Leben und wir Olivia ist Mutter von vier Kindern und zeigt, dass es möglich ist, auch mit mehr als einem Kind die Bedürfnisse aller im Blick zu haben.
Unerzogen ist eine Haltung Unerzogen ist eine Grundhaltung, keine Methode. Dieser Haltung liegt die Einsicht zugrunde, dass mein Kind genau denselben Wert hat wie ich. Seine Meinungen und Vorschläge sind genauso wertvoll wie meine und werden deswegen ernst genommen. Menschen, die eine unerzogene Haltung ihren Kindern gegenüber einnehmen, machen diese nicht zum „Objekt“, dessen Bedürfnisse und Wünsche sie in der Entscheidungsfindung komplett außer Acht lassen. Der Blick aufs Kind ist liebevoll, das Bild vom „maßlosen Kind“, das zum Tyrannen wird, wenn man seinen „Neigungen“ keinen „Einhalt gebietet“, schlicht falsch. Unerzogen nimmt den Fokus vom Verhalten des Kindes und schiebt ihn hin zu den Eltern: Mein Kind tut etwas, wie gehe ich nun damit um, wie begegne ich meinem Kind? Jesper Juul, der berühmte Familientherapeut und Bestseller-Autor, hat den
Empfohlene Lektüre • Alle Werke von Jesper Juul • Naomi Aldort: Von der Erziehung zur Einfühlung • Alfie Kohn: Liebe und Eigenständigkeit • Alice Miller: Am Anfang war Erziehung • Arno Gruen: Wider den Gehorsam
ZUM WE I TERLES E N Empfohlene Blogs: Unerzogen Leben (unerzogenleben.com) Elternmorphose (elternmorphose.de) Freefamily.rocks (freefamily.rocks) Piepmadame (www.instagram.com/piepmadame) Mini and Me (www.mini-and-me.com)
© Clemens Schenter (1), Daniela Glunz (1), Verleiher (3)
landet man bei Sätzen wie: „Wenn du jetzt nicht gehorchst, hat Mama dich nicht mehr lieb.“ Auch wenn wir beim Lesen eines solchen Satzes zusammenzucken und denken, wir würden so etwas nie zu unseren Kindern sagen, gibt es doch viele Beziehungen, in denen Sätze wie dieser zwar nicht ausgesprochen, aber täglich vom Kind gespürt werden.
» Man sollte, wenn möglich, seine Kinder wahrnehmen und ernst nehmen – und damit haben die meisten Eltern Probleme. « Jesper Juul im Interview mit dem Unerzogen Magazin Begriff der Gleichwürdigkeit geprägt: „Man sollte, wenn möglich, seine Kinder wahrnehmen und ernst nehmen – und damit haben die meisten Eltern Probleme. Sie denken nämlich, wenn man jemanden ernst nimmt, muss man ihm auch geben, was er will.“ Es gilt, dem Kind zu signalisieren: „Ich sehe deinen Wunsch bzw. dein Bedürfnis, ziehe es mit in Betracht, und ich als Erwachsener entscheide.“ Ist das eine Entscheidung, die dem Kind nicht gefällt, übernehmen Eltern die Verantwortung für ihr Handeln und begleiten das Kind durch Wut und Trauer. Unerzogen im Alltag „Piepmadame“ Wiebke betont: „Wenn man Erziehung weglässt, ist es für Unerzogen essenziell, dass an ihre Stelle Beziehung tritt. Ich bin in ständiger Verbindung zu meinem Kind.“ So entscheidet ihre Tochter zwar selbst, was
sie isst, wann sie schlafen geht und was sie anzieht – aber nicht alleine. Wiebke sieht ihre Aufgabe darin, für ihre Tochter da zu sein, sie zu begleiten, zu unterstützen und Alternativen aufzuzeigen. So ist ihre Tochter zum Beispiel meist barfuß unterwegs. „Ich mache mich frei von ‚Das macht man nicht!‘ und genieße es, sie dabei zu beobachten, wie sie über Gras rennt oder langsam auf spitzen Steinchen balanciert.“ Wiebke lässt ihre Tochter diese Erfahrung machen, hat aber Schuhe mit dabei für den Fall, dass sie ihre Meinung ändert. Sie erklärt: „Meine Aufgabe ist nicht, sie in ihre Schuhe unter Tränen zu zwingen oder ihr zu verbieten, rauszugehen. Ebenso wenig begegne ich ihr aber mit einem ‚Ist mir doch egal!‘ und lasse ihre Schuhe womöglich einfach daheim.“ Als Nächstes spricht Wiebke über eine Situation am Spielplatz, in der ihre Tochter ein anderes Kind mit Sand bewarf. Sie sagt: „Die eigene Freiheit endet dort, wo die eines anderen Menschen eingeschränkt wird.“ Deshalb bat sie ihre Tochter darum, aufzuhören. Hier unterscheidet sie klar zwischen einer Bitte und einem Befehl: Die Bitte kann verneint werden. Und das tat ihre Tochter im konkreten Fall. Es war also an Wiebke als Mutter, ihrer Tochter Alternativen anzubieten. Ihre Lösung sah so aus, dass sie Sand und Blätter in einen Kübel füllten, zur nächsten Hecke gingen und ihre Tochter dort weiter mit Sand werfen durfte, wo niemand gestört wurde. „Solche Beispiele können nie allumfassend sein. Am Ende sind es mein Weg, meine Ressourcen und mein Kind.“ Auf der Suche nach Lösungen fragt sie sich immer: Was ist meine innere Haltung und wie h er bst 2017 |
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