Bestandsschutz und planungsfreiheit

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Einleitung »Bestandsschutz oder Planungsfreiheit – Sicherheit oder Flexibilität?« Für Arbeitsrechtler ist die Frage schnell beantwortet. Schon am Anfang vieler Arbeitsrechtslehrbücher wird den Studenten mitgeteilt: Arbeitsrecht ist im Grunde Arbeitnehmerschutzrecht1. Nicht-Arbeitnehmer sind also per definitionem draußen. Das Recht der potentiellen Arbeitnehmer oder der Arbeitssuchenden findet sich fast nur in den Sozialgesetzbüchern und damit leider jenseits des Wahrnehmungshorizonts vieler Arbeitsrechtler, Arbeitsrechtspolitiker, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Die Segmentierung des Arbeitsmarktes in »Normalarbeitsverhältnisse«, »atypische« Arbeitsverhältnisse und Arbeitssuchende ist zum Großteil dem deutschen Arbeitsrecht, insbesondere seinem hohen Bestandsschutzniveau, zu verdanken. Die vielfach an Arbeitsrechtsetzer (Gesetzgeber, Tarif- und Betriebsparteien, aber vor allem auch Arbeitsrichter) herangetragene Forderung nach arbeitsmarktpolitischer Folgenabschätzung2 verhallt meist ungehört. Gewerkschaften und Betriebsräten kann man keinen Vorwurf machen, denn sie vertreten nur ihre Mitglieder bzw. Wähler – also Insider. Der Gesetzgeber versucht immerhin gelegentlich, die Beschäftigungs- und Teilhabechancen der Arbeitssuchenden auch mit Mitteln des Arbeitsrechts (nicht nur des Sozialrechts) zu steigern (etwa durch das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und das Teilzeitund Befristungsgesetz – freilich jeweils unionsrechtlich induziert). Ein Vorwurf ist aus Sicht der Wissenschaft aber den Arbeitsrichtern zu machen: Sie ignorieren bei Einzelfallabwägungen (davon gibt es im Arbeitsrecht viele) regelmäßig Drittinteressen, insbesondere die von

1

Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, 17. Aufl. 2012, § 1 Rn. 1; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 12. Aufl. 2013, Rn. 5; Wollenschläger, Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2010, Rn. 46.

2

Eingehend Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht (2007), vollständig abrufbar unter: www.zaar.uni-muenchen.de/download/verlag/schriftenreihe/zsr_8.pdf [1.7.2013].

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