ProgrammZeitung September 2021

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Urban Morphologies Berlin, Basel, Los Angeles, © Betina Kuntzsch

Stadt, Mensch und urbaner Sound im Wandel Christian Fluri

Die vierte Ausgabe von Zeiträume Basel, Biennale für Neue Musik und Architektur, widmet sich der Veränderung. «Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.» Franz Kafkas Novelle «Die Verwandlung», die mit diesem genialen Satz beginnt, gibt dem diesjährigen Zeiträume-Festival das Motto. Doch auch wenn die Pandemie und ihre Folgen es besonders nahe legen, über Wandel nachzudenken – das Festival will mehr als die Krise die kafkaeske Seite thematisieren. Das Festivalteam unter Leitung von Bernhard Günther und Anja Wernicke sieht Verwandlung, von der Stadtplanung über die Entwicklung kultureller Orte bis hin zur wachsenden Formenvielfalt von Musik und Kunst, als spannendes, schillerndes Phänomen, dem sich in Basel auf Schritt und Tritt begegnen lässt. In einem bewusst «erzählerischen, spielerischen Sinne», wie Günther im Gespräch betont, ist das Motto gesetzt. «Auch Zeiträume Basel verwandelt sich, erfindet sich neu, geht immer wieder andere Wege, um Musik und Architektur zusammenzubringen und zu vermitteln.» 20 Ur- und Erstaufführungen – auch vieler junger Komponistinnen und Komponisten – sind zu erleben.

Birsfelden, Klybeck und andere Orte im Umbruch. «Wir laden das Publikum ein, an Verwandlungsprozessen hier im Raum Basel teilzuhaben», erläutert Günther. Urbane Räume im Wandel werden mit ortsspezifischen Installationen, Aufführungen oder Konzerten bespielt. Die Komponistin und Klangkünstlerin Cathy van Eck erkundet den «Klang von Birsfelden», wo das Dorfzentrum eine städtebauliche Neugestaltung erfährt. Sie schafft hier mit realen wie erfundenen Klängen, mit Interview-Aussagen der Menschen hier eine interaktive Installation. Auch andere sich verändernde Orte werden während des Festivals zur Bühne – zum Beispiel bislang der Öffentlichkeit verschlossene Teile des Klybeckareals. Neue Musik eignet sich Orte an, wo sonst keine Kunst hinkommt: Die Posaunisten von «Les trombones de bâle» bespielen mit Wanja Aloe das Jumbo Allschwil oder das Fitnesscenter basefit im St. Johann. Barblina Meierhans schreibt für den Lesesaal der Universitätsbibliothek Musik mit Papier- und Flüsterklängen. Michel Roth komponiert für den Flipperclub in Münchenstein «Spiel Hölle». Dabei darf, ja soll, geflippert werden. Grosse Oper und Oratorium. Im Kulturzentrum Don Bosco produziert Zeiträume Basel erstmals – gemeinsam mit Gare du Nord und Wien Modern – eine grosse Opernuraufführung: «Poppaea», geschrieben vom Komponisten Michael Hersch und der Autorin Stephanie Fleischmann, stellt ausgehend von der Geschichte Kaiser Neros und seiner Frau Poppaea die Frage, wie weit wir uns seit dem tödlichen Streben nach Macht im alten Rom ent-

wickelt haben. Der Stoff erinnert an Monteverdis «L’incoronazione di Poppea». «Das neue Stück ist brutaler, erzählt mit der enormen emotionalen Kraft von Herschs Musik das, was Monteverdi ausblendet», merkt Günther an. Regie führt Markus Bothe, Jürg Henneberger dirigiert das Ensemble Phoenix Basel. Das Basler Büro Piertzovanis Töws Architekten macht das Bühnenbild zum Statement für bewussten Umgang mit den Folgen des eigenen Handelns. Das Don Bosco ist nicht der einzige verwandelte Kirchenraum: In der Pauluskirche wird das Oratorium von Altmeister Thomas Kessler und Autor Lukas Bärfuss aufgeführt, im Oekolampad spielt kurz vor Umbaustart das Sinfonieorchester Basel. Weitere Festivalorte sind unter anderem die Fondation Beyeler, die Kaserne und das ehemalige Leuchtturmschiff Gannet. Ort der Information, der Debatte und kleinerer Aktionen dieses die Stadt künstlerisch prägenden Festivals ist der (seit 2019 verwandelte) Pavillon von Marco Zünd bei der Mittleren Brücke. Zeiträume Basel, Biennale für neue Musik und Architektur: Do 9.9. bis So 19.9., Region Basel, www.zeitraeumebasel.com

Oratorium Kulturkirche Paulus, Fensterfront, Foto: © Geneviève Mathis

Auf Robert Walsers Spuren skn. Das Festival Neue Musik Rümlingen verlässt dieses Jahr das Baselbiet und geht ins Appenzellerland, um dort den Spuren des Schweizer Schriftstellers Robert Walser zu folgen. Vier neue Musiktheater, zwei Spaziergänge und die Jahrestagung der Robert Walser Gesellschaft regen dazu an, sich neu mit seiner Person und seinem Werk auseinanderzusetzen. Festival Neue Musik Rümlingen: Do 16.9. bis So 19.9., diverse Orte im Appenzellerland, www.neue-musik-ruemlingen.ch ProgrammZeitung

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