tugend

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Gere c h t i g k ei t a l s T u g e n d Die Frage nach der Natur der Gerechtigkeit ist seit der griechischen Antike Gegenstand philosophischer Erörterungen. Frühe Erklärungen griffen dabei auf metaphysische Begründungen zurück. So wurde 32

Gerechtigkeit als eine in der Natur vorhandene Ordnung oder als göttlichen Ursprungs verstanden. Dabei wurde Gerechtigkeit zunächst nicht vorrangig an kodifiziertem Recht gemessen, sondern als Ausdruck einer persönlichen Lebenshaltung betrachtet. Sowohl Platon als auch Aristoteles sahen die Eudaimonie (gutes, gelingendes Leben; oft ungenau mit »Glück« übersetzt) als den höchsten anzustrebenden Wert an. Gerechtigkeit als Tugend und grundlegende Charaktereigenschaft galt ihnen als Voraussetzung für das Erlangen der Eudaimonie.

Für Platon ist Gerechtigkeit eine ewige, überweltliche, unverän-

derliche Idee, an der die Seele Anteil hat. Gerechtigkeit herrscht, »wenn man das Seine tut und nicht vielerlei Dinge treibt« (Politeia IV, 433a), wenn jeder Mensch und jeder Seelenteil nur das ihm Gemäße verrichtet. Daher hat der Staat dafür zu sorgen, dass jeder seine Aufgabe nach seinen Fähigkeiten wahrnimmt und sich nicht in fremde Zuständigkeiten einmischt. Die Forderung, jedem das ihm Gebührende zukommen zu lassen (Suum cuique), bejaht Platon zwar, doch lehnt er sie als Definitionsmerkmal der Gerechtigkeit nachdrücklich ab.

Die analytische Aufteilung des Gerechtigkeitsbegriffs durch

Aristoteles wird bis in die Gegenwart verwendet. Er unterscheidet zwischen der legalen (allgemeinen) Gerechtigkeit und der für die zwischenmenschlichen Beziehungen maßgeblichen besonderen Gerechtigkeit (iustitia particularis). Letztere differenzierte er in »Verteilungsgerechtigkeit« (iustitia distributiva) und »ausgleichende


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