RCKSTR Mag. 160 Oktober 2018

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denen sich das Trittbrettfahren in der Debatte um politische Korrektheit als lukrative (aber äusserst fragwürdige) Alternative anbietet?

Wann wissen wir, ob etwas gestrichen wurde, um es im Bezug auf den heutigen Diskurs glattzustreichen, und wann wissen wir, ob das aus einer persönlichen Reflektion, aufrichtiger Reue oder aus einem kommerziellen In einem weiteren Interview mit dem Rolling Stone diesen August äus- Bestreben heraus geschah? Die Antwort auf die obenstehenden Fragen serte sich Slash erstmals und als einziges Bandmitglied zur Streichung lautet: Wenn es die betroffenen Interpreten nicht selbst offenlegen, dann von «One In A Million» auf dem neuen «Appetite for Destruction»-Reissue: nie. Das einzige, was wir machen können, ist auf eine gewisse Selbstre«Wir haben gemeinsam beschlossen, dass der Song keinen Platz mehr flektion und Transparenz der Bands, die solche Streichungen vollziehen, hatte. Es dauerte nicht lang und es gab auch keine grosse Diskussion.» Vor zu hoffen. Und unsere Musik – falls sich unter den Favoriten ein polarisieein paar Jahren klang das noch ganz anders. render Song befinden sollte – analog als Zeitzeugen aufbewahren. Denn so können wir verhindern, dass Fragwürdiges, Die Gegenwart beeinflusst die Vergangenheit vielleicht sogar Fehlerhaftes, Rassistisches oder «Wer die Vergangenheit einfach ausradiert und kontrolliert, kontrolliert die Menschenverachtendes Natürlich kann man sagen, dass es lächerlich ist, stillgeschwiegen werden kann. einen dreissigjährigen Song wegen seiner kontro- Zukunft; wer die Gegenwart versen Lyrics zu kritisieren, gerade weil es heute kontrolliert, kontrolliert die ebenso schlechte Beispiele gibt. Dabei ist es aber Vergangenheit.» – George Orwell wichtig, sich im Kopf zu behalten, dass die heutigen Diskussionen nicht nur auf ältere Erscheinungen reagieren, sondern auch auf diese Einfluss haben können. Würden politische Debatten rund um Fremdenfeindlichkeit, wie sie heute geführt werden, nicht stattfinden, so gäbe es für gewisse Bands keinen Anlass, gewisse Songs plötzlich aus ihrem Liederkatalog zu streichen.

QUIZ

Dass die Lyrics einer weltweit bekannten Band wie Guns N’ Roses einen grossen Einfluss haben können, liegt auf der Hand. Doch ein Lied ist manchmal eben mehr als nur ein Lied: Rechtes wie linkes Gedankengut wird darin transportiert und kann damit einen enormen Einfluss auf die Politik sowie die kollektive Identität einer Gesellschaft haben. Dass die polarisierenden Lyrics von «One In A Million» gar nicht erst aus den Lautsprechern aller «Appetite For Destruction»-Käufer dröhnen und so auch weniger als Basis für rechtsextreme Covers oder faschistisches Gedankengut sorgen können, ist an sich etwas Gutes. Nur wissen wir nicht, welches die Beweggründe für das Weglassen waren. Die Band schweigt dazu bis heute.

Stammen die folgenden Zitate von (rechts-) populistischen Politikern oder aus den Lyrics von Songs, die vermutlich beim nächst en Reissue verschwunden sein werden?

A «In Afrika wird es diese Weihnachten nicht schn

No More Misery Business Auch Paramore haben sich jüngst entschieden, ihre Hit-Single «Misery Business» aus dem Jahr 2007 nicht mehr live zu spielen. Der Track wurde über die Jahre vermehrt als frauenfeindlich und unfeministisch kritisiert, vor allem für die Textzeile «Einmal eine Hure, mehr bist du nicht, es tut mir leid, aber das wird sich nicht ändern.» Anfangs September spielte Paramore den Song an einem Konzert in Nashville zum vorerst letzten Mal. «Wir haben diese Entscheidung getroffen, weil wir denken, dass es die richtige ist. Wir spielen den Song jetzt ein letztes Mal, in vollem Bewusstsein über all die peinlichen und falschen Dinge, die wir gesagt haben. Aber wir gestehen uns unsere Fehler ein, und wir wachsen weiter», sagte die Sängerin Hayley Williams während des Konzerts.

Fehler werden zu Errungenschaften Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sehr wohl das gute Recht einer Band ist, einen Song aus ihrem Back-Katalog zu streichen. Wo wir aber damit hinkommen, ist die andere Frage. Szenen aus dem Buch «1984» von George Orwell spielen sich vor dem inneren Auge ab, wo es die Aufgabe der Medien ist, historische Gegebenheiten oder Gesagtes einander anzupassen und abzuändern, wenn sich eine politische Position ändert oder sich Dinge nicht wie erwartet entwickeln. Unschönes wird schön geschrieben, Geschehenes wird ausradiert, Fehler werden zu Errungenschaften.

B «Sie kommen in unser Land und haben das Gefü

sie können tun und lassen was sie woll

C

«Diese Insel wird noch so überbevö lkert, dass sie kippt und im Meer versinkt.»

en.»

hl,

D «Wenn ihr Vater reich ist, solltest du sie zum

Essen einladen. hen, wie dir beliebt.»

Wenn ihr Vater arm ist, kannst du mac

E

«Sie nennen mich nicht grundlos Tyra

F

nnosaurus Sex.»

«Homo-Ehe sollte zwischen einem Man n und einer Frau stattfinden.»

G «Frauen sollten Geschirr abwaschen, Zimmer

aufräumen und die Wäsche machen. »

H

«Sie bringen Drogen. Sie bringen Krim inalität. Sie sind Vergewaltiger. Und einige sind wohl gute Leute.»

Auflösung: a.) «Do They Know It’s Christmas?» von Band Aid, 1984 / b.) «One in a Millio n» von Guns N’ Roses, 1988 / c.) Hank John son, US-Kongressabgeordneter, 2010 / d.) - «In the Summertime» von Mungo Jerry, 1970 / e.) Ted Kennedy, US-Senator, 1993 / f.) Arnold Schwarzenegger, Gouv erneu r von Kalifo rnien , 2006 / g.) «Girls» von den Beastie Boys, 1986 / h.) Donald Trump, US-Präsident, 2015 )

Bereits ein Jahr zuvor erzählte sie in einem Interview mit dem amerikanischen Online-Magazin Track 7, dass sie sich erst dann wirklich mit den Lyrics auseinandersetzen musste, als sie bereits in der öffentlichen Kritik standen. «Das war nicht einfach für mich», sagte sie, «vor allem weil ich die Lyrics als 17-jähriges Mädchen geschrieben habe, das noch nichts über die Welt wusste.» Aus diesem Grund sei es für sie jetzt umso schöner, mit der Geschichte zu zeigen, dass man eben doch aus seinen Fehlern lernen kann – und dass es sich gut anfühlt, offen und ehrlich dazu zu stehen.

eien. Das grösste Geschenk, das sie dort erhalten, ist das Leben. Dort wächst nichts, und es gibt keinen Regen.»

#160 | OKTOBER 2018

«They said what!?»

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