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SARAH HUNDERT
Sie sagt, der Sport gibt ihr mehr, als er ihr genommen hat. Auch deshalb ist die Eventmanagerin und Para-Athletin jetzt im Stiftungsrat von Wings for Life in Liechtenstein.
Der Sport hat sie gerettet, sagt Sarah Hundert. Gerettet? Damals, im Jahr 2010, als sie beim Training für ein Downhill-Rennen schwer stürzte? Als sie mit ihrem Bike für den Absprung über eine Senke zu wenig Tempo draufhatte, sodass sie, statt auf der anderen Seite zu landen, mit dem Kopf voraus auf den Boden knallte? Damals, als ein Sekundenbruchteil Schicksal spielte? Bruch des 9. Brustwirbels, Bruch des 1. Halswirbels, Querschnittslähmung.
Seit damals, seit 2010, sitzt Sarah Hundert im Rollstuhl. Und diese Sarah Hundert sagt heute, der Sport habe sie gerettet? Nicht wahnsinnig viel gekostet? «Nein. Natürlich hat der Unfall mein Leben verändert, aber er hat mich nicht gebrochen. Der Sport hat mir geholfen, mich selbst wiederzufinden und mich stark zu fühlen.»
Die Freiheit auf der Piste
Sarah Hundert ist keine gewöhnliche Sportlerin. Und auch kein gewöhnlicher Mensch. Ihre freundliche Unbeschwertheit täuscht nicht darüber hinweg, dass die heute 32Jährige einen unbändigen Willen hat und eine faszinierende Entschlossenheit. Eineinhalb Jahre nach ihrem Unfall bucht sie im Kaunertal in Tirol einen Skikurs. Nach einer Woche Grundtraining kauft sie sich einen Monoski und fährt ab dann jede Woche. Und zieht durch. Heute trainiert Sarah sechsmal die Woche, sie fährt Monoski im Leistungssport. Ihre nächsten grossen Herausforderungen sind die Weltmeisterschaft im Jahr 2025 und die Paraloympischen Spiele 2026 in Cortina.
«Sport ist der beste Therapeut, den man finden kann», sagt sie. Und: «Skifahren ist Freiheit für mich. Es ist eine der wenigen Sportarten, die ich normal machen kann. Klar, ich fahre Mono, aber wir sitzen im gleichen Lift, wir fahren die gleichen Pisten hinunter. Ich spüre da keinen Unterschied.»
Dabei hätte alles auch ganz anders kommen können, damals, in der fragilen Zeit nach dem Unfall. Sarah ist 19 Jahre alt, geht viel aus, trinkt viel Alkohol, muss viel an Wut verarbeiten, hadert mit der Diagnose. Hilfe anzunehmen war das Schwerste, sagt sie, und dass sie ohne ihre Familie und Freunde da nicht wieder rausgekommen wäre. Bis heute sind sie ihre wichtigste Stütze. «Wenn ich auf den Mount Everest will, dann tragen sie mich dort hinauf.» Ihre beste Freundin und wichtigste Stütze hat sie gerade erst geheiratet.
Mentale Stärke durch Hypnose
Was würde sie sich von den Menschen wünschen? «Dass sie ein bisschen mehr von Kindern haben», meint Sarah. «Kinder finde ich toll, die haben keine aufgesetzte Scham. Sie schauen mich an und fragen: Wieso sitzt du da? Kinder fragen. Erwachsene tun heimlich, und das merkt man. Oder sie schauen dich an und sagen gar nichts.» Im Sport findet sie gegen Rückschläge Hilfe bei einem Mentaltrainer. «Ich hab sechs verschiedene durchprobiert», erzählt sie, aber die hätten alle nicht zu ihr gepasst. Allerdings wäre sie nicht sie selbst, hätte sie aufgegeben. Beim siebten Versuch klappte es. «Vor zwei Jahren bin ich auf Hypnose gestossen und habe gemerkt, das ist das Richtige für mich. Mein Trainer schickt mir Audiodateien, die kann ich überallhin mitnehmen und am Abend im Bett hören.» Es nimmt ihr die Ängste, die sie hat, sie ist viel gelassener, und, ja, sie fährt deutlich besser Ski damit.
Sarah Hundert arbeitet im Eventmanagement, ist Projektleiterin auf Messen, doch ihre klare Priorität im Leben ist der Sport. Sie leitet zwei Gruppen im Turnverein in Schaan und ist seit kurzem im Stiftungsrat von Wings for Life in Liechtenstein. «Darauf bin ich sehr stolz», sagt sie. Ihr grosses Ziel: Wings for Life in der Region bekannter zu machen, weiter zu pushen und noch mehr Gelder zu sammeln. «Denn ohne Geld werden wir nicht an unser Ziel kommen: den Durchbruch in der Forschung zu schaffen und Rückenmarksverletzungen heilbar zu machen. Wenn nicht für mich, dann wenigstens für die Generation nach mir», sagt Sarah Hundert.
Wenn alle auch für sie laufen
Beim Wings for Life World Run hat sie bereits Geschichte geschrieben. Im letzten Jahr ist sie von allen Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern in der Schweiz am weitesten gekommen. Dabei wollte sie ursprünglich nach fünf Kilometern aufhören. «Als ich dann ich gecheckt habe, ich bin die Nummer eins, hat mich mein Ehrgeiz gepackt.» Am Ende hat sie zwanzig Kilometer geschaft. «Allein dieser Gedanke, dass hier alle zum Teil auch für mich laufen, dafür, dass verletztes Rückenmark einmal geheilt werden kann – das spornt so an und macht so Mut», sagt Sarah Hundert. Sport hat vielleicht ihr Leben gerettet. Und jetzt arbeitet sie daran, das von anderen zu retten.
Instagram @sarahhundert