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STIFTUNG

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ERNÄHRUNG

ERNÄHRUNG

Seit Anfang 2009 arbeitet der ehemalige Downhill-Mountainbiker Wolfgang Illek bei Wings for Life.

ABENTEUER ALLTAG

WOLFGANG ILLEK, 38, ist Tetraplegiker. Seit einem Radunfall vor 16 Jahren ist er vom Hals abwärts gelähmt. Davon lässt sich der Familienvater und Fundraising-Beauftragte bei Wings for Life aber nicht unterkriegen. Wie sein Tagesablauf aussieht? So!

Text WERNER JESSNER Fotos PHILIPP HORAK

6.00 UHR

Mein Handy weckt mich. Gleich wird mein Assistent vor der Tür stehen – ich öffne sie über eine App. Ich brauche fremde Hilfe, um aus dem Bett zu kommen. Joe und Flo, das sind die beiden, die mich betreuen, kennen die richtigen Griffe, um meine 80 Kilo auch für sie möglichst rückenschonend zur Morgentoilette zu hieven.

Ein modifiziertes Mobiltelefon spielt eine zentrale Rolle in Wolfis Leben: Via App öffnet er zum Beispiel die Haustür. Ziel des Stehtrainings: eine Verkürzung von Sehnen und Muskeln zu vermeiden und den Kreislauf zu stärken.

7.00 UHR

Die produktivste Stunde des Tages: In meinem Fitnessraum bewege ich meinen Körper mit eigens auf Querschnittsgelähmte abgestimmten Maschinen, um beweglich zu bleiben und auch um die Verdauung anzuregen. Danach schnallt mich mein Assistent auf ein Stehbrett und fxiert mich bei Knien, Hüfte und Brust. So mache ich mein Stehtraining. Das halte ich bis zu vierzig Minuten durch – für meinen Kreislauf eine echte Herausforderung – und nutze die Zeit, um parallel am Laptop zu arbeiten.

8.00 UHR

Inzwischen sind auch meine Frau Lena und meine Tochter Marie auf den Beinen und bereiten das Frühstück zu. Ich trinke aus einem Strohhalm, weil ich mit meinen Händen keine Tasse zum Mund führen kann. Auch ein Brot zu streichen ist mir unmöglich. Diese alltäglichen Handgriffe vermisse ich sehr. Aber meine dreijährige Tochter ist mir bereits eine große Hilfe. Heute zum Beispiel hat sie ein Weckerl mit gleich drei Lagen Käse für mich umwickelt.

„MEINE DREIJÄHRIGE TOCHTER IST MIR EINE GROSSE HILFE: HEUTE HAT SIE EIN WECKERL FÜR MICH GEMACHT.“

UNSER WEG ZUR HEILUNG

Wie Wings for Life hilft, wo die Stiftung ansetzt und was mit deiner Spende passiert.

Die Situation

Millionen Menschen weltweit sind nach einer Verletzung des Rückenmarks auf den Rollstuhl angewiesen. Alljährlich wird mindestens 250.000 Mal die fatale Diagnose Querschnittslähmung gestellt.

Unsere Mission

Die gemeinnützige Stiftung will Querschnittslähmung heilbar machen. Dafür fördert Wings for Life weltweit aussichtsreiche Forschungsprojekte.

So machen wir es

Seit ihrer Gründung 2004 hat die Stiftung 239 (Stand: März 2021) Projekte gefördert: von Grundlagenforschung (Laborarbeit) bis hin zu klinischen Studien mit Querschnittspatienten.

Die Herausforderung

Eine Rückenmarksverletzung ist komplex: Millionen Nervenfasern werden zerstört und bilden sich zurück. Um das zu reparieren, muss man erst die Zelltrümmer entfernen, also die „Unfallstelle räumen“. Danach muss man die Nervenfasern dazu bewegen, wieder auszuwachsen und vor allem die richtige Verbindung zu finden.

Deine Hilfe

Je mehr Spenden Wings for Life bekommt, desto mehr Projekte können unterstützt werden. 100 Prozent der Wings for Life World Run Startgelder und Spenden gehen direkt in die Forschung. Das ist möglich, weil die Firma Red Bull sämtliche administrativen Kosten der Stiftung trägt.

Familienbande: Die dreijährige Marie unterstützt ihren Papa, wo sie kann.

8.30 UHR

Termin in Salzburg. Zwei Stunden, zehn Minuten mit dem Auto. Ich lenke meinen umgebauten VW-Bus mit der Linken mit einem Dreizack am Lenkrad, mit der Rechten gebe ich Gas und bremse. Hebel zurück heißt beschleunigen, Hebel nach vorn bremsen. Automatikgetriebe. Funktioniert super, sogar meinen AnhängerFührerschein durfte ich behalten. Ich starte das Auto via Touchscreen, blinken muss ich mit dem Kopf über Taster an der Kopfstütze. Mein Betreuer sitzt am Beifahrersitz. Über 300.000 unfallfreie Kilometer habe ich so bereits absolviert.

Los geht’s! Mit seinem umgebauten VW-Bus fährt Wolfgang Illek ins Wings for Life Büro.

„ICH FAHRE MIT EINEM UMGEBAUTEN VW-BUS. BLINKEN MUSS ICH MIT DEM KOPF.“

12.00 UHR

Geschäftsessen. Mein Assistent schiebt mich durch die City ins Lokal. Kopfsteinpfaster ist mühsam, weil ich den Rollstuhl nicht mit den Fingern greifend antreiben kann, sondern bloß mit der Reibung der Handschuhe. Bei der Wahl des Essens muss ich darauf achten, dass es mundgerecht serviert wird, damit ich die Stücke mit der Gabel, die ich zwischen Handfäche und Handschuh einklemme, aufspießen kann.

DIE GEGENWART FUNKTIONSHAND

Mit seiner Funktionshand kann Wolfgang Illek sich die Zähne putzen und Besteck halten. Wie sie funktioniert, erklärt er hier.

„Die Worte hallen noch dumpf in meinen Ohren. ‚Herr Illek, wir werden Ihre Finger abkleben, um Ihre Sehnen zu verkürzen.‘ Ich lag auf der Intensivstation, benommen von Medikamenten und voller Angst davor, was das bedeutet. Später, in der Reha, wurde mir die Technik für die Funktionshand dann in Ruhe erklärt. Als Tetraplegiker bin ich vom fünften Halswirbel abwärts gelähmt und kann meine Hände und Finger nicht bewegen. Im Laufe der Zeit würde es in meinem Handgelenk und in den Fingern zu Fehlstellungen und Verkrümmungen kommen.

Die Idee zur Funktionshand kommt aus der Ergotherapie. Sehnen und Bänder werden verkürzt. Das geschieht durch besondere Lagerungstechniken, Muskeltraining oder mit Bändern und Schienen. Indem ich das Handgelenk nach oben kippe, ziehen sich meine Finger zusammen. Man nennt das den Tenodese-Effekt – dadurch entsteht eine lockere Faust. Durch die umgekehrte Bewegung öffnen sich meine Finger wieder. Dadurch kann ich Dinge besser greifen und halten. Mit dem Tenodese-Effekt kann ich beispielsweise allein Zähne putzen, ein Glas Wasser oder Besteck halten. Ich kann nach meinem Handy greifen oder einen Apfel essen. Diese Kleinigkeiten wären ohne Funktionshand unmöglich, und mein Alltag wäre noch schwerer, als er ohnehin schon ist.

Sollten übrigens irgendwann die Funktionen in den Fingern zurückkehren, können die verkürzten Sehnen langsam wieder in den Ursprungszustand aufgedehnt werden.“

Integrierte Laschen an der Funktionshand machen es zum Beispiel möglich, Essbesteck zu benützen.

14.00 UHR

Computerarbeit im Büro: Mit der linken Hand bediene ich eine Maus, die auf dem Kopf steht. So kann ich die Taste mit dem kleinen Fingerknöchel bedienen – muss aber umdenken, weil die Mausbewegungen spiegelverkehrt sind. Mit meiner Rechten bediene ich den Trackball, dessen vier Tasten mit Kurzbefehlen belegt sind. Der Rest: Sprachsteuerung, Nachbessern von Rechtschreibfehlern.

18.00 UHR

Ich halte einen Vortrag über die Herausforderungen Querschnittsgelähmter. Meine Rumpfmuskulatur endet beim Schlüsselbein, das bedeutet, dass ich rein übers Zwerchfell atmen muss. Anstrengend! Wenn ich beim Sprechen darauf nicht aufpasse, wird mir schwindlig.

Mit einem hydraulischen Lift kann Wolfi mit dem Rollstuhl direkt vor das Lenkrad fahren.

21.00 UHR

Bei Abendterminen wäge ich immer ab: Nach Hause fahren oder ein Zimmer vor Ort nehmen? Das Problem ist die Haut. Druckstellen können zu langwierigen Komplikationen führen. Außerdem habe ich einen Dauerkatheter. Selbst wenn ich in einen Stau geraten sollte, muss ich den Weg nach Hause schaffen. Meine Lieben schlafen bereits. Der Assistent hilft mir, mich möglichst leise ins Bett zu begeben. Gute Nacht!

DIE ZUKUNFT NEUROMODULATION

Von der Funktionshand zur funktionierenden Hand: USForscherin Lumy Sawaki arbeitet daran. Hier erzählt sie, wie sie Tetraplegikern mit Hirnstimulation und ergotherapeutischem Training helfen will.

„Seit Beginn meiner Ausbil Pro Therapieeinheit erhalten dung liegt mir die Rücken Sawakis Patienten eine marksforschung besonders zwanzigminütige Hirnstimuam Herzen. Weil es so oft lation und versuchen dann junge Menschen sind, zwei Stunden lang, Finger, die durch Unfälle an Quer Hand und Armfunktionen schnittslähmung leiden. zu trainieren. Dreimal in der Und weil in diesem Bereich Woche, über zwei Monate noch viel Arbeit vor uns hinweg. „Ein enormer menliegt“, sagt Dr. Lumy Sawaki. taler Kraftaufwand für die Ihr Ziel: eine neue Therapie Dr. Lumy Sawaki Patienten“, sagt Sawaki. form zu finden, die es Tetraplegikern mit inkompletter Lähmung (Menschen, deren Extremitäten unterhalb des Halses teilweise gelähmt sind) ermöglichen soll, Hände und Arme wieder zu gebrauchen. Bei ihren ersten Patienten wurden tatsächlich Verbesserungen festgestellt. Der Grund: Die Wissenschaftlerin geht davon aus, dass sich durch die Stimulation und das Training neue Nervenverbindungen bilden. Und Ihr Ansatz ist innovativ. So innovativ, das, obwohl das Gehirn und nicht das dass ihr zuerst viel Skepsis entgegen Rückenmark stimuliert wird. Vermutlich, schlug: „Am Anfang war es schwierig, weil erhalten gebliebene Nervenfasern Fördergelder zu akquirieren und meine umstrukturiert und so möglichst effizient Kollegen von der Idee zu überzeugen. genutzt werden. Um noch mehr in ErfahDeshalb bin ich sehr dankbar, dass Wings rung zu bringen, möchte Dr. Lumy Sawaki for Life an meinen Ansatz glaubt und die Methode nun an einer größeren Anmeine Forschung unterstützt.“ Sawaki zahl von Personen testen. Fällt auch diese setzt auf Hirnstimulation und kombiniert Studie positiv aus, wäre man einen grodiese mit ergotherapeutischem Training. ßen Schritt näher an einer offiziell anIn der Praxis heißt das: Ihre Patienten werden über die Schädeldecke elektrisch stimuliert. „Über Oberflächenelektroden, erkannten Therapie für Hand und Armfunktion – einer Therapie, auf die viele Tetraplegiker sehnsüchtig warten. die am Kopf angebracht sind, induzieren wir Schwachstrom. Kein operativer Eingriff, keine Nebenwirkungen“, erklärt sie. Die Methode nennt sich transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) und wird auch im Leistungssport eingesetzt. Der Strom soll Nervenzellen in ihrer Fähigkeit bestärken, auf Signale zu reagieren bzw. dafür sorgen, dass sie schneller in die Gänge kommen. In der Fachsprache heißt Die Studie im Detail das Neuromodulation. Zusätzlich zur Stimulation absolvieren die Patienten ein ergotherapeutisches Training. Wie das aussieht? Dr. Sawaki erklärt den Vorgang so: „Ich sage zum Probanden: ‚Finde den Daumen in deinem Gehirn!‘, während ich seinen Daumen berühre. Wenn er seinen Daumen lokalisieren kann, bitte ich ihn, sich vorzustellen, den Daumen zu bewegen. Ich bewege dann den Finger und frage den Probanden, ob er die Richtung spürt.“

Transkranielle Gleichstromstimulation

Über Oberflächenelektroden am Kopf wird das Gehirn der Patienten mit Gleichstrom stimuliert.

Ergotherapeutisches Training

Motorisches Training bildet den zweiten Teil der Behandlung. Die Übungen sind speziell auf jeden Patienten abgestimmt.

Mehr zu den Forschungsprojekten, die Wings for Life unterstützt: wingsforlife.com

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