The Red Bulletin DE Winter 22/23

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Tom und Bill Kaulitz und die kreative Kraft der Zwillinge Tokio Hotel
ZWEI SIND
SIMON SCHWARZ / JOHANNA HOLZMANN / DENNIS ZENZ / BJÖRK / MATHIAS NIEDERBERGER
„WIR
EINS “
ABT RS7-R – 544 kW (740 PS), 920 Nm Verbrauchswerte in l/100 km (die angegebenen Verbrauchswerte beziehen sich auf das Serienfahrzeug): innerorts 16,2, außerorts 8,8, kombiniert 11,5; CO2-Emissionen kombiniert: 263 g/km. Abbildung zeigt Individualisierungsmaßnahmen nach den Regelungen der StVZO für Änderungen an in Verkehr befindlichen Fahrzeugen. POWER. PERFORMANCE. PERFECTION. WWW.ABT-SPORTSLINE.DE ABT Sportsline GmbH · Johann-Abt-Straße 2 D-87437 Kempten · Tel.-Nr. 0831 / 57140-0 LIMITIERT AUF 125 FAHRZEUGE

BERUF: FISCH

Pierre Frolla ist ein monegassischer Frei taucher und dreifacher Weltrekordhalter. Das Feature über seine feuchtfröhlichen Dates mit Walen, Krokodilen und Haien: ab Seite 54.

ES GEHT AUFWÄRTS WILLKOMMEN

Chartsspitzen, Berggipfel – diesmal wollen wir hoch hinaus: unter anderem mit den Zwillingen Tom und Bill Kaulitz, die mit ihrer Band Tokio Hotel bereits drei Nummer-eins-Alben herausgebracht haben. Ab Seite 44 erzählen die Brüder, wie sie einander als Kids prügelten, bis Mama die Polizei rufen wollte – und warum sie dennoch unzertrennlich sind. Ebenfalls in höheren Sphären des Pop heimisch: die isländische Sängerin Björk, die uns auf Seite 40 verrät, wie Musik ihr Gehirn aufpumpt – und war um sie im zweiten Leben ein Troll ist. Saray Khumalo hingegen hat nicht die Charts gestürmt, sondern als erste schwarze Afrikanerin den Mount Everest. Ab Seite 66 erklärt die AusnahmeAthletin, was der Bildungsanstieg bei den südafrikani schen Kids mit ihren harten Höhentouren zu tun hat.

Gute Unterhaltung mit dem neuen The Red Bulletin!

Die Redaktion

FAMILIEN-BAND(E)

Tom (li.) und Bill Kaulitz 2005 als Teenager. Heute sind sie beide 33 – und sprechen ab Seite 44 über ihr wildes Leben.

GINA MÜLLER

Die Wienerin illustriert ab sofort Michael Köhlmeiers „Boule vard der Helden“. Ihr Debüt: Alan Lomax, der die Wurzeln des Rock fand. Seite 92.

5000

Kilometer Sand, Staub und Sonne –willkommen bei der Rallye Dakar! Die Bilder zum WüstenKlassiker: Seite 20.

EDITORIAL
THE RED BULLETIN 3
(COVER),
GETTY
GINA
LADO ALEXI
HAMILTON,
IMAGES
MÜLLER

INHALT

COVERSTORY

44 STARKES DOPPEL

Tom und Bill Kaulitz wurden mit ihrer Band Tokio Hotel zu Stars. Ein Gespräch über die Superpower von Zwillingen.

DAKAR 2023

20 IRRFAHRT DER GEFÜHLE

Sand, Hitze – Glück! Diese Rallye ist und bleibt das legendärste Wüstenrennen.

FILM

38 SIMON SCHWARZ

Der Schauspieler über seine Selbstzweifel und die Sucht nach Geschwindigkeit

MUSIK

40 BJÖRK

Die Pop-Ikone ist Isländerin –und ein Troll. Das sind wir aber alle manchmal, sagt sie.

EISHOCKEY

42 MATHIAS

NIEDERBERGER

Der Eishockey-Goalie hat die Seiten gewechselt – ausge rechnet zum größten Rivalen.

TAUCHEN

54 DER FISCHFLÜSTERER

Der monegassische ApnoeTaucher Pierre Frolla tanzt mit Walen und streichelt Haie.

5-MINUTEN-COACH 64 KÜHLER KOPF

Snowboard-Ass Leon Vockensperger gibt Coolness-Tipps.

BERGSTEIGEN

66 HOHE ZIELE

Saray Khumalo will als erste schwarze Afrikanerin die Seven Summits bezwingen.

G UIDE

Tipps für ein Leben abseits des Alltäglichen

73 REISEN. Ein außergewöhnlicher Segeltörn vor Neuengland 78 BIOHACKING. Wir halten die Luft an – und verlieren Winterspeck. 80 UHREN. Der Schweizer Hersteller NORQAIN ruft die Revolution aus. 81 PLAYLIST. Was Texas-Frontfrau Sharleen Spiteri privat auflegt 82 LESESTOFF. Der Norweger Jo Nesbø ist Meister des „Nordic Noir“. 84 EVENT-SPECIAL. Alles rund um den Ski-Event des Jahres 85 KALENDER. Events, die du auf keinen Fall verpassen solltest 86 XMAS-GESCHENKE. Unsere Wünsche an den Weihnachtsmann 92 BOULEVARD DER HELDEN. Michael Köhlmeier und der Mann, der den Rock fand: Alan Lomax

The Red Bulletin Winter 2022/23
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KOPFABENTEUER Abheben und ruhig bleiben zugleich – Leon Vockensperger kann das. ANTI - NARZISS Schauspieler Simon Schwarz mag seine Filme nicht sehen. Wir schon!
38
14 DAS PHILOSOPHEN-INTERVIEW 16 FUNDSTÜCK 18 MEIN ERSTES MAL 96 IMPRESSUM 98 CARTOON 6 GALLERY 12 ZAHLEN, BITTE! 54
4 THE RED BULLETIN
HAI LIFE Mit dem Safari-Taucher Pierre Frolla geht’s abwärts – ganz tief abwärts.
DOM DAHER/RED BULL CONTENT POOL, NILS SCHWARZ, GREG LECOEUR, MARCELO MARAGNI/RED BULL CONTENT POOL

WALKNER

WILL’S WISSEN Motocross-Ass Matthias Walkner zieht seine Spur durch die Dünen – er will die Neuauflage der Rallye Dakar gewinnen.

20 THE RED BULLETIN 5

Fließender Übergang

Fährt es? Fliegt es? Es ist ein fließender Übergang: Das Tragflügel-Einrumpfboot des Typs AC75 gleitet auf einer Testfahrt übers Mittelmeer. Es nennt sich „BoatZero“ und ist die Trainingsyacht von Alinghi Red Bull Racing, einem der Herausforderer beim 37. America’s Cup 2024. Im Jahre 1851 erstmals ausgetragen, ist der Cup das am längsten ununter brochen laufende Sportereignis der Welt, und Alinghi hat es bereits 2003 und 2007 gewonnen. Nun meldet sich das Schweizer Team gemeinsam mit Red Bull Racing unter dem Banner des Yachtclubs Société Nautique de Genève zurück. Das Testboot kippte zwar auf seiner Jungfernfahrt, doch nun sind die Mängel behoben. Steuermann Arnaud Psarofaghis: „Das Team hat sich auf allen Ebenen extrem weiter entwickelt.“ Das Foto dokumentiert den Erfolgskurs. americascup.com

AMERICA’S CUP
Countdown zum
7 SAMO VIDIC/RED BULL CONTENT POOL TOM GUISE

Nacht, aus Licht gemacht

Wer das Dunkel nuancieren will, braucht –Licht. Und so platzierte Fotograf Andrew Dixon um sein Model – das BMX-Ass Joshny Babu – zehn Stroboskope. Das sind Blitz maschinen, die in regelmäßigen Abständen aufzucken. „Wir brauchten unzählige Versuche, bis die Abstimmung passte“, sagt Dixon. Seine Schwarzmalerei wurde mit einem Halbfinalplatz im weltweiten Fotowettbewerb Red Bull Illume belohnt. adixonphoto.com; redbullillume.com

WOODWARD, PENNSYLVANIA, USA

MEXICO CITY, MEXIKO

Männer, die auf Fliesen fiegen

Eine Skulptur, verfliest mit Plättchen wie Bienenwaben. Und ein kleines Etwas, das – summ, summ – kreuz und quer drüberbrummt. Das Etwas ist ein Er, heißt Diego Alvarez und ist ein Skater bei der Arbeit. Der Einzige, der ihn festzuhalten vermag, ist Luis Arriaga. Denn der wiederum ist Fotograf.

Instagram: @luisarriagaph; redbullillume.com

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ANDREW DIXON/RED BULL ILLUME, LUIS ALEJANDRO ARRIAGA OSORIO/RED BULL ILLUME DAVYDD CHONG

YOSEMITE,

KALIFORNIEN

Star-Komet

Seine Besuche fallen nur sehr spärlich aus, und selbst dann wird es nicht allzu intim: Der Komet „Neowise“ – am Nachthorizont links der Bildmitte – zieht nur alle 5000 bis 7000 Jahre an der Erde vorbei. Und kommt dabei gerade einmal auf 103 Millionen Kilometer an uns ran. Vor diesen Dimensionen ist das Nachtpanorama, das die Fotografin Priscilla Mewborne bereits vor gut zwei Jahren im Yosemite-Nationalpark, Kalifornien, eingefangen hat, von bleibendem Wert. Zumindest für all jene Menschen, die ihren Fünftausender nicht mehr erleben.

Instagram: @lovealwayspriscilla; redbullillume.com

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PRISCILLA MEWBORNE/RED BULL ILLUME DAVYDD CHONG

„AVATAR“ Nun sind sie unter uns!

Am 14. Dezember kommt das 3D-Spektakel „Avatar: The Way of Water“ in die Kinos. Die Fortsetzung des erfolgreichsten Films aller Zeiten führt uns in eine mystische Welt unter Wasser. Hier alle Zahlen zu James Camerons Tiefgang.

2154

7Mal wurde der Start von „Avatar: The Way of Water“ verschoben. Ursprünglich hätte der Film 2014 in die Kinos kommen sollen.

148

,

6

Millionen Mal ist der Trailer zu „Avatar: The Way of Water“ binnen der ersten 24 Stunden aufgerufen worden.

3der kommerziell erfolg reichsten Streifen („Avatar“, „Avengers: Endgame“, „Avengers: Infinity War“) hat Zoe Saldana in ihrer Filmografie stehen.

3 .400.000

Liter Wasser fasst das Spezialbecken, in dem die Unterwasseraufnahmen für „Avatar 2“ gedreht wurden.

1Petabyte (das sind 1.000.000.000.000.000 Byte) an Daten – umgerechnet 500 volle 2-Terabyte-Festplatten – waren 2009 die Basis für die Computer grafiken von „Avatar“.

ist das fiktive Jahr, in dem der erste „Avatar“-Film (Premiere: 2009) auf dem Mond Pandora spielt. Die Fortsetzung setzt mehr als zehn Jahre danach ein. 2.880.033.102

Dollar hat „Avatar“ seit 2009 eingespielt und ist damit der kommerziell erfolgreichste Film, den es je gab.

3weitere „Avatar“-Filme sollen bis 2028 im Zweijahrestakt ins Kino kommen und andere Mitglieder des Na’vi-Clans in den Mittelpunkt stellen.

25

Jahre nach „Titanic“ (1997) ist Kate Winslet in „Avatar: The Way of Water“ wieder in einem James-CameronFilm zu sehen.

Millionen Dollar betrug das Budget für den ersten „Avatar“-Film. Die gemein sam gedrehten Teile 2 und 3 kommen auf mehr als 500.

Prozent vom Gewinn von „Avatar: The Way of Water“ gehen an Sam Worthington –zu den 10 Millionen Dollar Gage.

Länder bekamen „Avatar“ im Herbst 2022 noch einmal in den Kinos zu sehen – das spülte über 30 Millionen Dollar in die Kassen.

12 THE RED BULLETIN ZAHLEN, BITTE!
5
237
31
GETTY IMAGES (3), DISNEY.COM HANNES KROPIK CLAUDIA MEITERT

HANNAH ARENDT SAGT:

sind wir nur,

handeln“

Hauptsache Freizeit! Immer mehr Menschen folgen diesem Motto und können sich gar nicht früh genug ins Wochenende verabschieden. Oder gar in die Frührente. Arbeiten scheint jedenfalls nicht mehr angesagt. Aber was macht es mit uns, wenn uns die Lust auf Job und Arbeit verlorengeht? Darüber spricht der Philosoph Christoph Quarch im fiktiven Inter view mit der Meisterdenkerin Hannah Arendt.

Christoph quarCh: Frau Arendt, wie ist es um Ihre Work-Life-Balance bestellt? hannah arendt: Meine was?

Work-Life-Balance, das Gleich gewicht von Arbeit und Leben. Ich dachte, Sie kennen den Be griff. Immerhin haben Sie diverse Bücher auf Englisch geschrieben. Das Wort übersetzen kann ich auch. Aber ich verstehe nicht, was damit gemeint sein soll. Das klingt ja so, als gäbe es einerseits die Arbeit und andererseits das Leben. Aber was soll, bitte schön, eine Arbeit ohne Leben oder ein Leben ohne Arbeit sein? Man kann das eine nicht gegen das andere ausspielen, ohne einem Irrtum über die Vita activa des Menschen zu erliegen – also über die aktive Seite des Lebens.

Ja, Sie haben mal ein Buch mit diesem Titel geschrieben: „Vita activa“. Aber was hat das mit der Work-Life-Balance zu tun? Sehr viel. Als Erstes müssen wir verstehen, dass der Mensch ein tätiges Wesen ist. Untätigkeit bekommt uns nicht. Das bestätigen übrigens auch Mediziner. Das Zweite ist: Es gibt unterschiedliche Formen menschlicher Tätigkeit. Ich nenne sie Arbeiten, Herstellen und Handeln. Arbeit ist das, was wir tun müssen, weil unsere Natur es verlangt: Nahrung beschaffen und zubereiten, Körperpfege, putzen Herstellen meint alle Formen von Produktion: Sie stel len ein Produkt her, oder Sie stellen es zur Verfügung. Sie machen etwas und verdienen Geld damit. Und nun sage ich: Arbeit ist notwendig, Herstellen ist nützlich. Aber glücklich sind wir nur, wenn wir handeln.

Hm. Dafür müssen Sie uns aber noch erklären, was Sie unter „Handeln“ verstehen. Handeln heißt: Sie zeigen sich als Person, Sie setzen sich für Ihre Werte ein, Sie werden politisch, engagie

ren sich. Sie übernehmen Verantwortung für sich und die Gesellschaft. Das ist es, was Menschen glücklich macht. Handeln gibt Ihrem Leben Sinn. Deshalb soll ten Sie sich Zeit dafür nehmen.

Vielleicht wollen die Menschen ja gerade deshalb immer mehr Freizeit – weil sie ihre persönlichen Potenziale entfalten und sich engagieren wollen. Was ich in der heutigen Welt beobachte, ist eher das Gegenteil davon. Die Leute konsu mieren. Sie gehen in Frührente, kaufen sich ein Wohnmobil und tuckern in der Gegend rum. Das ist kein Han deln. Oder sie verplempern nach Feierabend ihre Stunden in sozialen Netzwerken, vor dem Fernseher oder mit Computerspielen. Auch kein Handeln. Dabei gäbe es so viel, wo sie handeln und sich engagieren könnten.

Na ja, aber die Erwerbsarbeit ist oft anstrengend. Da muss man sich doch auch mal erholen dürfen.

Gegen Erholung habe ich nichts ein zuwenden. Meine Sorge ist nur, dass Ihre Zeitgenossen sich vor lauter Freizeitaktivitäten und Konsumbedürfnissen gerade nicht erholen, sondern sich immer mehr stressen. Und dass sie vor lauter Bedürfnisbefriedigung und Um sich selbst Kreisen das Beste verpassen, was das Leben ihnen bieten kann: das Glück, gemeinsam mit anderen etwas Sinnvolles zu tun – etwas zu bewirken, was nicht bloß ihre Bedürfnisse befriedigt, sondern sie wirklich erfüllt.

HANNAH ARENDT (1906–1975) gilt als eine der bedeutendsten politischen Philosophinnen des 20. Jahrhunderts. Während der Nazi-Diktatur emigrierte sie in die USA, wo sie an unterschied lichen Hochschulen lehrte und neben anderen bedeutenden Werken „The Human Condition“ (1958) schrieb und es später selbst ins Deutsche übersetzte („Vita activa“, 1960). Darin beschrieb sie den Menschen als handelndes Wesen und leitete daraus die Notwendigkeit und Bedeutung der Demokratie als genuin menschlicher Organisationsform des Politischen her.

CHRISTOPH QUARCH, 58, ist deutscher Philosoph, Gründer der Neuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Autor zahlreicher philosophischer Bücher. Zuletzt erschien „Kann ich? Darf ich? Soll ich? Philosophische Antworten auf alltägliche Fragen“, legenda Q, 2021.

14 THE RED BULLETIN DAS FIKTIVE PHILOSOPHEN INTERVIEW
„Glücklich
wenn wir
„Das Beste im Leben: gemeinsam mit anderen etwas Sinnvolles zu bewirken.“
DR. CHRISTOPH QUARCH YANNICK DE LA PÊCHE
MIT DEM GESCHMACK VON FEIGE-APFEL. FLU ¨ U ¨ U ¨ GEL FU ¨ R DEN WINTER. BELEBT GEIST UND KÖRPER ® . NURFÜR KURZEZEIT

APOLLO 11

Der Moon-Shoot

Neil Armstrongs Fotofilm von der Mondlandung – ein großer Klick für die Menschheit Der erste Ausflug auf den Mond war 1969 ein großer Sprung für die Menschheit. Und Neil Armstrong konnte ihn mit einer speziell dafür konstruierten Hasselblad Kamera mit Zeiss Objektiv fotografieren. Perfekt patriotische Motive auf dem Spezialfilm von Kodak, der 200 Aufnahmen ermöglichte, waren sein Kollege Buzz Aldrin, die US Flagge und ein Bein der Landefähre Eagle. Anlässlich des 50 ­jährigen Jubiläums wurden 2019 dutzende Andenken an die erfolgreiche Apollo 11 Mission versteigert, Armstrongs 70 Millimeter Positivfilmrolle ging um rund 15.000 Euro an einen anonymen Bestbieter.

Astronaut und Fotograf: Neil Armstrong, damals 38, betrat am 20. Juli 1969 als erster Mensch den Mond.

16 THE RED BULLETIN FUNDSTÜCK
NASA, IMAGO IMAGES/ZUMA PRESS

JOHANNA HOLZMANN

„Die Sonne, das Glitzern, die Gänsehaut …“

Ski-Allrounderin Johanna Holzmann und ihr erster WM-Titel: So überwand sie Schmerzen und Druck – und hielt ihren ganz speziellen Moment für immer fest.

Für Johanna Holzmann fühlt sich Schnee einfach immer an wie – Heimat. Egal in welcher Disziplin sie ihn auch befährt, die 27-Jährige ist eine der erfolg reichsten Ski-Allrounderinnen Deutschlands. Bereits mit drei Jahren stand die Oberstdorferin auf den Brettern, die ihre Welt bedeuten. Wegen einer chronischen Patella-Luxation (Beschwerden mit der Knie scheibe) wechselte sie als Teen agerin vom Alpinski zum Tele mark, weil der Bewegungsablauf hier schonender ist: Anders als beim klassischen Alpinski ist hier lediglich die Spitze des Skischuhs fest in der Bindung verankert. 2021 wechselte Holzmann erneut die Disziplin und fährt nun Skicross (vier Fahrerinnen rasen gleichzeitig einen Parcours hinunter). Hier erzählt sie, wie sie ihre erste Telemark-WM gewann. Im norwegischen Kleinstädtchen Rjukan, Verwaltungssitz einer Provinz mit dem beziehungs vollen Namen Telemark:

„2019 wurde ich zum ersten Mal Weltmeisterin bei den Er wachsenen. Gleichzeitig war das auch der erste WM-Titel einer Deutschen im Telemark. Für mich toppte dieser Moment sogar noch meinen Gesamtweltcupsieg 2018, weil diesmal alle meine Konkurrentinnen dabei waren, auch meine Dauerrivalin aus der Schweiz, Amélie Wenger-Reymond.

Im Parallelsprint-Finale kam es dann zum Aufeinander treffen mit Amélie, gegen die ich mich am Ende durch setzte. Unter riesigem Jubel überquerte ich die Ziellinie. Diesen Moment werde ich nie vergessen – plötzlich, auf den letzten Metern, brach die Sonne durch den bedeckten Winter himmel, und auf einmal glitzerte der Schnee. Noch heute bekom me ich Gänsehaut, wenn ich mir die Aufnahmen von diesem Finale anschaue.

Mein Bruder Benedikt fuhr damals fast gleichzeitig in der Nähe unseres Kurses das Tele mark-Finale der Herren. Leider war er nur auf den vierten Rang gefahren, aber dafür nützte er die Gelegenheit und lief mir im Zielraum entgegen, um mich als Erster nach meinem Sieg zu umarmen. Das war so cool!

Ski-Allrounderin Johanna Holzmann, 27, über den Lohn der Geduld

Mein Learning aus diesem Sieg? Stecke niemals den Kopf in den Schnee! Man bekommt immer wieder eine neue Chance. Ich hatte jahrelang mit Knie problemen zu kämpfen, eigent lich schon seit meinem zwölften Lebensjahr. Also war ich vom Alpinskifahren zum Telemark gewechselt. Hätte ich das nicht gemacht und einfach aufgegeben, hätte ich diesen Moment des Triumphs wohl nie so erlebt. Und: Als der große Moment dann wirklich kam, ver gaß ich nicht, ihn auch zu genießen.“

Der Parallelsprint ist meine stärkste Disziplin, in der ich schon zuvor einige Weltcups hatte gewinnen können. Aber gerade deshalb spürte ich einen enormen Druck. Dazu kam, dass die WM für mich auch nicht ideal losgegangen war: Im Viertelfnale machte ich einen kleinen Fehler und schaffte es gerade noch so in die nächste Runde. Doch dieser Fehler rüttelte mich wach. Ich steigerte mich von Lauf zu Lauf und kam in einen richtigen Flow. Von da an ging es wie von allein.

ERSTES MAL“ IST DIE RED BULLETIN-PODCAST-SERIE,

Athleten über ihre Anfänge sprechen. In dieser Folge erzählt Johanna Holzmann, wie sie die Ski-Disziplin wechselte, Druck abbaute und der Sonne entgegenfuhr: auf redbulletin.com/podcast, dem PodcastKanal von The Red Bulletin, und gängigen Plattformen wie Spotify.

0:00 –39:45
MEIN ERSTES MAL
Johanna Holzmann Mein erstes Mal – der Podcast
„MEIN
in der
„Stecke nie den Kopf in den Schnee – auch wenn es Jahre dauert, du kriegst eine neue Chance.“
18 THE RED BULLETIN HELGE ROESKE/RED BULL CONTENT POOL

JEEP ELEKTRISCH WIRD

Mit Jeep® steigt die weltweite Nummer eins der SUV- und Geländewagenmar ken in den kommenden Jahren komplett auf Elektromodelle um. Den Auftakt macht der neue vollelektrische Jeep Avenger. Bis Ende dieses Jahres werden alle Jeep SUV-Modelle in fast allen europäischen Ländern elektrifiziert sein.

„Design to Function“ – nach diesem Ansatz wurde der neue Kompakt-SUV konzipiert. Das merkt man bei den typischen Designmerkmalen der Marke Jeep, wie beispielsweise dem ikonischen Seven-Slot-Kühlergrill. Auch in der technischen Umsetzung des vollelektri schen Antriebssystems wurde die Funktionalität an erste Stelle gestellt. So fühlt sich der Jeep Avenger im Gelände ebenso wohl wie in urbanen Gefilden. Die Lithium-Ionen-Batterie speichert 54 Kilowattstunden und ermöglicht dem Jeep Avenger eine alltagstaugliche Reichweite von bis zu 400 Kilometern * laut WLTP. Innerstädtisch kommt der Avenger sogar 550 Kilometer * weit. Zudem bietet der neue SUV beim Be- und Entla

den erstaunlich viele Freiräume. Dank der elektrischen Heckklappe, die sich automatisch öffnet, hat man ein fachen Zugang zum 355 Liter großen Kofferraum.

Ab 2030 nur mehr E-Autos für Europa Mit den Modellen Recon und Wagoneer S präsentierte Jeep zwei weitere elektrisch angetriebene Fahrzeuge beim diesjährigen Pariser Autosalon – diese sollen bis Ende 2025 erscheinen. Bis zum Jahr 2030 will die Marke Jeep in Europa 100 Prozent ihres Absatzes mit reinen E-Mobilen bestreiten, in den USA soll die ElektroQuote dann bei 50 Prozent liegen.

jeep.de

GEBALLTE FREIHEIT

PURE EMOTION

ersetzt und wird auch zur Ermittlung der Kfz-Steuer herangezogen.

Der moderne, digitale Innenraum verbindet das Gefühl von Freiheit mit hoher Funktionalität und Konnektivität. Der erste vollelektrische Jeep-SUV fühlt sich im Gelände genauso wohl wie in der Stadt. Jeep® Avenger Elektro: Stromverbrauch (kombiniert): 15,9 15,2 kWh/100 km; elektrische Reichweite (kombiniert): 385 408 km; CO²-Emissionen: 0 g/km; Werte nach WLTP. Das realitätsnähere Prüfverfahren WLTP (Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure) hat das Prüfverfahren unter Bezugnahme auf den NEFZ (Neuer europäischer Fahrzyklus)
JEEP ANZEIGE
* Werte nach WLTP-Testverfahren. Die tatsächliche Reichweite kann aufgrund zahlreicher Faktoren wie Fahrstil, Route, Wetter und Straßenbedingungen sowie Zustand, Gebrauch und Ausstattung des Fahrzeugs variieren.

Die E-Wolke

Der Spanier Carlos Sainz (hier bei der Dakar 2022), startet heuer zum zweiten Mal im Audi RS Q e-tron: Ein Benzinmotor treibt einen Generator für den E Motor an.

FLAVIEN DUHAMEL/RED BULL CONTENT POOL

Sandsturm der Emotionen

Alte Götter, neue Favoriten, verschärfte Bedingungen – die RALLYE DAKAR 2023 führt auf 5000 Kilometern kreuz und quer durch die Wüste Saudi -Arabiens. Aber was macht dieses Rennen wirklich aus? Eine Antwort in Bildern.

DAKAR 2023 21

Der zweifache Rallye-Welt meister und Vater des gleichnamigen Ferrari-Formel-1Piloten hat auf der Dakar mit drei Gesamtsiegen eine späte Zweitkarriere hingelegt. Hier (großes Bild) brettert er im Audi RS Q e-tron bei ad Dawadimi westlich von Riad durch die Steinwüste.

Facts

60 Jahre, Spanien, Audi, drei Dakar-Siege auf drei unterschiedlichen Marken (2010 VW, 2018 Peugeot, 2020 Mini)

22
DAKAR 2023
Nur mit eiserner Disziplin und harter Arbeit kann man die Dakar bewältigen –von gewinnen ganz zu schweigen.“
DPPI/RED BULL CONTENT POOL, KIN MARCIN/RED BULL CONTENT POOL
Rallye Legende Carlos Sainz

Matthias Walkner

Auf der Jagd nach der Nummer eins: Der Salzburger aus Kuchl, 2018 Sieger in der MotorradKategorie, will seinen Triumph von vor fünf Jahren wieder holen – mit neuem Biss und frisch reparierter Schulter.

Facts

36 Jahre, Österreich, KTM. Ein Gesamtsieg, vier PodiumsPlatzierungen

DAKAR 2023
24 THE RED BULLETIN
FLAVIEN DUHAMEL/RED BULL CONTENT POOL, DPPI/RED BULL CONTENT POOL(2), MARCELO MARAGNI/RED BULL CONTENT POOL(2)

Stéphane Peterhansel

Nicht nur eine Legende, auch ein Gentleman und nimmer müder Athlet: Der erfolg reichste Dakar Teilnehmer der Geschichte will seinen 14 (!) Gesamtsiegen mit Verbrennern den ersten mit E Antrieb hinzufügen. Hier sehen wir ihn bei der Premiere im Audi RS Q e tron 2022.

Facts

57 Jahre, Frankreich, Audi. Sechs Motorrad Gesamtsiege (Yamaha), acht im Auto (Mitsubishi, Mini, Peugeot)

Süß ist auf der Dakar nur der Tee: Die beiden Australier Daniel Sanders (li.) und Toby Price wärmen sich frühmorgens am 5. Januar 2022 für die Etappe von al Qaisumah nach Riad am Samowar auf.

Nasser

Al Attiyah

Der Titelverteidiger aus Katar ist ein unglaublich vielseitiger Mann. Nicht nur, dass er die Dakar bereits viermal gewonnen hat – er war auch doppelter WRC2 Weltmeister und hat bei den Olympischen Spielen in London 2012 eine Bronzemedaille im Tontaubenschießen geholt.

Facts

51 Jahre, Katar, Toyota. Vier Gesamtsiege (2011, 2015, 2019, 2022), sechs PodiumsPlatzierungen

DAKAR 2023 27
MARCIN/RED BULL CONTENT
KIN
POOL
MARCELO MARAGNI/RED BULL CONTENT POOL, KIN MARCIN/RED BULL CONTENT POOL

Mein Sieg im Jahr 2021 war ganz sicher der emotionalste Moment meines Lebens.“

Kevin Benavides

Der Argentinier gehört zur Generation von Rennfahrern, die die Dakar nicht als Langstreckenrennen, sondern als Abfolge von eintägigen Sprints interpretieren. Als die Dakar noch in Südamerika gefahren wurde, genoss er Heimvorteil.

Seinen Gesamtsieg holte er 2021 dennoch in Saudi Arabien.

Facts

33 Jahre, Argentinien, KTM. Ein Gesamtsieg (auf Honda), eine Podiums Platzierung

DAKAR 2023
29
Motorrad Pilot Kevin Benavides
DAKAR 2023
DPPI/RED BULL CONTENT POOL, DPPI/RED BULL CONTENT POOL

Was war das 2022 für eine Premiere! Der Brite, der die Dakar bereits 2017 auf KTM gewinnen konnte, triumphierte 2022 im neu gegründeten GasGas-Team. Sunderland, der in den Vereinigten Arabi schen Emiraten lebt, gilt auch 2023 als Mitfavorit.

Facts 33 Jahre, Großbritannien, GasGas. Zwei Gesamtsiege, zwei Podiums-Platzierungen

Sam
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Ignacio Casale

Der Chilene ist ein Tausend sassa auf der Dakar: 2010 debütierte er an der Seite seines Vaters im Truck, startete auf dem Motorrad, gewann dreimal mit dem Quad und kämpft mit seinem Tatra-Truck immer wieder gegen die überlegenen Kamaz-Lkw.

Facts

35 Jahre, Chile, Tatra. Drei Gesamtsiege (Quad), eine Podiums-Platzierung (Truck)

Cyril Despres

Mit seinen fünf Siegen auf dem Bike gehört der freundliche Franzose zu den Allzeitgrößen der Dakar. Seit 2015 ist er auf vier Rädern unterwegs und wartet auf Titel Nummer sechs. Größter Erfolg im Auto bisher: Sieg bei der Silk Way Rally.

Facts

48 Jahre, Frankreich, Buggy. Fünf Gesamtsiege am Bike (auf KTM), fünf PodiumsPlatzierungen

Sébastien Loeb

Das Allround-Genie, das jahre lang die World Rally Champion ship dominierte (und dort noch immer für Siege gut ist); der Mann, der bei F1-Tests ge nauso flott ist wie im Touren wagen, hat mit der Dakar eine Rechnung offen: Auf seinen Sieg wartet der 80-fache (!) Sieger der World Rally Championship bis heute.

Facts

48 Jahre, Frankreich, Buggy. Drei Podiums-Platzierungen

DAKAR 2023
THE RED BULLETIN 33 MARCELO MARAGNI/RED BULL CONTENT POOL, ALFRED JÜRGEN WESTERMEYER/RED BULL CONTENT POOL, DPPI/RED BULL CONTENT POOL, GEOFFREY MEULI/RED BULL CONTENT POOL, FLAVIEN DUHAMEL/RED BULL CONTENT POOL

Von der Küste in die Wüste

Die Route ist Neuland: Erst mals führt die Dakar 2023 von Küste zu Küste quer durch Saudi Arabien –nicht das einzige Novum.

Thierry Sabine, der legendäre Erfnder der Rallye Dakar und französische Macho, hatte den Charakter seiner Veranstaltung einst so beschrieben: „Aus Buben Männer machen!“ Wäre er 1986 nicht tödlich mit dem Hubschrauber abgestürzt, die Dakar 2023 hätte ihm wohl gefallen. Gestartet wird – ganz wie zu Sabines Tagen – zu Silves ter, es folgen vierzehn Renntage, um zwei mehr als in den vergan genen Jahren üblich. Dafür be kommen die Fahrer für ihr Nenn geld auch eine längere Strecke geboten: In Summe stehen 5000 Kilometer auf Zeit auf dem Programm, das bedeutet rund 450 täglich gegen die Uhr.

Völlig neu auch die Strecke: Der Start erfolgt rund 300 Kilo meter nördlich von Dschidda am Roten Meer. Dann geht es in die Berge, wo der steinige Untergrund Reifenschäden pro voziert. Die weitere Route führt am Pilgerort Medina vorbei, dann durch die Hauptstadt Riad und schließlich durch die gefürchtete Rub al Chali, die größte und am dünnsten besiedelte Sandwüste der Welt. Ziel ist Dammam, direkt am Persischen Golf gelegen.

Auch für die Fahrer und –ja, Monsieur Sabine – die Fahre rinnen ändert sich einiges. Vor bei die Zeiten des Roadbooks aus Endlospapier, die Gegenwart ist digital. Routeninformationen werden nun aufs Fahrer Display aufgespielt. Ob Startintervall (drei statt zwei Minuten), Zeit gutschriften für die ersten Fahr zeuge auf der Strecke oder die Idee, zwei Routen parallel laufen

zu lassen wie bei einer Schularbeit mit Gruppe A und B – viele Ideen sollen 2023 erstmals ver wirklicht werden, um Show und Spannung, aber auch die Sicher heit zu erhöhen. Etliche Fahrer sind allerdings skeptisch, zumal zu Redaktionsschluss noch nicht feststand, welche Revolution nun wie genau kommen wird. Walkner, Dakar Sieger von 2018: „Es steht zu befürchten, dass die ser schöne Sport für den Laien noch schwerer verständlich – weil zu kompliziert – wird.“

Fix ist aber auch: Sobald die Dakar 2023 rollt, springt die Faszination für eines der letzten Abenteuer auf Rädern an. Schafft es Nasser Al Attiyah bei den Autos, seinen Vorjahressieg gegen die revolutionären elektrobetriebenen Audis zu verteidigen? Wie verläuft das Match bei den Motor rädern zwischen Honda, Hero und den Marken der Pierer Gruppe, KTM, GasGas und Husqvarna? Gelingt dem erst 20 jährigen US Jungstar Seth Quintero in der Side by Side Kategorie endlich der erste Ge samtsieg, nachdem er im vergan genen Jahr alle Etappen bis auf eine gewann und dennoch im Gesamtklassement nur Sechzehn ter wurde?

Am 15. Januar 2023 wissen wir mehr. Denn an dem Tag endet das große Sandspiel.

Rallye Dakar

Die 43. Auflage findet von 31. 12. 2022 bis 15. 1. 2023 statt, zum dritten Mal in Saudi-Arabien. dakar.com

Du willst mehr über den legendären Wüsten-Klassiker erfahren? Dann einfach den QR-Code scannen. Dort findest du alle Infos, actionreiche Videos und die Highlights des Renntages.

Toby Price

Erfahrung zählt: Der 35 Jahre alte Australier gehört gemeinsam mit seinem Red BullKTM-Teamkollegen Matthias Walkner, 36, zu den alten Hasen im Dakar-Business. Auch der dritte KTM-Werks pilot Kevin Benavides zählt zu dieser Generation: Er wird während der Dakar seinen 34. Geburtstag feiern.

Facts

35 Jahre, Australien, KTM. Zweifacher Gesamtsieger, drei Podiums-Platzierungen

34 THE RED BULLETIN
DAKAR 2023 THE RED BULLETIN 35
BULL CONTENT POOL, FLAVIEN DUHAMEL/RED BULL CONTENT POOL
MARCELO MARAGNI/RED

Sieg, was sonst?

Der deutsche Beifahrer Dennis Zenz, 32, hat mit seinem Piloten Seth Quintero bei der letzten Dakar im Buggy ohne Windschutzscheibe elf von zwölf möglichen Tagessiegen eingefahren – und dennoch nicht gewonnen. Dieses Jahr soll sich das unbedingt ändern. Aber wie?

The red bulletin: Bei der Dakar 2022 habt ihr vom Start weg geführt … dennis zenz: und dann bricht uns am zweiten Tag 28 Kilometer vor dem Ziel das Front- und da nach auch noch das Heckdifferen zial. Wir verloren Stunden in der Wüste. Somit waren alle Chancen auf den Gesamtsieg verloren.

Dennoch seid ihr bis zum Ende weitergefahren.

Die Dakar zählt auch zur RallyRaid-WM. Für jeden Tagessieg gibt es Punkte. Auf die haben wir uns konzentriert und tatsächlich jeden Tag auf Platz 1 beendet.

Elf Tagessiege – das hat es in der Geschichte der Dakar zuvor noch nie gegeben. Es lohnt sich, sich

immer wieder neue Ziele zu set zen, wenn das eigentliche Ziel unerreichbar geworden ist.

Das Ziel für 2023 scheint klar. Gewinnen. In unserer Kategorie (Side-by-Side, also im zweisitzigen All Terrain Vehicle; Anm.) kom men rund zehn Teams für den Gesamtsieg in Frage, und wir sollten eines davon sein.

Im Oktober 2022 gewann Dennis Zenz die Rallye Marokko. Kann er sein Siegerlächeln konservieren?

Seid ihr besser vorbereitet als in den Jahren zuvor?

Defnitiv. Wir sind erfahrener ge worden, und das hat sich ja schon in der Vorbereitung gezeigt. Die Rallye Marokko, die wirklich schwierig war, haben wir recht deutlich gewonnen. Mit jeder Rallye, mit jedem Kilometer wirst du besser. 2023 wird immerhin schon unsere dritte gemeinsame Dakar sein.

Wie sehr hilft euch eure Erfahrung bei der Rallye?

Beim dritten Start hat man schon so eine vage Ahnung, was auf einen zukommen könnte. Wo uns Felsen erwarten werden und wo Sand. Auch die Dünen können wir inzwischen ein wenig ein schätzen: Sie werden nicht so hoch sein wie in Abu Dhabi, aber die sandigen Passagen sollten länger sein.

Ihr sitzt in eurem Side-by-Side ohne Windschutzscheibe mehr oder weniger im Freien. Wie geht es euch mit Staub?

Der Staub ist ein riesiges Thema! Wenn du Gegnern hinterherfah ren musst, siehst du gar nichts mehr. Es ist wie ein dunkler Raum, durch den du mit Vollgas fahren sollst. Wirklich ziemlich ungut!

Wie löst ihr das?

Indem wir eine saubere Rallye mit gutem Speed und fehlerarmer Navigation fahren. Das garantiert dann gute Startpositionen. Vorn an der Spitze ist alles einfacher als hinten im dichten Verkehr.

Wir wissen, dass wir potenziell schnell genug sind, darum lautet unser Gameplan für die Dakar 2023 schlicht und einfach: Flucht nach vorn.

DAKAR 2023
„Unser Plan: Flucht nach vorn – hinten ist’s staubig.“
Folge Dennis Zenz während der Rallye Dakar auf Instagram: @denniszenz
36 THE RED BULLETIN KIN MARCIN/RED BULL CONTENT POOL

JAHRESENDSPURT EASY HANDELN?

Rasend ruhig

Demnächst

Wie wir den 51-jährigen Wiener Simon Schwarz lieben: als Privat detektiv Rudi Birkenberger, verstrickt in Kaiserschmarrndramen und Grießnockerlaffären. Er spielt aber nicht nur in den kultigen EberhoferKrimis, sondern hat bereits in gut 120 Filmen und Serien mitgewirkt, legendär etwa als Berti im BrennerKrimi „Komm, süßer Tod“ mit Josef Hader. Ab 5. Januar lernen wir ihn als Dorfpfarrer in der Netfix-Thril ler-Serie „Totenfrau“ neu kennen, einer Bernhard-Aichner-Verflmung über eine Witwe, die Rache für ihren getöteten Mann nimmt.

the red bulletin: Herr Schwarz, wie ist die Stimmung?

Simon Schwarz: Danke, heute bin ich erstaunlich gut gelaunt.

Sonst nicht?

Ich hab schon oft schlechte Laune, weil ich mich über vieles ärgere. Ich lass meinen Ärger aber nie an jemand anderem aus, es ist eher ein Schimpfen mit mir selbst. Über die Welt – aber nicht mit der Welt.

Sie sind von Wien nach Berlin gezogen. Wiener Grant und Berliner Schnauze – wie passt das zusammen?

Beides fnde ich uncharmant, und beides funktioniert für mich nur mit einem Augenzwinkern. Inzwischen gehe ich relativ radikal mit Leuten um, die unfreundlich sind, und for

dere mehr Respekt ein. Wir erleben eine Zeit, in der wir schlecht beraten sind, wenn wir uns gegenseitig keine Freundlichkeit entgegenbringen.

Sie haben schon die unterschied lichsten Figuren verkörpert. Was nehmen Sie von heiteren Rollen mit, was vom eher schweren Fach? Grundsätzlich gibt mir jede meiner Rollen ein größeres Verständnis für andere Menschen. Ich muss mir vorstellen, wie es ist, eine Frau, ein Mörder oder ein Opfer zu sein. Natürlich kann man sagen: „Du lebst diese Rollen nicht.“ Aber ich muss mich mit ihnen beschäftigen und versuchen, die Sichtweise dieser Figur einzunehmen.

Wie war es als Dorfpfarrer in der Thriller-Serie „Totenfrau“?

Der Reiz der Rolle lag für mich dar in, ihn trotz düsterer Atmosphäre harmlos rüberkommen zu lassen. Das war zumindest meine Absicht. Ich denke nicht, dass mir das ganz gelungen ist. Ich sehe mir meine Filme ungern an, ich fnde immer etwas, womit ich unzufrieden bin.

Und das ärgert Sie dann?

Ich bin deswegen nicht gleich unglücklich, sondern frage mich pragmatisch, wo ich mit meiner Darstellung falsch abgebogen bin.

Haben Sie Selbstzweifel?

Für mich hat der Selbstzweifel etwas Produktives, ich fnde es wichtig, dass man zweifelt. Wir sollten uns nie sicher sein, dass wir an der Art und Weise, wie wir die Dinge

angehen, nichts ändern können. Das ist eine Lebensaufgabe für uns Menschen. Ich war oft von etwas überzeugt und habe dann fest gestellt: Das war falsch. Leider habe ich auch viele Laster, von denen ich weiß, dass sie falsch sind, von denen ich aber schwer loskomme.

Die wären?

Ich habe die totale Geschwindigkeits sucht. Wenn du mir etwas gibst, was schnell ist – das kann vom Fahrrad bis zum Auto alles sein –, bin ich be sessen davon, Tempo zu machen. Ich bin in dieser Hinsicht ein Albtraum. Als Rennfahrer oder als Mountain biker wäre das kein Fehler, aber als Privatmensch schon.

Sie führen ein beschauliches Familienleben mit drei Kindern. Womöglich ist die Raserei Ihr Gegenprogramm dazu?

Lustigerweise fnde ich in der Ge schwindigkeit Ruhe. Wenn ich einen Abhang hinunterrase, werde ich nicht hektisch, sondern fokussiere mich und gelange in einen Zustand, den ich unglaublich genießen kann.

Würden Sie sich als gelassenen Menschen bezeichnen?

Ich glaube, ich bin in meinen jungen Jahren mehr als herausfordernd für meine Familie gewesen. Auch ich bin damals dem Wunsch nach gelaufen, geliebt zu werden, und habe mich viel in Selbstdarstellung geübt. Die Gelassenheit ist erst mit dem Alter gekommen – und mit der Erfahrung, wen man mit dieser Art alles verletzen kann. Der ursprüng liche Gedanke dahinter, Schauspieler zu werden, war die Flucht vor dem Ich in die Fremddarstellung. Nach vielen Fehlern und Niederlagen bin ich nun an einen Punkt gekommen, an dem man sagen kann: Okay, jetzt ist er vielleicht nicht mehr so ein Depp wie früher.

Die sechsteilige Thriller-Serie „Totenfrau“ ist ab 5. Januar bei Netflix zu sehen.

Film
Interview LARA ZOE RITTER Foto NILS SCHWARZ ist Simon Schwarz als Pfarrer im Thriller „Totenfrau“ zu sehen. Dabei mag er’s eigentlich möglichst lebendig: Je schneller er fährt, desto mehr entspannt er.
38 THE RED BULLETIN
Simon Schwarz, 51, über die Lust an der inneren Schwankung
THE RED BULLETIN 39
„Selbstzweifel sind mir wichtig –eine Aufgabe fürs Leben.“

Ich, der Voll -Troll

In der isländischen Mythologie sind Trolle kleine, unberechenbare Fabelwesen. Pop-Ikone Björk ist Isländerin. Hier verrät sie, warum sie auch ein Troll ist.

Es geht um Wurzeln, um Pilze und um Schokopudding. Aber alles der Reihe nach: Es ist falsch, dass Björk während der Pandemie einen Schokopudding pro Tag aß. „Da habe ich mich in meinem holprigen Englisch schlecht ausgedrückt“, kom mentiert sie ihr viral verbreitetes Interviewzitat. „Ich meinte eher, dass sich das viele Daheimsein so wohlig angefühlt hat, als würde man in Schokopudding versinken.“

Daheim, das ist für die 57-jährige Isländerin ihr Haus in Reykjavík, wo sie die Ideen für ihr neues Album „Fossora“ entwickelte. Der Titel soll die weibliche Entsprechung des la teinischen Wortes „fossor, fossōris“ (dt. der Gräber) sein, also so viel be deuten wie „die, die tief gräbt“. Des wegen nennt Björk ihr neues Werk manchmal auch „mein Pilz-Album“.

Es entstand in der LockdownZeit, als wir alle, so sieht das Björk, daheim Wurzeln schlugen – und da bei in zähfüssiger Schoko versanken. Und es ist so innovativ und mutig, wie man es von einer Künstlerin erwartet, die ihre ganze Karriere auf kompromissloser Kreativität auf gebaut hat. Und Pudding. Und Pilzen.

the red bulletin: Dein zehntes Studioalbum strotzt vor kreativen Einfällen. Der Track „Trölla-Gabba“ (dt. „Troll-Streiche“; Anm.) zum Beispiel: Stellst du dir so eine Party von Trollen vor, von kleinen, unkontrollierbaren Fabelwesen?

björk: Solche Songs höre ich mir an, wenn ich selbst ein Troll bin.

Wenn du ein Troll bist?

Wir alle sind manchmal Trolle. In diesem Zustand ist uns nach Herum springen und wildem Tanzen, das wirkt wie eine innere Reinigung. Man sollte es sich zur Gewohnheit machen, regelmäßig zu tanzen, von klein auf bis ins hohe Alter.

Tanzt du im Wohnzimmer zu deinen eigenen Songs? Nie. Aber ich habe während der Pandemie, als die Maßnahmen schon ein wenig gelockert waren, viel Dee jaying gemacht. Meist im kleinen Kreis, kaum mehr als fünfzig Leute. Mein bevorzugtes Set ist vier Stun den lang: Es geht mit einer Stunde klassischem Pop oder World Music los, in der zweiten Stunde wird es etwas schneller, in der dritten noch schneller, und die letzte Stunde ist nur noch brutaler Techno und Gab ber mit bis zu 190 Beats pro Minute. Das spiegelt ziemlich genau meinen Musikgeschmack wider.

Irgendwie bist du immer auf Forschungsreise ins Unbekannte. Warum?

Ja, alles Neue fnde ich wahnsinnig spannend. Die Natur hat es so ein gerichtet, dass wir uns alle sieben Jahre völlig verwandeln. Jede Zelle ist dann anders, wir sind eine völlig neue Person. Darum fnde ich es wichtig, dass wir unsere emotionale und psychologische Entwicklung pushen, solange wir leben, dass wir immer offen bleiben, dass wir

uns von dem Müll befreien, der uns am Wachsen hindert. Hirnforscher haben etwas Tolles herausgefunden: Wenn du dir zum ersten Mal einen neuen Song anhörst, schafft dein Gehirn dafür extra neuen Platz. Hörst du aber immer nur deine alten Lieblingssongs, stagniert die Musik abteilung deines Gehirns.

Daher also deine Vorliebe für elektronische Musik: Hier gibt’s keine Grenzen … Keine Art von Musik hat Grenzen. Die geben nur deine Vorstellungs kraft und dein Mindset vor. Du kannst in jedem Genre auf der Stelle treten, und du kannst jedes Genre weiterdenken. Vielleicht geht es also nicht so sehr um das Genre als um das gewisse Etwas, das du in einen Song packst. Wenn du das nicht hin zufügst, fehlt etwas.

Kannst du als etablierte Künstlerin wirklich ganz frei arbeiten?

Das tue ich seit meiner Teenagerzeit. Zuerst in Punkbands, da haben wir auf einem Indie-Label veröffentlicht. Keiner von uns musste damals seine Seele an eine Firma verkaufen, um Musiker sein zu können. Es gibt zwar diesen Mythos von der Platten frma, deren Bosse auf dem weißen Pferd dahergeritten kommen und dich mit ihrem Vertrag aus der Gosse retten – und sobald sie dich rauswer fen, bist du ein Loser. Aber dieser Mythos ist einfach nicht wahr. Das ist ein künstliches Drama, das nichts mit Musik zu tun hat. Zum Glück hatte ich schon mit vierzehn ältere Leute an meiner Seite, denen ich meine Lebensphilosophie verdanke: Es ist besser, du hast die komplette kreative Kontrolle und verkaufst nur drei Alben, als du gehst Kompromisse ein.

Björks neues Album „Fossora“ ist ab sofort im Handel; björk.com

Musik
40 THE RED BULLETIN
Björk, 57, über den Unterschied zwischen Erfolg und Einkommen
THE RED BULLETIN 41
„ Besser nur drei verkaufte Alben als künstlerische Kompromisse“

Metatorphose

Erst war er ein Bär, dann ein Krake, dann plötzlich Bulle: Die Karriere von Eishockey-Tormann Mathias Niederberger macht Zoologen ratlos – und Red Bull München glücklich.

Im entscheidenden Match im Finale der Deutschen Eishockey Liga zwi schen Red Bull München und den Eisbären Berlin müssen die Bayern gewinnen – sonst ist alle Titelhoff nung zerronnen. München versucht alles, doch der Puck will nicht und nicht ins Tor. Denn das wird von Mathias Niederberger bewacht. Und der ist, wie ihn TV-Kommentator Basti Schwele für diesen Abend brandet, der „Krake von Berlin“. Basti weiter: „Ein hartes Ergebnis, das auf keinen Fall dem Spielverlauf entspricht. Immer wieder irgendwie dran: Mathias Niederberger.“

Don Jackson, Cheftrainer der Red Bulls, rekapituliert dann nur noch das Offensichtliche: „Unsere Chancen waren da, aber der Puck ging nicht rein.“ Keiner knackte den Kasten des Kraken! Umso größer das Erstaunen, dass dieser sich nach dem Titel mit den Eisbären ent schloss, ausgerechnet zum Final gegner zu wechseln, und seit Saison beginn in München das Tor hütet. „Im ersten Moment war es ein wenig komisch, als er auf einmal in unserer Kabine gesessen ist“, erinnert sich Bullen-Stürmer Patrick Hager. „Aber ich kenne ihn von der National mannschaft, und wir wussten, wie viel Qualität wir durch ihn in die Mannschaft bekommen haben.“

Niederberger ist 30 Jahre alt, die Red Bulls sind bereits sein fünfter Prof-Verein. Das Konzept des Job hoppings scheint dem gebürtigen Düsseldorfer also recht zu geben.

the red bulletin: Mathias, nach welchen Parametern suchst du dir deine Vereine aus? mathias niederberger: Man möchte zu einer Mannschaft, die Ambitionen auf den Titel hat. Die Charaktere in der Mannschaft müs sen stimmen. Und die Stadt, in der man lebt, soll lebenswert sein.

Der Wechsel zu einem direkten Konkurrenten ist kein Problem? Ich verstehe die Frage nicht.

Wie gehst du in eine Kabine, in der du nur unbeliebt sein kannst, weil du ihnen im letzten Jahr den Titel geklaut hast? Ach so. Klar musst du dir am Anfang Sprüche anhören. Etliche Spieler kannte ich ja schon aus National mannschaft und Jugend. Sie wuss ten, was für ein Typ und Charakter ich bin, darum war das immer ein freundschaftliches Verhältnis quer über Teamrivalitäten hinweg. Ich denke, sie waren ganz froh, dass ich gekommen bin (grinst)

Weil der Sport größer ist als die Rivalität zwischen Clubs? Ganz sicher.

Wie unterscheidet sich München von Berlin, eishockeytechnisch? Eigentlich kaum. Beide Clubs sind sehr ambitioniert und bestens organisiert. Das Niveau ist hier wie dort in allen Abteilungen hoch. Das macht es einfach, sich zu inte grieren. Man kann sich zu hundert Prozent aufs Hockey konzentrieren. In München wusste ich, was für tolle

Coaches mich mit Don Jackson und Goalie-Trainer Pat Dallaire erwarten – auch in menschlicher Hinsicht.

Nestwärme als Entscheidungsfaktor bezüglich Arbeitsplatz?

Ich würde heute nicht mehr zu einem Verein gehen, bei dem der Coach charakterlich ein Fragezeichen ist. Langfristiger Erfolg kommt aus einer positiven Einstellung der gesamten Organisation: Spaß haben, gemein sam Ziele verwirklichen. Und das beginnt an der Spitze.

Mit Danny aus den Birken spielt ein weiterer Top Torhüter in Mün chen. Ist der zweite Goalie im Club eher Gegner oder Partner?

Gegner in der eigenen Mannschaft zu haben wäre ganz schlecht! Natür lich willst du deine Spiele spielen, in deinen Rhythmus kommen, aber wir sind Partner, ganz klar. Wir helfen einander und sind füreinander da, auch wenn natürlich immer nur einer spielen kann.

2011 wärst du beinahe schon einmal in München gelandet, hast die Red Bulls allerdings bereits nach wenigen Wochen wieder verlassen.

Weil man mir die Chance gab, mein Glück in Amerika zu versuchen. Ich habe es bis zum Prof-Camp der Los Angeles Kings geschafft. Wahnsinns erfahrung! Dort habe ich kapiert, was es bedeutet, Prof zu sein, vor allem physisch: wie gut man sein kann, wo das Limit ist. Wie Training und Warm-ups strukturiert sind, davon proftiere ich noch heute.

Fühlt sich dein Engagement in München an, als hätte sich ein Kreis geschlossen?

Ja, das tut es irgendwie tatsächlich.

Alle Neuigkeiten, den aktuellen Spielplan und Tickets: redbullmuenchen.de

Eishockey
Interview WERNER JESSNER
42 THE RED BULLETIN RED BULL MÜNCHEN
Mathias Niederberger, 30, über Mindeststandards in der Kabine
THE RED BULLETIN 43
„Der Coach als charakterliches Fragezeichen –da mache ich nicht mehr mit.“

BILL KAULITZ

Nasenring, gefärbte Haare, schrille Outfits: Der Leipziger Front mann von Tokio Hotel ist bekannt für seinen extravaganten Stil.

Musik
44

„ ICH BIN ER!“

BILL und TOM KAULITZ, 33, von Tokio Hotel und die kontroverse Kraft der Zwillinge: Der eine ist Bauchmensch, der andere Kopfmensch. Der eine ist Draufgänger und ledig, der andere geduldig und Heidi Klums Mann. Früher prügelten sich die beiden, bis Mama die Polizei rufen wollte. Heute sagen sie: „Wir zwei sind wie eine Person – besser geht’s nicht!“

TOM KAULITZ
LADO ALEXI
Der Gitarrist von Tokio Hotel ist der Reifere der Zwillinge – ganz präzise um zehn Minuten. 2019 heiratete er ModelIkone Heidi Klum.

GROSSE BÜHNE

„ Zwillinge mit Autoritätsproblemen, verhaltensauffällig, außer Rand und Band – wie hat Mum das nur durchgehalten?“
Tom Kaulitz
46 THE RED BULLETIN LAURENT NOICHL
Im Mai rockten Tokio Hotel beim Red Bull Soundclash 2022 die Dortmunder Westfalenhalle. Die vier nahmen auch schon Songs in den Red Bull Music Studios auf.

Bill und Tom Kaulitz, 33, schalten sich auf die Minute pünktlich in den Zoom Chat. In Los Angeles, wo sie seit 2010 leben, ist es neun Uhr morgens. „Früh für mich“, sagt Bill. Er sei niemand, der sich morgens aus dem Bett beame und denke: Let’s start the day. Erst abends werde er kreativ. „Ich liebe die Nacht.“ Dafür sieht er sehr frisch und gestylt aus. Auch Tom, sein zehn Minuten älterer Zwillingsbruder, ist gut gelaunt. Die beiden haben allen Grund dazu. Gerade erschien ihr neues Album „2001“. „Es ist unser mutigstes Album, weil wir dafür auch mal mit anderen Leuten zusammengearbeitet haben, auch mit anderen Künstlern, etwa Daði Freyr“, sagt Bill.

Die beiden waren gerade einmal fünfzehn, als sie mit ihrer Band Tokio Hotel von heute auf morgen von der ost deutschen Provinz an die Weltöffentlich keit gefegt wurden: 2005 erreichte ihre Debütsingle „Durch den Monsun“ auf An hieb Platz eins der deutschen Charts, bis heute hat die Band, zu der noch Gustav Schäfer und Georg Listing gehören, mehr als zehn Millionen Tonträger verkauft.

Als der Erfolg über sie hereinbrach, lebten Bill und Tom noch in einem Dorf bei Magdeburg, brachen kurz darauf die Schule ab und zogen nach Hamburg. Als die Fan Belagerung auch dort zum Dauer zustand wurde, sogar in ihr Haus einge brochen wurde, füchteten sie weder ins Hotel noch nach Tokio, sondern gleich nach Los Angeles, wo sie heute leben.

Seit 2019 ist Tom mit Model Ikone Heidi Klum verheiratet, seit 2021 spre chen er und Bill im Podcast „Kaulitz Hills – Senf aus Hollywood“ über ihren Alltag. Die beiden Exilanten sind die erfolg reichsten Zwillinge Deutschlands – und die symbiotischsten: „Wir sind wie eine Person“, sagen sie, „aber trotzdem wahn sinnig unterschiedlich.“ Wie geht das?

the red bulletin: Welche Erinnerungen habt ihr an eure Kindheit?

bill kaulitz: Wir sind ständig umge zogen. Wir waren sieben, als sich unsere Eltern getrennt haben. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon viermal umgezogen. Erst lebten wir in Hannover, dann in Magdeburg, wo wir mit unserer Mutter zusammen bei unserer Oma gewohnt ha ben, das war die Zeit, als wir eingeschult wurden. Danach sind wir mit unserer Mutter in die erste eigene Wohnung gezogen und dann mit neun aufs Dorf. Dort haben wir zum ersten Mal eigene Zimmer bekommen. Jeder durfte seines tapezieren und gestalten, wie er wollte. Meines war orange, Toms war blau, vor her hatten wir immer ein gemeinsames Zimmer gehabt. Ich erinnere mich, wie wir in unserem Doppelstockbett lagen und stundenlang miteinander plapper ten. Aber auch an unsere Pyjamas, wir hatten die gleichen, nur in unterschiedlichen Farben.

Wie würdet ihr die Beziehung zu eurer Mutter beschreiben? Hattet ihr eine strenge Mutter?

tom kaulitz: Unsere Mutter war eigentlich immer ein bisschen wie unsere beste Freundin. Sie hat uns mit ganz viel Vertrauen großgezogen. Rückblickend frage ich mich manchmal, wie sie das über haupt gepackt hat mit zwei Jungs, Zwil lingen, die völlig außer Rand und Band waren. Wir hatten viele Probleme in der Schule, Autoritätsprobleme, Auffälligkeiten im Verhalten. Zwischendurch war unsere Mutter alleinerziehend, bis dann unser Stiefvater dazukam. Wir waren schon sogenannte Schlüsselkinder, als wir ganz klein waren, sind nach der Schule allein nach Hause gegangen und verbrachten dann den Nachmittag allein. Das war wegweisend für alles, was da nach kam. Unsere Mum hat sich darauf verlassen, dass wir – wahrscheinlich auch, weil wir zu zweit waren – irgend wie klarkommen. Wir sind dann ja auch mit fünfzehn schon ausgezogen, als es mit Tokio Hotel so richtig losging. bill: Man muss dazusagen, dass wir eine sehr, sehr junge Mama hatten. Sie hat uns mit 21 bekommen, auch deshalb waren wir uns immer sehr nahe.

Musik
THE RED BULLETIN 47

Ihr seid als Brüder sehr symbiotisch, ihr habt mal erzählt, dass ihr nie länger als 24 Stunden voneinander getrennt wart. Hattet ihr denn auch Phasen, in denen ihr euch bewusst voneinander abgegrenzt habt?

bill: Wir kamen immer im Doppelpack, wir wurden oft auch nur „die Zwillinge“ genannt, und ich glaube, dass wir un bewusst ganz früh, schon im Kinder garten, angefangen haben, nach außen hin unsere ganz eigene Persönlichkeit auszuleben mithilfe unseres Styles. Als wir angefangen haben, richtig zu denken und eine Meinung zu haben, ich würde sagen, so mit fünf, sechs Jahren, wollten wir uns schon selber anziehen und nicht mehr die gleichen Sachen tragen. Wir waren dann ganz verschieden, einer hatte lange Haare, einer kurze. Obwohl wir so symbiotisch waren, so eng und un zertrennlich, waren wir nach außen hin, im Musikgeschmack, im Styling, immer wie Yin und Yang. Es gab auch Momente, in denen sich Tom vor seiner Gang ge schämt und mir gesagt hat, ich dürfe nicht mit ihm in der Schule rumhängen, weil er gerade als Punk unterwegs war und ich in meiner Techno-Welt.

Seid ihr euch charakterlich ähnlich oder eher verschieden?

tom: Das ist wahnsinnig schwer zu sa gen, weil wir eigentlich komplett gleich ticken. Wir haben ein Grundverständnis füreinander, weil wir uns zu tausend Prozent in den anderen hineinempfnden können. Wir sind wie eine Person, aber gleichzeitig wahnsinnig unterschiedlich. Manchmal fühlt es sich an, als wären wir eine schizophrene Person.

bill: Ich bin auf jeden Fall extrovertier ter als Tom und auch viel mehr Bauch mensch.

tom: Ich bin eher der Kopfmensch, der Planer. Und natürlich klüger, hübscher und lustiger

Gab es zwischen euch auch eine brüderliche Rivalität?

tom: Nein, es war nie so, dass wir uns wirklich ernsthaft gestritten haben um Mädchen oder Aufmerksamkeit. Gegenseitiger Neid oder Rivalität sind uns völlig fremd.

bill: Aber wir hatten früher natürlich auch Phasen, in denen wir uns geprügelt haben.

tom: Aber nicht aus Rivalität. bill: Da ging es dann um Meinungs verschiedenheiten, wir haben uns gegen seitig geärgert und Grenzen ausgetestet. Und wenn wir uns geprügelt haben, dann war das wirklich so, als ginge es um Leben und Tod, meist haben alle anderen den Raum verlassen, weil das echt scary war. Meine Mutter dachte, sie müsse gleich die Polizei rufen. Aber auch das gehörte dazu, dass die anderen dachten, um Gottes willen, die werden nie wieder miteinander reden – und fünf Minuten später haben wir einander schon wieder gefragt: „Was bestellst du dir zum Essen?“ – „Ach, okay, ich neh me das Gleiche.“ Wir konnten nie lange sauer aufeinander sein. Die längste Zeit, in der wir nicht miteinander geredet haben, waren vielleicht zwölf Stunden.

Musik
Im Styling waren wir wie Yin und Yang: Tom schämte sich ein bisschen, als ich in meiner Techno - Phase war.“
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Bill Kaulitz
LADO ALEXI
DIE BAND Drummer Gustav Schäfer, die KaulitzTwins und Bassist Georg Listing (v. l.)

Was ist denn im Nachhinein das Schlimmste, was ihr euch gegenseitig angetan habt?

bill: Physisch, würde ich sagen, dass wir uns geprügelt haben mit allem, was im Raum zur Verfügung stand. Wir haben aber nie etwas gemacht, was den anderen wirklich nachhaltig emotional verletzt hat. Das waren alles Kindergartensachen, mal ein Geheimnis verraten oder einander mit Handyfotos erpressen. Wir waren wahnsinnig eitel als Kinder und fühlten uns natürlich unglaublich cool. Jeder hatte seine Clique und seinen Style. Und da haben wir einander ungestylt heimlich zu Hause fotografert und uns dann gegenseitig mit den Fotos erpresst. Aber wir hatten nie einen wirklich großen Streit, weder als Geschwister noch in der Band.

Was bewundert ihr am anderen?

tom: Wäre ich ein Einzelkind gewesen, was ich mir natürlich nur wahnsinnig schwer vorstellen kann, hätte ich ein komplett anderes Leben geführt. Das ver danke ich Bill: Ich glaube, ich wäre ohne ihn ein ganz anderer Typ geworden.

In welcher Hinsicht?

tom: Ich hätte ein wesentlich unkreati veres Leben geführt. Bill hat sich immer alles getraut, nie über Konsequenzen nachgedacht, sondern einfach gemacht. Bill hat sich mit zwölf auf eine Bühne gestellt und „It’s Raining Men“ gesungen. Ich hingegen habe schon immer auch auf das Umfeld geachtet, ein bisschen mehr geschaut, was gerade cool ist. Ich habe mich mehr angepasst als Bill. Da wir aber zu zweit waren und Bill der kreativere und freiere Geist war, ist diese Seite dann auch in mir zum Vorschein gekommen.

bill: Tom hat eine Geduld, die ich nicht habe. Er sitzt im Studio, produziert

Musik
„Wir hatten unsere Lows und Dämonen – aber wir haben uns gegenseitig aufgefangen.“
50 THE RED BULLETIN WOODY WOODSN

BACKSTAGE

unsere ganze Musik, das könnte ich im Leben nicht, das würde mich wahnsinnig machen. Tom kann Tage im Studio ver bringen und mit irgendwelchen Sounds experimentieren. Er ist auch sehr viel musikalischer als ich. Ich bin da eher der Frontmann, ich liebe es zu singen und auf der Bühne zu stehen.

So eng, wie ihr miteinander seid –geht ihr einander nie auf den Geist? bill: Wir haben unser ganzes Leben zusammen verbracht, und natürlich hat uns die Karriere noch enger zusammen geschweißt. Mit fünfzehn ging es bei uns mit dem Erfolg los, wir sind raus aus der Schule, saßen zusammen im Tourbus, haben diesen ganzen Wahnsinn gemein sam erlebt. Wir waren einander engste Vertraute, wir waren einander Familie, hatten oft ja nur uns – und natürlich auch Georg und Gustav, die anderen zwei aus

der Band. Wir vier waren immer unser allerengster Kreis, und so ist es bei Tom und mir auch. Es gab nie Momente, in denen wir gedacht haben: „Jetzt muss ich mal alleine sein oder hätte gerne meine Ruhe.“ Wenn wir einsam waren, waren wir zusammen einsam, wenn wir glück lich waren, waren wir zusammen glück lich. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Brüder messen sich ja gerne. Wer ist denn der Stärkere von euch beiden?

tom: Wir haben unterschiedliche Stärken.

bill: Es gibt Sachen, die würde ich gar nicht probieren, da weiß ich gleich, die muss Tom machen: Was tragen, was an bohren, was anbringen, ich würde auch niemals eine Glühbirne austauschen, solche Sachen kann ich null und will es auch gar nicht können. Ich kriege bei so etwas sofort schlechte Laune.

THE RED BULLETIN 51
„Letzte Worte“ in der Garderobe, dann der Weg auf die Bühne –Tokio Hotel beim Red Bull Soundclash in Dortmund

SHOWTIME

tom: Wenn ich im Studio mal sage: „Komm, fass mal kurz mit an!“, ist für Bill der Tag schon gelaufen. bill: Wenn ich das schon höre, werde ich richtig schlecht drauf. Aber das wäre so ähnlich, als würde ich Tom sagen: „Komm, wir probieren mal ein paar Out fts für die nächste Tour an.“ Auf so etwas hat er gar keinen Bock. Es gibt eben auch Sachen, die Tom nie ohne mich machen würde.

tom: Ich würde ganz selten mal ein Inter view allein führen. Ich könnte mir auch nie vorstellen, irgendwas zu moderieren oder Fotoshootings zu machen. Das sind die Dinge, die Bill liebt.

Glaubt ihr, dass alles, was über euch hereingebrochen ist, schwerer zu er tragen gewesen wäre, wenn ihr keine Zwillinge wärt?

bill: Jeder von uns hatte während all dieser Jahre seine eigenen Dämonen, mit denen er gekämpft hat. Wir hatten unsere Lows, dachten, wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr – aber wir haben uns gegenseitig immer wieder auf gefangen. Allein wäre das in dem Aus maß, in dem es nötig war, nicht möglich gewesen.

Ist die Bindung zwischen Zwillingen dann doch noch mal stärker als zwischen „normalen“ Brüdern? bill: Wir erleben viele Brüder, und Tom und ich denken dann: Wie? Ihr wohnt nicht zusammen? Telefoniert ihr nicht jeden Tag? Wir haben auch schon andere Zwillinge getroffen, die uns erzählen, dass sie in unterschiedlichen Städten leben und unterschiedliche Jobs haben. Wir sind dann immer ganz fasziniert, weil das für uns völlig unvorstellbar wäre.

Ihr habt in den siebzehn Jahren, seit ihr quasi über Nacht berühmt wurdet, Höhen und Tiefen erlebt, die sich andere kaum vorstellen können. Ihr konntet eine Zeitlang nicht mal das Haus verlassen, weil Fans vor dem Grundstück campiert haben, und seid dann regelrecht nach Los Angeles gefüchtet. Wie habt ihr das alles ge schafft? Woher hattet ihr die Kraft? bill: Ich glaube, wir schöpfen Kraft daraus, dass wir wissen: Zum Glück bin ich nicht allein. Und so eine Zwillings bindung wie unsere ist schon wahnsinnig intensiv. Ich wünsche eigentlich jedem Menschen auf der Welt einen Zwilling. tom: Du hast immer jemanden, der fast genauso aussieht, der fast das Gleiche fühlt wie du. Du hast einfach dich noch mal ein bisschen anders. bill: Mir tut das fast leid, dass nicht jeder einen Zwilling hat. Ich fnde, Zwil ling sein ist das Allerbeste, was einem Menschen passieren kann.

Weitere Infos zur Band: tokiohotel.com

„Du hast immer jemanden, der fast genauso aussieht, der fast das Gleiche fühlt wie du.“
Musik 52 THE RED BULLETIN DIESERBOBBY
Die Zwillinge teilen sich das Rampenlicht wie hier beim Red Bull Soundclash 2022 genauso wie ihr Leben abseits der Bühne.

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Tauchen

Tiefen-Gipfel:

Am Riff Aliwal Shoal vor Südafrika ließ sich Pierre Frolla 2007 mit diesem Tigerhai fotografieren, um auf die Bedrohung der Spezies aufmerksam zu machen.

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FRED BUYLE

HAI, WIE GEHT’S?

Er tanzt mit den Walen, streichelt die Haie und hing am Tag seines Heiratsantrags mit einem Krokodil ab. PIERRE FROLLA , 47, betaucht die Ozeane ohne Sauerstoff-Flasche: Seine Welt ist atemberaubend.

Im Jahr 2004 verschob Pierre Frolla die Grenzen des Apnoe tauchens – und zwar nach unten: Der gebürtige Monegasse tauchte mit nur einem einzigen Atemzug 123 Meter ab und brach damit den damaligen Tiefenweltrekord in der Disziplin Variable Weight (Abstieg mithilfe eines Gewichts, dessen Masse der Taucher selbst bestimmt).

Apnoetaucher kommen ohne Atemgeräte aus, sie arbeiten mit speziellen Atemtechniken, um während des Tauchens we nig Sauerstoff zu verbrauchen. Das erfordert höchste Kon zentration und Körperbeherr schung. Frolla ist ein Pionier dieses Extremsports – und setzte dabei neue Standards für die Sicherheit im Wasser: Der heute 47-Jährige teilt seine Erfah rungen in Filmen wie seinem jüngsten Dokumentarfilm „On a Long Breath“ oder seinem Buch „Océans: face à face“, für das er unter Wasser Wale, Haie und Krokodile besuchte, um Bewusstsein für Naturschutz zu schaffen. Heute leitet Frolla in seiner Heimat Monaco eine der größten Tauchschulen der Welt und gibt seine Philosophie an andere weiter. „In die tiefsten Ozeane hinabzusteigen half mir, zu verstehen, wer ich war, wer ich werden konnte – und mir selbst zu beweisen, dass ich zu viel mehr fähig war“, sagt er. Hier die Lebensgeschichte eines Mannes mit Tiefgang – erzählt von ihm selbst.

DER ANFANG Warum ich meinen Körper umprogrammierte

„Es war wunderbar, in Monaco aufzuwachsen. Dort gibt es das Meer und die Möglichkeit, jeden Tag zu schwimmen, und es gibt die Berge, man kann also am Mor gen hundert Meter tief tauchen und ein paar Stunden später aus 2000 Meter Höhe die Skipisten hinunterbrettern. Als ich das erste Mal bewusst geschwommen bin, war ich knapp fünf Jahre alt, an einem wilden Strand an der Ostgrenze Monacos namens Cabbé. Aber erst mit zwanzig habe ich Apnoe zu meinem Lieb lingssport gemacht – nachdem ich mir 1995 bei den Judo-Welt meisterschaften in Chiba, östlich von Tokio, die Schulter gebro chen hatte. Ich hatte zuvor hart trainiert und war sehr enttäuscht. Doch anstatt mich operieren zu lassen, entschied ich mich für ein Training mit Apnoetauchen und vor allem mit Schwimmen, um meine Schulter zu kurieren. Da mals war mein Körper auf Kämp fen programmiert – aber beim Freitauchen darf man sich nicht wehren, man muss eins mit dem Wasser werden. Es bringt nichts, gegen das Element anzukämpfen. Beim Apnoetauchen kann man nicht wie beim Schwimmen auf hören, wenn man zu schnell war, oder wie beim Radfahren ab steigen, wenn die Oberschenkel schmerzen. Wenn wir auf dem Meeresgrund zurückbleiben, sind wir tot. Es gibt keine Möglichkeit zu entkommen. Wenn wir atmen wollen, müssen wir nach oben

Tauchen
56 GIL ZETBASE
I

Abtauchen, um sich selbst zu finden: Pierre Frolla vor der Küste seiner Heimat Monaco

Frolla schwimmt vor der Küste Kubas mit einem Krokodil spazieren. Am selben Tag hielt er um die Hand seiner Frau an.

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Tauchen
LECOEUR
GREG

kommen. Ich wollte immer über meine Grenzen hinausgehen. Um mir selbst stets aufs Neue zu beweisen, dass ich zu viel mehr fähig bin, als ich mir noch am selben Morgen beim Aufstehen vorgestellt habe. Ich will immer besser ins Bett gehen, als ich am Morgen aufgestanden bin.“

DIE ANGST

Aber dann zog der Raubfsch die

Hochzeit in der Tiefe –und Albert von Monaco tauchte als Trauzeuge.

Flossen ein

„Als ich klein war, hatte ich schreckliche Angst vor Haien. Gleichzeitig war ich davon überzeugt, eines Tages TauchChampion zu werden, also lebte ich lange einen täglichen Wider spruch: Ich tauchte jeden Tag beglückt in die Tiefen der Ozeane – immer mit der Befürchtung, einem Hai zu begegnen. Mit sech zehn fog ich dann ans andere Ende der Welt, um mit Haien zu schwimmen. Als ich meinen ersten Hai sah, einen riesigen gelben Zitronenhai, war ich ver blüfft – das Tier drehte um und foh, als es mich sah. Der Hai war es, der sich fürchtete, nicht ich. Da verstand ich, dass wir nur vor einer Sache Angst haben: vor dem Unbekannten. Wenn das Un bekannte zum Bekannten wird, haben wir keine Angst mehr davor. Und ich verstand, dass der Hai keine bedrohliche, son dern eine bedrohte Spezies ist.“

(Im Jahr 2012 schwamm Frolla im Rahmen einer Ausstellung mit dem Titel „Die Haie sollen leben!“ gemeinsam mit 25 Haien eine Dreiviertelstunde lang in einem Becken. Er wollte auf die Friedfertigkeit der Tiere und ihre Bedrohung vor dem Aussterben aufmerksam machen; Anm.)

„Beim Apnoetauchen darf man keine Angst haben. Angst nährt Zweifel, Zweifel nähren Fehler, und Fehler nähren das Versagen. Ein Fehler in mehr als 100 Meter Tiefe ist kein Misserfolg, sondern das todsichere Ende.“

DIE TIEFE Ein Rausch zwischen Demut und Akzeptanz

„Es ist schon sehr speziell, am Grund des Meeres zu sein. Wenn ich tauche, Meter für Meter, spüre ich die Dinge auf eine immer extremere Weise. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber es entwickelt sich echtes Wissen über unsere Empfndungen: Wie viele Sekunden du schon unter Wasser bist, wie viel Akkulaufzeit du noch hast – ein Apnoetauch gang in großer Tiefe bedeutet, sich enormem Druck auszusetzen. Er bedeutet Demut, Selbstauf opferung und Akzeptanz. Es besteht ein Unterschied zwischen einer Apnoe, bei der wir den Atem so lange wie möglich anhalten, und einem Sauerstoffmangel. Das ist ein chemischer Vorgang. Wenn nicht genug Sauerstoff im Körper vorhanden ist, stirbt man. Doch bevor das passiert, kann man die Luft lange anhalten und den Sauerstoff verbrauchen, den man in die Lungen geatmet hat. Damit können wir länger über leben, als wir denken. 2003 wollte ich auf 114 Meter tauchen, um meinen Körper an den Druck zu gewöhnen. Das Echolot zeigte bei 120 Metern einen fachen Grund an, sodass scheinbar keine Gefahr bestand – aber dann, bei

Apnoetaucher Frolla orientiert sich an einem Seil, an dem er sich in die Tiefe zieht.

Wichtig beim Auftauchen ist, dass es nicht zu schnell passiert. Andernfalls droht Dekompression – der Druckabfall erzeugt Gasbläschen im Körper.

Tauchen
60 THE RED BULLETIN ALEXIS ROSENFELD, ROBERT MARGAILLAN

104 Metern, versank ich in einem Schlammhügel. Das Wasser war schwarz, ich konnte nichts sehen, steckte bis zu den Knien fest und brauchte fast 20 Sekunden, um mich zu befreien. Ich dachte, ich würde auf dem Grund bleiben. In der Zeit danach haben wir neue Sicherheitsvorkehrungen eingeführt und unsere Überwachung verbessert.“

DIE REKORDE Im Moment des Triumphs bist du völlig alleine

„Mein inoffziell tiefster Tauch gang war 132 Meter, mein offzi eller Rekord liegt bei 123 Meter Tiefe. Wenn man zum ersten Mal einen Rekord bricht, ist das ein ganz besonderes Gefühl. Man bereitet sich intensiv darauf vor; jede Sekunde, jede Minute, jeden Meter im Training denkt man daran. Die Vorbereitung eines Rekords dauert zwischen sechs und neun Monate, zwei bis drei Trainingseinheiten pro Tag, sechsmal pro Woche. Mein Trainer hat einmal zu mir gesagt: ‚Wenn du eines Tages Weltmeister bist, wirst du auf dem Gipfel eines Berges stehen und die ganze Welt sehen. Aber du wirst allein sein. Das ist der Moment, in dem du entscheiden musst, was du tun willst und wie du es tun willst.‘ Wobei – meine Gipfel, meine Höhepunkte liegen in der Tiefe. Die größte Motivation während eines Wettkampfs ist, meine eigenen Grenzen zu er reichen, ohne sie zu überschreiten. Ich schaffe so neue Grenzen und ein neues Ziel, das ich danach er reichen will – aber Sicherheit ist das Wichtigste. Es gibt das Sprichwort: ‚Es geht runter, wer will, es geht wieder hoch, wer kann.‘ Am Ende ist es einfacher, abzusteigen, als aufzusteigen. Jeder kann bis auf den Grund gehen, aber ist man schlecht vorbereitet, kommt man viel leicht nie wieder lebend hinauf.“

THE RED BULLETIN 61

Unterwasser-Agent

Frolla: 2006 tauchte er auf den Bahamas zum Wrack einer Douglas DC-3, die für einen JamesBond-Film eingesetzt worden war.

Pierre Frolla

wurde am 14. Februar 1975 in Monaco geboren. Die Nähe zum Meer prägte ihn von klein auf: Sein Vater, ein Meister im Speerfischen, vermittelte ihm das Verständnis für Unterwasserleben und Naturschutz. Frolla stellte vier Weltrekorde im Freitauchen auf, heute leitet er Tauchschulen für Kinder, wo sie vor allem einen respektvollen Umgang mit der Natur lernen sollen.

DIE LIEBE

unter Wasser

„Meine Frau und ich haben 2015 unter Wasser geheiratet. Es war wunderschön, 70 Gäste, alle an unserer Seite – einfach verrückt. Meine Frau war stolz, weil sie ein Jahr zuvor noch nicht in der Lage war, einen sogenannten Aus gleich zu schaffen, also Luft aus dem Rachen in das Mittelohr zu drücken, um den schmerzhaften Druck zu verringern. Sie hat hart gearbeitet, um tauchen zu lernen – und als sie es geschafft hatte, habe ich sie gebeten, mich

unter Wasser zu heiraten. Fürst Albert II. von Monaco war Trau zeuge bei der Hochzeit. Er ist ein sehr guter Taucher – und ein bemerkenswerter Schüler.

Ich habe praktisch jeden Ozean der Welt bereist, und ich bin an die entlegensten Orte gekommen. Jede Expedition bietet unglaubliche Möglichkeiten und unvergessliche Begegnungen. Am wichtigsten sind für mich Reisen, die Begegnungen mit Meer und Menschen verbinden. Mit Krokodilen zu schwimmen ist einmalig, Weiße Haie zu streicheln fast unwirklich, mit einer Gruppe von Pottwalen zu tanzen unbeschreiblich – aber wenn es keinen menschlichen Wert darin gibt, haben die Dinge weniger Würze.“

Erst als ihr Druck weg war, heirateten wir
Tauchen 63
FRED BUYLE, ZACH PINA, HAMILTON

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Aircondition für den Geist

Leon Vockensperger, 23, ist der beste Snowboarder Deutschlands. Weil er cool bleibt, wenn’s drauf ankommt. Hier seine innere Klimaanlage und ihre Komponenten.

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Der Ton macht die Gefühle

Rein, raus, rein, raus – und Ruhe

Ich würde lügen, würde ich sagen, dass ich vor einem Contest immer cool und entspannt bin. Ich brauche oft Techniken, um mich zu entspannen. Was ich gerne mache, ist Boxatmen: Du atmest bewusst so lange ein, wie du ausatmest. Also etwa vier Sekun den einatmen, vier Sekunden Atem anhalten, wieder vier Sekunden ausatmen und wieder vier Sekunden Atem anhalten. Das wiederholst du zehnmal. Das bringt mich komplett runter. Was mir auch hilft, ist Meditation. Ich hab früher Kung Fu ge macht, da spielt sie eine große Rolle. Wenn ich einen stressigen Tag hinter mir oder vor mir habe, meditiere ich abends 20 Minuten. Dazu höre ich oft auf YouTube Entspannungsmusik und ordne meine Gedanken, um mit einem klaren Kopf ins Bett zu gehen.

Der doppelte Herzschlag

Ich bin ständig unterwegs, starte an Orten, an denen ich noch nie war und muss in neuen Situationen und Umgebungen meine Leistung bringen. Da hilft mir, dass ich feste Routinen habe. Wenn ich vor dem Start aufgerufen werde, weiß ich ganz genau, was ich die nächsten Minuten mache. Das ist für mich wichtig, um in den Flow zu kommen. Ich knie mich hin und gehe im Kopf meinen Run durch. Ich visualisiere ihn und spüre in meinem Körper, wie es sich anfühlt, die Tricks zu vollführen. Ganz wichtig ist, sich jeden einzelnen Trick zu visualisieren. Das alles mache ich dreimal, hinterher klatsche ich in die Hände. Wenn ich im Start Gate bin, habe ich meine Musik im Ohr, klatsche mit meinem Coach ab, schlage mir mit der rechten Hand zwei , dreimal auf die Brust – und dann geht’s los. Vor dem Reindroppen stoße ich einen Freudenschrei aus, weil ich endlich fahren darf.

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Musik ist sehr wichtig in meinem Leben, damit geht vieles leichter, be sonders wenn ich unter Druck stehe. Ich höre deshalb bei jedem Contest immer Musik und habe dafür eine Wettkampf Playlist. Für jede Season habe ich eine enge Auswahl an Songs. Bei meinem letzten Weltcup Sieg im März war das „Stuck in the Moment“ von Def Manic, das ist echte Feeling good Musik. Und wenn ich gute Lau ne habe, performe ich am besten. Musik hilft mir aber nicht nur am Berg. Wenn ich nach einem stressigen Trainingstag auf dem Weg nach Hau se bin und mich von Kleinigkeiten auf die Palme bringen lasse, weil ich etwa im Stau stehe, dann lege ich total relaxte Musik auf, oft Reggae oder auch klassische Musik. Und dann merke ich sofort, wie ich ent spannt werde und mir all diese Dinge einfach egal sind.

Lack und Look fürs Feeling

Bei uns Boardern gibt es den Spruch: „Look good, feel good, ride good.“ Das sollte man nicht falsch verstehen, das hat nichts mit Eitelkeit zu tun. Aber wenn mein Outft stimmt, meine Fingernägel eine coole Farbe haben und meine Snowboard Klamotten ei nen guten Schnitt, dann fühl ich mich gut in meiner Haut. Und dieses Feeling

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5 MINUTEN COACH
64 THE RED BULLETIN LORENZ RICHARD/RED BULL CONTENT POOL SASKIA JUNGNIKL-GOSSY

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nehme ich mit auf den Berg und in den Wettkampf. Dann performe ich besser und bleib cooler, wenn es drauf ankommt. Nagellack gehört für mich immer dazu, ohne den fühlt es sich komisch an. Früher war ich abergläu bisch und dachte, ich muss immer be stimmte Snowboard Socken tragen, um zu gewinnen. Aber das hat sich gelegt, weil ich gemerkt habe, dass es wirklich nicht von den Socken ab hängt, sondern nur von mir. Und vom Lack. 04:15

Neue Kraft der alten Träume

Manchmal ist man ganz unten. Ich habe mir im Oktober 2018 am Sprung gelenk das Syndesmoseband gerissen, es hat Monate gedauert, bis ich die richtige Diagnose erhalten habe und operiert wurde. Das war ein absoluter Tiefpunkt. Ich habe darüber nachgedacht, mit dem Snowboarden aufzu hören. Aber dann habe ich mich daran erinnert, was meine Kindheitsträume waren. Das klingt kitschig, aber sie wä ren nie in Erfüllung gegangen, wenn ich bei Rückschlägen nicht durchgehal ten hätte. Der Gedanke hat mir gehol fen, ruhig zu bleiben. Und als ich nach Monaten wieder das erste Mal auf dem Snowboard gestanden bin, habe ich gespürt: Boah, ich habe es so vermisst und liebe es so sehr. – Das war die gan ze Anstrengung wert.

05:00

auch vor großen Sprüngen ganz ruhig:
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Bleibt
Leon Vockensperger, 2021 im Red Bull Performance Camp im Schweizer Saas-Fee.
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23, über kleine optische Starkmacher THE RED BULLETIN 65
„Auch wenn es seltsam klingt: Ohne Nagellack fühlt es sich komisch an.“
Leon Vockensperger,

Meter für Meter eine Mission

SARAY KHUMALO ist die erste schwarze Afrikanerin, die den Mount Everest und fünf der Seven Summits erklomm. Je höher sie klettert, desto mehr Spenden bekommt sie zusammen. Nicht für sich, sondern für bessere Schulbildung in Südafrika. Wir begleiteten sie auf einem Teil ihres langen Marsches.

Bergsteigen 66
COURTESY OF SARAY KHUMALO

ZWISCHENZIEL

Im Jahr 2014 bestieg Saray Khumalo den Mount Elbrus im Kaukasus, einen der Seven Summits.

HOCH HINAUS

Saray will als erste schwarze Afrikanerin die Seven Summits und die Pole bezwingen.

eiter weg von der Zivilisation kann man kaum sein. Wir befnden uns mitten in den Drakensbergen, „Drachenberge“ auf Afrikaans, dem höchsten Gebirge hier im südlichen Afrika, und Saray Khumalo ist munter am Arbeiten. Jedenfalls, so lange sie Handyempfang hat. Wenn es regnet, spannt sie ihren Schirm auf und stapft durch Pfützen. Abends höre ich, wie sie in ihrem Zelt arbeitet. Khumalo, 51, war einmal Bankerin und Versiche rungsbeamtin. In Sambia geboren, lebt sie in Johannesburg. Und sie ist die erste schwarze Afrikanerin, die den Gipfel des Mount Everest erreichte.

2019 erklomm sie den Everest auf der klassischen Route über den Südostgrat. Drei schwierige und enttäuschende Ver suche in den Jahren 2014, 2015 und 2017 waren dem vorausgegangen. Doch ihre Entschlossenheit ist beides, unauf dringlich und unerschütterlich. Auf der einen Seite hat Khumalo Geist und Stil (sie zierte etwa Titelseiten von Modemagazinen), ist weltgewandt und elo quent – auf der anderen Seite legt sie eine Leidensfähigkeit an den Tag wie jeder klassische Bergsteiger, sobald es sie in die Berge zieht. Khumalo versteht es, ihren sportlichen Erfolg für einen höhe ren Zweck zu nutzen und beherrscht Vorstandssitzungen ebenso wie Presse aussendungen. Um Ruhm und Ehre geht

es ihr bei ihren Abenteuern nicht – sie will Bibliotheken für schwarze Kinder in Südafrika bauen und deren Aufstiegs chancen und Zukunftsaussichten verbes sern. Für diese Kinder klettert Khumalo. Unsere Wanderung in den Drakens bergen hätte gelinde gesagt besser beginnen können. Seit fünf Monaten organi siert Saray (ausgesprochen wie „Sarah“, mit rollendem „r“) Khumalo an den Wo chenenden Bergtouren für Anfänger. Alle Teilnehmenden stammen aus Südafrika oder Indien und sind erfolgreich in ihren Unternehmen in der Geschäftsleitung oder Unternehmensführung tätig. Die Ausrüstung ist gut, und ihre Jobs sind so fexibel, dass sie sich problemlos eine Woche freinehmen können. Neben Saray Khumalo an der Spitze: Sibusiso Vilane, 52, der erste schwarze Afrikaner, der den Everest und die übrigen Seven Summits erklommen hat, also den jeweils höchsten Gipfel jedes Kontinents: den Aconcagua, den Denali, den Kibo (im Kilimandscharo Massiv), den Elbrus, den Mount Vin son und die Carstensz Pyramide.

Zitternd in die Schlafsäcke Tag eins ist die reinste Katastrophe. Unser Ziel war es, einen Steilhang zu erklim men, am späten Nachmittag sind wir aber nicht einmal annähernd oben angekom men. Wir sind gefangen in einer steilen, engen Schlucht, kalter Regen bläst uns von der Seite um die Ohren, und die Dun kelheit bricht herein. Wir hätten schon vor Stunden anhalten sollen, jetzt ist es zu spät. Nach Absprache mit Khumalo suche ich nach Übernachtungsplätzen, aber es gibt keine – das Terrain ist zu steil. Vilane wiederholt seine Vermutung, dass die Oberseite der Abbruchkante nicht weit sei. „Da ist sie doch schon!“, ruft er und zeigt auf eine Kerbe in

diffuser Ferne. Aber für die Neulinge ist das zu weit. Wie ich erfahre, haben wir uns die schroffen grünen Drakensberge in der falschen Jahreszeit vorgenommen. Der höchste Gebirgszug Südafrikas um fasst mehr als 1000 Kilometer monumen taler Steilwände und tiefer Schluchten. Wir haben November, also Sommeranfang, und es regnet unablässig. Wenn man auf über 3000 Meter aufsteigt, kommt häufg noch Schnee dazu.

Nach Einbruch der Dunkelheit sind wir gefährlich weit verteilt. Beim Blick nach unten zeigen unsere Stirnlampen –wie Sterne, die kaum zu erkennen sind –, dass einige Teammitglieder weiter auf dem glatten Geröll nach oben stolpern, während andere stehengeblieben sind. Als wir endlich unser Lager oben auf dem Steilhang aufschlagen, ist es Mitter nacht. Am Ende sind alle in ihren Zelten untergebracht und zittern in ihren klammen Schlafsäcken vor sich hin, zu erschöpft, sich noch zu bewegen. Die beiden Träger, die wir auch als Köche dabeihaben, sind zu müde, um Wasser aufzusetzen, von der Zubereitung eines Abendessens ganz zu schweigen.

Unser Tee aus Tauwasser

Am nächsten Morgen könnten wir Son nenschein gebrauchen, aber es nieselt. Die Träger fabrizieren Instantnudeln, und ich organisiere Tauwasser, damit sie Tee zum Runterspülen kochen können. Vilane ist guter Dinge, Khumalo fest ent schlossen, bei allen anderen entspricht die Stimmung dem trüben Wetter. Wir packen uns zusammen und machen uns auf den Weg entlang des Bergrückens.

Khumalo ist eine große, starke, auffallende Frau. Ihre gebieterische Präsenz steht im Kontrast zu ihrer weichen Stim me. Man kann sie sich sehr gut in einem Hosenanzug vorstellen, wie sie mit ruhi ger Präzision Unternehmensentschei dungen trifft. Ich versuche, ihr etwas über ihre Mount Everest Besteigung zu entlocken. „Der Everest ist nur eine Me tapher“, sagt sie und gibt zu, dass das Klettern, erst recht im Eis, nicht so ihr Fall sei. Sie besteige eben Berge, hohe Berge. Dann wechselt sie das Thema. Lieber möchte sie über die karitativen

Bergsteigen
W
THE RED BULLETIN 69
Nach Einbruch der Dunkelheit waren wir weit verteilt –gefährlich weit.

Einrichtungen sprechen, die sie mit ihren Touren fnanziert. „Bildung war immer schon mein Schwerpunkt“, sagt sie.

Seit Beginn ihrer Bergsteigerkarriere war Khumalo immer für einen guten Zweck unterwegs – ja, sogar ihre Stif tung trägt den Namen „Summits With a Purpose“. 2012 sammelte sie mit ihrer Kibo-Besteigung Geld für den Bau einer Bibliothek für Kids Haven, ein Heim für Straßenkinder in Benoni, einer Stadt in der Nähe von Johannesburg. Nach der Besteigung hielt sie bei Kids Haven einen Vortrag, danach sagte ein schwarzes Mädchen zu ihr: „Leute wie du machen so was nicht.“ Khumalo war baff. „Sie meinte: Schwarze machen so was nicht. Und sie hatte recht. Sie hatte noch nie jemanden wie mich gesehen.“ Dieses Kind veränderte Khumalos Leben. „Mir wurde klar, dass ich nicht in einer Welt leben kann, in der wir wegen unserer Hautfarbe eingeschränkt werden oder, schlimmer noch, uns selbst einschrän ken. Ich habe zwei Söhne, denen muss ich eine bessere Welt hinterlassen.“

Der Eisbruch kollabierte

2014 versuchte es Khumalo zum ersten Mal mit dem Mount Everest. Sie sam melte für den Lunchbox Fund, ein Pro gramm, das Schulessen zur Verfügung stellt. Die jüngste nationale Studie zur Einkommensdynamik in Südafrika aus dem Jahr 2021 ergab, dass sich viele

Menschen kein Essen leisten können. Etwa 2,3 Millionen Haushalte meldeten chronischen Hunger bei ihren Kindern, und 40 Prozent der südafrikanischen Be völkerung leiden an Mangelernährung. „Man kann nicht lernen, wenn man Hun ger hat“, sagt Khumalo.

Am 18. April 2014 war sie im Basis lager, als der Khumbu-Eisbruch kollabier te und 16 Sherpas unter sich begrub. Das bedeutete das Ende für die Expedition, dennoch hatte Khumalo genügend Geld aufgestellt, um 60.000 Schulmahlzeiten über den Lunchbox Fund sicherzustellen.

Im nächsten Jahr kehrte sie zum Eve rest zurück, diesmal, um für das Nelson Mandela School Library Project zu sam meln, das über 200.000 Kinder beliefert. Am 25. April 2015 wurde Nepal von ei nem Erdbeben der Stärke 7,8 erschüttert. 22 Menschen starben durch Lawinen auf dem Everest. Wieder hatte sie den Gipfel nicht erreicht – aber eine Summe akqui riert, die ausreichte, um ihre erste Biblio thek zu bauen. „Saray war ganz bei der

ÜBERLEBENSKÜNSTLERIN

Khumalo (links) mit einem Sherpa am Rückzug vom Everest nach dem Unglück von 2015

Khumalo am Fuß der Drachenberge. Noch ist das Grün dicht und üppig – noch.

Sache“, sagt Robert Coutts, Geschäfts führer des Mandela-Projekts. „Sie hat es versprochen und niemals aufgegeben.“

In Südafrika leben rund 48 Millionen Schwarze und vier Millionen Weiße. Nur 14 Prozent der schwarzen Schülerinnen und Schüler schließen die Highschool ab, gegenüber 65 Prozent der weißen. Fast 80 Prozent der Schulen in Südafrika verfügen über keine Bibliothek, und mehr als 14 Prozent der Schwarzen können weder lesen noch schreiben –das sind 45-mal so viele wie in der wei ßen Bevölkerung.

Hagel, Sonne, Trockenfeisch

Zurück auf die Drachenberge. Wir gehen schon den ganzen Tag im kalten, peit schenden Regen einen schlammigen Pfad hinunter. Das Team ist nicht weni ger missmutig als morgens um fünf, als wir losgewandert sind. Nachdem wir unser Lager aufgeschlagen haben, koche ich Wasser, während die Träger Kartoffel püree zubereiten. Niemand will im Regen stehen und plaudern – wir sind sowieso bis auf die Knochen durchnässt –, also ziehen wir uns in unsere Zelte zurück und beten für Sonnenstrahlen. Tatsäch

Bergsteigen
Sie tritt vor und mustert die Runde.
„Mut bedeutet, nicht aufzugeben.“
DIE ERSTEN METER
70 THE RED BULLETIN COURTESY OF SARAY KHUMALO

lich kommt am nächsten Morgen die Sonne zum Vorschein. Prompt sieht man die Wandernden lächeln, plötzlich sind alle gesprächig. Einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist anzusehen, wie sie behutsam ihre Meinung über das Berg steigen ändern.

Vilane versammelt uns im Kreis, um über die Bedeutung eines Wortes zu spre chen: grit – Mut, Durchhaltevermögen, Charakterfestigkeit. Wir alle werden ge beten, zu sagen, was wir darunter verstehen. Als die Reihe an Khumalo ist, tritt sie vor, mustert die Runde und sagt nur: „Nicht aufgeben.“

Wie aufs Stichwort ziehen sich dicke Wolken am Horizont zusammen, und es beginnt leicht zu regnen. Nach den letzten Erfahrungen sind alle frustriert, aber immerhin wird es nicht schlimmer. Zur Mittagspause sind uns wieder ein paar vereinzelte Sonnenstrahlen ver gönnt. Sabelo Myeza, ein Techniker und der Einzige, dem stets ein Lächeln auf den Lippen sitzt, schneidet Scheiben von Biltong (Trockenfeisch) für alle ab. Wir planen, den Thabana Ntlenyana zu überqueren, mit 3482 Metern die höchs te Spitze im ganzen südlichen Afrika.

Myeza reißt zumindest die verbale Verantwortung an sich und dröhnt: „Wir packen den Stier bei den Hörnern!“ Am Gipfel angekommen, jauchzt er vor Freude, obwohl uns die Hagelkörner ins Gesicht prasseln. Mir wird bewusst, dass Khumalo es wieder geschafft hat: Einer wie Myeza ist bekehrt. Er wird wieder herkommen – und wieder zahlen.

Die entscheidende Nacht

Den knirschenden Schnee unter den Füßen, bringe ich mich auf den neuesten Stand, was Khumalo und ihre Everest Geschichte betrifft. Ungerührt von den Niederlagen 2014 und 2015 kehrte Khumalo 2017 erneut zu ihm zurück. Diesmal wollte sie Geld für drei Biblio theksneubauten des Mandela Projekts

aufstellen. „Ich klettere nicht für mich“, sagt sie, „ich klettere für jedes einzelne schwarze Kind in Südafrika.“ Damals schaffte sie es fast bis zum Südgipfel, als starke Winde sie zur Umkehr zwangen. Irgendwo unterhalb des sogenannten Balkons, auf etwa 8.200 Metern, brach sie zusammen und verlor das Bewusst sein. Ihr Sherpa alarmierte ein paar andere, und gemeinsam gelang es ihnen, Khumalo in ein Zelt zu legen. Auf sich gestellt, musste sie die Nacht ohne Schlaf sack auf gefrorenem Schnee verbringen. Am nächsten Morgen fand sie ein Sherpa namens Lakpa im Zelt. Als er sie berührte, bewegte sie sich. „Oh, du lebst ja!“, rief Lakpa überrascht. „Na sicher lebe ich“, antwortete Khumalo.

Mithilfe einiger Sherpas schaffte sie es bis ins Lager, allerdings mit schweren Erfrierungen an den Fingern, weil sie ihre Fäustlinge verloren hatte. Mittel und Ringfnger ihrer rechten und die Mittelfngerspitze der linken Hand muss ten in einem Krankenhaus in Katmandu amputiert werden. „Seitdem war das etwas Persönliches zwischen dem Everest und mir“, sagt Khumalo. „Wir waren noch nicht fertig miteinander.“ Immer hin: Das Geld für die drei Bibliotheken hatte sie beisammen.

Nach drei gescheiterten Versuchen war Khumalo besser vorbereitet, sowohl körperlich als auch geistig. Sie hatte ihre Lektion gelernt und kannte die notwendige Strategie für den Erfolg auf einem heillos überlaufenen Berg. „Wir sind im mer vor den Massen aufgestanden und losgegangen. Am 16. Mai haben wir den Gipfel ab dem Lager IV binnen elf Stun den erreicht“, erinnert sie sich. Beim Ab stieg gefror ihre Sauerstoffmaske, und sie litt unter akutem Sauerstoffmangel, schaffte es aber gesund bis nach unten.

Der Everest war für Saray Khumalo nur der Anfang. Jetzt ist sie fest ent schlossen, die erste schwarze Afrikanerin zu werden, die alle Seven Summits er obert. Everest, Aconcagua, Kibo, Denali und Elbrus hat sie schon, Vinson und Carstensz fehlen noch. Und sie will die erste schwarze Frau Afrikas werden, die den Adventurer’s Grand Slam absol viert: die Seven Summits, dazu noch Nord und Südpol. Den Südpol hat sie im Dezember 2019 erreicht, der Nordpol steht für April 2023 in ihrem Kalender. Dann macht ihr Beispiel wieder Schule. Zumindest ein bisschen. Zumindest für die Kinder Südafrikas.

Instagram: @saraykhumalo

Als ihr ein paar Finger gefroren, nahm sie die Sache wirklich persönlich.
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must-haves

1 PULSIEREND ECHT

Die neue EQB-2000 von Casio spiegelt den Geist des Motorsports wider. So bilden das Edelstahlgehäuse, das Band mit IP-Beschichtung sowie das kratzfeste Saphirglas einen Chrono grafen mit der Optik eines Rennwa gens. Technische Features wie Blue tooth ® Smart, Solarbetrieb, Weltzeitfunktion und Stoppfunktion überzeu gen auf der Rennstrecke genauso wie im Alltag. casio.com

2 FREERIDING NEU DEFINIERT

Die neue Dispatch-Linie von K2 wurde konzipiert, um die Lücke zwischen Freeride- und Tourenski zu schließen. Das Resultat sind drei extrem stabile Modelle, die sich in ihrer Breite unter scheiden. Dadurch gibt es für jeden den passenden Ski – je nachdem, wo rauf man seinen Fokus legen möchte. PS: Auch die schwedische Bergsteige rin Anette Andersson schwört auf die neue Linie – also, worauf wartest du? k2snow.com

3 EIN FELL FÜR ALLE FÄLLE

Das hybrid mix Skifell von contour ist vielfach ausgezeichnet. Die Mischung aus Mohair und Synthetik begeistert mit exzellenten Gleiteigenschaften und maximaler Lebensdauer. Durch die Hybrid-Klebertechnologie ist das Handling kinderleicht. Zudem erfolgt das Zuschneiden auf die Skibreite mit dem mitgelieferten Cutter im Hand umdrehen. Der Tailclip sitzt auch auf runden Ski-Enden perfekt. contourskins.com

4 GIPFELSTÜRMISCH KOMISCH

Ob er sich in seinen Trekkingstöcken verheddert, auf einem Bankerl plötz lich Höhenkoller kriegt oder in Schneeschuhen feststeckt und sich ausschaufeln lassen muss: Wenn Autor Harald Nachförg von seinen Bergerlebnissen und den Wehweh chen eines leidenschaftlichen Wan derers berichtet, bleibt kein Auge trocken. Zum Brüllen komisch und ein großes Lesevergnügen. beneventopublishing.com

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FLO IM FLOW

Unser Autor Florian Obkircher segelt auf einer Ocean Race Yacht Richtung Rhode Island.

Tipps für ein Leben abseits des Alltäglichen

GUIDE
73 THIERRY MARTINEZ/11TH HOUR RACING

Der eine Teil der Crew kurbelt wie verrückt die Winschen. Der ande re späht aus den Kabinenfenstern und justiert die Länge der Leinen. Es ist heiß, es ist laut, alles schwankt. Skipper Charlie Enright überbrüllt das Getöse mit Befehlen. Als ich frage, wie ich helfen kann, fährt er mich an: „Indem du ruhig hier sitzen bleibst.“ Irgendwie hatte ich mir meine Jungfernfahrt an Bord der IMOCA anders vorgestellt.

Als wir vom Hafen von Newport an der Ostküste der USA ablegen, ist der Himmel tiefblau, nur eine milde Brise weht. Unser Ziel ist die Narragansett Bay, die Seeverbindung zwischen Rhode Island und dem Atlantischen Ozean. Ich begleite die Testfahrt einer Sport Yacht, in die ein Team von Top Designern in Frankreich zwei Jahre Entwicklungszeit gesteckt hat. Ihr Ziel? Der Sieg beim Ocean Race, einer Wettfahrt über sechs Monate und 32.000 Seemeilen (etwa 60.000 Kilometer) rund um die Welt.

Fünf Stunden davor hatte ich noch mit Enright im historischen Viertel von New port Kaffee getrunken. Der 38 Jährige aus Rhode Island ist der Skipper des 11th Hour Racing Teams, ein athletischer Typ mit Stoppelbart, gewinnendem Lä cheln und zwei Ocean Race Teilnahmen in der Tasche. „Das Ocean Race ist die Königsklasse des Offshore Segelns“, sagt er. „Es gibt keine andere Regatta, die dich mental so stark fordert. Hier muss jeder ans Limit gehen.“ Seit dem Debüt im Jahr 1973 findet das Rennen alle drei bis vier Jahre statt, am Start stehen die besten Segler der Welt. Die Route? Von Südost spanien geht es durch alle Ozeane mit Ausnahme des Arktischen. Unterwegs sind Stopps in sechs Städten vorgesehen, ehe das Rennen in Genua, Italien, endet. Als härteste Etappe gilt die zwischen Kapstadt in Südafrika und Itajaí im Süden

Brasiliens – eine Monsterpassage, die länger als einen Monat dauert. Oder, um es mit Enrights Worten zu formulieren: „Die wildeste Fahrt, die man auf diesem Planeten machen kann.“

Pleiten, Glück und Pannen

Details gefällig? „Wellen, die höher sind, als dein Boot lang ist. Oder Schnee an Deck. Ich erinnere mich noch gut, als wir beim letzten Rennen ‚dreimal 30‘ gemes sen haben: Wir fuhren mit 30 Knoten (55 km/h) bei 30 Knoten Windstärke und einer Temperatur von 30 °F (–1 °C; Anm.) –so etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt.“

Die Reise hielt aber auch noch weitere Unannehmlichkeiten bereit: Geschlafen wird in Vier Stunden Schichten, Lagerkoller und Pannen jeglicher Art sind Fix bestandteil der Wachphasen. Im letzten

Es ist heiß, es ist laut, alles schwankt –erst im Ziel verstehe ich, warum man so was freiwillig macht.“
GUIDE
Aus Reiseautor Florian Obkirchers Logbuch
Reisen
74 THE RED BULLETIN
Skipper Charlie Enrights Kontrollblick

Segeln mit Mission

Ein Schiffsteam, das lokale Lösungen für globale Probleme sucht

REGIONAL UND RECYCELT

Neben seiner Teilnahme am Ocean Race engagiert sich das 11th Hour Racing Team auch für die Umwelt. Seine IMOCA besteht aus erneuer und recycelbaren Materialien, von denen die meisten in einem Umkreis von 50 Kilometern rund um die Werft hergestellt wurden. Im Vergleich zur Stan dardversion konnte der CO² Fußabdruck damit um ein Drittel reduziert werden.

KRAFT DER SONNE

Die Solarzellen am Dach des Cockpits versorgen tagsüber sämtliche elektrischen Geräte, und zur Vermeidung von Plastik müll gewinnt die Crew ihr Trinkwasser aus entsalztem Meerwasser.

NEXT GENERATION

Das Engagement für saubere Meere erstreckt sich nicht nur auf den Profi sport: Das Team finanziert auch Projekte für innovative Meerestechnik, liefert Software für Bootshersteller und fördert Bildungsinitiativen, die Kindern Segeln und Meereskunde näherbringen. 11thhourracing.org

Anreise

Wie du nach Newport, Rhode Island, kommst.

Mit dem Flugzeug: Am besten ist es, die Hauptstadt von Rhode Island, Providence, anzufliegen. Von Frankfurt beträgt die Flugzeit mit einem Stopp in New York 14 Stunden. Newport passt aber auch gut in eine Miet wagenreise durch die Neuenglandstaaten. Von Boston braucht man ungefähr 1 ½ Stunden, von New York etwas mehr als 3 Stunden Fahrtzeit. Infos: discovernewport.org

Die IMOCA nimmt Kurs auf die Narragansett Bay – milde Brise, grau schattierter Himmel. Navigator Simon Fisher und Autor Flo Obkircher (re.) ringen mit dem Grinder.
THE RED BULLETIN 75 AMORY ROSS/11TH HOUR RACING GETTY IMAGES
USA Newport Washington, D. C.

Rennen musste das Team zum Beispiel den Telefonmasten einer Insel zum Bootsmasten umfunktionieren – der echte war in einem Sturm gebrochen.

Flauer Magen, volle Freude

Von weitem sieht die IMOCA im Hafen von Newport aus wie eine typische SportYacht: ein aerodynamisches Einrumpf boot, Länge etwa 18 ½ Meter (tatsächlich handelt es sich um ein 60-Fuß-Boot). Doch auf den zweiten Blick stechen zwei Unterschiede ins Auge. Erstens: kein offenes Deck, sondern ein geschütztes Cockpit auf der Rückseite. Zweitens: Flügel. Der Ausdruck bringt James „Irish“ O’Mahony, den Bootskapitän, zum Lachen. „Diese Trag flächen funktionieren wirklich ein wenig wie Flugzeugflügel“, erklärt er. „Der Fahrtwind bewegt sich vorn schneller als hinten und erzeugt in der Mitte Auftrieb.“ So kann das Boot mit bis zu 40 Knoten (74 km/h) über die Wellen fliegen. Ein Höllentempo – bisher beim Ocean Race undenkbar. „Auf einer IMOCA fühlst du dich ein bisschen wie im

Auf festem Boden

Tipps für den Landgang in Newport

SELBER STEUERN

Steuere und konstruiere Boote anhand interaktiver Exponate im Sailing Museum in der Innenstadt von Newport. Hier be finden sich auch die Halls of Fame von National Sailing und America’s Cup.

DER WEG DES RUMS

Reise zurück in die Geschichte an Bord einer America’s-Cup-Legende wie der zwei mal siegreichen „Intrepid“ oder der „Rum Runner II“, die während der Prohibition als Schmuggler-Yacht eingesetzt wurde.

DIE NEUEN MODELLE

Bestaune im Safe Harbor Newport Ship yard Hunderte von Segel- und Motor booten, die gerade gewartet werden oder kurz vor der Fertigstellung stehen.

BAR MIT BÄR

Häng im Yacht- & Athletic Club (IYAC) mit echten Seebären ab oder triff die Bootsbauer nach ihrer Arbeit im Fastnet Pub am Broadway.

Schleudergang deiner Waschmaschine“, grinst Irish, „aber damit kommst du schon klar, du hast bestimmt die Tablet ten gegen Seekrankheit eingeworfen.“

Ähm, welche Tabletten? – Doch ich habe Glück: Die See bleibt heute ruhig. Als mir Team-Navigator Simon „SiFi“ Fisher erklären will, wie man die Foils –die Tragflügel unter Wasser – kontrolliert, unterbricht Enright: „Du übernimmst jetzt den heißen Stuhl.“ Ich stecke den Kopf aus dem Cockpit, der Wind peitscht mir mit voller Wucht ins Gesicht. Das sollen nur 15 Knoten (28 km/h) sein?

Das Sieben-Tonnen-Biest lässt sich überraschend smooth steuern. Jede kleine Bewegung bewirkt eine winzige Kursänderung. Das Gefühl ist majestä tisch – als ich auf den Hafen zusteuere, die eindrucksvolle Newport Bridge im Rücken, bin ich so weit: Ich verstehe gut, warum man freiwillig ein halbes Jahr in dieser Waschmaschine zubringen will.

The Ocean Race findet von 15. Januar bis 1. Juli statt. Die 14. Austragung des Rennens kannst du hier verfolgen: theoceanrace.com

GUIDE Reisen
Dank flügelartiger Tragflächen erreicht die IMOCA bis zu 40 Knoten (ca. 74 km/h).
Auf einer IMOCA fühlst du dich wie im Schleudergang deiner Waschmaschine.“
76 THE RED BULLETIN AMORY ROSS/11TH HOUR
James O’Mahony, Bootskapitän RACING, MARTIN KERUZORE FLORIAN OBKIRCHER

Give wings to your career

„Meine größte Stärke ist meine Intuition.“

Finde auch du heraus, worin deine wahren Stärken liegen und lerne diese mit gezieltem Coaching auszubauen.

redbull.com/wingfnder

Biohacking

Atme dich schlank

Profi-Biohacker Andreas Breitfeld verrät uns jeden Monat einen Trick, der dein Leben verbessert. Dieses Mal: So wirst du mit der richtigen Atmung ein paar überschüssige Kilo los.

Übung für den Alltag: sich hinlegen, Hände auf den Bauch legen, atmen. Ziel ist es, durch den Druck der Hände die Atembewegung zu reduzieren.

Beim Einatmen den Bauch sanft nach außen wölben

Beim Ausatmen den Bauch einziehen und mit den Händen leicht Druck ausüben

Leicht und tief durch die Nase einatmen

Langsam durch die Nase ausatmen

Wenn dir nach den Feiertagen der Blick auf die Waage den Atem verschlägt, ist das einmal ein guter Beginn. Tatsächlich! Denn weniger zu atmen und regelmäßig den Atem an zuhalten ist erstaunlich hilfreich bei der Fett verbrennung. Genauso wie durch die Nase statt durch den Mund zu atmen, wonach wir Biohacker grundsätzlich immer trachten (ausgenommen beim Sprechen oder Singen – weil’s da einfach nicht anders geht).

Die Mini - Entsäuerung

Die dahinterliegenden Regelkreisläufe sind reichlich komplex, lassen sich aber im Wesentlichen auf drei Bereiche redu zieren. Erstens: Cortisol – das Stresshormon ist leider eine Abnehm Bremse. Durch flache, leichte Atmung und regel mäßiges Luftanhalten entspannst du dein System, senkst den Cortisolspiegel und pushst die Fettverbrennung. Zwei tens erhöht das Anhalten des Atems den pH Wert des Bluts kurzfristig leicht

in die basische Richtung. (Wirklich leicht, denn unser Körper puffert den pH Wert des Blutes sehr schnell und wirkungs voll.) Diese Mini Entsäuerung unterstützt den Stoff wechsel. Drittens verbraucht dein Körper durch den Sauerstoffmangel beim Luftanhalten mehr Energie.

Atemlos durch den Tag

Training 1: Nimm dir drei bis viermal täg lich zehn Minuten Zeit für eine einfache Atemübung im Liegen (siehe oben). Ziel ist, so wenig und so leicht wie möglich zu atmen – man sollte gar nicht sehen, dass du atmest. Dabei entsteht das, was man „Lufthunger“ nennt. Ich muss den Begriff nicht erklären, du wirst ihn verstehen. Training 2: Lufthunger Drill. Damit ver besserst du die Fähigkeit deines Körpers,

CO² im System zu tolerieren. Lässt sich gut beim Spazierengehen üben: Tempo beibehalten, aber 10 Schritte nicht atmen, dann 15 Schritte, dann einmal vielleicht 20 oder 30 Schritte. Experten schaffen atemlos 60 bis 80 Schritte.

ANDREAS BREITFELD, 49, ist Deutschlands bekanntester Biohacker. Er forscht in seinem speziellen Lab in München.

BIOHACKING umfasst, vereinfacht gesagt, alles, was Menschen eigenverantwortlich tun können, um Gesundheit, Lebensqualität und Langlebigkeit zu verbessern.

DIE BIOHACKING-PRAXIS

Der Performance-Lifestyle-Podcast für alle, die mehr über Biohacking (und sich selbst) erfahren wollen. QR-Code scannen und reinhören.

78 THE RED BULLETIN GUIDE
LUFT DIÄT
PRIVAT ANDREAS BREITFELD SASCHA BIERL

SESSIONS

Die Gäste im Podcast

Henni Kalinowski diskutiert im Podcast mit kreativen Köpfen über das Gründen, Innovationen und die hohe Kunst des Scheiterns. Jetzt überall,

Johannes Kliesch CEO, Snocks Robert Radloff Head of Strategy & Change, Airbus René Wegner CEO, Headis Feline Heck Content Managerin, Podstars Max Schwarz Co-Founder, Ruuky Sophie Bolzer CEO, Audvice wo’s Podcasts gibt.

NORQAIN BORN TO BE WILD

Unverwüstlich, dabei 6 mal leichter als Stahl und 3,5 mal leichter als Titan: NORQAIN ruft die Uhrenrevolution aus.

Zwei Jahre nervenzerfetzende Entwicklungszeit kostete NORTEQ, das innovative Material der Serie „Wild ONE“, der jungen Schweizer Uhrenmarke NORQAIN. Superleicht, superrobust, speziell für den Out door-Einsatz unter verschärften Bedingungen kreiert. Die Belohnung: „NORQAIN hat damit einen völlig neuen Standard in der Industrie geschaffen“, vermeldet Uhren legende Jean-Claude Biver. Angetrieben wird der zertifizierte Chronometer vom hauseigenen Manufakturkaliber NN20/1 mit 70 Stunden Gangreserve. Preis: 5.190 Euro für die Hakuna Mipaka Edition. Weitere Infos: norqain.com

EIN HERZ FÜR LÖWEN

Oberes Bild: Ein Teil des Erlöses aus der Hakuna Mipaka Edition geht an Dean Schneiders Tierrefugium in Südafrika. Unten: das super robuste Wunderwerk.

TIERFREUNDLICH

Dean Schneider sorgt dafür, dass keinerlei tierische Produkte (z. B. Lederarmbänder) verwendet werden.

100 % SCHWEIZ Stichwort Unabhängigkeit: Bei der Endfertigung verlässt man sich ausschließ lich auf Schweizer Lieferanten.

GUIDE Uhren
80 THE RED BULLETIN WOLFGANG WIESER

GUIDE Playlist

TEXAS

Magie der Harmonie

Hier präsentiert Sharleen Spiteri, die Sängerin der Band Texas, jene vier Songs, die ihr Leben und ihre Musik nachhaltig prägten.

Sharleen Spiteri weiß ganz genau, wie man große Platten macht. Die schottische Singer-Songwriterin, die in den 1980er-Jahren als Sängerin von Texas auf der Bildfläche erschien, hat eine ganze Diskografie voll davon. Die Single „Say What You Want“ aus dem Jahr 1997 begründete den Erfolg ihres von der Kritik gefeierten vierten Albums „White on Blonde“. Weitere Hits folgten – wie auch ein GreatestHits-Album mit ihrer Glasgower Band Texas, das sich mehr als zwei Millio nen Mal verkauft hat. Spiteri ist für ihre akribische Liebe zum Detail be kannt. „Wenn ich über Musik spreche, kann ich richtig nerdy werden“, sagt sie. „Als Kind habe ich mich stunden lang im Schlafzimmer eingeschlossen und Platten gehört, die Lieder richtig gehend seziert.“ Dabei fand Sharleen ihre vier All-Time-Lieblingssongs. Und die perfekten Harmonien.

Der QR-Code führt zur PodcastPlaylist mit Sharleen Spiteri auf Spotify. texas.uk.com

THE BEATLES HELP (1965)

„Was wirklich ungewöhnlich ist: die Tatsache, dass die Gegenmelodie noch vor dem Leadgesang einsetzt. Außerdem gibt es da ein ganz spezi elles, unerklärliches Detail, das nur Bands aus Liverpool beherrschen. Es ist nicht der Akzent, nicht die Diktion, sondern die Art und Weise, wie sie ihre Harmonien setzen – das gibt es nur an der Merseyside, das ist kaum zu imitieren.“

YOU’RE ALL I NEED TO GET BY (1968)

„Marvin und Tammi sind für mich die ultimative Combo. Der Klang ihrer Stimmen zusammen ist die reinste Wonne. Die Harmonien der beiden haben eine Wärme und einen hypno tischen Klang, den kaum wer hin bekommt. Man könnte die größten Stars der Welt zu einem Duett ver pflichten, aber wenn ihre Stimmen nicht harmonieren, ist es sinnlos.“

BOB MARLEY STIR IT UP (1973)

„Wenn du wirklich etwas über Har monien lernen willst, würde ich hier beginnen. Die Klarheit des Gesangs ist einfach phänomenal und die Produktion total am Punkt. Es gibt eine wirklich gute, absolut klare Auf nahme aus der legendären BBCUnterhaltungssendung ‚The Old Grey Whistle Test‘, die Bob mit Peter Tosh und Bunny Wailer als Background sängern gemacht hat. Fantastisch!“

THE RONETTES BREAKIN’ UP (1964)

„The Ronettes haben ein punkiges Element, das ich immer geliebt habe. Es ist zwar nicht alles sauber und schön, aber es gibt eine Rauheit und eine Art Stampfen in der Musik, was mir immer gefallen hat. Die von Phil Spector geschaffene Produktion ist wirklich außergewöhnlich, und wenn du eine Meisterklasse in Sachen ‚Aaaahs‘ haben willst, hör dir den Mittelteil genauer an.“

THE RED BULLETIN 81
MARVIN GAYE UND TAMMI TERRELL
JULIAN BROAD WILL LAVIN

Lesestoff

SKANDINAVISCHER KRIMI

Dirty Harry

Wer in einer Buch handlung an den Krimi-Regalen entlangschlen dert oder sich durch deren Online-Äquivalent klickt, dem wird es vermutlich auf fallen: Das A und O der zeitgenössischen Kriminalliteratur ist ein Å und ein Ø. Erklärungen für diese fast schon beängsti gende Genre-Dominanz skan dinavischer Autoren gibt es viele – wobei die meisten aus dem Reich der MilchmädchenArithmetik stammen. Das kalte Klima eigne sich vorzüg

lich für eiskalte Verbrechen, die langen Nächte im hohen Norden erwecken die dunk len Seiten der Menschen Andere Kritiker verweisen auf die verzopfte europäische Krimikonkurrenz, die sich mit Plots der Marke „Rübenbauer wird nach Feuerwehrfest mit Mistgabel im Rücken gefunden, worauf ein schrul liger Dorfpolizist auf seinem Klapprad ausrückt“ zuneh mend zu Tode regionalisiert. Da mag durchaus was dran sein. Um dem Phänomen des „Nordic Noir“ auf die Spur zu

kommen, empfiehlt sich den noch ein Blick in die jüngere Literaturgeschichte.

Bereits Mitte der 1960erJahre kalibrierte das schwedi sche Autorenduo Maj Sjöwall und Per Wahlöö das KrimiGenre auf eine Art, die heute als richtungsweisend gilt. In ihrer erfolgreichen Serie rund um den Ermittler Martin Beck nahmen die beiden sozialpoli tische Themen hart ins Visier und schraubten so den Krimi nalroman auf ein Niveau, das eine neue Leserschaft anlock te. Sjöwall und Wahlöö liefer ten die Rezeptur, aus der Hen ning Mankell, Stieg Larsson, Liza Marklund, Håkan Nesser oder Arne Dahl Jahre später die Trademark „Schweden krimi“ destillierten, die bis heute weltweit die Kassen klingeln lässt. Ironischerweise

82 THE RED BULLETIN GUIDE
Der Meister des „Nordic Noir“: Mit Harry Hole hat der norwegische Bestsellerautor Jo Nesbø einen Garanten für erstklassige Krimi-Literatur geschaffen.
VINZ SCHWARZBAUER

„ Rotkehlchen“, Kapitel 1, erster Absatz

Immer wieder flatterte ein grauer Vogel durch Harrys Blickfeld. Er trommelte auf das Lenkrad. Langsame Zeit. Irgendjemand hatte gestern im Fernsehen über langsame Zeit gesprochen. Das hier war langsame Zeit. Wie am Heiligen Abend, bevor das Christkind kam, oder auf dem elektrischen Stuhl, ehe der Strom eingeschaltet wurde. Er trommelte noch härter.

BUCHTIPPS Kalt erwischt

Im Norden lässt’s sich gut morden: vier Krimi-Autoren aus Skandinavien, die international für Millionenauflagen sorgen.

sind aber zwei der bekanntesten Protagonisten dieses Booms gar keine Schweden. Zum einen der Däne Jussi Adler Olsen. Und zum anderen der aktuell wahrscheinlich beste Vertreter des „Nordic Noir“: der Norweger Jo Nesbø.

Als Sohn einer Bibliotheka rin war dem 1960 in Oslo ge borenen Nesbø die Literatur, wie man so schön sagt, in die Wiege gelegt. Die Wiege war ihm aber herzlich wurscht. Der kleine Jo wollte nämlich ein großer Fußballprofi wer den, sein Kreuzband riss ihn aber schon bald aus diesen Träumen. Nach einer Ausbildung zum Diplomkaufmann gründete Nesbø 1992 die Popband Di Derre („Die dort“), die in Norwegen zwar durch aus erfolgreich ist, international aber unterm Radar blieb. Und so besann sich Jo Nesbø doch noch seiner Wiege. Es war eine gute Ent scheidung.

Gleich sein erster Roman, „Der Fledermausmann“ (1997), wurde mit dem River ton Preis und dem Skandinavischen Krimipreis ausgezeichnet. Das war die Geburtsstunde von Haupt kommissar Harry Hole, der zu den charismatischsten Grenz gängern der Krimi Literatur überhaupt zählt. Ø Ton Nesbø: „Ich erinnere mich daran, wie ich darüber nachdachte, ob ich aus Harry einen dieser Helden machen sollte, die ein wenig anders sind – schwul, Priester, behindert, was auch immer. Oder mich an Stereo typen des Hardboiled halte,

einen mit Problemen belasteten Einzelgänger. Ich ent schied mich absichtlich für das Letztere.“ Auch das war eine gute Entscheidung.

Einerseits ist Harry Hole eine tickende Zeitbombe, die immer wieder von einem Dämon namens Jim Beam heimgesucht wird, anderer seits ist er ein genialer Ermitt ler, für dessen kriminalisti sche Empathie sich selbst Hercule Poirot den Schnurr bart beidhändig ausreißen würde. Aber das Schönste an dieser ambivalenten Figur: Harry ist ein zynischer Analytiker und gleichzeitig ein romantischer Narr.

So richtig auf Betriebstemperatur kam Jo Nesbø mit seinem dritten Harry Hole Roman „Rotkehlchen“ (2000), dem bis heute zehn Bände folgten – und jeder einzelne davon ist eine echte Genre Delikatesse. Hart, dunkel und sauspannend.

HENNING MANKELL

Ohne Kriminalkommissar

Kurt Wallander gäbe es die Marke „Schwedenkrimi“ ver mutlich nicht. Mankells Stil ist knapp, aber nicht simpel, die Charakterzeichnungen hoch präzise, und die Plots wurzeln tief im sozialen Kontext. Das Tempo ist aber eher beschau lich. Mit einer Auflage von über 30 Millionen Exemplaren ist die Serie auch sieben Jahre nach Mankells Tod die klare Nummer 1. „Mörder ohne Gesicht“ (dtv)

HÅKAN NESSER

Nachdem er sich mit der VanVeeteren-Reihe in die Topliga des Genres geschrieben hatte, schickte Håkan Nesser in seiner zweiten Erfolgsserie einen Kriminalinspektor ins Rennen, der die kühle Ana lytik des Nordens gekonnt mit südlichem Temperament würzt: den Italo-Schweden Gunnar Barbarotti. Stilistisch zieht Nesser, ähnlich wie Mankell, die Psycho-Feile dem Action-Hammer vor. „Mensch ohne Hund“ (btb)

JO NESBØ „Rotkehlchen“

Ein Fall für Harry Hole Deutsch von Günther Frauenlob (Ullstein)

JUSSI ADLER-OLSEN

Die größte Konkurrenz für die schwedische Krimi-Armada kommt aus Dänemark – wo bei Adler-Olsen mit seiner Bestsellerserie rund um den Sonderdezernatsleiter Carl Mørck (ca. 23 Millionen ver kaufte Exemplare) das Kunst stück gelingt, das Spannungs getriebe zwar deutlich härter krachen zu lassen, zwischen Blut und Beuschel aber auch immer wieder Raum für seinen Humor zu öffnen. „Erbarmen“ (dtv)

Wiewohl Arne Dahl, der auch an der Schnittstelle von Krimi und Thriller operiert, seine erste Erfolgsserie mit der „A-Gruppe“ für Sonderermitt lungen eher untypisch, weil sehr international angelegt hat, zählt er zu den Big Five des „Schwedenkrimis“. Für hochkarätige Spannung sorg te zuletzt seine Sam-Berger&-Molly-Blom-Reihe, in der es auch kollegial völlig un berechenbar knistert.

„Sieben minus eins“ (Piper)

THE RED BULLETIN 83
ARNE DAHL

KITZ INSIDE

Der Hahnenkampf

Das 83. Hahnenkamm-Rennen ist der Höhepunkt der Weltcup-Saison. Fakten, die Lust auf die Streif machen

Wann?

Berühmt, berüchtigt, gefürch tet – und geliebt: Von 16. bis 22. Januar 2023 pilgern wie der zehntausende Skifans an den legendären Kitzbüheler Hausberg, den Hahnenkamm. Dienstag bis Donnerstag ste hen Abfahrtstrainings auf der Streif an. Am Freitag folgt um 11.30 Uhr die Kitzbühel­Abfahrt, Samstag die Hahnenkamm Abfahrt und um 14 Uhr die KitzCharityTrophy, Sonn tag ist Slalom Tag. Jeder Tag ist auf seine Art Spannung pur.

Wieso?

Der Sieg auf der Streif gilt bei den Abfahrern als das höchste der Gefühle, wichtiger als ein

Bremsen?

Das ist nicht mein Ding.“

Mehrfachgewinner der Goldenen Gams, Dominik Paris, 33, verrät sein Motto für die Streif.

Sieg bei den Olympischen Spielen. Das Hochgefühl be ginnt bereits am Start der 3,3 Kilometer langen Abfahrtsstrecke, der Streif. Aus dem 1.665 Meter hoch gelege nen Starthaus geht es direkt in den Schuss. „Es gibt keinen Startraum, wo so eine Stille herrscht wie auf der Streif. Das ist eine ganz besondere Atmosphäre“, sagt der Chef des Organisationskomitees, Michael Huber.

Wo sind die Damen?

Wissen, mit dem du beim Small Talk in Kitzbühel glänzt: 62 Jahre schon findet am Hahnenkamm aus Sicher heitsgründen kein Damenrennen mehr statt. Die letzte Siegerin 1961 hieß Traudl Hecher. 153 km/h schnell war Michael Walchhofer 2006 im Zielschuss. Schneller war noch keiner. Last, but not least: 85 Prozent Gefälle machen die „Mausefalle“ zur steilsten Stelle der Streif.

Wer bremst mich?

Wer abseits der Piste Adrena lin ausschütten möchte, kann sich bei der Audi Driving Experience verausgaben. Motor sportfreunde probieren traditionell den Parcours unter fachkundiger Anleitung. Die Instruktoren geben Tipps zum richtigen Anfahren von Kurven und zu den Brems punkten im Winter.

Und wohin abends?

Traditionell gut: The Londoner, das Pub, in dem Rennfahrer früher schon einmal bis fünf Uhr früh schnapselten und trotzdem am nächsten Tag um acht im Starthäuschen stan den. Sich chic machen heißt es fürs Fine Dining im Zuma Kitzbühel, wo japanophile Fein schmecker eventuell noch ei nen Tisch um 18 Uhr ergattern.

Weitere Infos: redbull.com

STREIF:

ONE HELL OF A RIDE

Die packende Doku über das Abfahrtsrennen in Kitzbühel.

GUIDE Event- Special
Bis zu 85 Prozent Gefälle auf der Streif – gefällt auch dem Schweizer Marco Odermatt, hier bei seinem Lauf im Januar 2022.
84 THE RED BULLETIN STEFAN VOITL/RED BULL CONTENT POOL, GABRIELE SEGHIZZI/RED BULL CONTENT POOL

10bis 16. Dezember

RED BULL CAMPUS CLUTCH

Bei dem Taktik-Shooter „VALORANT“ spielen zwei Teams gegeneinander: Eines versucht, eine Bombe zu platzieren, das andere muss sie entschär fen. Gespielt wird fünf gegen fünf. In den vergan genen Monaten spielten Studierende aus 50 Län dern um die nationalen Meisterschaften. Jetzt kommt es in São Paulo zum Showdown: beim Red Bull Campus Clutch World Final. redbull.com/ campusclutch

bis 22. Januar WILLKOMMEN AM BOARD!

Die Laax Open sind das prestigeträchtigste Snowboard-Event Europas. 300 Snowboarder – und erstmals auch Freeskifahrer – messen sich hier in der Schweiz auf dem Crap Sogn Gion in den Disziplinen Halfpipe und Slopestyle. 2021 belegte Leon Vockensperger (Bild) sensationell den zweiten Platz. Diesmal soll der Sieg her. Live auf Red Bull TV: redbull.com/laaxopen23

Januar RED BULL DOODLE ART

Kritzelst du auch immer auf Notizzettel während eines Telefonats? Solche Zeichnungen nennt man Doodles. Red Bull Doodle Art sucht ab Januar das Beste dieser Art! Einfach den Teilnahmebogen run terladen, rumkritzeln und hochladen. Viel Erfolg! doodleart.redbull.com

und 26. Februar SUPERBIKES IN DOWN UNDER

Die Superbikes rollen wie der! Zum Auftakt der FIM Superbike World Champi onship 2023 geht’s nach Australien – und zwar auf den Phillip Island Circuit. Seit 1990 findet hier jedes Jahr ein Superbike-Rennen statt. Rekord! Dieses Jahr zum ersten Mal dabei: Remy Gardner. Wie sich der Moto2-Weltmeister von 2021 bei seinem Debüt schlägt: live zu sehen bei ServusTV und ServusTV On.

Februar

MIT DEM BIKE ÜBERS DACH

Schon mal in Valparaíso gewesen? Die chilenische Hafenstadt ist UNESCO-Welterbe und: Schauplatz von Red Bull Valparaíso Cerro Abajo. Bei dem spektakulären MTB-Event jagen Downhill-Fahrer und -Fahrerinnen aus der ganzen Welt über Dächer, durch enge Gassen –und sogar durch die Häuser der Stadt. Das ganze Rennen: live auf Red Bull TV. redbull.com

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GUIDE Kalender
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18 THE RED BULLETIN 85 LUIS BARRA/RED BULL CONTENT POOL, NICHOLAS BRUNO/RED BULL CONTENT POOL, LAAX OPEN/RUGGLI, GETTY IMAGES

Gebt euch das!

Weihnachtsmann für Profis: Was schenkst du Menschen, die eigentlich schon alles haben? Deine Liebe –und dann noch dies oder das …

HÄTTE, HÄTTE … Keine Konjunktive beim Bike: Rahmen, Schaltung & Set-up sind auf Profi-Niveau.

GUIDE Geschenke
86 THE RED BULLETIN

Klare Sicht

SCOTT REACT GOGGLES

Brillengläser wechseln in wenigen Sekunden. So behält man bei allen Sichtverhältnissen den Durchblick. Möglich macht das ein leicht zu bedienendes Magnetsystem. Die Gläser der Skibrille lassen sich sogar mit Handschuhen wechseln – damit die Spaß-Pause so kurz wie möglich ist. Ab 249,95 Euro, scott-sports.com

HEIZKÖRPER

Diese beiden Handschuhe sind kleine Radiatoren.

CLICK & GO Intuitives und leichtes Wechseln der Brillengläser

Führt dich zum Schotter

YT SZEPTER

Was entsteht, wenn sich DownhillSpezialisten auf neues Terrain wagen? Ein außergewöhnliches Gravel-Bike, das nicht nur auf Schotter Spaß macht. Dafür sorgt die Kombination neuester SRAM XPLR Komponenten mit einem Ultra-Modulus Carbon-Rahmen und der RockShox Rudy XPLR Federgabel. Ab 3299 Euro, yt-industries.com

HÄNDE GUT, ALLES GUT

ZANIER BACKCOUNTRY HEAT.STX

Seit über 20 Jahren entwickelt ZANIER Heizhandschuhe und sorgt damit für unbeschwerte Outdoor Erlebnisse. Die Steuerungselektronik wärmt bis zu zehn Stunden auf drei Stufen. Der BACKCOUNTRY HEAT.STX ist der Trigger Handschuh der HEAT Serie und wurde speziell für Freerider entwickelt. 248 Euro, zanier.com

XMAS
THE RED BULLETIN 87

XMAS

DIE ZWEITE LUFT

SAFEBACK SBX

Mit einer innovativen Lawinenrettungs technologie hat das norwegische Unter nehmen Safeback einen ISPO Award 2022 gewonnen: Es ist das weltweit erste aktive Luftversorgungssystem, das Menschen ermöglicht, auch unter Schneemassen weiteratmen zu können –ohne Mundstück und bis zu 90 Minuten. Ab 600 Euro, safeback.no

Über den Wolken

ON CLOUDMONSTER

Die neueste Innovation aus dem Hause On: Der Laufschuh verfügt über eine besonders hohe Sohle, die den Fuß bei der Landung dämpft und kraftvolle Abstöße ermöglicht.

In Summe verhalfen diese Vorteile dem Laufschuh zu einem ISPO Award 2022. 169,95 Euro, on-running.com

XXX-DICK Den Namen hat der Schuh dank seiner ultradicken Sohle.

GUIDE
Geschenke
88 THE RED BULLETIN

DER HOLZWEG

Diese Latten sind zu 100 % recycelt. Auch Holzreste wurden verwertet.

ALLZWECKWAFFE

DEF PULLOVER UNISEX SCHWARZ

Schwarz, elegant, cozy. Dieser UnisexPullover ist das perfekte Geschenk für sie und ihn. Ein lässiges Sweatshirt im moder nen Look aus weichem Baumwollmix. Die lockere Passform macht ihn zu deinem Everyday-Sweater. Morgens in die Arbeit, abends ausgehen – umziehen ist nicht nötig. 44,99 Euro, def-shop.com

Schnee mit Gestern

Mit diesen Brettern aus recyceltem Material sicherte sich der finnische Hersteller einen ISPO Award 2022: Durch die Zusammenarbeit mit dem Textilhersteller Spinnova entstand ein völlig neues natürliches Fasermaterial, das die wenig nachhaltige Verwendung von Glas und Karbon fasern in der Skistruktur über flüssig macht. 1299 Euro, pusu.ski

QR-Code scannen und in die Welt von Illume eintauchen

Action - Potpourri

RED BULL ILLUME PHOTOBOOK 2021

Ein Geschenk für die Augen. Das Red Bull Illume Fotobuch ist eine Sammlung der besten Abenteuer und Actionbilder der Welt. Über zweihundert Fotos, die von der Red Bull Illume Jury aus insgesamt 41.447 Einsendungen ausgewählt wurden. Schnell zugreifen, denn es gibt nur 3000 Exemplare. 59,95 Euro, redbullillume.com

THE RED BULLETIN 89

Inspirationen und Denkanstöße für die Welt von morgen.

Entdecken Sie ein einzigartiges Magazin. Für Mode, Design und Stil. Für Kultur, Wirtschaft und Politik. Mit Geschichten, Reportagen und Analysen renommierter Autoren. Mit exklusiven Beiträgen kluger Denker. Mit Fotostrecken und Bildern wegweisender Künstler. Mit Eleganz und Leidenschaft.

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ALAN LOMAX

DER MANN , DER DEN ROCK ENTDECKTE

Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten inspirierender Figuren faktentreu, aber mit literarischer Freiheit.

Folge 19: Ein Ethnologe entdeckt die Wurzeln von Jazz, Rock und Folk.

Es muss Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts gewesen sein, da besuchte ich zusammen mit Freunden ein Konzert in Frankfurt am Main. Manitas de Plata und seine Familie spielten in der Alten Oper. Ich studierte seit einem Jahr in Marburg an der Lahn, keine fünfzig Kilometer nördlich, und hatte mir erst kurz davor eine Gitarre gekauft – zugegeben eine billige, aber immerhin hatte ich einen Sommer dafür gearbeitet – und seither bis zu sechs Stunden am Tag geübt. Nach dem Konzert war ich glücklich und hoff nungslos zugleich. Niemals, niemals, auch wenn ich in den nächsten dreißig Jahren jeden Tag acht Stunden übte, nie könnte ich so berückend schön spielen wie dieser Meister des Flamencos!

MICHAEL KÖHLMEIER

Der Vorarlberger Bestsellerautor gilt als bester Erzähler deutscher Zunge. Zuletzt erschienen: der Roman „Matou“, 960 Seiten, Hanser Verlag.

Einer dieser Freunde, er war schon um einiges älter als ich, selbst ein nicht unbekannter Gitarrist in Hessen, lud mich nach dem Konzert zu einer Party ein. Die fand in einer aufgelassenen Fabrikhalle statt, etwa fünfzig Menschen waren dort, eine Band spielte, aber jeder, der wollte, durfte sich auf die Bühne stellen und etwas vor tragen. In einer Ecke saß ein halbes Dutzend Männer und Frauen um eine riesige Kabelrolle, die zu einem Tisch umgestürzt worden war, darauf Bierfaschen und Erd nüsse. Es waren Amerikaner. Auch sie hatten das Kon zert besucht. Wir setzten uns dazu. Ein Mann bestimmte das Gespräch. Ich hielt ihm die Hand hin und nannte meinen Namen. Er war groß, korpulent, gut fünfzig Jahre alt, hatte einen mächtigen Kopf und einen Seemanns bart. Er stellte sich mir lachend vor: „ Alan Lomax.“

Ich wusste nicht, wer Alan Lomax war. Erst am nächs ten Morgen klärte mein Freund mich auf. Alan Lomax sei der bekannteste Musikethnologe der USA, wenn nicht der ganzen Welt. Er sammle Musik, ja, tatsächlich, Volksmusik, Folklore. Schon als Kind sei er zusammen

mit seinem Vater John Lomax durch die Ver einigten Staaten gefahren, hinten auf dem Pick up ein riesiges Aufnahmegerät. Im Süden hatten sie die Baumwollfelder besucht und die Hütten der Schwarzen und hatten Auf nahmen gemacht, oft misstrauisch beobachtet sowohl von den Weißen als auch von den Schwarzen. Nicht nur einmal seien sie be droht, in Mississippi sogar von Mitgliedern des Ku Klux Klans zusammengeschlagen worden. Sie hatten den Chorgesang auf den Feldern mit dem Mikrofon aufgenommen und den einsamen Gesang eines hundertjährigen ehemaligen Sklaven, der auf einem selbst gebauten Saiteninstrument von seiner ersten Liebe sang, die kaum von der Mutter gottes zu unterscheiden war. Sie hatten Musiker ent deckt und wiederentdeckt.

Zum Beispiel den legendären Robert Johnson, der vielleicht noch lebte, aber niemand wusste, wo und unter welchen Umständen, und von dem gerade einmal 29 Aufnahmen existierten und der angeblich mit dem Teufel einen Pakt abgeschlossen habe – und dann auch, wie man heute lesen kann, von demselben eines Nachts abgeholt wurde, im Alter von 27 Jahren. Eine andere Entdeckung war der Blues Sänger Leadbelly. Er saß wegen Raubes in Louisiana im Gefängnis und wurde auf Initiative von John Lomax begnadigt. Lomax hatte gute Beziehungen nach Washington, er hatte da mals begonnen, die Volksmusikabteilung in der Library of Congress aufzubauen, die später unter der Leitung seines Sohnes Alan zu einem auf der ganzen Welt einzigartigen Archiv ausgeweitet wurde. Auch Jazzmusiker wie Jelly Roll Morton machten John Lomax und sein Sohn wieder bekannt – auf dass die Menschheit erfahre, wo der Jazz erfunden worden sei.

BOULEVARD DER HELDEN
92 THE RED BULLETIN
MICHAEL KÖHLMEIER GINA MÜLLER, CLAUDIA MEITERT GETTY IMAGES, PICTUREDESK.COM (2), ADOBE STOCK (2)
THE RED BULLETIN 93

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1948 zog Alan allein los, tourte wieder durch den Süden der USA, aber besuchte auch die Clubs der Schwarzen in Detroit und Chicago und in Harlem, New York. Er plante eine groß angelegte Sammlung aller in den USA beheimateten folkloristischen Strömungen der Musik. Vor allem inter essierte ihn die gegenseitige Befruchtung der verschie denen Stile und ethnischen Herkünfte – genau das, was heute einige jakobinische Reinheitsfanatiker als „kultu relle Aneignung“ verdammen. In Louisiana traf er auf Cajun-Musiker, die ihre Lieder durchwegs in französischer Sprache vortrugen, obwohl sie in ihrem täglichen Um gang Englisch sprachen, die meisten des Französischen gar nicht mächtig waren, aber, wie sie dem Forscher erzählten, immer schon in dieser Sprache gesungen hätten, wie ihre Eltern und ihre Großeltern auch.

In Texas stellte er sein Aufnahmegerät mitten ins Publikum, als eine Tex-Mex-Band spielte, eine Mischung aus frühem Rock ’n’ Roll, Bierzeltmusik und mexikani scher Sentimentalität, die Texte im Gegensatz dazu Verherrlichungen von Bandenbossen. Ebenfalls in Texas erlebte er einen Abend mit Texas-Yodeling, Musik von deutschen und tschechischen Einwanderern, die ihre Musik mit irischer Folklore und Country-Music ver mischt, aber die alte Art zu jodeln, die ihre Vorfahren aus Europa mitgebracht hatten, weiter pfegten. Manche sangen auf Bairisch, manche auf Tschechisch, verstanden haben sie selbst wenig oder gar nichts – Namen wie Jimmie Rodgers und Ernest Tubb, Hank Snow. Aber auch „ African American roots of the American blue yodel“ habe der Forscher entdeckt und aufgenommen. Alan Lomax sei für die amerikanische Volksmusik, was die Brüder Grimm für die deutschen Märchen seien.

Der Freund, der mich zu der Party mitgenommen hatte, erzählte mir dies alles am nächsten Tag beim Frühstück. Es war in der Nacht spät geworden, zu spät, um nach Marburg zu fahren, und er hatte mich eingeladen, bei ihm zu übernachten. Der Einfuss dieses Mannes auf die populäre Musik könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagte er. Ohne Alan Lomax würde der Rock ’n’ Roll in der Form, wie wir ihn kennen, nicht existieren. Er habe immerhin McKinley Morganfeld ent deckt, der sich Muddy Waters nannte, und schließlich stamme der Name Rolling Stones von einem Song dieses Musikers – „Rollin’ Stone“ war einer seiner berühmtesten Lieder. Weiters gäbe es Bob Dylan nicht, jedenfalls nicht als den Singer-Songwriter, den wir lieben und verehren, denn wieder sei es Alan Lomax gewesen, der den schon

vergessenen Woody Guthrie aus der Versenkung geholt habe, der das einzige Vorbild des jungen Dylan gewesen sei. Zusammen mit Pete Seeger habe Alan Lomax das musikalische Material für die Anti-Vietnam-Bewegung der Sechzigerjahre bereitgestellt. Joan Baez, Joni Mit chell, aber auch der Schotte Donovan seien beeinfusst und animiert worden durch die Arbeit dieses Pioniers. Ich war sehr beeindruckt. Mehr als sehr beeindruckt. Das hatte ich alles nicht gewusst. Ich sage, zum Glück habe ich es nicht gewusst. Denn hätte ich, ich wäre vor diesem Mann so sehr gehemmt gewesen, dass ich mich nicht getraut hätte, den Mund aufzumachen. Ich war ein schüchterner Student, ich hatte mir an diesem Abend Mut angeraucht, nicht wegen Manitas de Plata, sondern wegen der vielen Menschen bei dem Konzert. Und weil ich schon einmal mutig war, hatte ich mich hinterher bei der Party in der Fabrikhalle getraut, diesen wuchtigen Amerikaner anzusprechen. Ich hatte den Eindruck, ich gefel ihm, vielleicht wegen meiner merk würdigen vorarlbergisch englischen Aussprache. Wir unterhielten uns, er war kein Tänzer, ich bin auch keiner, und während die anderen sich auf dem Betonboden vor der Band bewegten, brüllten wir uns gegenseitig gegen den Lärm eine Unterhaltung ins Ohr.

Er sei, sagte er, in Europa unterwegs auf der Suche nach verschiedenen Volksmusiken. In Deutschland, in Krefeld, habe er sich nach Heinrich Band er kundigt, dem Erfnder des Bandoneons. Besonders Inter essantes habe er in Portugal gefunden. Meistens sei die Volksmusik ja auf dem Land heimisch, auf dem Land werde noch musikalische Tradition gepfegt, die Eltern singen den Kindern vor und die dann den Enkeln. In der Stadt erfahren die Menschen die Musik nur noch aus dem Radio oder dem Fernsehen oder von den Platten spielern. Was er aber nicht gewusst habe: Auch in Europa gebe es wie in Amerika eine städtische Folklore. In Ame rika sei es der Blues von Chicago und Detroit – Namen wie John Lee Hooker, Lightnin’ Hopkins, Howlin’ Wolf, J. B. Lenoir und der großartige Willie Dixon, sie hätten ihre Musik in den Städten kreiert, zum Rhythmus der Maschinen, und ihre Musik sei in den Städten zu einer Art Volksmusik geworden. Ein Beispiel: Jeder in Chicago, ob schwarz oder weiß, kenne den Song „Hoochie Coochie Man“, kaum einer aber wisse, dass Text und Musik von einem gewissen Willie Dixon stammten. Er habe mit Willie darüber gesprochen, und der fnde das ganz wunderbar. Er habe zu Willie gesagt, wer Shakespeare war, wisse auch niemand. Da habe er gelacht und geantwortet, er wisse es auch nicht. In Europa habe er in Lissabon den Fado kennengelernt, der ja auch eine urbane Folklore sei. So hatte ich mich mit diesem großen Mann, von dem ich nichts wusste, schon gar nicht, wie groß er tatsäch lich war, unterhalten. Ich dachte eben, der ist ein For scher, ein bisschen ein Spinner, das sind solche Forscher ja alle. Dass ich ihm meine beiden absoluten Favorites verdankte, die Rolling Stones und Bob Dylan, auf diese Idee wäre ich doch nie gekommen!

BOULEVARD DER HELDEN
94 THE RED BULLETIN
Lomax entdeckte Muddy Waters – einer seiner Songs gab den Rolling Stones ihren Bandnamen.

Und da sagte ich so nebenher, ich wisse von einer anderen städtischen Folklore, nämlich der Schram melmusik aus Wien. Diese Musik hat er nicht ge kannt! Das war so dahergeredet von mir. Ich wusste auch so gut wie nichts über die Schrammeln, mir gefel diese Musik, vor allem der Gesang, die durchhängenden Töne gefelen mir. Jedenfalls griff Alan Lomax in seine ausgebeulte Jackentasche und gab mir seine Visitenkarte. Nein, es war nicht seine persönliche Karte, es war die Adresse eines Vereins in New York, der seine archivari schen Arbeiten betreute und aus dem in den Achtziger jahren die Association for Cultural Equity (ACE) wurde, die sich die Aufgabe stellte – und bis heute stellt –, eine Art globale Jukebox der Volksmusik einzurichten, dieser Begriff stammt übrigens von Alan Lomax selbst. Wenn ich etwas fnde von dieser städtischen Folklore in Wien,

sagte Alan Lomax, er würde sich freuen, wenn ich es ich ihm zuschickte. Er werde sich erkenntlich zeigen.

Ach! – Die Visitenkarte habe ich verloren. Ich glaube, schon in den folgenden Tagen. Ich hatte immer noch nicht begriffen, welch großem Mann ich in der lärmen den Fabrikhalle in Frankfurt eine Stunde lang gegen übergesessen war!

Viel später in Wien im Musikhaus Doblinger in der Dorotheergasse habe ich mir einen Packen Schallplatten mit Schrammelmusik besorgt. Da war Alan Lomax aber schon gestorben. Er wurde geboren im Januar 1915 und starb im Juli 2002. Wenn ich daran denke, wie viel Freude ich in meinem Leben hatte mit der Musik, die wir seinen Entdeckungen verdanken, dann fießen die Tränen.

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