Amen Magazin - Herbstausgabe 2022 - Reflecting God's Love

Page 1

AUSGABE 3 HERBST WWW.AMEN-MAGAZIN.CH2022 REFLECTINGGOD'SLOVE IM DESRHYTHMUSHIMMELSTANZEN INSEHRFÜRCHTIGUNIVERSUMBLICKEN FALCKEHEINO DA SEIN, UM ZUZUHÖREN MITZUFÜHLENUND GABRIELAZINDEL

INHALT 30 LEBEN IM ANGESICHT GOTTES von Peter Höhn MINISTRY-PORTRAITS 40 DAS MAGAZIN VON Amen ist hebräisch und bedeutet fest, verlässlich, treu und ist verwandt mit Begriffen wie Glauben, Wahrhaftigkeit und Treue. Das Magazin Amen, voll Glauben leben inspiriert mit Lebensberichten und geistlichen Impulsen zu authentischer, verbindlicher und glaubwürdiger Jesus-Nachfolge. 04 VOM VOLLMOND LERNEN von Andreas «Boppi» Boppart 08 EINE FÜR ANDERE Portrait von Christina Wüthrich 11 GEMEINDE LEBEN Kolumne von Leonardo Iantorno 12 BEWEGLICH BLEIBEN von «Boppi» und Angela Schmidt 16 DEM UNVERFÜGBAREN GOTT NAHEKOMMEN Interview mit Heino Falcke 21 BEZIEHUNGSWEISE Kolumne von Sabine Fürbringer 22 AM SCHÖNSTEN WAR ES IN DER UKRAINE Portrait von Anna Pettkus 25 BLICKPUNKT WELT Kolumne von Ramona Wagner 26 TANZSCHULE GOTTES Interview mit Bernhard Ott 30 MINISTRY-PORTRAITS 40 LEBEN IM ANGESICHT GOTTES von Peter Höhn 43 GEBET von Angela Schmidt 44 JESUS AM BALLERMANN von Peter Höhn 47 DAMIT ES WEITERGEHT Portrait von Gabriela Zindel 50 KURZ UND GUT mit Florian Stielper 52 WAS CAMPUS BEWIRKT 57 AUTOREN/IMPRESSUM 59 PERSÖNLICH von Manuela Kaufmann 08 EINE FÜR ANDERE Portrait von Christina Wüthrich

Eine Frage hat es mir dabei besonders an getan: «Wie bringt Gott heute deinen Alltag zum DieseLeuchten?»Fragefinde ich deshalb spannend, weil sie mich dazu zwingt, ein paar Minu ten tiefer zu grübeln, wenn ich sie ehrlich beantworten will. Am allerbesten aber fin de ich die Aussage, die in der Frage selbst steckt: Dass nicht ich aus eigener Kraft etwas vollbringen muss, sondern Gott es ist, der mich und mein Leben zum Leuchten bringt. Bei Campus für Christus haben wir uns genau dieses Leuchten auf die Fahne ge schrieben. Mit unserem Leitmotiv «Reflec ting God’s Love» sagen wir: Wir lassen uns von Gottes «Licht» erfüllen und geben es in Form von Liebe und Barmherzigkeit wei ter, stets fragend, wohin uns Gottes Geist bewegt. Die Früchte daraus sind so vielfäl tig wie die Teams unserer insgesamt 20 Ar beitsbereiche (Ministrys). Wer sich davon überzeugen möchte, dem lege ich die fünf Ministry-Portraits ab Seite 30 mit Erfah rungen von Leiterinnen und Leitern, Kun dinnen, Teilnehmern und Multiplikatoren ans Herz. Ebenso die Portraits von Chris tina Wüthrich, Anna Pettkus und Gabrie la Zindel – Mitarbeiterinnen von Campus Schweiz und GAiN Deutschland, die sich mit Haut und Haar für Menschen einset zen, die viel Leid ertragen müssen. Beglei tet die drei ein Stück auf ihrer individuellen Reise durchs Rotlichtmilieu, ins Kriegsge biet sowie in den Bereich der Traumabe Ganzwältigung.besonders freut mich, dass wir den preisgekrönten Wissenschaftler Heino Fal cke für diese Ausgabe gewinnen konnten. 2019 gelang es ihm und seinen 300 Mit arbeitenden, das erste Bild eines Schwarzen Lochs abzulichten. Im Interview ab Seite 16 berichtet er über dieses Mammutprojekt und darüber, wie er seinen Glauben in die ser tendenziell Gott-negierenden Branche lebt und bezeugt. Wie bringt Gott euren Alltag zum Leuch ten? Ich wünsche mir, liebe Leserinnen und Leser, dass ihr durch die Lektüre dieser Ausgabe eine Antwort darauf findet. Möge Gottes Geist euch bewegen.

Die Sache ist simpel: Dauer der gewünsch ten Exerzitie wählen, Start drücken, und los geht’s mit der sphärischen Hintergrundmu sik und der einfühlsamen Stimme, die einen durch verschiedene Wahrnehmungs-Steps führt. Diese Schritte sollen dabei helfen, die Achtsamkeit sich selbst, Gott und sei nen Mitmenschen gegenüber zu schärfen.

EDITORIAL

WOHIN GOTTES GEIST BEWEGT

Von AngelaHerzen,Schmidt

Übrigens: Wir suchen redaktionelle Verstär kung. Hinweise auf potentielle Personen, die sich in diese Richtung bewegen wollen, bitte direkt an angela.schmidt@cfc.ch.

Ich benutze momentan eine App, mit der man Alltagsexerzitien durchführen kann.

GOTTES LICHT WIDER SPIEGELN Tatsächlich ist die Analogie von Sonne und Mond für mich eines der stärksten Bilder dafür, wie Gott sich durch uns in die Welt hinein verwirklicht: In Chris tus hat er sich als das Licht der Welt of fenbart (Johannes 8,12), und uns hat er aufgetragen, von ihm erleuchtet in diese Welt hinein zu strahlen (Matthäus 5,14-16). Natürlich hat jeder Vergleich seine Grenzen. So ist der Mond am Er hellen der Erdkugel nur passiv betei ligt, während uns Menschen von Gott her eine aktivere Rolle beim Ausbrei ten seines Reiches zugedacht ist – ohne dass wir uns dabei zu wichtig nehmen sollten. Von daher greift das Bild vom Mond zu kurz, und man könnte uns Menschen sehr wohl auch mit von Gott geschaffenen, selbstleuchtenden «Ster nen» vergleichen. Weil wir nach Gottes Ebenbild geschaffen sind, hat unser Le ben grundsätzlich eine gewisse Leucht kraft – was unabhängig davon, ob je mand an Gott glaubt oder nicht, eine Wirkung entfalten kann. Was mich aber am Mondbild fas ziniert, ist die Tatsache, dass letztlich das Lebensspendende, die Lichtquelle, klar bei der Sonne zu verorten ist. Und dass der Mond in aller Bescheidenheit hinhält und das empfangene Licht an die Erde weitersendet. Zumindest ei nen Teil davon. Genauso verstehe ich den christlichen Glauben: Gott ist mei ne Lebens- und Lichtquelle, oder wie es der Psalmist ausdrückt: Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht (Psalm 36,10). Mein Leben, mein Wirken, meine christlichen Ambitionen – was auch

Surreal, wie hingemalt, prangte der Mond am Himmel, selbst die hellsten Sterne und Elon Musks Starlink-Flot te um ein Vielfaches überstrahlend. Es wirkte, als ob jemand eine Öffnung in das geschwärzte Blachenzelt des Him mels gerissen hätte und von aussen nun das Tageslicht der Sonne durch schiene. Meine Tochter hatte damals eines dieser wunderbaren Aha-Erleb nisse, als sie mir schon fast ehrfürch tig zuraunte: «Papa, stimmt es, dass der Mond gar nicht selbst leuchtet, sondern nur von der Sonne angestrahlt wird?» Ich nickte, murmelte was von «Refle xion», unterdrückte den Impuls, zu ei nem lehrreichen Monolog über die Al bedo anzusetzen. Und genoss mit ihr den Moment. Was für eine unvorstell bare Leuchtkraft diese Kugel doch ent wickelte – man müsste gar nicht erst durch Kinderaugen blicken, um einer inneren Faszination Raum zu geben. Man müsste nur mal wieder hinschau en und nicht so erwachsen abgeklärt durch die Welt gehen.

AMEN | 4

VOM VOLLMOND LERNEN von Andreas «Boppi» Boppart

Es war in einer Vollmondnacht, in der ich, abends im Gras neben meiner Tochter liegend, gemeinsam mit ihr die riesige weisse Kugel bestaunte. Wie nie zuvor wurde mir der Mond zum Bild dafür, worum es im christlichen Glauben zutiefst geht: Licht empfangen und Licht widerspiegeln.

LASSEN.TEILHABENANDEREPFANGENLEBENLICHTAUSRICHTEN,DIESEWIEDERMICHDARFIMMERAUFQUELLEUNDEM-UNDDARAN

ABSORBIEREN REFLEKTIERENUND

Oft beschleicht mich das Gefühl, dass wir das christliche Leben zu et was unglaublich Kompliziertem hoch stilisiert haben. Wie wir verkrampft Glauben leben, technisch evangelisie ren, nach Schema X beten – mal latent angstgetrieben, mal verbissen zielori entiert, als könnten wir aus uns selbst im Leben anderer Menschen bleibende Frucht erzeugen. Dabei habe ich noch nie erlebt, dass in meinem Garten etwas gewachsen wäre, weil ich regelmässig heftig daran gezogen habe. Das Ziehen hat weder bei den Äpfeln oder Feigen noch bei den Tomaten funktioniert. Nicht mal bei einem mickrigen Gras halm hab ich’s hinbekommen. Denn letztlich ist es weder das Pflanzen noch das Giessen, sondern der das Wachstum schenkende Gott, auf den es ankommt, wie es Paulus an die Korinther schreibt (1. Korinther 3,7). Die Dynamik des Glaubens lebt schlicht davon, dass ich mich immer wieder dem Sonnenlicht aussetze und Menschen in meinem Umfeld an diesem Licht, an diesem Erleben und Erfahren teilhaben lasse.

tigen Sonnenbränden führen kann. Un sere Erde hat eine mittlere Albedo von ca. 0,3, was bedeutet, dass 30 % der Sonnenstrahlung von der Erde wieder in den Weltraum zurückgeschickt wer den. Die Albedo der Erde hängt natür lich stark davon ab, ob das Licht auf Wasser, Sand, oder die weissen Schnee flächen der Pole trifft.

DIE ALBEDO Was ich meiner Tochter in jener Voll mondnacht in väterlicher Weisheit vor enthalten hatte, möchte ich hier plat zieren, da es uns zu einem weiteren wichtigen Aspekt rund um das Reflek tierenWissenschaftlichführt. wird das Rück strahlungsvermögen eines Körpers, sei ne Helligkeit, als Albedo bezeichnet. Je heller die Körperoberfläche, desto grös ser ist die Albedo. Und da kommt nun die spannende Eigenschaft ins Spiel, dass jeder Körper mit dem auftreffen den Licht zweierlei macht: Einen Teil absorbiert er, den anderen Teil reflek tiert er. Absorption führt zur Erwär mung des Körpers, Reflexion erhellt die Umgebung. Jeder Körper hat auf grund seiner Beschaffenheit und Far be eine unterschiedliche Albedo. Das führt dazu, dass man an einem som merlichen Hitzetag nicht mehr barfuss über schwarzen Asphalt laufen kann, sondern lieber die hellen Steinplatten benutzt. Oder noch besser die grüne Wiese. Nummerisch bedeutet eine Al bedo von 0,7, dass 70 % der einfallen den Strahlung von der Oberfläche re flektiert werden. Schwarzer Asphalt hat eine Albedo von 0,15, das heisst 85 % des Lichts absorbiert er, was die Fuss flächen dann schmerzhaft spüren, wäh rend zum Beispiel frischer Schnee mit einer Albedo von bis zu 0,9 nur etwa 10 % des Lichts zurückbehält und 90 % wieder abstrahlt. Was dann im Winter zu gereizten Augen und unerwartet hef

Spannend ist nun, das Zusammenspiel von Absorption und Reflexion auf un ser eigenes Leben zu übertragen. Denn wir erleben als Menschen beides: die Zeiten, in denen die eigene Albedo in Richtung 0,01 saust, weil die Seele un terkühlt ist und ich so ziemlich alles, was ich von Gott her bekommen kann, für mich selbst benötige. Dann braucht

immer die sein mögen – werden von dieser Quelle gespiesen. Meine Aufga be ist es, mein Leben immer wieder auf diese Quelle auszurichten, Licht und Leben zu empfangen und dann ande re Menschen daran teilhaben zu lassen.

5 | AMEN ICH

Falls Letzteres zutrifft: Was könnte ein konkreter Schritt sein, um da wieder in die Balance zu kommen?

DIE ENTSPANNUNG

Wenn du deine jetzige Situati on betrachtest: Wie hoch würdest du deine persönliche Albedo einschätzen? Brauchst du im Moment mehr Zeit, um Gottes Gegenwart zu absorbieren?

Oder spürst du, dass dein Leben wie der vermehrt irgendwohin reflektieren dürfte, damit es nicht zu einem «Hit zestau» kommt? Ist alles gerade wun derbar ausgeglichen oder liegt das Ver hältnis in einer ungesunden Schieflage?

Auf mich wirkt eine weitere Tatsache sehr entspannend: Die Albedo des Mondes, der in einer Vollmondnacht so unglaublich hell leuchtet – übrigens 26 000 Mal stärker als Sirius, der hells te Stern – ist mit 7 % keineswegs über trieben hoch. Und trotzdem hat er die se eindrückliche Wirkung auf die Erde.

Für mich ist das, übertragen auf mein Leben, absolut ermutigend: Egal, wie viel ich im Moment für die eigene «Er wärmung» benötige, und egal, wie we nig ich manchmal gefühlt zu «geben» habe, es kann auf mein Umfeld eine grosse Wirkung erzeugen. Selbst ein

es diese Maria-Momente zu den Füs sen von Jesus (Lukas 10,42), bei de nen ich einfach Gottes Liebe absorbie re und auftanke, Leben aufsauge und mich in seinem Licht sonne. Das kann eine längere Phase im Leben sein, wo man durch Krankheit oder eine persön liche Krise schwere Wochen und Mona te durchlebt. Manchmal ist es einfach eine punktuelle Situation, die einen be schwert – und die «absorbierende» Be gegnung mit Gott kann sich dann so erneuernd anfühlen wie ein Saunagang im tiefsten Winter. Wir haben bei uns zu Hause eine kleine Sauna eingebaut und es gibt nichts Wunderbareres, als diese tief in den Körper eindringen de Wärme zu fühlen, nachdem man sich aufgrund der schneidenden Käl te im Freien selbst fast nicht mehr ge spürt hat. Diese Momente brauchen wir und sie dürfen sein. Momente, in denen wir nicht gegen aussen strahlen müssen, sondern absorbieren dürfen, um wieder selbst zu glauben, zu hoffen und zuDemlieben.gegenüber stehen Zeiten, in denen die Welt in Ordnung ist und man selbst vielleicht nicht gerade zum Bersten gefüllt, aber doch gut versorgt ist, sodass man dieses auftreffende, gött liche Licht grosszügig weiterschenken und mit anderen Menschen teilen will und kann.Derpersönliche Glaubensweg be steht aus diesem Zusammenspiel von Absorption und Reflexion. Beides hat seinen Platz und unsere Albedo darf im mer mal wieder in die eine oder ande re Richtung ausschwenken, damit wir gesund unterwegs bleiben können. Je nach Persönlichkeit müssen wir auf un sere Schlagseiten achten: Dass wir we der in christlichen Aktivismus verfallen und unser Innenleben vernachlässigen noch egoistisch eingeigelt immer nach der nächsten Gotteserfahrung suchen, ohne dass es irgendjemandem zugute kommt. Wir können also – um anzu knüpfen an die Geschichte von Maria, die zu Jesu Füssen sitzt, und Martha, die aktivistisch durchs Haus flitzt – in beide Richtungen übersteuern.

Und hier tun wir gut daran, uns immer wieder mal selbst zu prüfen: Die Art und Weise, wie ich meine Mitmen schen liebe – auf was für ein Gottes bild lässt sie schliessen? Viele Menschen schauen auf die Christen und leiten da raus ab, wie Gott ist. Dabei rechtferti gen sich die Christen und sagen, dass man nicht von den Menschen auf Gott schliessen sollte. Dem pflichte ich bei. Und gleichzeitig auch nicht. Denn Ref lecting God’s Love zeigt sich letztlich eben genau an dieser Schnittstelle, wo Menschen aufeinandertreffen, und an der Art, wie sie miteinander umgehen. Und da sollten wir uns nicht zu schnell mit weniger zufrieden geben als mög lich wäre. Denn Vers 21 bringt es auf den Punkt: Denkt an das Gebot, das Gott uns gegeben hat: Wer Gott liebt, ist verpflich tet, auch die Geschwister zu lieben. Um Gottes Liebe besser zu reflek tieren, können ein paar simple Fragen im Alltag richtungsweisend sein: Bringt das, was ich tue, mein Gegenüber dazu, Gott mehr zu lieben? Ist meine Reak tion hier eine Reflexion von Gottes Licht? Ist mein Umgang mit diesem Menschen ein Ausdruck meines Ver trauens auf Gottes umfassende Liebe? Wir bei Campus für Christus möchten jedenfalls hier neu Land einnehmen.

7 | AMEN Streichholz hat die Kraft, einen ganzen Raum zu erhellen. Wie oft habe ich er lebt, dass auch in Zeiten, in denen ich gefühlt gar nichts geben konnte, Gott bei Menschen gewirkt hat. Sei es bei einem kraftlos und glaubensschwach gemurmelten Gebet, oder bei einem Gespräch mit jemandem, bei dem sich jede einzelne Minute anstrengend ange fühlt hatte – Gott kann durch uns wir ken, selbst wenn unsere Albedo mal in den Promille-Bereich sinkt. Dazu noch etwas Weiteres, das entspannt: Wir dürfen Gottes Lie be entsprechend unserer persönlichen Wesensart reflektieren. Genauso wie bei verschiedenen Körpern, die unter schiedliche Wellenlängen absorbieren bzw. reflektieren, ist das auch bei uns Menschen. Im Bereich des Lichts ent stehen so die verschiedenen Farben –während im Segment des Glaubens ver schiedene Ausprägungen des Glaubens sichtbar werden: Menschen, die Gottes Liebe reflektieren, indem sie gut zuhö ren können, helfen können, Wahrhei ten verständlich erklären können, in dem sie Menschen oder Projekte leiten, organisieren und planen, oder kreativ etwas Neues erschaffen, indem sie Gu tes tun oder Gutes reden – die Art und Weise, wie sich Göttliches in den Men schen widerspiegelt, ist ebenso vielfältig und unterschiedlich wie die Farbpalette eines Malers. Deshalb funktioniert es nicht, wenn wir versuchen, Menschen christlich oder kirchlich zu uniformie ren. Vielmehr sollten wir einander da bei helfen, immer wieder in Richtung «Sonne» ausgerichtet zu leben, das göttli che Licht selbst zu empfangen und es auf unsere Art in diese Welt strahlen lassen.

Darum haben wir unser neues Motto nach Johannes 4 neudeutsch formu liert: «Reflecting God’s Love».

IM LICHT LEBEN HEISST LIEBEN Eine Frage, die mich nur schon als Va ter meiner vier Töchter immer wieder bewegt: Wie können wir so «im Licht leben», dass dessen Reflexion in unse rem Leben besser sichtbar wird? Denn wer uns Christen beobachtet, wird zu weilen ernüchtert feststellen, dass es bei uns keineswegs «heiliger» zu- und her geht als an Orten, wo Gott kein The ma ist. Woran also können nur schon meine eigene Familie und meine Nach barn erkennen, dass ich tatsächlich von Gottes Geist und seinem Licht erfüllt und durchdrungen bin? Worin konkre tisieren sich diese göttlichen Lichtstrah len, die sich in unserem Leben wider spiegelnFürwollen?michist die Antwort im Auf blitzen der Ur-Wesensart Gottes zu fin den. Immer dann, wenn göttliche Cha rakterzüge unserer Leben durchdringen. Allen voran sein Frieden und die Lie be. Daran wird man uns Christen in Zukunft wohl mehr als je erkennen –und messen. Das ganze Kapitel 4 des ersten Johannesbriefs redet beispiels weise von dieser göttlichen Liebe: Mei ne Freunde, wir wollen einander lieben, denn die Liebe hat ihren Ursprung in Gott, und wer liebt, ist aus Gott gebo ren und kennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe. Es geht schlicht darum, die Liebe Got tes zu ertasten, zu umarmen und zu re flektieren. Wir widerspiegeln Gott, in dem wirAber:lieben.Wir widerspiegeln Gott nicht, indem wir verkrampft versuchen, Menschen mehr lieb zu haben, als wir es tun, sondern indem wir immer neu Gottes Liebe unser Vertrauen schen ken. In Vers 16 heisst es: Wir haben er kannt, dass Gott uns liebt, und haben dieser Liebe unser ganzes Vertrauen ge schenkt. Gott ist Liebe, und wer sich von der Liebe bestimmen lässt, lebt in Gott, und Gott lebt in ihm. Andreas Fürbrin ger hat dazu einmal wunderbar ange merkt: «Ich widerspiegle das, auf das ich vertraue.» Eine Kernaufgabe des Lebens ist es, Gottes Liebe unser Ver trauen zu schenken und uns von ihr bestimmen zu lassen. Das Lieben von Menschen ist dann wirklich die Refle xion meiner innigen Gottesbeziehung.

«Was für ein Mensch bist du, Christina?» «Hm. Mich faszinieren Menschen und ihre Geschichten. Ich bin eine gute Zu hörerin. Freundinnen würden sagen, ich sei immer die, die Fragen stellt. Am Ende wisse man nichts über mich.» «Dann schlage ich vor, wir drehen den Spiess für einmal um. Du redest. Ich bin die, die zuhört und deine Geschichte weitererzählt. Damit wir am Ende alle etwas wissen über Christina Wüthrich.» «Na gut.» April 2014, abends um halb sieben. Christina Wüthrich steht in ihrer WGKüche und kocht. Eine ihrer Mitbe wohnerinnen stürmt in die Küche und erzählt, sie habe eben ein Ehepaar ken nengelernt, das auf dem Luzerner Stras senstrich regelmässig mit dem Anliegen unterwegs ist, etwas gegen Menschen handel zu tun und Frauen und Männer in der Prostitution zu begleiten. Auch an diesem Abend werden sie losgehen.

von Tamara Boppart Christina Wüthrich verändert nicht die ganze Welt, aber sie verändert Welten. Die von Einzelnen. Die studierte Sozial arbeiterin träumt im Grossen und beginnt im Kleinen.

Die Mitbewohnerin habe ihnen be reits mitgeteilt, dass Christina mit da bei sein werde. Christina rührt seelen ruhig weiter in ihrem Topf, während sich in ihrem Kopf die Gedanken über schlagen. Will ich? Muss ich? Genau heute? Die Pläne für den Abend sind bereits gemacht. Das Essen auch. «Sei flexibel! Genau dafür hast du doch ge betet», meldet sich eine der leisen Stim men aus dem lauten Gedankenknäuel. Eine halbe Stunde später sitzt Christi na im Auto und wenig später steht sie zum ersten Mal in einem Bordell. «Das ist nichts Schönes», ist alles, was mir Christina dazu sagt. Noch an diesem Abend wird ihr klar: Sie ist am richti gen Ort. Genau das soll sie tun.

DER MENSCH IM ZENTRUM

Von diesem Tag an geht sie ein- bis zweimal im Monat als freiwillige Mit arbeiterin des Vereins bLOVEd mit zu den Prostituierten. Christina studiert in Luzern Soziale Arbeit und macht während des Studiums ein Praktikum in einem Kaffee auf dem Berliner Stras senstrich. Sie lernt weltweit Menschen mit demselben Herzensanliegen ken nen und will mehr verstehen über die gesamte Thematik von Menschenhan del und Prostitution. Immer wieder macht sie kürzere oder längere Einsät ze in Osteuropa. Später fordert Gott sie heraus, sich dem Thema Prostitu tion und den Menschen darin ganz zu schenken. Keine leichte Entscheidung für Christina. Aber sie ist wohl zu sehr Weltverändererin und Freiheitskämp ferin, als dass sie sich mit gemütlichen Lösungen im Leben einrichten wür de. Sie kündigt ihre Stelle beim Sozi aldienst für Flüchtlinge und geht für ein halbes Jahr nach Rumänien. Wenn man wissen will, warum die Frau en überhaupt hierher kommen, müs se man die Bedingungen vor Ort ver stehen, sagt Christina. «Wenn dir eine 15-Jährige erzählt, dass sie einfach mit dem Lehrer schläft, um eine gute Note zu bekommen, wird klar, warum Wai senkinder durch Menschenhandel und Prostitution besonders gefährdet sind.» Sie hört den Frauen zu. Taucht ein in ihre Geschichten, Kulturen und Leben. «Man entdeckt Vieles durch einen Menschen.» Christinas Blick gilt immer zuerst dem Menschen, der vor ihr steht. Auf den zweiten Blick schärft sich ihr Auge für die Probleme und die dahinterliegenden Nöte, mit denen die Person hadert. Entschlossen will sie etwas dagegen tun und sieht mit erstaunlicher Klarheit, wo sie hel fen, heilen und etwas verändern kann. Eine ganz besondere Gabe, allem mit erfrischendem Pragmatismus zu begeg nen. «Ich höre den Menschen zu. Es be wegt mich. Dann frage ich: Und jetzt?

AMEN | 8

EINE ANDEREFÜR

Heute arbeitet Christina bei Agape in ternational, einem Arbeitszweig von Campus für Christus, und leitet die Pionierarbeit im Bereich Menschen handel und Prostitution mit der Vi sion, dass Menschen in Freiheit leben dürfen. Frei in einer realen Dimensi on. Und frei in einer metaphysischen

«Unser Blick auf Prostituierte ist noch immer zu oft von oben herab. Ich will ihnen auf Augenhöhe begeg nen. Wir sind alle gleichwertig und in Gottes Bild geschaffen, sagt mir die Bi bel. Ich bin als Schweizerin nicht mehr wert als eine Roma aus Bulgarien, die sich prostituiert, weil sie ihre Familie fi nanziell durchbringen muss.» Deshalb geht Christina nicht hin und sagt den Frauen, was ein gutes Leben wäre, oder rät ihnen zum Ausstieg und macht ih nen damit am Ende noch ein schlech tes Gewissen. Sie verzichtet sowohl auf Mitleid als auch auf Besserwisserei. «Ich gehe hin und bin ihnen eine Freundin. So, wie das Jesus auch gemacht hat.»

DURCHBRINGENFINANZIELLMUSS.

Am Ende des Tages ist es die Liebe von Gott, die Christina antreibt.

BEGEGNUNGEN AUF AUGENHÖHE Tief in Christina steckt der Wunsch, einen Unterschied zu machen. «Ich bin privilegiert. Gesund, gut versorgt, in einer liebevollen Umgebung aufge wachsen. Ich will etwas zurückgeben, damit andere auch etwas vom Segen erleben.» Vieles, was Christina mir er zählt, reicht zurück bis in ihre Kind heit. Sie war eines von fünf Kindern. Ihre Mutter meint noch heute, sie hät te früher ständig Dinge getan, die nie mand sonst tat. Ein neugieriges, offenes Kind. Es war nichts Wildes und Lautes in Christina. Eher ein sich nicht auf drängender Mut und eine Entdecker freude. Am Ende aller Familienurlaube war es Christina, die zwei neue Freun dinnen gefunden hatte. Auch die Spur von Christinas Herzensthema geht weit zurück. Als Familie hatten sie drei Pa tenkinder aus Moldawien. Ihre Mutter erklärte Christina schon früh die Zu sammenhänge von Menschenhandel und Prostitution. Dass es Geld, ein sicheres Zuhause und eine gute Aus bildung braucht, damit Waisenkinder nicht zum Opfer werden.

9 | AMEN ICH BIN ALS SCHWEIZERIN NICHT MEHR WERT ALS EINE ROMA AUS BULGARIEN, DIE SICH PROSTITUIERT, WEIL SIE IHRE FAMILIE

Was können wir tun?» Manchmal sind das die grossangelegten Aktionen und manchmal die kleinen Taten. Da war eine Frau, die nahe am Ausstieg aus dem Milieu war. Christina besuchte sie auf der Arbeit. Als die Frau zum Emp fang kam, weinte diese nur. «In solchen Momenten braucht niemand eine Pro blemlöserin.» Christina nahm die wei nende Frau in die Arme. Erst nach ei ner Viertelstunde fragte sie, was sie für die Frau tun könne. Diese meinte, sie brauche nichts. Mit jemandem weinen zu können, sei das einzige gewesen, was sie nötig gehabt hätte.

GOTTES LIEBE VERSCHENKEN

Kindheitserinnerungen auf. Früher nahm sie jeden Sommer an Camps von Missionaren teil. Ihre zwei schönsten Wochen im Jahr. Marina stimmte in der Bar sogar Lieder an, die sich mit den Erinnerungen zurück in ihr Bewusst sein schlichen. Die Missionare hätten ihr damals auch gelehrt, wie man bete. Sie sollte wohl wieder anfangen zu be ten. Aber nicht jetzt. Die zwei Frauen trafen sich regel mässig. Dann kam Corona und Marina musste nach Hause. Die Rückreise ge staltete sich schwierig. Da es keine Di rektflüge gab, reiste Marina über Buda pest mit dem Zug nach Rumänien. Im Zugabteil sass sie neben einem Theolo giestudenten aus Bulgarien. Eine Zu fallsbegegnung. Sie redeten stunden lang über Gott und den Glauben. Als sie zurück in ihrer Heimat ihr Haus be trat und nach Langem ihre zwei Kinder wieder sah, brach alles wie ein Gewitter über Marina zusammen. Eine Panikat tacke – sie konnte kaum noch atmen. In diesem Moment erinnerte sie sich an Christina, die bei einem ihrer Gesprä che in der Schweiz erzählte, dass sie oft in der Bibel lese, wenn es ihr schlecht geht. Marina rannte in den Keller, wo sie eine alte Bibel vermutete, grub das verstaubte Buch aus und schlug zufäl lig Psalm 91 auf. Beim Lesen wurde sie allmählich ruhiger. Der ihr unbekannte Gott griff ein und beruhigte ihre aufge wühlte Seele. Marina rief danach sofort Christina an: «Diesen Gott gibt es wirk lich!» Sie wolle zu ihm gehören. Christi na und Marina beteten gemeinsam. Ein Neuanfang am Smartphone. Marinas Leben änderte sich mehr und mehr. Sie sah, wie hoch der Preis war, den sie bezahlte, und entschied, nicht mehr in die Schweiz zu kommen, um anzuschaffen. Und das, obwohl sie in finanziellen Problemen steckte und ihre Tochter gesundheitliche Probleme hatte. Bis heute ist Christina mit ihr in Kontakt. Die Dinge entwickeln sich zum Guten für die ganze Familie. «Ich kann nicht alles verändern. Aber ich kann etwas verändern.» Geschichten wie die von Marina sind der Grund, wa rum Christina jeden Tag daran festhält, dass es sich lohnt. Auch wenn es nicht die ganze Welt ist, die verändert wird, es ist die Welt einer Frau. Das muss reichen.

Christina Wüthrich arbeitet bei Agape international im Bereich Menschenhandel (agape.ch). Sie lebt in Luzern und leitet dort den Verein bLOVEd, der sich um Männer und Frauen im Rotlichtmilieu kümmert (bloved-luzern.ch). Christinas Herz schlägt für Osteuropa. Ihre Liebessprachen sind: Kaffee, Berge und ganz viel Gemeinschaft. Dimension – frei in ihren Herzen. «Es ist schön und gut, Frauen zu helfen, die aus der Prostitution aussteigen wollen. Nur ist das ein unglaublich langer Weg. Und sie kommen nur mit tiefen Wun den raus.» Deshalb will Christina alles dafür geben, dass die Frauen gar nicht erst dort landen. In den Herkunftslän dern der Opfer, angefangen mit Südost europa, will sie Direkthilfe leisten unter gefährdeten oder betroffenen Men schen. Dafür bildet sie lokale Gruppen von Gläubigen aus, die für das Thema aufstehen wollen. Und sie entwickelt Material im Bereich Aufklärung, Sen sibilisierung und Prävention. Sie habe Gottes Liebe nicht ge pachtet, sondern wolle sie weitergeben.

Das sei nicht kompliziert, meint sie. Sich kümmern. Helfen. Zuhören. Für einander einstehen. Dass das reicht, um Leben zu verändern, davon erzählt die Geschichte von Marina: Auf einer von Christinas regelmässigen Touren im Schweizer Milieu traf sie auf Marina (Name von der Redaktion geän dert). Die Rumänin arbeitete zu diesem Zeitpunkt erst zwei Wochen im Bordell. «Die erste Zeit ist meist der pure Horror für die Frauen», weiss Christina. «Oft realisieren sie erst dann vollumfänglich, wo sie gelandet sind, was sie zu tun haben und was das mit ihnen macht. Und dabei müssen sie Wege finden, da mit seelisch klar zu kommen.» In die sem fragilen Zustand lernte Christina die Rumänin kennen und bot ihr an, mit ihr einen Kaffee trinken zu gehen. Weil es tagsüber nicht ging, wurde aus der Tasse Kaffee ein Glas Wein. Die zwei Frauen kamen auf den Glauben zu sprechen. Sofort flammten bei Ma rina

AMEN | 10

Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.