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Im Gespräch mit Professor Michael Kleinert Leiter Institut für Lebensmittel und Getränke innovation, ZHAW Wädenswil.

Zuhause Brot backen? Na klar!

«Brot ist ein Symbol für Geborgenheit, Wurzeln und Ursprung»

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Brot bedeutet Geschmack. Brot ist beliebt und seine Beliebtheit scheint nicht abzuflachen. Warum? Weil es authentisch ist und alle Sinne belebt. Michael Kleinert, ursprünglich und im Herzen Bäcker sowie Professor an der ZHAW in Wädenswil, verrät uns mehr.

Interview: Felicia Gähwiler

Zur Person

Professor Michael Kleinert

Brot und Backwaren sind seine Leidenschaft, doch der Mensch lebt nicht alleine davon. Michael Kleinert ist gelernter Bäcker und Lebensmittelingenieur und Leiter des Instituts für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der ZHAW in Wädenswil. Nebst dieser Aufgabe beschäftigt er sich intensiv mit sich selbst und Menschen generell, denn sie sind ihm wichtig. Der bekennende Freizeitkoch und Thermomix-Fan kreiert damit köstliche Sauce Hollandaise sowie das beste Steinpilzrisotto.

zhaw.ch

• Herr Kleinert, im Jahr 2017 haben wir uns darüber unterhalten, dass sensorische Brot-Grundausbildungen entscheidend sind. Werden solche Ausbildungen wahrgenommen?

Ich spüre eine Entwicklung auf vier Ebenen. Ebene eins – RichemontAusbildungen: Hier ist das Interesse vage, jedoch seit unserem letzten Gespräch im Jahr 2017 leicht gestiegen. Ebene zwei: Deutschland. Seit Beginn der BrotsommelierAusbildung vor acht Jahren zählen wir über 140 Brotsommeliers – das sind zirka 15 bis 18 abgeschlossene Ausbildungen pro Jahr. Und diese Brotsommeliers haben in Deutschland eine Breitenwirkung. Sie propagieren ihre Auseinandersetzung mit dem Geschmack und der Geschichte ihrer Brote. Besonders schön ist, dass es in der Schweiz nun mit Peter Kasimow und Alfred Bau zwei Brotsommeliers gibt. Sie bewirken hierzulande viel. Kommen wir zur dritten Ebene, den Erfahrungsaustauschgruppen. In diesen bäckereigenen Gruppen erlebe ich ebenfalls eine intensive Auseinandersetzung mit dem Brotgeschmack. Die vierte Ebene: Corona. In der Community im Netz, auf Stufe der Konsumentinnen und Konsumenten, sehe ich Freude am Entdecken des Brotgeschmacks. Sie sind aktuell die Treiber. Und das ist keine Wertung meinerseits.

• Also hat sich die Einstellung gegenüber Backwaren oder speziell Brot auf Stufe der Konsumentinnen und Konsumenten seit der Pandemie verändert?

Ja. Generell ist durch Corona ein Phänomen entstanden, nämlich auf bestimmte Gegebenheiten einen besonderen Blick zu werfen. Corona lässt Brot eine symbolische Aufwertung erleben. Brot ist ein Symbol für Geborgenheit, Sicherheit, Wurzeln und Ursprung. Es handelt sich um eine innere Sehnsucht – die Sehnsucht nach dem Wahren, Guten und Verständlichen. Hier besteht ein grosser Bedarf an Transparenz. Und: Brot ist sinnlich. Brot kann man schneiden. Es kracht. Es belebt alle Sinne. Mit dem zunehmenden Zuhausesein und Homeoffice hat sich ebenso das Homebaking entwickelt. Man beschäftigt sich zuhause mit Backen, ebenso wie die Familie, die Freunde und Bekannten. In diesen sozialen Kreisen findet positive Kommunikation statt. Weiter befinden wir uns in einer Vertrauenskrise punkto Lebensmittel generell. Menschen nehmen uns Bäckerinnen und Bäckern zu wenig ab, dass wir wahrhaft gutes Brot herstellen. Mit allen Massnahmen, mit denen wir authentisch und ehrlich über Brot, Rohstoffe und die Herstellung berichten, zahlen wir auf das Image des guten Brotes ein.

• Hat sich denn Ihre Einstellung gegenüber Brot verändert?

Das hat sie, ja. Vor Corona war ich kein Fan von Brotbacken zuhause. Ich tat es nur, wenn mich meine Frau darum bat [lacht]. Durch Corona habe ich völlig neue Aspekte entdeckt. So habe ich mit wilden Hefen experimentiert und im Weckglas Sauerteig hergestellt. Es ist so spannend zu beobachten, wie über drei Tage ein Sauerteig heranwächst, der in meinem Fall sogar eine leicht fruchtige Note hatte. Das mag ich. Die Lust, Brot selbst herzustellen, ist gestiegen.

• Flacht der «Brot-Trend» wieder ab? Nein, das wird er nicht. Ich beobachte einen grossen Trend im Bereich des Sauerteigs sowie der Beschäftigung mit langen Teigreifezeiten. Auch die Ernährungswissenschaftlerinnen und wissenschaftler

an der ZHAW beschäftigen sich mit Sauerteig. Sauerteige haben nicht nur geschmackliche Auswirkungen, sondern auch Einfluss auf die Frischhaltung. Oder betrachten wir ihre konservierende Wirkung aufgrund der Mikroorganismen. Ebenso sorgt Sauerteig für eine bessere Bekömmlichkeit. Wichtig zu erwähnen ist: Sauerteig ist eine deutsche Bezeichnung. Sie löst Assoziationen aus, die für Deutschschweizer nicht immer positiv sind. Da gibt es andere Herstellungsweisen wie zum Beispiel Poolish oder Vorteig generell. Diese sind «schöner» und weicher – es handelt sich um milde, ausgereifte Sauerteige. Das ist typisch schweizerisch. Und das interessiert die Menschen hier.

«Brot ist sinnlich. Es kracht – es belebt alle Sinne.»

Professor Michael Kleinert Leiter Institut für Lebensmittelund Getränkeinnovation, ZHAW Wädenswil

«Die Sprache des Brotes» – das Buch von Michael Kleinert und Bernd Kütscher. Bestellung: richemont.swiss

• Sie haben Sauerteig angesprochen. Gibt es andere Brotsorten, die Potenzial haben beziehungsweise im Trend liegen?

Ja. Wir haben bereits über die Wahrnehmung von Brot gesprochen und die damit verbundene Suche nach Authentischem. Diese Suche wird dort fündig, wo Storytelling möglich ist. Urdinkel ist so ein Thema – «Ur» impliziert etwas sehr Altes, Menschen erfreuen sich über solche Informationen. Urdinkelsorten wie Oberkulmer, Rotkorn und weitere sind reine Dinkelzüchtungen. Dinkel hat eine spezielle Aromatik und bedarf einer langen Triebführung. Dies ist positiv und ein anhaltender Trend. Bei klassischem Weizen gibt es viel Potenzial, das noch brachliegt. In der Nähe von Stuttgart und rund um Dresden wurden vierzig sortenreine Weizen angebaut. Verblüfft hat man festgestellt, welch unterschiedliche Aromaprofile die einzelnen Weizensorten liefern. Weizen hat mindestens genauso viel Potenzial wie Urgetreide. Spielt mit der Sortenreinheit! Das ist auch eine Chance für kleine Mühlen.

• Was halten Sie von der neuen Herkunftsmarke «Schweizer Brot», die der gleichnamige Verein hinsichtlich der Deklarationspflicht für Brot und Kleinbrote lanciert hat, um mehr Transparenz beim Brotkauf zu schaffen?

Ich hoffe, dass es ein Siegeszug von Schweizer Brot mit dieser Marke geben wird, weil es generell ein sehr wertvoller Beitrag ist, noch mehr Konsumentinnen und Konsumenten auf diese Thematik aufmerksam zu machen. Ich unterstütze diese Herkunftsmarke voll und ganz. Nun kommt mein Aber: Das, was in den Medien interessant ist, muss nicht immer die beste Lösung sein. Nehmen wir das Beispiel einer Getreideernte, die sowohl in der Menge stark reduziert als auch qualitativ schwankend ist. Wenn wir in der Schweiz nicht über ausreichend Mehl in Bäckerqualität verfügen, sind wir gezwungen, Getreide aus dem Ausland zuzukaufen. Das ist seit Jahrzehnten so und das halte ich für richtig, wenn es nach Mass erfolgt. Haben wir schlechtes Mehl, müssen wir flache Brote in Kauf nehmen. Das ist für das Image des Brotes nicht zielführend.

• Wenn Sie einen Wunsch für die Branche frei hätten, welcher wäre das?

Es sind drei Wünsche. Erstens: Bleiben Sie gesund und gehen Sie achtsam mit sich selbst um – das ist das oberste Gebot. Zweitens: Kümmern Sie sich um den Charakter Ihrer besten Brote. Und drittens: Streichen Sie zehn Ihrer Brote im Sortiment und konzentrieren Sie sich auf die «Schätze». ▪

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