. Hier passt niemand auf dich auf. Kein Netz, kein doppelter Boden, keine Hostessen, die dir freundlich das Leder zuzippen. Hier gibt es nur die Strecke, das Bike und deine Selbsteinschätzung. Das Bike. Die Honda RC212V mit der Startnummer 26 war das überlegene Motorrad beim MotoGP-Saisonfinale in Valencia. Pole-Position, schnellste Runde, Sieg vor 120.000 enthusiasmierten Zuschauern. Vizeweltmeister Dani Pedrosa hat das Gerät gut eingefahren. Genauso, wie er es am Sonntag im Parc Fermé abgestellt hat, steht es nun da, einmal abgewischt, frisch bereift und vollgetankt. Näher kann man der Königsklasse im Motorsport nicht kommen. Es ist, als würde dir Kimi Räikkönen am Montag seinen Formel-1-Ferrari vor die Tür stellen, viel Vergnügen, und fall nicht. MotoGP bedeutet 220 PS bei 150 Kilo Eigengewicht. Ein Porsche 911 müsste rund 2200 PS haben, um auf dieses Leistungsgewicht zu kommen, ein Pferd dürfte nur 68 Deka wiegen. Zufällig entspricht das Leistungsgewicht eines MotoGP-Bikes recht ­genau dem der Formel 1, beides State of the Art ­a ktueller Renntechnik. Seit 2007 dürfen MotoGP-­Motoren nur mehr 800 statt 1000 Kubikzentimeter Hubraum haben, das bedeutet eine Leistungsein­buße von fast 50 PS. Dani Pedrosa hat den Valencia-Rundenrekord heuer trotzdem zertrümmert. Was sich wirklich geändert hat, ist der Sound. Wa­ ren die 1000er-Bikes brüllende, wummernde, greinende Schallwerfer – sprotzend, hustend, röchelnd, schnaufend, rasselnd, röhrend, schmerzhaft laut, ei­ ne Kakophonie des Wahnsinns, aber halt auch wahnsinnig geil –, singen die aktuellen 800er, sie kreischen und jaulen in höchsten Tönen. Aus der Entfernung klingen sie fast wie Formel-1-Motoren. Wer Technikern Hubraum nimmt, wird Drehzahl ernten. Und das klingt dann eben schrill. Werksspionage funktioniert in der MotoGP über Richtmikrofone. Anhand der Frequenzen lässt sich auf die Technik rückschließen. Bei 15.000 Touren gemahnt die erste Leuchtdiode im Cockpit ans Hochschalten. Jeden anderen Motor (mit Ausnahme der Formel 1) hätte es längst zerrissen. Mit Motorradfahren, wie wir es kennen, hat das hier nichts zu tun. Das liegt einerseits natürlich an der Maschine, andererseits aber an ihrem Fahrer. Dani


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