Optimus studie - Sexuelle Übergriffe

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64  Resultat 4 | Opfererfahrungen im Lebenslauf

dacht hegte, er missbrauche die Tochter. «Es hiess dann, ich sähe wohl Gespenster.» Erst Jahre später, als das Mädchen bereit war, darüber zu sprechen, konnte der Täter verurteilt werden. «Das war sicher einer der härtesten Fälle in den 40 Jahren, in denen ich nun schon hier bin», sagt Aerschmann. «Gemeldete Fälle haben zugenommen» Was er über diese lange Zeit auch feststellt: Die Zahl der uns gemeldeten sexuellen Missbrauchsfälle steigt. «Wir erheben zwar keine Daten, aber ich habe das Gefühl, wir werden viel öfter damit konfrontiert als noch vor zehn, zwanzig Jahren», sagt Aerschmann. Ob Kinder tatsächlich häufiger missbraucht werden als früher oder ob sich vor allem der Umgang mit dem Thema verändert hat, ist offen. «Man spricht heute sicher auch eher darüber und Kinder wissen eher, was in Ordnung ist und was nicht. Aus­ serdem werden heute auch eher Vorfälle als Missbrauch angesehen, die man früher vielleicht noch anders beurteilt hätte.» Dennoch glaubt Aerschmann, dass gerade Jugendliche viel stärker mit Sexualität und damit auch mit sexueller Gewalt in Kontakt kommen als früher. «Das Alter der Kinder und Jugendlichen, die

selber Taten begehen, ist gesunken. Kinder sind heute sexuell früher reif und sie wachsen in einer sexualisierten Welt auf.» Dass sie heute öfter auch mit sexuellen Übergriffen konfrontiert sind, ergebe sich allein schon durch die technische Entwicklung, die zahlreiche neue Formen sexueller Grenzüberschreitungen entstehen liess. «Handys, Internet mit frei verfügbarer Pornografie, Chatrooms, all das gab es bis vor nicht allzu langer Zeit schlicht noch gar nicht.» So komme es denn auch immer häufiger vor, dass ­Eltern oder andere Drittpersonen beim Jugendamt anrufen, um sich Rat zu holen. «Ich hatte auch schon mal eine Mutter, deren Tochter anonyme SMS bekam und die fragte, was sie tun könne. Wir haben sie zur Polizei geschickt», erzählt Aerschmann. Allgemein bestehe ein gros­ ­ser Nachholbedarf vor allem auf Seiten der Erwachsenen im Umgang mit den neuen Medien. «Wir mussten auch schon Eltern darauf hinweisen, dass sie kontrollie­ren sollten, was ihre Kinder im Internet ­machen.» Aufklärungsbedarf bei Eltern und Kindern Doch auch die Kinder und Jugendlichen müssten noch besser aufgeklärt wer­den über ihre Rechte: «In der Prävention

Optimus Studie Schweiz Februar 2012

könnte noch viel getan werden. Aber es braucht eben auch die Mittel und den Willen.» Joseph Aerschmann plädiert insbesondere für mehr Mitentscheidungsrechte von Kindern und Jugendlichen, auch politisch: «Ich bin überzeugt, wenn Kinder und Jugendliche ihre Rechte kennen, wenn sie mitentscheiden dürfen und die Erfahrung machen, dass ihre spezifischen Interessen ernst und wahrgenommen werden, schützt sie dies auch vor Übergriffen und sexueller Gewalt.»


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