(08) der stern nachrichtenmagazin (hd version) no 21 vom 16 mai 2018 (issn 0039 1239)

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err Kurienerzbischof, Prälat Seiner Heiligkeit, Monsignore, Exzellenz, Dr. Gänswein. Sie tragen viele Titel, wie soll ich Sie ansprechen? Ihr Titelgalopp nimmt mir den Atem. Es gibt eine ganz einfache Regel: Der höhere Titel schluckt immer den niedrigeren. Es reicht, wenn Sie Erzbischof sagen. Möchten Sie allerdings protokollarisch korrekt sein, müsste „Exzellenz“ über Ihre Lippen kommen. Und wie spricht Papst Franziskus Sie an? Wie Papst Benedikt auch. Beide benutzen das italienische „Eccellenza“. Papst Benedikt verwendet sehr oft auch meinen Vornamen „Don Giorgio“. Natürlich immer mit „Sie“. Das ist nobel, respektvoll, herzlich, fast schon freundschaftlich. Wie geht es Papst Benedikt eigentlich? Man las, er liege im Sterben. Das waren Fake News. Er ist im April 91 Jahre alt geworden. Freilich haben seine körperlichen Kräfte nachgelassen, sodass er beim Gehen einen Rollator benutzt und sich tagsüber mehr Ruhepausen gönnt. Aber der Kopf ist glasklar und hellwach. Kann er den nachmittäglichen Spaziergang mit Ihnen durch die Vatikanischen Gärten denn noch mitmachen? Ja, natürlich, eisern jeden Tag und immer mit dem Rosenkranzgebet verbunden. Auch sonst ist der Rhythmus geblieben: Benedikt XVI. betet, liest, studiert, korrespondiert, hört Musik; ab und zu spielt er auch Klavier. Und er empfängt Besucher. Man hat Sie gelegentlich „Diener zweier Herren“ genannt. Ärgert Sie das? Nein. Mir ist allerdings eine andere Formulierung lieber, nämlich „Mitarbeiter“ zweier „Diener der Diener Gottes“ – zur gleichen Zeit. Zwei Päpste zur gleichen Zeit – staunen Sie manchmal noch selbst darüber? Ja doch, das Ungewöhnliche ist auch nach fünf Jahren geblieben, und es hat mein Leben geprägt. Der Dienst als Präfekt des Päpstlichen Hauses bei Papst Franziskus nimmt natürlich mehr Zeit in Anspruch als die Tätigkeit für den emeritierten Papst, dessen Sekretär ich geblieben bin. Ich wohne ja bei ihm in dem kleinen Kloster im Vatikan mit dem schönen Namen „Mater Ecclesiae“, auf Deutsch „Mutter der Kirche“. Richtig, dass Sie einen Hörsturz hatten? Es stellte sich heraus, dass es nicht ein klassischer Hörsturz war, sondern eine schwere Erkrankung des Innenohrs, deren medizinischen Ausdruck ich Ihnen jetzt ersparen möchte. Mit den Folgen der Erkrankung habe ich immer noch zu kämpfen. Noch begleiten mich leichte Schwindel-

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gefühle, und das linke Ohr besitzt nur eine eingeschränkte Hörfähigkeit. Leider plagt mich seither auch ein lästiger Tinnitus. Hörsturz folgt ja oft auf Überarbeitung. Wurde mir auch gesagt: Ohrensachen sind Stresssachen. Papst Franziskus schreibt in seinem neuen Buch auch über die „15 für den Menschen gefährlichen Krankheiten“. Eine davon nennt er „Martalismus“ – übertriebener Arbeitseifer und die Unfähigkeit, sich zu erholen. Leiden Sie daran? Ich muss gestehen, dass ich das Wort „Martalismus“ bisher überhaupt nicht kannte und auch nicht weiß, was es bedeutet. Wie dem auch sei, an Arbeit fehlte und fehlt es mir in der Tat nicht. Bei meiner abendlichen Gewissenserforschung muss ich mir immer wieder eingestehen, dass ich zu übertriebenem Arbeitseifer neige und der Erholung zu wenig Raum gegeben habe. Sogar der Papst soll Ihnen gesagt haben, mehr auszuruhen. Gehorchen Sie? Ich strenge mich an, denn Gehorsam ist eine der wichtigsten Säulen priesterlichen Lebens. Nach der Krankheit habe ich meinen Arbeitsrhythmus notgedrungen verändert. Vor allem habe ich die Nachtschichten eingestellt. Vor- und nachmittags ist arbeitsmäßig Vollgas angesagt. Nach dem Abendessen nehme ich den Fuß vom Gaspedal und schalte herunter. Spielen Sie auch wieder Tennis? Noch nicht. Sobald ich „schwindelfrei“ bin, möchte ich aber wieder anfangen. Topspin. Slice. Einhändige Rückhand, was spielen Sie?

Das, was die Spielsituation erfordert. Im Moment bin ich dabei, mit leichten bis mittelschweren Berggängen meine physische Kondition zu trainieren. Und ich merke, dass die Kräfte langsam wieder zurückkommen. Täuscht der Eindruck, oder haben Sie inzwischen ein ähnlich vertrautes Verhältnis zu Papst Franziskus, wie Sie es vorher zu Benedikt hatten? Ich sehe Papst Franziskus nahezu täglich. Bin mit ihm zusammen bei den Privat- und Generalaudienzen im Vatikan, in Rom und auf den Reisen in Italien. Es ist doch ganz natürlich, dass nach und nach ein vertrautes Verhältnis entsteht. Ich meine auch, dass wir es ganz gut miteinander können, trotz aller Unterschiede in Charakter, Stil und Temperament. Natürlich ist ungeheuchelte Loyalität und Disponibilität dafür Voraussetzung. Klar ist auch: Das, was er will, wird getan. Teilen Sie einen ähnlichen Humor? Ja, schon. Papst Franziskus ist ein sehr humorvoller Mann. Er hört gerne Anekdoten, erzählt auch selbst die eine oder andere; Witze mag er auch. Hin und wieder erzählt er selbst einen. Er kann es gut mit Menschen, die Humor haben. Wie erklären Sie sich, dass Franziskus so beliebt ist in der Welt und angeblich so umstritten in der eigenen Kirche? Das ist ein konstruierter Gegensatz, eine weitverbreitete Behauptung, die kaum zu belegen ist. Franziskus ist ein Mann, der auf die Menschen zugeht, keinerlei Berührungsängste hat und gewinnend ist im persönlichen Umgang. Menschen, die ihm

FOTOS: VATICAN MEDIA; ACTION PRESS

An einem Aprilnachmittag auf der „Seconda Loggia“ des Apostolischen Palastes. Vor dem Interview hatte Eccellenza eine Papstmesse für 550 „Missionare der Barmherzigkeit“ auf dem Programm

„KIRCHLICHE AMTSTRÄGER SI


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