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Der Maler Carlos Penas

CELULAR

Carlos Penas „Der Himmel steht still. Backismus!“

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SÍNCOPE

Carlos Penas brennt. In seiner Welt hat alles, was ihm etwas bedeutet, Ästhetik. Jede Form von Heuchelei verabscheut er, deshalb ist der Surrealismus nicht nur künstlerisch sein zu Hause, er lebt ihn Tag für Tag, mit Haut und Haar. Seine anarchistische Weltau assung hat hier seinen Platz.

Der Rebell, der Poet, die Skulptur „Nur das, was dich berührt, verändert dich. Kunst, die nicht berührt, ist keine Kunst“. Als Junge lehnte er sich gegen das bürgerliche Leben seines Vaters auf, das vom Franquismus diktiert wurde und begann früh zu malen. Diese Zeit beschreibt er mit den Worten „traurige Glückseligkeit seiner Kindheit“. Ein Rebell ist er immer noch, in seiner Realität zählt die authentische Wirklichkeit, die sich in seinem Inneren abspielt. Seine immense Vorstellungskraft ist schnell, allzeit anwesend, und drückt sich sofort aus. Vor ihm liegt ein Klumpen Teer, mit dem Heißluftfön bringt er durch das gezielte Anschmelzen Form hinein. Ölverpestung der Meere, schwarzes Gold, Ausbeutung, Unterdrückung, Tod – diese Worte tauchen auf, während die Skulptur im Prozess ist ein Boot zu werden. Haben ihn früher Begrenzungen bis in den Wahnsinn getrieben, lacht und weint er zugleich, denn erkennen musste er auch, dass „eine grenzenlose O enheit, eine Freiheit, die sich nicht betäuben lassen will, Wissen braucht, die sie im besten Fall beschützt.“ Dem Tod hat er schon zweimal ins Gesicht geschaut und er erzählt knapp von dem Leben auf der Straße, dem abgebrochenem Jurastudium, seinem Kunststudium, seinen zwei Söhnen, Trennung, Isolation, seinen Jahren als Geschäftsmann, seinem Sturz zur Sucht bis zur Inhaftierung. Er schüttelt den Kopf, weil er „zu viel Zeit verschwendet hat für seine Dummheit“. Seine Reise zu sich selbst hat er vollbracht, der Preis war hoch. Schon mit 19 Jahren präsentierte der in Santander 1965 geborene Carlos, aufgewachsen in La Coruña, seine real-abstrakte, ausdrucksstarke Poesie. Surreale Poesie ist entstanden unter seiner ersten Verö entlichung 2018 mit dem Gedichtband „Los desagravios de oxímoron“ und dem zweiten Band 2020 mit dem Titel „He roto los abetos“. Ein drittes Buch ist kurz vor der Verö entlichung.

Der Fotograf Carlos hat an Enthusiasmus nichts verloren und mit seiner Kreativität zieht er sie an, die Liebhaber von Extravaganz und starken Emotionen. Er bevorzugt es nachts zu malen, mit wenig Licht und taucht dann unter, weg von ethischen Normen und Fragen, ohne Vernunft-Kontrolle und Denkdiktate. Er bewegt sich dort, wo die surreale Welt, die Herrschaft der Logik verabschiedet. Seine Bildsprache in der Fotografi e ist radikal und experimentell. Über das Spiel mit dem Objekt und Subjekt setzt er sozial-kritische Aussagen um. Es entstehen ästhetisch-avantgardistische Fotografi en.

„Richtig rum, falsch rum, gibt es das?“ Er hat einige Bilder gemalt, die gedreht aus allen Richtungen zu betrachten sind. Mit dabei sind „El Fondo de un mar imposible“, „Celular“ und das Bild „La Ascensión“ (Der Aufstieg). Es zeigt eine verschwommene menschliche Gestalt, sie wirkt wie in Licht gehaucht, die mit echten Nägeln ans Kreuz auf Leinwand geschlagen ist. Machtvoll steigt das Kreuz Richtung Himmel auf. Wer in das Blaue schaut, kann sie wahrnehmen, schwebende Wesen, Fische, Gesichter. Stellt man das Bild auf den Kopf, erkennt man einen Piloten, der in irrer Geschwindigkeit, nach vorne schauend, mit seinem Flugobjekt „Kreuz“, in den Himmel schießt und Spaß dabei hat. Carlos fuchtelt mit den Armen und meint dazu „wenn es heißt, dass man im Himmel frei ist, die Menschen auf Erden aber so viel Leid erfahren, ja warum steigen sie nicht einfach alle auf? Ich glaube nicht an Gott, aber vielleicht an dich.“ Schmunzelnd funkeln seine Augen. Sein Werk „Merche“ widmet er seiner Frau, die an seiner Seite „Wunder vollbracht hat“ und ihm mit ihrer heiteren, o enen und stillen Art zur Seite steht. Ein Gemälde in Öl stellt Merche majestätisch als Büste dar und der Hintergrund in grasgrüner Farbe leuchtet frisch. Die natürliche Welt, das Leben, die Ho nung und Erneuerung wird fühlbar. „Mujer en la bañera y la puta sombra de mi andamio!“ („Frau in der Badewanne und der verdammte Schatten meines Gerüsts!“) heißt der Titel des 267x202 cm großen Werkes, an dem er gerade arbeitet. Mit dem Schatten hat das Bild begonnen, denn das Gerüst steht immer vor der großen Leinwand, das einen Schatten darauf wirft. Das erstmal schiebt er, uns zuliebe, auf Seite. Die Sonne leuchtet kraftvoll darauf und der weit angelegte Hintergrund des Bildes ist mindestens 12 Mal mit verschiedenen Rottönen an Ölfarbe überdeckt. „Es ist ein symbolträchtiges, expressives Werk, da ist viel drin, denkt, was ihr wollt, seht genau hin, ihr kreiert die Zusammenhänge.“

„Backismus“ Seine kulturelle Haltung kommt aus Zeiten, in denen Solidarität und Freundschaft noch ein Fundament für Entwicklung war, in denen ein alter Kassettenrekorder noch ausreichte und die Küchen-Maschine ewig hielt. Verbindlichkeiten, echte Gefühle, emotionale Intelligenz fi nden wenig Anklang in einer durch Medien gesteuerten Gesellschaft. Alles wird austauschbar und ersetzbar, „die Individualität verliert ihre Wertigkeit und Qualität wird durch Quantität ersetzt und nachgeahmt.“ Ganz anders fühlt es sich in seinem eigenen Studio und Atelier „SUPERCALIFRAGILÍSTICOESPITOSO“ an (der Name stammt, leicht verändert, aus dem Musical Mary Poppins), mitten in Palma. Die Türen weit geö net, wurden wir dort an einem alten feierlich gedeckten Flügel mit einer Meeresfrüchte-Paella, Wein und Cava überrascht und herzlichst von Carlos und Merche begrüßt. Im Hintergrund läuft Willy Deville mit „Heaven Stood Still“, (Der Himmel stand still) und genauso empfanden wir diesen Moment. Carlos scha te es, für uns die Zeit anzuhalten, während Passanten vorbeizogen und neugierig lächelten.

Kontakt: „SUPERCALIFRAGILÍSTICOESPITOSO“ C/. Can Savellà 27, Palma Mail: artecarlospenas@gmail.com

 Nermin Goenenc und Roman Hillmann, Fotos: Archiv Carlos Penas, Roman Hillmann

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