PRIDE Nr. 161/Dezember 2017

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Thema: Gender*

Ein Soldat gebiert ein Kind Ein Fall von Intergeschlechtlichkeit im Jahre 1601

Text Hans-Peter Weingand Fotos Andy Joe, wikimedia.org

I

m Jahr 1601 gebar in Piadena in der Lombardei in Norditalien der Landsknecht Daniel eine Tochter. Daniel, der seit seiner Taufe als Junge bzw. Mann behandelt worden war und sich auch stets in dieser Rolle verhalten hatte, war mit seiner angetrauten Ehefrau, mit der es nie zu Geschlechtsverkehr gekommen war, Teil des Trosses. In den Niederlanden hatte er Sex mit einem Spanier und war davon schwanger geworden. Seine Ehe wurde daraufhin geschieden, das Ereignis bestaunt, die Taufe des Kindes war ein großes Fest. Für ein Geschlecht entscheiden

Buch-Cover: „Von einem Soldaten” Vortrag auf der ÖH

Hans-Peter Weingand hat diesen Fall näher erforscht, ihn auf seine Glaubwürdigkeit überprüft und wie Zeitgenossen ihn bewertet haben. Seine Forschungsergebnisse präsentierte er im Tutorium der Grazer queren Re­ ferate: „Die Bandbreite der Interpretation von ‚Monstern', darunter auch Hermaphroditen oder Zwitter, war in der frühen Neuzeit groß: Zeichen der unerschöpflichen Schöpfungskraft Gottes aber auch Zeichen einer verborgenen Ordnung oder Unordnung und damit als Auswuchs der Sündhaftigkeit der Menschen. Andererseits wären ja seit der Antike solche Fälle bekannt und das Kirchenrecht ganz pragmatisch: Juristisch konnten seit dem 13. Jahrhundert Hermaphroditen sich für ein Geschlecht entscheiden, mussten allerdings beeiden, bei dieser Wahl zu bleiben.“

Nach der Beschreibung Daniels dürfte hier ein sogenanntes Androgenitales Syndrom vorliegen, ein Phänomen, das im Promillebereich vorkommt. Extrem selten jedoch ist die Möglichkeit, dass es zu einer Schwangerschaft und zum Austragen des Kindes kommt – aber es ist aus heutiger Sicht möglich. Im konkreten Fall gibt es zwei Quellen mit unterschiedlicher Bewertung: ein Originalbericht in der Nationalbibliothek und zwei Flugblattdrucke. Im Ereignis, das Schwangerschaft und Geburt begründet, wird Daniel wie eine Frau betrachtet, die mit einem Mann schläft bzw. sich mit ihm einlässt. Er wird nicht negativ bewertet. Das Ereignis der Geburt ist ein „großes Mirakel“, ein „Wunderwerck“, jedenfalls kein schlechtes Omen, nichts Bedrohliches. Ein Autor namens Kirchhof bewertet den Fall 1603 jedoch ganz anders: Unabhängig der Tatsache einer Geburt bzw. dem Überwiegen weiblicher Geschlechtsmerkmale wird betont, dass er von allen für einen Knaben/Mann gehalten worden ist und sich stets als Mann gebärdet hat. Deshalb wird konsequenter Weise der sexuelle Kontakt zu dem Spanier zur „Schand … auff die Sodomitische Art“. Die „Mißgeburt“ Daniel habe (wie Mann und Frau) Sex mit einem Mann gehabt und „ein Sodomitisch Sünd“ began­ gen. Juristisch gesehen ist er mit der Todesstrafe bedroht.

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