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FITNESS. Tipps von Astronauten
TRAINING IM ALL-TAG Immer an der Leine
Er macht Astronauten fit für den Weltraum: Hier erklärt Professor Jörn Rittweger, wie Training in der Schwerelosigkeit funktioniert. Plus: Astro-Übungen für Erdlinge.
Das Leben auf der ISS (International Space Station) ist kein Ponyhof. Als Astronaut bist du zum Beispiel radioaktiver Strahlung ausgesetzt, die 300mal höher als auf der Erde ist. Anfangs ist dir speiübel, du baust rapide Knochen und Muskeln ab. Um das zu verhindern, entwickelt Prof. Dr. Jörn Rittweger seit 2009 als Leiter der Abteilung „Muskel und Knochenstoffwechsel“ am Deutschen Luft und Raumfahrtzentrum (DLR) Trainingsgeräte (u.a. für die ISS). Im Interview erklärt er, wie man ohne Schwerkraft Muskeln aufbaut und wie man im Weltraum schwitzt.
the red bulletin: Vor Ihrem
Job beim Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum führten Sie Bettruhestudien durch. Was darf man sich darunter vorstellen?
jörn rittweger: Das sind Langzeitversuche, bei denen Probanden über 60 Tage lang im Bett liegen und wir Maßnahmen gegen den körperlichen Abbau, wie Training, Ernährung, Elektrostimulation testen. So können wir vieles, was bei Astronauten im Weltraum passiert, auf der Erde simulieren.
Festgezurrt am Laufband: die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti 2015 an Bord der Internationalen Raumstation
Wenn die Schwerkraft fehlt
Der menschliche Körper ist ja nicht für die Schwerelosigkeit gemacht...
Richtig. Die Schwerkraft ist vermutlich der einzige starke Umgebungsreiz, der seit Anbeginn der Evolution wirkt: Alles andere hat sich seit damals verändert: die Lufttemperatur, die Gaszusammensetzung der Atmosphäre, die UVStrahlung.
Was passiert im All mit dem Körper eines Astronauten?
Innerhalb weniger Tage scheiden Astronauten einen Liter Flüssigkeit als Urin aus, um Blut loszuwerden, das nun nicht mehr in den Beinen eingelagert ist. Am Anfang klagen viele auch über das „Space Adaption Syndrom“: Die Schwerelosigkeit setzt das Balancesystem im Ohr außer Kraft, alles gerät durcheinander. Der Effekt: Ihnen ist ziemlich übel.
Jörn Rittweger, Professor für Weltraumphysiologie
Womit Astronauten ihren Körper in Schwung halten
DER VIELSEITIGE Der Liebling aller heißt ARED (Advanced Resistive Exercise Device), weil er perfekt für den Muskelaufbau ist: Kniebeugen, Bankdrücken, Kreuzheben – alles möglich! Sieht aus wie eine Gewichtsstange an zwei Säulen, der Widerstand wird mit Luftdruck erzeugt.
DAS LAUFBAND Ein Schulterkorsett hält Astronauten beim Joggen auf dem Laufband. Wichtig ist perfekte Schockisolierung, um durch die beim Laufen erzeugten Schwingungen die Raumstation nicht zu beschädigen.
DER SPRUNGSCHLITTEN Damit sollen Astronauten Sprünge auf der Erde simulieren. Das Gerät trainiert Strecker und Beugemuskeln im Rücken und in den Beinen. Der Schlitten wird derzeit vom DLR entwickelt, er soll erstmals in zwei Jahren zum Einsatz kommen.
Die Muskeln leiden ebenso unter der Schwerelosigkeit?
Ja, der Muskelschwund setzt schnell ein. Muskeln können nur dann Kräfte entwickeln und sich stärken, wenn sie gegen einen Widerstand arbeiten. Durch die fehlende Schwerkraft im Raumschiff werden sie nicht auf den Boden gepresst, der Widerstand fehlt. Das physiologische System des Körpers funktioniert ohne Gravitation schlicht nicht.

Würde es helfen, angehende Astronauten als Muskelpakete in den Weltraum zu schicken?
Wenn ein Astronaut im Weltraum Muskeln, Knochen und Blutvolumen verliert, kommt er im All damit erst einmal gut zurecht. Problematisch wird es in Bezug auf die Muskelmasse und -kraft erst bei der Rückkehr auf die Erde. Aber da gibt’s ja ausreichend Ärzte. Knifflig würde es bei Missionen zum Mars, die ja durchaus zweieinhalb Jahre dauern können. Und auf dem Mars sieht es mit der ärztlichen Versorgung auch eher mau aus, soweit ich weiß.
Das klingt, als wäre der Job eines Astronauten ziemlich ungesund.
Ja, das wäre er – würden wir Wissenschaftler, Ärzte und Ingenieure die Gefahren nicht erkennen und beseitigen. Deshalb ist ein umfassendes Training im All wichtig. Einerseits, um die Astronauten gesund zu halten, andererseits, um sie möglichst gut auf die Rückkehr zur Erde vorzubereiten. Inklusive Vor- und Nachbereitung etwa zwei Stunden pro Tag. Und das meistens sechs Tage die Woche. Früher wurde die Fitnessroutine nicht immer eingehalten, und bei Zeitmangel wurde sie oft als Erstes über Bord geworfen. Doch in den letzten Jahren wird immer mehr darauf geachtet, weil das Verständnis für ihre große Bedeutung zugenommen hat.
Neben den Geräten, die auf der ISS verwendet werden: Wie wichtig ist die mentale Komponente des Trainings?
Im Weltraum ist das Training extrem wichtig für die Psyche. Sich körperlich zu verausgaben erzeugt in der Muskulatur Botenstoffe wie Interleukin-6 oder das sogenannte BDNF. Ersteres brauchen wir für die Abstimmung des Energiehaushalts mit der Leber und dem Fettgewebe, Zweiteres auch für das Gehirn. Studien zeigen, dass sich Gehirnstrukturen, die für das Verhalten verantwortlich sind, bei Isolation und Bewegungsmangel verändern. Indirekt kann das zu Antriebslosigkeit und zu Stress führen. Mit Sport kann ich Stress abbauen und habe in der Raumstation eine Gelegenheit, mich zurückzuziehen.
Wie fühlt sich Sport in der Schwerelosigkeit an?
Fast so wie auf der Erde. Allerdings muss in der Raumstation, egal bei welcher Übung, ein Schulterkorsett getragen werden. Sobald sich die Astronauten aber an die Geräte und die Bewegungsabläufe gewöhnt haben, gibt es kaum mehr Unterschiede.
Vor dem Start
Drei Übungen, die Astro-Fitness-Expertin Nora Petersen von der European Space Agency Astronauten zur Vorbereitung für eine Reise ins All verordnet.

1. DIE ROLLENDE GURKE
Ziel: Rumpfkraft und Körperkontrolle So geht’s: In Bauchlage Arme und Beine in Verlängerung der Körperachse strecken, sodass nur der Bauch Bodenkontakt hat. Kontrolliert um die eigene Längsachse drehen, ohne dass Füße oder Hände den Boden berühren. Arme und Beine permanent strecken. Gewicht und Wiederholungszahl dem eigenen Fitnesslevel anpassen.
2. KNIEBEUGEN MIT GEWICHT
Ziel: Ganzkörperkraft, vor allem Beine und Rumpf/Rücken So geht’s: Gewichtsstange auf die Schultern legen, Gewichte durch Kniebeugen nach unten führen. Rücken gerade und Halswirbelsäule neutral halten; Knie hinter den Zehenspitzen lassen, Körperspannung durchgehend aufrechterhalten. Gewicht und Wiederholungszahl dem eigenen Fitnesslevel anpassen.
3. VORGEBEUGTES RUDERN
Ziel: Rücken- und Schultermuskulatur stärken So geht’s: Wie beim Kreuzheben Hanteln oder Gewichtsstange mit geradem Rücken tief aufnehmen und bei stabiler, vorgebeugter Position unter die Brust führen. Beine bleiben in Position, und Ellbogen liegen eng am Körper. Gewicht und Wiederholungszahl dem eigenen Fitnesslevel anpassen.