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Viele Journalisten fragen mich, ob sie über mich als "er oder sie" schreiben sollen. Meistens sage ich "sie", aber ich mache beides. Ich habe crossgedresst, bevor ich mit den Shows angefangen habe. Mit meinem Noise-Projekt "No Fear", das ich vor Mykki Blanco gemacht habe, wollte ich zum Beispiel nie in Drag auftreten, weil ich dachte, die Leute würden mich als eine typische Drag Queen sehen. Eines Tages habe ich es dann gemacht, weil ich eh schon geschminkt war und es hat die Leute umgehauen, weil es eine gewisse Ebene von Theatralik zu meiner Show addiert hat. Ich habe die Erwartung der Zuschauer unterlaufen, indem ich als Drag Queen rumbrüllte und rappte wie ein Punkrocker. Es war eine Kombination aus maskuliner Aggression und female empowerment. Und als ich gemerkt habe, dass die Leute mich nicht als normale Drag Queen wahrgenommen haben, fing ich an, auch so zu performen. Ich empfinde übrigens die traditionellen Drag Queen Shows als etwas total Wunderbares, nicht dass du mich falsch verstehst, ich wollte nur selber etwas anderes machen. Debug: Was bedeutet Gender für dich? Mykki: Da ist etwas, was du fühlst. Schon immer. Deine ganz natürliche Neigung. Wenn wir von Anfang an so erzogen wären, dass wir alles sein könnten, alles anziehen könnten, alles lieben könnten, wenn die Gesellschaft jedem von Anfang an erlauben würde, einfach zu sein, und nicht Konzepte vermarkten würde, die darauf basieren, dass man sich einem Geschlecht zuordnen muss, hätten wir eine viel freiere Gesellschaft. Debug: Glaubst du, dass Gender-Konzepte in Sprache fixiert sind? Mykki: Genau! Als ich kürzlich in Schweden war, sagte mir dort jemand, dass sie ein drittes Personalpronomen haben, "hen" glaube ich. So etwas ist wichtig. Wenn es einen Raum in der Sprache gibt, dann gibt es auch einen Platz in der Gesellschaft. Debug: Wie schreibst du deine Texte? Mykki: Am Anfang habe ich einfach meine Gedichte vertont. Mittlerweile entwerfe ich eher rhythmische Geräusche im Studio und schreibe den Text danach. Ich spiele viel mit Intonation. Debug: Ist deine Art zu rappen aus dem Noise-Punk entstanden? Mykki: Ja. Ich rappe eigentlich erst seit zwei Jahren, vielleicht drei. Debug: Wie kam es zu den Kollaborationen mit den diversen Produzenten? Mykki: Ich kenne die meisten seit vielen Jahren, Brenmar noch aus Chicago - auch mit Jon von Salem und Daniel von Nguzunguzu war ich dort zusammen auf dem College. Ich habe die Leute als Produzenten ausgewählt, deren Sachen ich persönlich sehr schätze und es ist schön zu sehen, dass wir alle Erfolg haben. Mykki: Als ich anfing zu crossdressen und die Leute mich als "sie" anredeten, passierte etwas. Als eines meiner Dates, ein italienischer Schneider, mir tatsächlich die Tür aufhielt, mich überall hin ausgeführt und im Restaurant für mich bestellt hat, war das befreiend – obwohl ich ja total in die Stereotypen dieser Art von Verhalten gedrängt wurde. Es war einfach das Öffnen der Büchse der Pandora und heraus kam etwas Großartiges. Aber ganz ehrlich: Wenn ich nicht hübsch wäre, würde ich das nicht machen. Debug: Ein harter Perspektivenwechsel, die meisten Frauen, die ich kenne, hätten wahrscheinlich total verärgert reagiert, wenn jemand für sie im Restaurant bestellen würde. Mykki: Ja, aber das hat mit Lebenserfahrung zu tun. Deswegen ist es für mich keine negative, sondern zunächst eine neue Erfahrung, die erst einmal schön ist. Debug: Ist das Crossdressen denn eher eine Performance oder Teil deiner Identität geworden? Mykki: Ich wusste, dass du mir diese Frage stellen würdest.

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»Das hier ist das bessere Leben.«

Mykki Blanco, Cosmic Angel, The Illuminati Prince/ss, erscheint auf UNO NYC. www.soundcloud.com/mykkiblanco

Mykki Blanco nimmt das "I" in Ikonographie wörtlich: "I am the 5th element, I am the 5th element", brüllt dieser fast zwei Meter große, einzig mit einem eng geschnürten Wickelrock bekleidete Mensch mit den überlangen Braids später am Abend in sein Mikro und hat dabei mehr Ähnlichkeiten mit dem Avatar der Operndiva aus dem gleichnamigen Film, als mit den meisten Menschen im Publikum. Die Queers feuern ihre Ikone an: Mach weiter da oben, du gibst uns unsere Bilder. Der heteronormative Rest sieht eine normal-hippe HipHop-Liveshow, ein oder zwei sind verunsichert – ist das queer? Nein: "This is Mykki Blanco, Motherfuckers follow pronto!"

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