Amen Magazin - Sommerausgabe 2018 - Israel begegnen

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A U S GA B E 2 S OM M E R 2 018 W W W. A M E N - MA GA ZI N . CH

DIE NATIONEN SOLLEN ERFAHREN, DASS ICH DER HERR BIN, WENN ICH VOR IHREN AUGEN AN EUCH ZEIGE, DASS ICH HEILIG BIN.

VOLL GLAUBEN LEBEN

ASSAF ZEEVI AUFHÖREN IN SCHUBLADEN ZU DENKEN UND SICH SELBST EIN BILD MACHEN

SABINE FÜRBRINGER FRIEDEN STIFTEN UND FEINDESLIEBE LERNEN

HESEKIEL 36,23B

CHRISTOPH MEISTER DIE GRÄBEN ZWISCHEN CHRISTEN UND JUDEN ÜBERBRÜCKEN

WWW.AMEN-MAGAZIN.CH

ISRAEL BEGEGNEN


IN H A L T 04 D E N « Ä L T E R E N» B R UD E R K E NN E N L E RN E N

Interview mit Johannes Gerloff

08 E IN B L IC K Z UR ÜC K

von Martin Stoessel

1 2 ISR A E L UND D IE W IE D E R H E R ST E L LU N G von Peter Höhn

1 4 SIC H SE L B ST E IN B IL D M AC H E N Interview mit Assaf Zeevi

ES IST KOMPLIZIERT …

PERSÖNLICH

von Leonardo Iantorno

17 B E Z IE H UNGSW E ISE 1 8 « B E T E T F ÜR D E N F R IE D E N IN J E RU S AL E M »

28

von Tabea Geissbühler

21 GE M E IND E L E B E N 24 JUD E NM ISSIO N?

MIT DEN AUGEN DES ANDEREN LESEN

von Guido Baltes

von Prof. Dr. Jacob Thiessen

27 JUD E N B E GE GNE N, A B E R A USG E W O G E N

von Asher Intrater

32 B E ID E SE IT E N L IE B E N

Interview mit Andrew White

39 B E GE GNUNGE N K Ö NNE N W UNDE R W I RKE N

Interview mit Ahmad Mansour

4 3 VE R SÖ H NUNG IST B E Z IE H UNGS ARB E I T

Portrait über Marcel Rebiai

4 8 D IE F R IE D E NSO A SE B E IT A L L IQ A´

Portrait über Johnny und Marlene Shahwan

5 1 B L IC K P UNK T W E L T 5 5 GE B E T : D E R H ÜT E R ISR A E L S 5 6 WA R UM D A R F IC H L E B E N?

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Portrait über Brigitte Müller-Kaderli

5 8 GO T T E S L IE B E F ÜR SE IN VO L K T E I L E N

Interview mit Pfarrer Christoph Meister

SELIG SIND DIE FRIEDENSSTIFTER

von Sabine Fürbringer

62 WAS HAT DER HOLOCAUST MIT MIR ZU TUN? von Viviane Herzog

64 ISRAEL UND GOTTES GRÖSSE von Andreas «Boppi» Boppart 66 K UR Z UND GUT

Interview mit Edi Wäfle

68 WA S C A M P US B E W IR K T 74 A UT O R E N/ IM P R E SSUM 75 P E R SÖ NL IC H

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DAS MAGAZI N VON

V OM KO PF I NS HERZ von Steven Smalley

Amen ist hebräisch und bedeutet fest, verlässlich, treu und ist verwandt mit Begriffen wi Glauben, Wahrhaftigkeit und Treue. Das Magazin Amen, voll Glauben leben inspiriert mit Lebensberichten und geistlichen Impulsen zu authentischer, verbindlicher und glaubwürdiger Jesus-Nachfolge.

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ie begegne ich einem Thema, das so kont overs angegangen wird wie Israel? Inwiefern kann es mein Leben bereichern und mich in meinem Glauben herausfordern? Ich war und ich bin kein Israelspezialist. Schon während meines Theologiestudiums habe ich mich immer wieder gefragt warum häufig so kont overs und hitzig über Israel und die damit verbundenen Themen diskutie t und debattiert wird. «Es ist kompliziert!» Das hat Assaf Zeevi bei einem Vortrag dazu gesagt, und er scheint recht zu haben. Was ist es, das Israel zum Zentrum und Zankapfel so vieler Diskussionen macht?

In einem Punkt scheinen sich jedoch alle einig zu sein: Es lohnt sich und es ist wichtig, sich mit Israel, seiner Geschichte und den Wurzeln unseres Glaubens zu beschäftigen. Historisch, politisch aber vor allem auch in Bezug auf das eigene Glaubensverständnis kommt man an Israel nicht vorbei. Allerdings muss ich mich persönlich auf den Weg machen und entdecken wollen.

In einigen angeregten Gesprächen sowie nach dem Lesen der ersten Texte für diese Ausgabe bekam ich einen vertieften Eindruck von der Komplexität des Themas. ie unterschiedlichen Blickwinkel in den verschiedenen Artikeln und Interviews machten deutlich, dass es keine simplen Erklärungen zu geben scheint. Es ist eben kompliziert.

Am Ende dieses Hefts kann es hilfreich sein, sich zu fragen: Welche Stimmen aus diesem Heft hallen bei mir nach? Was ist mir wichtig geworden? Wozu bin ich herausgefordert oder inspiriert worden? Hier ist Platz für Gedanken, Notizen und offene ragen:


EDITORIAL

B EG EG N U N G A L S S C H L Ü S S E L Als Friedrich der Grosse seinen General von Zieten einmal fragte, ob er ihm einen Beweis für die Existenz Gottes nennen könne, antwortete dieser: «Majestät, die Juden.» Natürlich sind die Juden kein Beweis für die Existenz Gottes, aber sie sind als Volk mit ihrer Geschichte und ihrem alt-neuen Land am Kreuzungspunkt dreier Kontinente ein Zeichen Gottes, das in der Geschichte der Menschheit absolut einzigartig ist. Dabei ist nicht nur das Zeichen an sich aussergewöhnlich, sondern auch die irrationale Art und Weise, wie die Menschheit seit je darauf reagiert hat: mit Argwohn und Ausgrenzung bis hin zu offenem ass und schlimmster Verfolgung. Selbst Christen haben sich mit den Juden und Israel immer wieder extrem schwergetan. Viele sind auch heute angesichts der kontroversen Meinungen, Theologien, edienberichte, «Wahrheiten» und Halbwahrheiten rund um Israel schlicht überfordert, was sie denn nun glauben und nicht glauben sollen? Ich nehme mich davon nicht aus. Unerwartet hat sich für mich durch zwei spannende Begegnungen ein Fenster geöffnet, um mic Israel neu zu nähern. Die eine ergab sich mit dem israelischen Reiseleiter Assaf Zeevi, der uns an der Campus-Mitarbeiterretraite einen erfrischend unorthodoxen Blick auf die Thematik ga . Die andere fand mit dem anglikanischen Pfarrer Andrew White statt, der seit zwanzig Jahren im Nahen Osten an vorderster Front als Friedensstifter tätig ist.

Die Gespräche mit Assaf und Andrew haben Freude geweckt, dem Thema srael eine eigene Amen-Ausgabe zu widmen. Dafür waren die persönlichen Begegnungen ein Schlüssel. Mir ist bewusst geworden, wie hilfreich es ist, dass man nicht immer gleich mit der Tür – sprich mit vorgefasster Meinung – ins Haus fällt, sondern sein Gegenüber als Mensch kennenlernt, seine Geschichte hört, ihn lieb gewinnt, einander Raum lässt und einen Lernweg zugesteht. Darum heisst die vorliegende Ausgabe «Israel begegnen», weil wir nicht einfach Beiträge bringen, die sagen, «wie es mit Israel wirklich ist», sondern die zur persönlichen Begegnung anregen. Lassen Sie sich von Johannes Gerloff, van Thomas, ihad Salman, Johnny und Marlene Shahwan, Marcel Rebiai, Ahmad Mansour, Guido Baltes, Christoph Meister, Brigitte Müller-Kaderli, Sabine Fürbringer und anderen zur eigenen – und über dieses Heft hinausgehenden – Auseinandersetzung mit Israel herausfordern. Denn es könnte sein, dass es in Zukunft mehr denn je Christen brauchen wird, die in dieser überaus komplexen Thematik als eise Brückenbauer und geistlich wache Botschafter der Versöhnung unterwegs sind.

Peter Höhn


Johannes Gerloff

lebt mit seiner Familie seit 24 Jahren in Israel. Der Theologe und ournalist hat mehrere Bücher geschrieben und gilt als diffe enzierte Stimme, was die politische und geistliche Situation im Land betrifft. r arbeitet bei «Fokus Jerusalem», einem TV-Magazin aus Israel, wo er für die biblischen Betrachtungen verantwortlich ist. Johannes Gerloff ist verheiratet mit Krista und hat fünf erwachsene Kinder.


DEN «ÄLTEREN» BRUDER KENNEN LERNEN Interview: Leonardo Iantorno

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as geht uns Israel an? Im Interview berichtet Johannes Gerloff aus seinem Leben in Jerusalem und gibt Einblicke in das (Er-)Leben in Israel. Er ermutigt zu einer neugierigen und demütigen Begegnung und Auseinandersetzung mit unserem «älteren» Bruder Israel.

Johannes Gerloff, was geht zu zeit in Israel ab? Politisch beschäftigt die Menschen zurzeit vor allem die Frage, ob auch die Ultraorthodoxen künftig für den Militärdienst herangezogen werden sollen oder nicht. An dieser Frage könnte die aktuelle Regierungskoalition zerbrechen, so dass wir im Sommer vielleicht Neuwahlen haben könnten. Geistlich entdecken immer mehr Menschen, dass Jesus Jude war. Immer mehr Israelis reden in einer positiven Weise von ihm, entdecken, dass er einer von ihnen war. Wir sind noch weit entfernt von «Erweckung», aber es herrscht grosse Offenheit, auch Christen gegenübe . Israels Nachbarländer kämpfen mit internen Unruhen. In Syrien herrscht ein schlimmer Bürgerkrieg. Inwieweit sind Sie in Israel davon betroffen Was um uns herum geschieht, ist ein unvorstellbares Blutbad. Allein in Syrien werden jedes Jahr mehr Menschen getötet als im Nahostkonflikt zwische

Israel und seinen arabischen Nachbarn während der letzten siebzig Jahre. Vielleicht werden wir im Rückblick einmal vom Dritten Weltkrieg sprechen. Israel bemüht sich, humanitär zu helfen, wenn die Opfer vor seiner Haustür landen. Man fragt sich, wo in Zukunft Kooperation möglich ist und wo gemeinsame Interessen bestehen. Und wie deuten Sie die Geschehnisse? Wenn man mitten drin steht, ist eine Deutung schwer – die Frage ist vor allem, ob die eigene Deutung über längere Zeit standhalten kann. Ganz gewiss geht der Islam durch eine tiefe innere Krise, deren Ausmasse wir wohl erst in ein paar Jahren, vielleicht Jahrzehnten erfassen können. Wie leben Sie als Familie in Jerusalem? Eigentlich ganz normal, wie unzählige andere israelische Familien auch. Der Tagesablauf ist eher unspektakulär. Von unseren fünf Kindern gehen noch zwei

zur Schule. Die anderen sind ausser Haus und studieren. Zwei sind schon verheiratet. Das multikulturelle und orientalisch geprägte Umfeld mit seiner Vielzahl von Sprachen, Mentalitäten und Religionen ist im Alltag nicht selten umständlich, zeit- und kräfteraubend, es birgt auch das Potential von Missverständnissen und Konflikten Aber das, was nervt, wenn man schnell und effektiv etwas erledigen muss, ha auf der anderen Seite auch wieder sein Schönes. Gerade die Orientalen haben Zeit und sind gastfreundlich. Ich liebe es, Menschen zu begegnen und neue Leute kennenzulernen. Die Vielfalt Jerusalems, das am Schnittpunkt von drei Kontinenten liegt, bietet dazu Möglichkeiten wie kaum eine andere Stadt auf der Welt. Wie erleben Sie die politischen und kulturellen Diffe enzen? Ich erfahre die politischen und kulturellen Diffe enzen weniger als Konflikt sondern vielmehr als Bereicherung.


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Anders als etwa in Deutschland, Frankreich, England oder den USA ist es hier ganz normal, dass Menschen mehrere Sprachen sprechen. Auffallend ist auch dass Religion ganz selbstverständlich zum Leben gehört, dass man zu seinem Glauben steht, sich öffentlich zu ih bekennt. Es ist normal, einen Muslim neben seinem Auto knien und beten zu sehen, oder Juden im Bus oder in der Strassenbahn mit aufgeschlagenem Gebetbuch zu begegnen. Überhaupt sind Jerusalem und Israel im internationalen Vergleich und angesichts der Vielfalt an Religionen, Ethnien und Mentalitäten, die hier aufeinandertreffen, odell und Vorbild für erfolgreich gelebte Koexistenz. Es ist faszinierend, dass man ständig etwas Neues kennenlernen kann, auch wenn man hier schon Jahrzehnte lang gelebt hat.

kommen ungefähr einhundert Fachleute nach Israel und sind im ganzen Land in vielen Teilen der Gesellschaft aktiv.

Politisch ist Israel fast täglich Them in den Medien und nicht selten sind die Meinungen verhärtet. Wie erleben Sie das vor Ort? Wo erkennen Sie auch Zeichen der Hoffnung Mein Eindruck ist, dass die Diskussionen im deutschsprachigen Europa oftmals viel schärfer, viel härter, viel kompromissloser sind, wenn es um

Ja, es gibt Besatzung und die damit verbundenen Probleme! Aber in keinem anderen politischen System geniessen Palästinenser so viel Meinungsfreiheit, eine vergleichbare Vielfalt an Bildungsmöglichkeiten, so grosse wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten, so viel politische Einflussmöglichkeiten ode so viel Rechtssicherheit. Und innerhalb der israelischen Gesellschaft sind Araber praktisch in allen Segmenten vertreten, in allen Rängen der Armee und in allen politischen Parteien. Wie beziehen wir in Europa in der politischen Diskussion um Israel am besten Position? Ich denke, zu einer gesunden Demokratie gehört Meinungsvielfalt, auch unter Christen. Mein Anliegen ist, dass Positionen informiert bezogen werden und das nicht aufgrund von Klischees oder Vorurteilen. Gott sei Dank haben wir heute eine Vielfalt von Informationsmöglichkeiten, nicht zuletzt über das Internet. Wichtig ist jedoch, dass wir alle Informationen kritisch miteinander bedenken und besprechen. Dazu gehört die Erkenntnis, dass niemand «objektiv» oder «neutral» ist oder sein kann. Wir können nur unsere Massstäbe und Beweggründe offen auf de Tisch legen und uns entscheiden, von wem wir uns prägen lassen wollen. Da kommt selbstverständlich auch die Bibel ins Spiel, die in meiner Arbeit und bei den Menschen, mit denen ich unterwegs bin, die alles entscheidende Rolle spielt.

BEI ISRAEL GEHT ES UM DAS WOHL DERER, DIE UNS AM HERZEN LIEGEN, UND UM DIE EHRE UNSERES VATERS IM HIMMEL.

Was ist Ihre Vision und Motivation als Journalist in Jerusalem? Die Arbeit als Journalist ist mitunter frustrierend, weil unter den Mediennutzern ohnehin jeder nur das konsumiert, was ihm passt und was er «schon immer gesagt» hat. Andersdenkende zu erreichen oder gar umzustimmen ist schwer. Doch mein Anliegen ist, dass gute und verlässliche Informationen und Analysen über das, was im Nahen Osten geschieht, an die Öffentlichkei kommen. Dass ich dabei, etwa bei Fokus Jerusalem, mit einem fähigen Team zusammenarbeiten darf, ist für mich ein grosses Geschenk. Heute kann im Hinblick auf die Geschehnisse in und um Israel eigentlich niemand mehr sagen: «Das konnte ich nicht wissen!» Eine breite Palette von Nachrichtenangeboten bietet etwas für jeden Geschmack und übersieht fast nichts. Besonders wertvoll ist für mich, wenn ich miterleben darf, wie Menschen das Gelernte in der Praxis umsetzen, wie das etwa im Rahmen der Arbeit der sächsischen Handwerker geschieht. Jedes Jahr

Israel geht, als das im Nahen Osten der Fall ist. Ich würde den Blick der Europäer gerne auf das Wunderbare, das Faszinierende, das Schöne und Gute lenken, das in siebzig Jahren Existenz des Staates Israel gewachsen ist. Das gilt für alle Bereiche. Israel hat heute eine der erfolgreichsten Volkswirtschaften weltweit und eine der härtesten Währungen. Das Land, seine Gesellschaft und der Staat können sich in jeder Hinsicht mit jedem Land der westlichen Welt vergleichen lassen. Das gilt übrigens auch für die Frage der Beziehung zwischen Arabern und Juden, zwischen Palästinensern und Israelis. Woran denken Sie konkret? Ohne die Probleme kleinreden oder als unwesentlich abtun zu wollen: An keinem anderen Ort der Welt haben alle vor Ort vertretenen Religionen so viel Freiheit wie im Staat Israel. Den Arabern, die sich Palästinenser nennen, geht es in keinem Land des Nahen Ostens, einschliesslich der palästinensischen Autonomiegebiete, so gut, wie unter israelischer Besatzung – und indem ich das sage, betone ich noch einmal:

Auf welchen Plattformen kann man sich «ausgewogen» informieren? Wenn ich hier anfangen würde, Empfehlungen auszusprechen, wären die Fettnäpfchen vorprogrammiert. Bei all den Medien ist es wichtig zu fragen, welche Absicht sie verfolgen, welche Quellen sie verwenden, von wem sie abschreiben, welche Begrenzungen


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sie haben. Es gibt hier in Israel z.B. Zeitungen, die im militärischen und diplomatischen Bereich ausgezeichnet informiert sind, aber in Bezug auf Religion keine Ahnung haben und in Sachen Politik eine Katastrophe sind. Der Grund für die verzerrte Wahrnehmung und Berichterstattung in Europa sind nicht so sehr einseitige Medien, sondern vielmehr Vorentscheidungen und Klischees, die Menschen bewusst oder unbewusst prägen. Es gibt unter den Christen Israelfans und auf der anderen Seite Ablehnung oder Gleichgültigkeit, wenn es um Israel geht. Warum sollte uns das Th ma Israel eigentlich interessieren? Wenn ich einmal die biblische Begründung dafür, dass man sich für Israel interessieren sollte, ausser Acht lassen darf: Warum ereifert und engagiert sich die Welt so sehr für dieses kleine Land? Rational und säkular und ohne die Bibel ist das nur schwer zu erklären. Wenn man sich jedoch an der Bibel orientiert, stellt sich die Frage umgekehrt: Wie will man als Christ überhaupt die Bibel ohne das Land Israel und ohne das Handeln Gottes mit dem jüdischen Volk erfassen? Und was an unserer christlichen Identität, unserem Glauben, unserer Zukunft, unserer Hoffnung, ha nichts mit Israel zu tun? Gott hat äusserst sorgfältig ein Land ausgewählt, ein Volk geschaffen, dessen prache, Kultur, Mentalität und Denkweise geprägt, um dann sein Wort in diesem Rahmen der ganzen Menschheit anzuvertrauen. Das geht uns alle etwas an. In letzter Zeit fasziniert mich wieder ganz neu der Gedanke: Wenn Gott mit diesem Volk zu seinem Ziel kommt, wenn wirklich einmal, wie Römer 11 es sagt, «ganz Israel gerettet wird», dann gibt es auch Hoffnung für enschen wie mich. Das ist Hoffnung pur Wie können wir uns dem Them Israel persönlich am besten nähern? Indem wir das Land und das Volk kennenlernen – am besten durch einen Besuch. Aber es gibt natürlich vieles, was man auch ohne Reise ansehen, lesen

und lernen kann. Der wichtigste Schritt ist zunächst einmal, sich für Israel zu interessieren. Alles Weitere ergibt sich dann von selbst. Das ist individuell sehr unterschiedlich. Manch einer entwickelt sich zum Nahostexperten. Andere fangen an, Hebräisch zu lernen. Viele unternehmen eine Israelreise, lernen das Land, die Geschichte, einzelne Menschen kennen – und wer einmal hier war, kommt meist wieder. Was ist in der Begegnung und im Dialog zwischen Juden und Christen wichtig? Dass wir einander wirklich kennenlernen – und dass wir Christen theologische Judenfeindschaft – und sei sie auch nur latent – schonungslos aufdecken und korrigieren. Ich plädiere für eine grundsätzliche Demut gegenüber unserem «älteren Bruder» und für viel Neugierde. Wir sind in unserer christlich-mitteleuropäischen Denkweise vielfach von uralten Vorurteilen geprägt, die einer wirklich offenen egegnung mit jüdischen Menschen nicht standhalten können. Dazu gehört etwa die Meinung, Juden müssten sich durch Werke selbst vor Gott rechtfertigen, oder dass man glaubt, Opfer seien dazu dagewesen, Gott versöhnlich zu stimmen. Ich habe orthodoxe Juden kennengelernt, mit denen ich viel mehr teile, als mich von ihnen trennt. Das gilt auch für die persönliche Beziehung zum Vater im Himmel und unsere Mühen, ihn durch unser Leben zu ehren. Wo braucht es noch Versöhnung seitens der Christen? Das ist schwer zu sagen. Ich selbst hatte nie das Bedürfnis, mich mit den Menschen hier im Allgemeinen zu «versöhnen», weder als Deutscher, noch als Christ. Ich war nie ihr Feind. Und ich habe persönlich auch nie einen Vorwurf mir gegenüber gespürt, auch nicht von Holocaustüberlebenden. Allerdings habe ich Menschen weinen sehen, denen ihre eigene antisemitische Prägung bewusst wurde oder die mit der Schuldgeschichte ihrer eigenen Vorfahren konfrontiert wurden. Besonders

beeindruckt hat mich, als Philipp Prinz von Preussen vor ein paar Jahren in einem kleinen Kreis von Geschwistern in der Auguste-Viktoria-Kirche auf dem Ölberg Gott um Vergebung dafür gebeten hat, dass seine Vorfahren den Ersten Weltkrieg verschuldet haben. Ich denke, der wichtigste und grösste Schritt in Richtung Versöhnung ist, dass wir unsere eigenen Prägungen erkennen und zu unserer Geschichte als Deutsche und als Christen stehen. Dem jüdischen Volk wurde in keinem anderen Namen so viel Unheil zu gefügt, wie in dem Namen Jesus. Das ist eine Tatsache. Für mich ist die grösste Herausforderung als Christ und Deutscher, mit mir selbst und mit meinem Volk, mit meiner Prägung und meinem Hintergrund versöhnt zu leben. Was möchten Sie zum Schluss unseren Lesern noch besonders ans Herz legen? Psalm 122 sagt in seinen beiden letzten Versen im Blick auf Jerusalem: Um meiner Brüder und Freunde willen will ich vom Frieden in dir reden. Um des Hauses des Herrn, unseres Gottes willen erbitte ich das Gute für dich. Bei Israel geht es um das Wohl derer, die uns am Herzen liegen, und um die Ehre unseres Vaters im Himmel. Wem beides am Herzen liegt, tut gut daran, sich um Israel zu kümmern, es besser kennenzulernen und dann auch klar Stellung zu beziehen.


EIN BLICK ZURÜCK

von Dr. Martin Stoessel

1897

1917

Theodor erzl, Begründer des politischen Zionismus, formuliert im «Basler Programm»: «Der Zionismus erstrebt die Schaffung einer öffe lich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina für diejenigen Juden, die sich nicht anderswo assimilieren können oder wollen.» Die Sehnsucht nach einer eigenen jüdischen Heimat wuchs unter dem Eindruck der verstärkten Pogrome in Osteuropa und der gescheiterten Assimilierungsversuche im Westen.

Am 2. November sendet der britische Aussenminister Arthur Balfour die nach ihm benannte Deklaration der britischen Regierung, an Baron Rothschild. In dieser erklärt er das Einverständnis zur Idee der Errichtung einer nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina.

1. ZIONISTENKONGRESS IN BASEL.

BALFOUR-DEKLARATION.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts setzt die moderne Alija, die Rückkehr von Juden nach Palästina (ab 1948 nach Israel) ein. Nach dem 1. Weltkrieg bekommen arabische Fürsten für ihre Unterstützung der Briten gegen das Osmanische Reich als Gegenleistung ihre eigenen Länder: Saudi-Arabien, Irak und Jordanien. Palästina steht unter britischem Mandat. Wegen ihrer Verpflichtungen den Arabern gegenüber versuchen die Briten, trotz BalfourDeklaration, auch während des 2. Weltkriegs, die jüdische Einwanderung einzuschränken. Dies führt zur Alija Bet, der «illegalen» Einwanderung.


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Unter einem Porträt von Theodor Herzl verkündet David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 in der Unabhängigkeitserklärung «kraft des natür ichen und historischen Rechts des jüdischen Volkes und aufgrund des Beschlusses der UNO-Vollversammlung» die Errichtung des Staates Israel.

1948

1956

Am 14. Mai proklamiert David Ben-Gurion den unabhängigen Staat Israel auf dem durch den UN-Teilungsplan bestimmten Territorium. Umgehend bricht der erste arabisch-israelische Krieg aus: Truppen aus Ägypten, Transjordanien, Syrien, dem Irak und dem Libanon marschieren ein, werden dann aber über die ursprünglichen Grenzen hinaus zurückgedrängt. Nach dem Waffenstillstand entsteht Israel in erweiterten Grenzen. Gemäss UN sind 726 000 Palästinenser geflüchtet oder vertrieben worden. Im Gegenzug kommt es zur Massenflucht der jüdischen evölkerungen aus den arabischen Ländern wie Irak, Syrien, Jemen, Marokko und Tunesien. Insgesamt flüchten und 800 000 Juden aus ihrer Heimat und müssen sich in Israel eine neue Existenz aufbauen.

Als der ägyptische Präsident Nasser den SuezKanal verstaatlicht, versuchen Israel, Frankreich und Grossbritannien, diesen durch eine Militäraktion zu besetzen. Die Ägypter blockieren den Kanal aber weiterhin und der internationale Druck, besonders der USA und der UdSSR, erzwingen den Rückzug der drei Alliierten. Abgesehen von der Öffnung de Strasse von Tiran für die Schifffah t ist die SuezKrise eine diplomatische Niederlage für Israel.

STAATSGRÜNDUNG.

SUEZ-KRISE.


AMEN | 10

Das Bild von David Rubinger wurde zum Symbol des Sechs-Tage-Krieges: Drei israelische Fallschirmjäger stehen am 7. Juni 1967 an der Klagemauer, die zuvor 19 Jahre unter jordanischer Kontrolle stand.

1967

1979

Nach der erneuten Schliessung der Strasse von Tiran für die israelische Schifffah t und einem massiven ägyptischen Truppenaufmarsch an seinen Grenzen führt Israel einen Präventivschlag gegen die Luftwaffenbasen von Ägypten, Jordanien und Syrien, der einem befürchteten Angriff zu orkommen soll. In den ersten Stunden werden deren Luftwaffen noch a Boden fast vollständig zerstört, was den darauffo genden Krieg entscheidend beeinflusst. Am nde des Krieges kontrolliert Israel zusätzlich den Gazastreifen, den Sinai, die Golanhöhen, das Westjordanland und Ostjerusalem mit der Klagemauer.

Am 19. November 1977 besucht der ägyptische Präsident Sadat als erstes arabisches Staatsoberhaupt Israel und hält eine Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament. In der Folge schliessen die beiden Staaten 1979 in Camp David einen Friedensvertrag, der unter anderem eine gegenseitige Anerkennung und die Rückgabe des Sinais an Ägypten beinhaltet.

SECHS-TAGE-KRIEG.

1973 JOM-KIPPUR-KRIEG.

Am höchsten jüdischen Feiertag überfallen Ägypten und Syrien Israel. Nachdem Israel seine Armee voll mobilisiert hat, kann es die Angriffe zu ückschlagen und überschreitet in der zweiten Kriegswoche die ehemalige Waffenstillstandslinie. er Krieg endet durch die UN-Resolution 338.

FRIEDE MIT ÄGYPTEN.

1987 INTIFADA.

Gegen die israelische Besatzung wehren sich die Palästinenser mit der ersten (ab 1987) und der zweiten (ab 2000) Intifada («sich erheben»). Sie verüben Raketenangriffe, berfälle und Anschläge, die bislang über 1000 Israelis und 3500 Palästinenser das Leben gekostet haben. Seit 1967 errichtet Israel in den im Sechs-Tage-Krieg


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