DieZukunftder Fotografie
TheFutureof Photography
DAS MAGAZIN DER PHOTOSZENE KÖLN Nr. 4 THE MAGAZINE OF THE COLOGNE PHOTOSZENE No. 4
„Die Zukunft fotografieren“ hieß eine thematische Gruppenausstellung, an der ich 2011 gemeinsam mit Beate Gütschow gearbeitet habe. Ihr Werk behandelt das Thema Zukunft auf verschiedene Weise. Ihre großformatigen schwarz-weißen Stadtlandschaften der Serie „S“ (2004–2009) wirken wie Zukunftsszenarien. Aus Versatzstücken brutalistischer Betonmoderne, bröckelndem Mauerwerk und umgestürzten Autos montiert sie unwirtliche Stadträume und schafft eine düstere Dystopie. Ihre Auseinandersetzung mit den Utopien der architektonischen Moderne impliziert bereits deren Verfall, der in den Gebrauchsspuren sichtbar wird. Gütschows Projekt reagiert auf die Paradoxie, die Zukunft zu fotografieren, mit den Mitteln der Konstruktion.
“Photographing the Future” was the title of a themed group exhibition that I worked on together with Beate Gütschow in 2011. Her oeuvre deals with the topic “future” in a variety of ways. Her large-format black-and-white urban landscapes of the series “S” (2004-2009) have the effect of future scenarios. She takes movable bits of brutalist concrete modernity, crumbling masonry and overturned cars and assembles inhospitable urban spaces, creating a sinister dystopia. Her confrontation with the utopias of the architectonic modern age already implies their decay, which is made visible in the traces of use. Gütschow’s project reacts to the paradox of photographing the future using the means of construction. Whereas photography can only
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Esther Ruelfs über die Arbeiten von Beate Gütschow
Esther Ruelfs on the works of Beate Gütschow
Guillaume de Machaut: „Le Remède de Fortune“, 15. Jahrhundert
9 HC#4, 2018 Courtesy: Produzentengalerie Hamburg; © Beate Gütschow, VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Beate Gütschow
Während die Fotografie immer nur festhalten kann, was bereits vergangen ist, baut Gütschow Szenarien, die in die Zukunft schauen.
Betrachtet man die Bilder ihrer neuen Serie „HC (hortus conclusus)“, stellt sich recht schnell das Gefühl ein, dass auf ihnen etwas nicht stimmt. Die Fotografien weichen von der gewöhnlich verwendeten Zentralperspektive ab. Die Gegenstände sind zum Teil aus unterschiedlicher Blickrichtung gezeigt. Sie wirken wie aufgeklappt, so als wollte man alle Seiten der Dinge zur Geltung bringen. Gütschows Umgang mit der Perspektive erinnert an persische Miniaturen, ebenso wie die in den verschiedensten Formen auftauchenden Ziegel- und Betonmauern, welche die Szenerie umschließen, an die Einfriedungen von mittelalterlichen Gartenanlagen anknüpfen, die wir aus der Buchmalerei kennen. Die Personen, die Gütschows Gärten beleben, wirken deplatziert und planlos umherwandelnd, wie schon in ihrer Serie der Stadtlandschaften. Auch die fotografische Methode ist ähnlich, handelt es sich bei den Bildern von „HC“ doch ebenfalls um Montagen, die aus einer großen Zahl einzelner Aufnahmen mit Photoshop zusammengesetzt werden.
Waren die Stadtlandschaften Reflexionen von „Prozessen der Ökonomisierung und Beschleunigung des gesellschaftlichen Raums“ (Maren Lübbke-Tidow, 2016), so sind es hier die scheinbar selbstverständlichen Regeln der Zentralperspektive, die die Künstlerin mit ihrem Gebrauch der Bildtechnik der Photogrammetrie als Konstruktion vorführt. Auch hier bleibt ein Grundton der Beunruhigung.
ever capture what has already passed, Gütschow builds scenarios that look into the future.
If one considers the images in her new series “HC (hortus conclusus)”, the feeling very quickly sets in that something in them is not right. The photographs deviate from the central perspective that is customarily used. Some of the objects are shown from a different line of vision. They seem unfolded, as though the intention were to bring all sides of the things to the fore. Gütschow’s dealing with perspective recalls Persian miniatures, exactly as do the brick and concrete walls that appear in a wide array of forms, enclosing the scenery; they hark back to the fences around medieval gardens that we rec-
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HC#2, 2018 Courtesy: Produzentengalerie Hamburg; © Beate Gütschow, VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Anonym, Oberrheinisch: „Paradiesgärtlein“, um 1410-1420, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M.
ognize from illuminated manuscripts. The persons who inhabit Gütschow’s gardens look out of place and aimlessly wandering, as before in her series of urban landscapes. The photographic method is also similar – after all, the images in “HC” are likewise montages that are put together out of a large number of individual shots using Photoshop.
While the urban landscapes were reflections of “processes of the economization and acceleration of the societal space” (Maren Lübbke-Tidow, 2016), here it is the seemingly self-evident rules of central perspective that the artist demonstrates with her use of the visual technique of photogrammetry as construction. A disquieting undertone persists here as well.
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HC#5, 2018
Courtesy:
Produzentengalerie Hamburg; © Beate Gütschow, VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Mit den Apparaturen, gegen die Apparaturen
Florian Ebner
Über die Arbeiten von / On the works of Ludwig Kuffer
Von welcher Fotografie reden wir, wenn wir nach ihrer Zukunft fragen? Sind damit all jene massenhaft praktizierten Formen privater, kommerzieller, öffentlicher oder staatlicher Fotografie gemeint, vom Instagram-Selfie bis hin zur Überwachungsfotografie an den Flughäfen, die in einer vernetzten Welt bald mehr miteinander zu tun haben werden, als wir es uns wirklich vorstellen können?
Oder ist jene freie gestalterische Praxis gemeint, vom ambitionierten Amateur über die Fotojournalistin bis hin zu freischaffenden Fotografen oder Künstlerinnen? Fotografie, die noch in irgendeiner Weise unserem Autorenbegriff entspricht.
Ludwig Kuffers künstlerische Arbeit reflektiert die Bedingungen des maschinellen Sehens, die Andersartigkeit des apparativen Blicks, verglichen mit dem organischen Sinneseindruck des Menschen. Gewiss, dies hat in der Geschichte der Fotografie immer schon Künstler*innen fasziniert, von der Makro- oder der Röntgenaufnahme über ultrakurze Belichtungen und Aufnahmen mit Restlichtverstärkern. Kuffers Terrain der Recherche ist jedoch
heute, mehr denn je, ein politisches Feld, denn viele Formen maschinellen Sehens gehen einher mit der bereits von Walter Benjamin konstatierten fortschreitenden Funktionalisierung und Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse. Seine Bilder sind nicht affirmative Experimente, sondern eher Sinnbilder und Studienbilder zum Verständnis dessen, wie sehr die optischen Apparaturen und die mit ihnen kommunizierenden Rechner die Dinge und ihre unterschiedlichen Formen von Sichtbarkeit auf das Utilitäre und Verwendbare ihrer Existenz hin reduzieren. Sie skizzieren eine zukünftige Fotografie, die immer schon in das Projekt des technischen Sehens seit der Renaissance eingeschrieben war und die im Objektiv-Auge des Maschinenmenschen ihren Ausdruck findet.
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links/left: Malus Domestica, rechts/right: Pink Lady in Near Infrared Light
With Apparatuses, Against Apparatuses
Ludwig Kuffer Ludwig Kuffer
links/left: Region of Interest 1/3, rechts/right: Shirley
What photography are we talking about, when we raise the question of its future? Do we mean all those forms, practised on a huge scale, of private, commercial, public or state-operated photography, from the Instagram selfie through to surveillance photography at airports, which, in a networked world, will soon have more to do with one another than we can really imagine?
Or do we mean that free creative practice from the ambitious amateur through the photojournalist to the freelance photographer or artist? Photography that somehow is still in line with our concept of the author.
Ludwig Kuffer’s artistic work reflects the conditions of mechanical vision, the differentness of the apparatus-based gaze compared with the organic sensory impression of the human. Certainly, in photography’s history this has always fascinated
artists, from the macro shot or X-ray through ultra-short exposures and shots using residual light amplifiers. Kuffer’s terrain of research today, though, and more than ever, is a political field, for many forms of mechanical vision are associated with what Walter Benjamin already observed to be the advanced functionalization and economization of all life circumstances. His images are not affirmative experiments, but rather allegories and studies in aid of understanding how far optical apparatuses, and the computers that communicate with them, reduce objects and their different forms of visibility to the utilitarian and usable of their existence. They sketch a future photography, which always was enrolled in the project of technical vision since the Renaissance and which finds its expression in the lens-eye of the man-machine.
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links/left: Asdex Upgrade. Max Planck Institut für Plasmaphysik, Volker Rohde, recht/rights: Enter Muybridge
15 Ludwig Kuffer Untitled
Der Regenbogen wird unterschätzt
Nicht jedem Fotografen gelingt es, sein Werk direkt vor der eigenen Haustür zu schaffen. Der süditalienische Fotograf Piero Percoco hingegen verlässt nur sehr selten sein Dorf Sannicandro in der Nähe von Bari. Als er eines Tages ein Smartphone geschenkt bekommt, entdeckt er die Fotografie für sich. Besonders die Direktheit des Smartphones hat es ihm angetan: draufhalten, fotografieren und teilen. Sein Instagram-Account, auf dem er seine Bilder zu veröffentlichen beginnt, heißt @therainbow_is_ underestimated. Der Name erinnert an einen Satz, den er als Kind in einen Tisch einritzte, und spiegelt die Farbigkeit seiner Bilder wider. Mittlerweile folgen dem Account 41.000 Personen, darunter sogar Stephen Shore. Wenn Percoco nicht gerade für seine Serie #personedadietro Damen im Pelz und mit Föhnfrisuren verfolgt, fotografiert er den Alltag im Dorf, seine Nachbarn oder die sich in der Sonne badenden Menschen am nahe gelegenen Strand von Bari. Vor allen Dingen hält er das Leben innerhalb seiner Familie fest: das Erwachsenwerden seiner Schwester oder das traditionell italienische Mittagsmenü seiner Großmutter; zu sehen unter seinem Zweitaccount @ melted_butterr. Dabei begegnen uns auf seinen Bildern eine gewisse Art Humor und Ironie, ein eigener Blickwinkel auf die Normalität sowie ein ganzes Spektrum an Farben. Percoco ist einer der jungen Fotografen der neuen Generation, die als Autodidakten aufwachsen. Ein Fotografiestudium hat er nie durchlaufen, sich selbst bezeichnet er nicht als Fotografen und neben einer etwas längeren Assistenz bei einem mittelständischen Hochzeitsfotografen ist seine bisher einzige Wissensquelle immer das Fotobuch gewesen. Dass die neue Generation nicht nur zur digitalen Bilderflut im Internet beiträgt, sondern auch wieder zu haptischen Mitteln greift, zeigt die Tatsache, dass Piero Percoco in diesem Jahr seine Mobilfotografie in seinem ersten Buch, unter dem Titel „Prism Interiors“, im Verlag Skinnerboox veröffentlicht.
Rosa Roth
über die Arbeiten von Piero Percoco
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Not all photographers pull off the feat of creating their oeuvre on their doorstep. Southern Italian photographer Piero Percoco, on the other hand, only very rarely leaves his village of Sannicandro, near Bari. When he received a smartphone as a present one day, he discovered photography for himself. He was particularly impressed by the smartphone’s directness: hold up, photograph and share. His Instagram account, on which he began publishing his images, is called @therainbow_is_underestimated. The name recalls a sentence that he carved into a table as a child, and reflects his pictures’ colourfulness. His account now has 41,000 followers, including even Stephen Shore. When Percoco is not out and about pursuing fur-coated ladies with blow-dried coiffures for his series #personedadietro, he is photographing everyday life in the village, his neighbours, or the sunbathers on nearby Bari beach. Above all, he records his family life: his sister’s adolescence or his grandmother’s traditionally Italian lunch menu; viewable on his secondary account @melted_butterr. We encounter in his images a certain kind of humour and irony, a unique slant on normality, and a whole spectrum of colours. Percoco is one of a new generation of young photographers who are growing up selftaught. He has never completed a photography course, he does not describe himself as a photographer and, apart from a longish spell as an assistant to a mid-range wedding photographer, his sole source of knowledge has always been the photobook. That the new generation is not only contributing to the inundation of image data on the Internet, but also reaching for haptic means again, is demonstrated by the fact that Piero Percoco is this year publishing his mobile photography in his first book, which is titled “Prism Interiors” and published by Skinnerboox.
The Rainbow is Underestimated
17 Piero Percoco
Rosa Roth on Piero Percoco‘s photography from his everyday life
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19 Piero Percoco
Alle Bilder von / all images by Piero Percoco
Du, der Rover
Wenn die Leute das sehen ... uiiii, ist das irre. Das ist ganz natürlich.
Selbst für uns sieht es irre aus. Es ist das Ergebnis durchdachter ingenieurstechnischer Überlegung. Aber irre sieht es trotzdem aus.1
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Hester Keijser on the photos from Mars rover Curiosity
Hester Keijser über die Fotos des Mars-Roboters Curiosity
Was, wenn die Fotografie nie erfunden worden wäre?
Von/by Klaus Honnef
What if photography had never been invented?
Was wäre, wenn deutsche Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg den britischen Premier Winston Churchill gefangen genommen hätten? Wäre die Weltgeschichte anders verlaufen? Geplant war das zwar nie. Aber der Gedanke hat den britischen Autor Jack Higgins anno 1975 zu dem erfolgreichen Roman „Der Adler ist gelandet“ inspiriert und John Sturges ein Jahr später zu einem spannenden, im Fernsehen oft wiederholten Abenteuerfilm. „Was wäre, wenn…“ ist Science Fiction in umgekehrter Richtung. Keine Spekulation über die Zukunft, sondern über einen möglichen, aber nicht vollzogenen Kurswechsel in der Vergangenheit. Pure Spielerei? Die reizvolle Frage beschäftigt sogar ernsthafte Historiker. Wie sähe die Welt aus, wenn Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg obsiegt hätte? Die meisten weigern sich, dies überhaupt zu denken. Was wäre, wenn ein Nicéphore Niépce, Louis Jacques Mandé Daguerre, William Henry Fox Talbot sowie ein paar andere die Fotografie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht erfunden hätten? Eine Welt ohne Fotografie. Schwer vorstellbar. Wäre es eine andere Welt? Eine bessere, eine schlechtere? Würden wir weniger über die Welt und ihre Vergangenheit seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts wissen, hätte der französische Staat das Patent des fotografischen Verfahrens nicht angekauft und der Öffentlichkeit zur freien Verfügung übergeben? – Weniger über uns und unsere Vorfahren, über fremde Völker, Länder und ihre Kultur? Über den Makro- und den Mikrokosmos, den fotografische Bilder erschlossen haben? Pure Spekulation. Sicher, das Rhinozeros, das Albrecht Dürer nach der Skizze eines Augenzeugen 1515 in Holz schnitt, ähnelt einem authentischen nur. Sein Konterfei ist im Vergleich mit dem tatsächlichen Aussehen dieses Tieres nicht korrekt. Andererseits: Ist eine korrekte Übertragung in zweidimensionaler Gestaltung tatsächlich realisierbar, sei es mit dem Stift oder mit fotografischen Mitteln? Mit Hilfe des Computers und von virtueller Realität durchaus.
Die Nostalgie ist ein Kind der Fotografie, denn das „Es-ist-gewesen“, laut Roland Barthes das Wesen des Fotografischen, löst keine Trauer aus, sondern Sehnsucht: nach einer besseren Vergangenheit. Ohne fotografische Bilder würde man die Welt mit mehr Zuversicht betrachten.
Nostalgia is the child of photography, because the “it-has-been”, according to Roland Barthes the essence of the photographic, triggers not sadness, but longing: for an apparently better past. Without photographic images one would look at the world with more confidence.
What if German paratroopers in the Second World War had captured British Prime Minister Winston Churchill? Would global history have run a different course? This never was the plan, but the thought inspired British author Jack Higgins to write the successful novel “The Eagle Has Landed” in 1975 and, one year later, John Sturges to make an exciting adventure film that is often repeated on television. “What if...” is science fiction in reverse. Not speculation about the future, but a potential, though never-accomplished change of course in the past. Nothing but game-playing? The intriguing question keeps even serious historians busy. What would the world look like if Nazi Germany had prevailed in the Second World War? Most refuse even to think about it. What if the likes of Nicéphore Niépce, Louis Jacques Mandé Daguerre, William Henry Fox Talbot, along with a few others, had not invented photography in the first half of the 19th century? A world without photography. Hard to imagine. Would it be a different world? A better one, a worse one? Would we know less about the world and its past since the 1840s if the French state had not purchased the patent for the photographic method and transferred to the public for free disposal? – Less about ourselves and our ancestors, about foreign peoples, countries and their culture? About the macro and micro-cosmos that photographic images have opened up? Pure speculation. Certainly, the rhinoceros carved in wood by Albrecht Dürer based on an eyewitness’s sketch is only similar to a real one. Compared with this animal’s actual appearance, his counterfeit is not correct. On the other hand: Is correct rendering in two-dimensional design in fact realizable, be it with the pen or by photographic means? With the aid of the computer and virtual reality, absolutely.
The world has changed profoundly since the early modern era – entirely without the influence of photography. The graphic representations of exotic animals and plants in the 19th century turned out considerably more accurate than the photographic depic-
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Seit der frühen Neuzeit hat sich die Welt tiefgreifend verändert – ohne jedes Einwirken der Fotografie. Die gezeichneten Wiedergaben exotischer Tiere und Pflanzen fielen im 19. Jahrhundert erheblich exakter aus als die fotografischen Darstellungen. Maximale Objektivität war das Ziel, eine seinerzeit neue Kategorie der Naturwissenschaften. Nur vorübergehend schrieb man sie der Fotografie zu. An möglichst brutalen Darstellungen von Verbrechen und Gräueln wäre ohne Fotografie ebenfalls kein Mangel. Zumal man damals viel der Fantasie überantwortete, so dass sich die Bilder im Kopf der Menschen noch kräftig aufbliesen. Was es vielleicht nicht geben würde, wäre die oft beschworene Bilderflut. Wirklich? Die Drucktechniken waren hoch entwickelt, und auflagenstarke illustrierte Zeitschriften mit lithografierten Bildern, der am weitesten fortgeschrittenen Technik, waren schon im kommunikativen Angebot, als die Fotografie auf den Plan trat. Eine Vielzahl visueller Drucktechniken gingen der Lithografie voraus. „Die Geschichte der Bild-‚Zeittungen‘ reicht bis in das ausgehende 15. Jahrhundert zurück“, schreibt Leonore Koschnick im Katalog der Ausstellung des Deutschen Historischen Museums mit dem bezeichnenden Titel „Gier nach neuen Bildern. Flugblatt, Bilderbogen, Comicstrip“ (2017/18). Dürers Holzschnitt vom Rhinozeros war als Flugblatt weit verbreitet.
Dass massenweise gedruckte Bilder langfristig demokratische Verhältnisse beförderten, dürfte unzweifelhaft sein. Was aus der von Martin Luther heraufgeführten deutschen Revolution geworden wäre ohne die fliegenden Blätter in Bild und Wort (und ohne Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg selbstredend) – wer weiß? Bilder waren von großer Wirkkraft. Nur wenige Menschen waren des Lesens mächtig und vor allem die nicht, aus denen sich das Gros seiner Anhänger rekrutierte. Haben die fotografischen Bilder den Prozess beschleunigt?
Erst der Rasterdruck eröffnete die Möglichkeit einer unbegrenzten Vervielfältigung von Bildern. Nicht die Fotografie. Wenn in die Rede über Fotografie allerdings die digitalen fotografischen Bilder eingeschlossen werden, ergibt sich ein delikates Problem: Sind die beiden Varianten des Fotografischen überhaupt miteinander vergleichbar? Darüber gibt es widersprüchliche Meinungen. Technisch betrachtet, handelt es sich um zwei komplett unterschiedlich generierte Modi der visuellen Vergegenwärtigung. Gemeinsam haben sie (noch) das perspektivisch ausgelegte Linsensystem zwecks Lenkung der Lichtimpulse zum plausiblen Bildentwurf. Plausibel nur gemäß vertrauter Wahrnehmungsmuster. Und sonst? Vorstellbar ist, dass die digitalen fotografischen Bilder ohne die Brücke der analogen in die Welt gekommen wären. Technisch jedenfalls denkbar.
tions. Maximum objectivity was the aim, a new category of natural sciences at that time. It was only temporarily the preserve of photography. Likewise, there would be no shortage of portrayals of crimes and horrors that are as brutal as can be if photography did not exist. Particularly as plentiful use of the imagination was made back then, meaning that pictures became powerfully inflated in people’s mind as well.
What perhaps would be non-existent is the oft-conjured flood of images. Really? Printing technologies were highly evolved, and high-circulation illustrated periodicals comprising lithographs, the most advanced technology, were already among the communicative means on offer when photography entered the scene. Lithography had been preceded by a host of visual printing technologies. “The history of illustrated periodicals reaches back to the outgoing 15th century”, writes Leonore Koschnick in the catalogue for the exhibition by the German Historical Museum bearing the telling title, “Greed for New Images. Flyer, Illustrated Broadsheet, Comic Strip” (2017/18). Dürer’s woodcut of the rhinoceros was widely circulated in flyer form.
There can be no doubt that images printed en masse favoured the longevity of democratic circumstances. What would have become of the German revolution by Martin Luther without the flyers in image and word (and without the invention of the printing press by Johannes Gutenberg, of course) – who knows? Pictures were able to make a big impact. Reading was a skill that only a few people had, least of all those from among whom the bulk of Luther’s supporters was recruited. Did photographic images speed up the process?
Unlimited reproduction of images was not possible until the advent of dot printing. It was not photography that enabled it. However, if we include digital photographic images when we talk about photography, a difficult problem arises: Can the two variants of the photographic even be compared? There are conflicting opinions on this subject. From a technical point of view, these are two completely differently generated modes of visual realization. What they (still) have in common is the perspectively arranged lens system for guiding light impulses into a plausible visual sketch. Plausible only in line with familiar perceptual patterns. And otherwise? It is possible that digital photographic images would have come about in the absence of the analogue. Technically conceivable, at any rate. Meanwhile, would the immense upheavals of the brutal 20th century have been possible without the backing of photographic images? The Soviet Revolution, Fascism and National Socialism? Photography passed by the storming of the Winter Palace in St Petersburg in 1917. The outcome was usually documented through stills from films by Sergei Eisenstein and W.I. Pudovkin. Mussolini, Hitler and their counterparts Churchill and Roosevelt have the radio waves to thank for their
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Klaus Honnef
Wären indes die gewaltigen Umwälzungen des grausamen 20. Jahrhunderts ohne Sekundanz der fotografischen Bilder möglich gewesen? Die sowjetische Revolution, Faschismus und Nationalsozialismus? Den Sturm aufs Winterpalais in St. Petersburg 1917 hat die Fotografie verpasst. Dokumentiert wird das Ereignis gewöhnlich durch Bilder aus Spielfilmen von Sergei Eisenstein und W. I. Pudowkin. Mussolini, Hitler und ihre Gegenspieler Churchill und Roosevelt verdanken ihre Massenwirkung den Funkwellen. Die Bilder vom Marsch der Schwarzhemden auf Rom und vom Machttransfer an die Nazis in Berlin sind karg. Der eine fand statt, bevor die illustrierten Zeitschriften zu einem wesentlichen politischen Faktor wurden, der andere vollzog sich hinter verschlossenen Türen. Ebenfalls entzog man die schwere Behinderung des US-Präsidenten durch eine Polioerkrankung im Erwachsenenalter den neugierigen Kameras. Dass fotografische Bilder den Vietnam-Krieg beendet haben, ist schließlich eine schöne Legende. Kurzum – was wäre wirklich anders in dieser Welt, wenn es die analoge Fotografie nie gegeben hätte? Wahrscheinlich wären über hundert Jahre rapider Veränderung der Welt nicht in den gewohnten Bildformaten überliefert worden, als das Fundament für die gegenwärtige gelegt wurde – nicht im fotografischen Wahrnehmungsmodus und seinem mathematischen Ordnungsystem. Und die viel beschworene „Bilderflut“ hätte mit Verzögerung eingesetzt. Zwar glaubte man lange, die fotografischen Bilder seien authentisch oder verblüffend naturgetreu, wie man es bei ihrer Premiere empfand, vor allem seien sie genauer als der flüchtige menschliche Blick. Heute weiß und sieht man, dass besondere Interessen die Blicke der Kameras leiten. In diesen überwiegen die sozialen die subjektiven Komponenten, so dass die aktuelle Aufmerksamkeit eher dem Regime der Blicke gelten und weniger dem, was die Bilder zeigen. Viele enthüllen sich dem späteren Blick als herablassend, kolonialistisch, chauvinistisch und rassistisch. Der Blick auf die Dinge ist so aufschlussreich wie die Dinge selbst. Gleichzeitig hat die Fotografie dem flüchtigen Blick der Moderne, der die Welt der Dinge fragmentiert und aus den bekannten Zusammenhängen gerissen hat, visuell Gestalt und Ausdruck verliehen. Dabei hat sie aus technischen und soziokulturellen Gründen das, was auch die gezeichneten und gemalten Bilder zeigten, zunächst mit ihren Mitteln nachgemacht. Nichtsdestotrotz hat sie den kollektiven Blick nachhaltiger geprägt als alle Bildmodelle zuvor. Denn sie ist das Medium, das in dem Augenblick, als sich die Prinzipien des Individualismus nach dem Fall der feudalen Weltordnung in West und Ost durchzusetzen begannen, „the state of the art“ repräsentierte. Eine eigenmächtige Bildermaschine, scheinbar emotionslos, ein visuelles Äquivalent der optischen Wahrnehmung des Menschen und am Ende ein Instrument selbstbestimmter
mass impact. Photos of the march of the Blackshirts on Rome or the transfer of power to the Nazis in Berlin are scarce. The former took place before illustrated periodicals became a significant political factor; the latter played out behind closed doors. A US president’s severe disability due to polio in adulthood was likewise withdrawn from curious cameras. Finally, it is a beautiful legend that photographic images ended the Vietnam War. In short – what really would be different in this world had analogue photography never existed? Probably, more than a hundred years of rapid global change would not have been handed down in the accustomed visual formats, when the fundament of today’s world was laid – not in the photographic mode of perception and its mathematical system of ordering. And the much-conjured “flood of images” would have set in with a delay. It is true that, for a long time, photographic images were believed to be authentic or astonishingly lifelike, as they were felt to be at photography’s début; in particular, they were regarded as being more accurate than the fleeting human gaze. Today, though, one is aware and can see that particular interests guide cameras’ gazes. In these, the social components outweigh the subjective, with the result that present-day attention is turned more on the regime of gazes and less on what images show. Many reveal themselves to the subsequent gaze as condescending, colonialist, chauvinist and racist. The gaze at things is as insightful as the things themselves.
At the same time, visually speaking, photography has lent form and expression to the modern age’s fleeting gaze, which fragmented the world of things and tore it out of familiar contexts. Having said that, initially, technical and socio-cultural reasons compelled it to copy, using its own means, what drawn and painted pictures showed too. Notwithstanding this, it has had a longer-lasting influence on the collective gaze than all visual models before it. This is because it is the medium which, at the moment when the principles of individualism began to assert themselves after the fall of the feudal world order in West and East, represented the state of the art. An image machine acting on its own authority, apparently emotionless, a visual equivalent of the human’s optical perception and, ultimately, an instrument of self-determined image production for all motifs that, just a few decades before, were not even worth picturing and functioned, at best, as mere decoration in the world of images.
All the same, contrary to Walter Benjamin’s well-known claim, photography has aestheticized reality in the long run and equipped the past with a compelling aura. Presumably, in photography’s absence, what has been destroyed would not have been reconstructed –frequently based on photographic images – to such an extravagant degree. One of the most contradictory
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Bilderfertigung für alle Motive, die noch wenige Jahrzehnte zuvor nicht einmal bildwürdig waren und allenfalls als bloße Staffage in der Bilderwelt fungierten.
Gleichwohl hat die Fotografie die Realität entgegen Walter Benjamins bekannter Behauptung langfristig ästhetisiert und die Vergangenheit mit einer bezwingenden Aura ausgestattet. Ohne sie hätte man mutmaßlich nicht in dem ausschweifenden Maße das Zerstörte – häufig nach fotografischen Bildern – rekonstruiert. Zu den widersprüchlichsten Momenten der Fotografie gehört, dass sie, je weiter sich das Bild vom Zeitpunkt seiner Entstehung entfernt, einen Kult des Vergangenen entfaltet. Nach den Kriegen wurden die inzwischen neu erbauten Städte erneut zerstört, um möglichst viel von dem zurückzugewinnen, was die Kriege zerstört hatten. Die Nostalgie ist ein Kind der Fotografie, weil sie ein Produkt des Widerspruchs ist. Technisch modern, ästhetisch überholt. Das „Es-istgewesen“, laut Roland Barthes das Wesen des Fotografischen, löst keine Trauer aus, sondern Sehnsucht: nach einer scheinbar besseren Vergangenheit. Ohne fotografische Bilder würde man die Welt mit mehr Zuversicht betrachten.
Wer sich aufs Glatteis der Spekulation begibt, geht das Risiko ein zu stürzen. Im Licht dieses Wissens wage ich die These, dass die Welt, hätte es die Fotografie nie gegeben, mit anderen Blicken – gefiltert durch ein anderes technisches Wahrnehmungsdispositiv –, wahrgenommen würde; ohne die Kluft zwischen Sehen und Gesehenem. Obwohl die sozialen Verhältnisse der Welt in Wahrheit besser werden, sagt die Wahrnehmung in den fotografieaffinen Gesellschaften das Gegenteil. Der kanadische Fotograf Jim Shaw setzt fotografischen Bildern durchsichtige prismatische Hauben auf. Je nach Betrachter-Perspektive verzerren sich die Bilder. So funktioniert Wahrnehmung. Ohne Umweg über die analoge Fotografie hätten die digitalen fotografischen Bilder die Herrschaft auf direktem Wege, wenn auch mit 200 Jahre Verzögerung, über das Universum der Bilder übernommen.
Offen bleibt die Frage, ob sich in digitalen Bildern ohne Fotografie das Erbe des zentralperspektivischen Regelsystems der Renaissance-Malerei konserviert hätte. Schon die moderne Malerei hat Bilder mit Bezug und Verweis auf die empirische Realität erarbeitet, die dem Bildkonzept der naturalistischen Fotografie den Kampf ansagten. In puncto des zeitgenössischen Wahrnehmungsmodells blieb die Fotografie gegenüber der avancierten Malerei einen Schritt zurück. Die digitalen Bilder weichen offensichtlich nun in verschärftem Tempo das Konzept des Naturalismus auf.
elements of photography is that, the further the image gets from the moment of its genesis, it develops a cult of the past. After the wars, new cities built in between were destroyed again, in order to win back as much as possible of what the wars had destroyed. Nostalgia is the child of photography, because photography is a product of contradiction. Technologically modern, aesthetically outdated. The “it-has-been”, according to Roland Barthes the essence of the photographic, triggers not sadness, but longing: for an apparently better past. Without photographic images one would look at the world with more confidence.
Step onto the treacherous ice of speculation, and you risk a fall. In the light of this awareness I venture the hypothesis that the world, if photography had never existed, would be perceived with other gazes –filtered through a different perceptual apparatus; without the cleft between seeing and seen. Although, in truth, the world’s social circumstances are improving, perception in societies that take photographs says the opposite. Canadian photographer Jim Shaw places see-through prismatic covers onto photographic images. The images become distorted according to the viewer’s perspective. That is the way perception works. Without the detour via analogue photography, digital photographic images would have assumed direct prevalence over the universe of images, albeit with 200 years’ delay.
The question remains open of whether digital images would have preserved the legacy of Renaissance painting’s central-perspective rules system. Modern painting, by itself, elaborated images that referred and alluded to empirical reality while declaring war on the visual concept of naturalistic photography. As regards the contemporary perceptual model, photography was always a step behind compared with advanced painting. Digital images are now manifestly watering down the concept of naturalism at heightened speed.
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Klaus Honnef
„Nicht konservieren, sondern konversieren“
Jens Ruchatz (Jahrgang 1969) ist Professor für Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Audiovisuelle Transferprozesse an der Philipps-Universität Marburg. Neben seiner Promotion zur Geschichte der fotografischen Projektion hat er unter anderem Texte zum Zufall in der Fotografie, zu Fotos im Kochbuch, zur Hochzeitsfotografie, zum Selfie und zur Fotografie in Zeitschriften publiziert. Damian Zimmermann sprach mit ihm über neue fotografische Genres, die durch das Smartphone entstanden sind.
Für die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), „Smart as Photography – Die Wucht des Wandels“, haben Sie untersucht, ob es durch die Etablierung des Smartphones zu neuen fotografischen Genres gekommen ist. Auf welche Bereiche haben Sie dabei geschaut?
Mich haben vor allem das Selfie und die Food-Photography interessiert. Ist das Selfie ein Selbstporträt? Ist der Food-Post eigentlich das Gleiche wie Food-Photography oder sind das neue Praktiken? Ein Genre, das definitiv neu ist, ist die „Notizfotografie“, bei der man Schrift abfotografiert oder die Nummer vom Parkplatz, um sein Auto wiederzufinden. Das ist ein Phänomen an der Grenze zwischen Bild und Schrift, weil die Information, die abgespeichert wird, natürlich eine schriftliche ist – auch, wenn letztlich mehr Informationen auf dem Bild vorhanden sind. Bei Selfies und Food-Photography handelt es sich hingegen um Genres oder vielleicht besser um „Bildformen“, die signifikant sind für das, was sich in den letzten Jahren verändert hat. An ihnen kann man gut alte und neue fotografische Praktiken miteinander vergleichen.
Mit welchem Ergebnis?
In der Food-Photography würde ich nochmal das Food-Blogging separat betrachten, das sich oft an den Ästhetiken der klassischen Food-Photography orientiert. Das geht häufig in den semiprofessionellen Bereich über. Auf der anderen Seite haben wir die Fotos, die man von dem Essen macht, das wirklich gerade vor einem steht, während man vielleicht gerade im Urlaub am Meer sitzt. Das Neue ist, dass es weniger darum geht, das Essen zu ästhetisieren und eine gewisse Zeitlosigkeit herzustellen wie in der Food-Photography. Wichtig ist vielmehr, dass ich darstelle, was ich jetzt gerade esse: den Augenblick. Es geht um den kommunikativen Akt des Teilens, das Bild selbst transportiert gar nicht unbedingt die Aussage, dass das Essen lecker sei.
For the conference held by the German Photographic Association (DGPh), “Smart as Photography – Die Wucht des Wandels”, you investigated whether new photographic genres have come about due to the establishment of the smartphone. What areas did you look at during your talk?
My particular focus lay on the selfie and food photography. Is the selfie a self-portrait? Is the food post actually the same as food photography, or are these new practices? One genre that’s definitely new is the ‘note photo’, where one photographs text or the parking space number so the car can be found again. That’s a phenomenon on the boundary between image and text, because the information that is saved is of course in written form – even if, ultimately, more information is present in the image. In the case of selfies and food photography, on the other hand, these are genres or, perhaps preferably, “pictorial forms” that are signifiers of what has changed in recent years. They are effective tools for comparing old and new photographic practices with one another.
With what outcome?
In food photography I would consider food blogging as a separate case again – it’s often based on the aesthetics of traditional food photography. Close-ups and depth of field are at work there, and there’s often an overlap with the semi-professional field. On the other hand, though, we have the photos that people take of food that really is right in front of them at the moment, perhaps while they’re sitting by the sea on vacation. The new thing is that it’s less about making food look aesthetic and producing a kind of timelessness, as in food photography – rather, it’s important that I portray what I’m eating right now : the moment. It’s about the communicative act of sharing; the picture itself doesn’t even necessarily convey the message that the food is delicious.
Interview 26
“Not to conserve, but to converse”
Jens Ruchatz (born 1969) is Professor of Media Sciences with the focus on audiovisual transfer processes at the Philipps University in Marburg. In addition to his doctorate on the history of photographic projection, he has published texts on arbitrariness in photography, photos in cookbooks, on wedding photography, the selfie and photography in magazines, among other subjects. He talks to Damian Zimmermann about new photographic genres created by the smartphone.
Es gab ja auch schon vorher Künstler, die ihr Essen als tägliches Ritual fotografiert haben, beispielsweise Stephen Shore bei seinen Road-Trips durch die USA für „American Surfaces“. Und meine Oma hat auch immer das Buffet fotografiert, wenn sie im Urlaub war. Bei den Food-Posts heute gibt es die Leute, die ihr Essen fotografieren, weil es ein besonderes Essen oder ein besonderer Anlass ist. Und dann gibt es die Leute, die wirklich jeden Tag dreimal ihre Mahlzeiten posten, weil es da um gesunde Ernährung und Lifestyle geht.
Genau, das sind unterschiedliche Fälle. Aber entscheidend ist, dass es einen Anlass gibt und dass es nicht um die Darstellung des Essens selbst geht. Der kommunikative Akt steht im Vordergrund und dass das Bild aus der Situation heraus entsteht. Das gibt es in der klassischen Food-Photography nicht und das ist etwas, was die Food-Posts mit dem Selfie gemeinsam haben.
Aber das gilt doch sicher für viele Bereiche der Smartphone-Fotografie.
Richtig. Es gibt Genres, in denen durch diese neue Zeitlichkeit und Dynamisierung aus dem Augenblick heraus etwas vollkommen Neues entstanden ist, das sich dann als typische Form stabilisiert hat. Beim Selfie ist das noch stärker zu beobachten und hat regelrecht einen Genre-Charakter angenommen.
Müssen wir uns jetzt Sorgen machen, dass wir alle Narzissten werden oder es schon geworden sind, weil wir uns ständig selbst fotografieren und es auch noch mit anderen teilen und es öffentlich posten?
Ich glaube, damit würde man einen Großteil der Bilder falsch verstehen. Die meisten nutzen das Selfie wegen seiner kommunikativen Funktion und sagen damit: „Ich bin jetzt gerade hier“. Das ersetzt die Erzählung davon, was man erlebt hat. Es ist eine Art, über seinen Alltag zu berichten. Es schicken heute doch auch Großmütter ihren Enkelkindern Selfies, wenn sie gerade auf der Landesgartenschau oder wo auch immer
Yes, and also there were artists before who used to photograph their food as a daily ritual, for example Stephen Shore during his road trips through the USA for “American Surfaces”. And my grandma always took photos of the buffet, too, when she was on holiday. In the case of food posts today, there are people who photograph their food because it’s a special type of food or a special occasion. And then there are people who really do post their meals three times a day, every day, because it’s about a healthy diet and lifestyle.
Exactly, those are different cases. But the decisive thing is that there’s an occasion for it and it’s not about portraying the food itself. What’s at the forefront is the communicative act, and that the image is arising out of the situation. That doesn’t exist in traditional food photography and that’s something that food posts have in common with the selfie.
But that surely applies for many fields of smartphone photography.
That’s right. There are genres in which, as a result of this new timeliness and dynamization arising from the moment, something completely new has been created that has subsequently stabilized as a typical form. This is even more starkly observable in the selfie and has well and truly assumed the character of a genre.
Do we now need to be worried that we’re all turning into narcissists – or are already – because we’re constantly taking photos of ourselves and sharing them with others and posting them publicly as well?
I think we’d be misunderstanding a large proportion of images by doing that. Most people use the selfie because of its communicative function and to say:
“I’m here right now”. It’s a substitute for telling somebody about what one’s experienced. It’s a way of reporting about one’s everyday life. After all, these days even grandmothers send their grandchildren selfies when they’re visiting a garden show, or wherever they are. I wouldn’t imply that they were narcissistic –
Jens Ruchatz 27
sind. Denen würde ich keinen Narzissmus unterstellen – zumal Selfies aufgrund des penetranten Weitwinkels nicht unbedingt vorteilhaft aussehen.
Ist das auch der Unterschied zum Selbstporträt?
Ja, das ist der markanteste. Es geht nicht darum, seine Identität dauerhaft zu konservieren. In seinen Selbstporträts hat Rembrandt ja nicht gesagt: „Ich bin jetzt gerade hier“, sondern seine Identität befragt. Das ist etwas anderes. Bei Selfies spielt es zum Beispiel eine große Rolle, wo man sich gerade befindet – und das soll man auch auf dem Bild sehen. Bei klassischen Selbstporträts ist der Ort oft diffus und spielt keine Rolle. Im Endeffekt ist es beim Porträt das Gesicht, das zum Träger der Identität wird. Ich glaube nicht, dass Selfies in diesem Sinne eine Arbeit an der eigenen Identität sind oder Versuche, diese irgendwie zu fixieren.
Ist das Selfie die visuelle Variante der alten „Ich war hier“-Kritzeleien an Orten, die man besucht hat –zusammen mit den entsprechenden Hashtags?
Ich erinnere mich, als ich in Verona kürzlich unter dem Balkon der Julia stand, da wurde man darauf hingewiesen, dass man doch lieber ein Selfie machen und auf einer bestimmten Website hochladen solle, anstatt seinen Namen in die Wand zu ritzen. Klar, wenn man ein Selfie ins Netz hochlädt, schreibt man sich auch in diesen Ort ein – wenn auch nur in einem virtuellen Sinn. Wenn man das Bild teilt, gewinnt es stärker einen Gesprächs- und weniger einen Erinnerungscharakter. Nicht konservieren, sondern konversieren.
Gibt es denn auch unmoralische Selfies? Ich denke da an das Beispiel aus Italien, wo sich ein Mann fotografiert hat, die Finger zum Victory-Zeichen erhoben und im Hintergrund liegt eine schwerverletzte Frau auf dem Gleisbett. Oder die US-amerikanische Teenagerin, die sich lächelnd in Auschwitz fotografiert und einen riesigen Shitstorm und damit sogar Morddrohungen gegen sich ausgelöst hat.
Man muss dazu sagen, dass Touristen auch früher schon Fotos an dafür problematischen Orten gemacht haben. Und wenn man eine Kamera auf jemanden oder sich selbst richtet, dann ist es quasi eine automatische Reaktion zu lächeln. Ob das angemessen ist in Auschwitz oder auch am Holocaust-Mahnmal in Berlin, ist eine andere Frage. Gleichzeitig ist die Diskussion, wie unmoralisch es ist, das Leiden anderer Menschen zu fotografieren, viel älter als das Selfie. Mit „Das Leiden anderer betrachten“ hat Susan Sontag den bekanntesten Beitrag zur Debatte geliefert. Entwürdigt man die Personen durch das Foto? Es gibt viele grausame
particularly as selfies aren’t necessarily flattering on account of the insistent wide angle.
Is that also the difference from the self-portrait?
Yes, that’s the most striking difference. It’s not about conserving one’s identity forever. After all, Rembrandt wasn’t saying in his self-portraits: “I’m here right now”, but questioning his identity. That’s something else. With selfies, for example, it matters a lot where somebody is right now – and that’s meant to be evident in the picture as well. In traditional self-portraits, the location is often vague and is of no importance. Ultimately, in the portrait it’s the face that becomes the bearer of identity. I don’t think that selfies in this sense are work on one’s own identity or attempts to record this identity in any way.
Is the selfie perhaps the visual variant of those old “I was here” scribbles at places people have visited –together with the corresponding hashtags?
Funny you mention that. I remember standing beneath Juliet’s balcony in Verona recently – there’s a sign saying it’s preferable to take a selfie and upload it on a certain website, instead of scratching one’s name into the wall. Obviously, when you upload a selfie to the Net you’re also recording your presence at this location – even if only in the virtual sense. When you share the photo, it gains more of a conversational character and less of a commemorative character. Not to conserve, but to converse.
So are there unethical selfies, too? I’m thinking of that example from Italy, where a man took a photo of himself with his fingers raised in a victory sign and, in the background, there’s a seriously injured woman lying on the track bed. Or the American teenager who photographed herself smiling at Auschwitz and triggered a huge scandal and even death threats against herself.
On that point it has to be said that, even previously, tourists used to take photos at locations that were problematic for doing so. And if you point a camera at somebody or yourself, then it’s virtually an automatic reaction to smile. Whether that’s appropriate at Au-schwitz or the Holocaust Memorial in Berlin is another matter. At the same time, the debate over how unethical it is to photograph other people’s suffering is much older than the selfie. Susan Sontag supplied the most famous contribution to the debate with “Regarding the Pain of Others”. Does a photo take away people’s dignity? There are many graphic pictures from photojournalism, taken at a time long before this was debated. If you take a look at magazines from the early days of photojournalism, you’ll see how often photos of executions landed on the front pages.
Interview
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Jens Ruchatz
Bilder aus dem Fotojournalismus, entstanden in einer Zeit, lange bevor man darüber diskutiert hat. Wenn man sich Zeitschriften aus der Frühzeit des Fotojournalismus anschaut, sieht man, wie oft Fotos von Hinrichtungen auf den Titelseiten gelandet sind.
Sie haben mal erwähnt, dass es in der Fotografie gar keine Genre-Theorie gibt.
Es gibt keine allgemeine, übergreifende Theorie, die sich damit beschäftigt, welche Rolle Genres für die Fotografie spielen und wie sie entstehen. Für die Literatur gibt es das, im Film spielt die Genre-Theorie heute noch eine enorme Rolle. Bei der Erforschung der Fotografie führt man meist unreflektiert die klassischen Kunst-Genres wie Porträt und Landschaft weiter und setzt Genres implizit voraus. Es gibt kaum explizite Überlegungen davon, was eigentlich ein fotografisches Genre ist und wie es funktioniert. Es wäre wichtig, völlig von der Kunst losgelöst über fotografische Genres nachzudenken. Das ist ein riesiges Defizit der Forschung.
Verliert die Fotografie die Funktion, dass wir uns durch sie erinnern, und wird sie mehr zum Medium der Kommunikation?
Das Smartphone hat unser Denken über Fotografie und unser Verständnis für sie ebenso wie ihre Normen verändert. Früher war eine private Fotografie ein Erinnerungsbild. Die Technologie des Smartphones hat dazu geführt, dass wir Fotos nicht mehr von vornherein als Erinnerungsbild betrachten. Fotos haben viel mehr einen aktuellen Bezug und werden geradezu verbraucht – nachdem sie geteilt wurden, sind sie häufig nicht mehr interessant. Früher waren die meisten Bilder ja für die privaten und öffentlichen Archive, beispielsweise Fotoalben, gedacht.
Es ist auch heute nicht mehr so schlimm, wenn man sein Smartphone mit 5.000 Fotos darauf verliert.
Richtig! Und zu den neuen Praktiken gehört auch, dass das Archivieren heute eine eigene Entscheidung ist, während früher quasi jedes Foto im Schuhkarton gelandet ist. Heute wird, wenn der Speicher voll ist, entschieden, ob ein Foto gelöscht wird oder ob es wert ist, dass man es behält und es nochmal anschauen will. Oder ob man es sogar auszeichnet, indem man es ausdruckt und in ein Album klebt oder ein Fotobuch produziert.
You once mentioned that there isn’t any genre theory at all in photography.
There is no general, comprehensive theory that deals with the role that genres play for photography and how they arise. There’s one for literature, and in film, genre theory still plays an enormous role today. When researching photography, one usually continues the traditional art genres such as portrait and landscape unthinkingly, postulating genres implicitly. There are hardly any explicit considerations concerning what a photographic genre actually is and how it works. It would be important to think about photographic genres fully divorced from art. That’s an enormous failing in research.
Is photography losing the function of conveying memories to us, and is it becoming more of a communication medium?
The smartphone has changed our thinking about photography and our understanding of it, just as it has changed its norms. A private photograph used to be a picture for remembering. Smartphone technology has meant that we no longer see photos as a commemorative image from the start. Much more than that, photos have a current reference and are well-nigh consumed – once they’ve been shared, they’re often no longer of interest. Most pictures, after all, used to be intended for private and public archives; photo albums, for example.
These days, too, it’s no longer such a disaster if you lose your smartphone with 5,000 photos on it.
That’s right! And another characteristic of the new practices is that archiving, these days, is a decision by itself, whereas virtually every photo used to end up in the shoebox. Today, when the memory’s full, there’s a decision made on whether a photo’s going to get deleted or whether it’s worth keeping and looking at again. Or even whether it’s going to be given the honour of getting printed out and stuck in an album or featured in a photobook.
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Die Renaissance des Analogen The Analogue Renaissance
Seit Kurzem sieht man wieder alte Nikons um die Hälse der Großstadt-Hipster hängen und das Polaroid hat vor allem bei Hochzeiten seinen festen Platz. Warum nur?
Als im Dezember 2007 das KodakWerk im französischen Chalonsur-Saône, übrigens dem Geburtsort von Nicéphore Niépce, abgerissen werden sollte, reichte die Sprengladung nicht aus. So stürzte ein Teil der Fabrik krachend ein, ein anderer Bauteil, in dem einst fotografische Platten für Sonderanwendungen (etwa für Röntgenaufnahmen) produziert wurden, blieb wie ein Mahnmal stehen. Seit dem Siegeszug des Digitalen gilt die analoge Fotografie als tot. Eigentlich. Doch seit Kurzem sieht man wieder alte Nikons um die Hälse der Großstadt-Hipster hängen, das Polaroid hat vor allem bei Hochzeiten seinen festen Platz und mutmaßlich fotografieren heute mehr Menschen auf Kollodium-Nassplatten als im 19. Jahrhundert. Warum nur?
Wirklich tot war die analoge Fotografie selbstredend nie. Allerdings entschwand sie, anders als ihre digitale Schwester, zusehends aus dem Fokus des öffentlichen Interesses. Befördert wurde die enorme Popularität der neuen Technik durch den Einbau von Kameras in Smartphones. Nun konnte jeder ohne große Kenntnisse Fotos aufnehmen, die zumindest gut aussehen und keine typischen Fehler (Unschärfe, Überblendung, etc.) mehr zeigen. Paradoxerweise führte gerade diese automatische Perfektion zu einer Rückkehr von analogen Ästhetiken und Praktiken.
When, in December 2007, the Kodak plant in Chalon-surSaône, France (incidentally the birthplace of Nicéphore Niépce) was meant to be demolished, the explosive charge was insufficient. Consequently, part of the factory caved in with a crash; a further part of the building, in which photographic plates for special applications (x-rays, for instance) were once produced, remained standing like a memorial.
Since the triumphal march of digital, analogue photography has been deemed to be dead. Technically. Yet, of late, old Nikons have again been observed around the necks of big-city hipsters, the Polaroid has its firm place at weddings in particular, and rumour has it that more people are taking photographs on collodion wet plates today than in the 19 th century. Just why is this?
Analogue photography was never really dead, of course. However, unlike its digital sibling, it rapidly dwindled out of the focus of public interest. The new technology’s enormous popularity was fuelled by the incorporation of cameras into smartphones. Now everyone, without any significant knowledge of photography, was able to take photos that at least look good and no longer exhibit any typical errors (blurriness, dazzle, etc.). Paradoxically, precisely this automatic perfection led to a return of analogue aesthetics and practices.
Essay
Markus Weckesser
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Eben jene Effekte, die zuvor als störend empfunden worden sind, galten plötzlich als Indikator für Authentizität. Beispielsweise die Fehlfarben eines Sofortbildes oder die Lichteinfälle eines nicht optimal abgedichteten Kameragehäuses. Der Karlsruher Medienwissenschaftler Dominik Schrey stellt in seiner Dissertation „Analoge Nostalgie in der digitalen Medienkultur“ fest, dass die analoge Fotografie nicht nur in Nischenkulturen lebendig bleibt, sondern auch und vor allem zu bestimmten Anlässen gefragt ist. Etwa im Rahmen einer Hochzeit. Der besondere Moment soll mit einem besonderen Foto gewürdigt werden. Es gilt, den Aufnahmeprozess zu entschleunigen und nicht einfach draufloszuknipsen. Das anhaltende Interesse an analoger Fotografie bewog Jürgen Lossau, im Oktober 2017 in Berlin-Mitte „click & surr“ zu eröffnen. Das Fachgeschäft bietet gebrauchte Kameras und Zubehör, Reparaturleistungen und demnächst auch Fotolaborarbeiten. Der große und schnelle Erfolg überraschte Lossau selber. In Hamburg oder gar der Fotometropole Köln hätte er den Start allerdings nicht gewagt. Da sei vermutlich kein Markt vorhanden. Zu seinen Kunden zählen unter anderem Fotografen, die noch ein eigenes Labor besitzen und traditionell analog arbeiten. Aus Gründen der sozialen Distinktion beschäftigen sich die internationalen Neuberliner mit dem Thema. Sie wollen anders, hip und individuell sein. Eine weitere Zielgruppe seien Touristen aus aller Welt, die „click & surr“ zuvor online recherchiert hätten.
Das Alter seiner Kunden bewege sich zwischen 18 und etwa 40 Jahren. Ältere Analogfotografen kommen kaum. Es sei denn, um von besseren Zeiten zu schwärmen oder alte Ausrüstung zu verkaufen. Obgleich der Anteil von Frauen in der analogen Fotografie bei Weitem nicht so groß ist wie jener der Männer, sind knapp 70 Prozent der Kunden von „click & surr“ weiblich. Lossau erklärt den Umstand damit, dass vor allem Frauen einwandfreie Geräte, Gewährleistung und gute Beratung wünschen. Dafür seien sie auch bereit, ein wenig mehr Geld zu zahlen. Die Preise für gebrauchte Kameras seien stabil, wobei die für höherwertige Geräte durchaus anziehen, sagt Lossau. Ob sich der Trend halte, bleibe abzuwarten. Da bis auf vereinzelte Crowdfunding-Projekte keine neuen Produkte mehr hergestellt werden, ist der Vorrat an Ersatzteilen irgendwann erschöpft. Von einem Boom der analogen Fotografie mag Jürgen Lossau trotz des Erfolgs von „click & surr“ nicht sprechen. Seine These lautet, dass die jungen Fotofreunde die sozialen Medien so geschickt und intensiv genutzt haben, dass der Eindruck entstand, es handele sich um eine breite Welle. Dass die analoge Fotografie nie wieder so stark wird wie zuvor, ist allen Beteiligten klar.
The very effects that had previously been perceived as annoying were suddenly deemed indicators of authenticity. For example, the discolourings of an instant picture, or the light incidences of a sub-optimally sealed camera housing. Karlsruhe-based media scientist Dominik Schrey notes in his dissertation, “Analogue Nostalgia in the Digital Media Culture”, that analogue photography is not only still alive in niche cultures, but also in demand, and on certain occasions in particular. At weddings, for instance. The desire is there to dignify the special moment with a special photo. The idea is to decelerate the recording process and not simply start snapping away.
The continuing interest in analogue photography moved Jürgen Lossau to open “click & surr” in Berlin-Mitte in October 2017. The specialist store offers used cameras and accessories, repair services and, soon, photo laboratory processing too. Lossau himself was taken by surprise by the store’s big, swift success. However, he would not have ventured the launch in Hamburg or even Cologne, the photography metropolis. There is presumably no market there, he says. His customers include, among others, photographers who still have their own laboratory and work in the traditionally analogue way. Social distinction is what motivates international newcomers to Berlin to engage with the topic. They want to be different, hip and individual. Another target group, Lossau says, are tourists from across the world, who have done online research on “click & surr” beforehand.
Of late, old Nikons have again been observed around the necks of big-city hipsters, and the Polaroid has its firm place at weddings in particular.
Just why is this?
His customers’ ages range between 18 and about 40. Not many older analogue photographers come in – unless it is to rhapsodize about better times or sell old equipment. Although the proportion of women in analogue photography is not nearly as large as that of men, just under 70 percent of “click & surr”’s customers are female. Lossau explains this circumstance by suggesting that women, especially, demand impeccable devices, a guarantee and competent advice. For this, he says, they are also prepared to pay a bit more money.
In der Ausbildung steht die alte Technik jedenfalls weiterhin verpflichtend auf dem Lehrplan. Zu den Aufgaben der Studierenden im Studiengang Fotografie an der Fach-
Prices for used cameras are stable, Lossau says, while those for high-quality devices are definitely rallying. He tells me it remains to be seen whether the trend will last. Since no new products are being manufactured (apart from a handful of crowdfunding projects), the stock of spare parts will run out at some point. Despite the success of “click & surr”, Jürgen Lossau is reluctant to talk of a boom in analogue photography. His theory is that young photo enthusiasts have used social media so skilfully and intensively that this has led to an impression of a groundswell. It is clear to all involved that analogue photography will never again be as strong as it was before.
Markus Weckesser
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hochschule Dortmund gehören beispielsweise nach wie vor das Entwickeln und Vergrößern von Schwarzweiß-Filmen. Was zu Hochzeiten eine Durchlaufmaschine erledigte, wird inzwischen wieder mit Schalen durchgeführt, erklärt Axel Wehrtmann, der in Dortmund fotografische Techniken lehrt. Ein Labor zum Vergrößern von Farbnegativen mit einer Durchlaufmaschine gebe es ebenfalls. Allerdings stehe dies nur einmal pro Jahr für mehrere Wochen zur Verfügung, da die Nachfrage extrem gering sei. Grundsätzlich sei analoge Fotografie gerade für Studienanfänger wichtig, um die Wahrnehmung für das Bild zu schärfen, sagt Dirk Gebhardt. Der Professor für Fotodesign an der Fachhochschule ist davon überzeugt, dass die technischen Einschränkungen anderen Arbeitsweisen zugute komme. Es müsse nicht immer alles schnell und dynamisch gehen.
Auf analoge Ausbildung setzt auch der Studiengang Fotografie am Fachbereich Gestaltung der Folkwang Universität der Künste in Essen. In den ersten zwei Jahren sei die Technik ein wichtiger Baustein im Curriculum, sagt Elke Seeger. Die Professorin für Fotografie und Konzeption ist zugleich Prorektorin für Studium und Lehre. In dieser Funktion war sie an der Gestaltung des Neubaus auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Zollverein beteiligt, wo der Fachbereich beheimatet ist. Dem Umzug sind nicht nur Räumlichkeiten zu verdanken, die eigens auf die Bedürfnisse der Ausbildung zugeschnitten sind, sondern auch eine Aufstockung der Ausrüstung. Dies sei im analogen Bereich nicht immer ganz einfach gewesen, sagt Seeger. Manche Geräte werden nicht mehr hergestellt. Da neben Theorie und Praxis auch Kuratieren gelehrt wird, verfügt das Haus über sämtliche Geräte, die vom Aufnehmen eines Fotos über die Produktion bis zur Präsentation benötigt werden. Selbst die Kaschierung und Rahmung von Bildern wird geübt. „Wir tun viel dafür, dass analoge Fotografie nicht nur Nostalgie bedeutet“, resümiert Elke Seeger.
At any rate, the old technology continues to be a compulsory curricular competent in education. For example, one of the tasks required of students at Dortmund University of Applied Sciences remains the development and enlargement of blackand-white films. Processes accomplished by a continuous-feed machine in the heyday are now carried out using trays again, explains Axel Wehrtmann, who teaches photographic techniques in Dortmund. There is also a laboratory for enlarging colour negatives using a continuous-feed machine. However, this is only available for several weeks per year, as demand is extremely low. Fundamentally, analogue photography is important for new students in particular, so that their perception for the image can be heightened, says Dirk Gebhardt. The Photo Design professor at the University of Applied Sciences is convinced that the technical limitations will benefit other ways of working. Things don’t always have to go so swiftly and dynamically, he says.
The Photography course at the Design faculty at the Folkwang University of the Arts in Essen also backs analogue training. Technique is an important module on the curriculum in the first two years, says Elke Seeger. The photography and design professor is simultaneously the pro-rector for studies and teaching. In this capacity she played a role in the design of the new building on the site of the former Zeche Zollverein coal mine, where the faculty has its home. Thanks to the move, the faculty not only now has premises that are specifically tailored to its courses’ needs, but it has also been able to stock up on equipment. This has not always been so easy in the analogue field, says Seeger. Some devices are no longer manufactured. As curating is also taught alongside theory and practice, the institution has access to all necessary devices, from the taking of a photo through production to presentation. There are even exercises in the lamination and framing of pictures. “We’re doing a lot to make sure that analogue photography doesn’t just mean nostalgia”, summarizes Elke Seeger.
Essay
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Im freien Fall Free Fall
Wie verändert sich der Fotojournalismus, wenn ihn niemand mehr bezahlt?
Eine Spurensuche
What changes can photojournalism make, if people have stopped paying for it?
Searching for some clues.
Der Fotojournalismus ist freier als je zuvor. Junge Menschen ergreifen immer noch den Beruf. Nie waren die Chancen vielfältiger, in den Klimmzügen der Digitalisierung wahrgenommen zu werden. Die digitalen Kanäle sind allerdings sehr flüchtig. In jeder Beziehung. Mit dem „Sterben“ der gedruckten Tageszeitungen und Magazine befindet sich der Fotojournalismus seit Jahrzehnten im freien Fall. Ist doch paradox, oder? Die Entlohnung steht immer mehr infrage und es geht doch weiter. Im Namen der Selbstausbeutung und der guten Sache. Ist Fotojournalismus etwa eine ganz besondere Form der Neugier und sozialen Empathie, die gewisse Menschen nicht unterdrücken können?
Neulich an der Bar. In Sarajewo, in Kabul? Dort, wo die Meute der Reporter ehemals rastete und sich von der Kriegsberichterstattung erholte? Nein, neulich an der Bar in Bielefeld mit einem alten Kollegen notierte ich das. „Schau mal, der Fotojournalismus steht zwar seit Mitte der neunziger Jahre schwer unter Beschuss, aber die Struktur ist im Prinzip noch dieselbe. Das Korrespondentennetz ist dünner geworden, aber es existiert nach wie vor. AFP & Co. gibt es immer noch. Black Star mag verstorben sein. Der Dino Magnum wackelt. Aber wackelte diese Versammlung von Genies nicht von Anfang an? Doch neue Kollektive sprießen überall aus dem Boden. Die Hochschulen produzieren ja auch genügend Nachwuchs. Wettbewerbe wie World Press Photo werden von Einsendungen aus aller Welt überschwemmt und für die Triennale der Photographie in Hamburg oder die Photoszene in Köln musst du dir eine Woche frei nehmen, um halbwegs einen Überblick zu bekommen. Aber die Fotojournalisten pilgern ja heutzutage sowieso alle nach Hannover. Lumix ist das neue Perpignan.“
Cash in der Tasche
Perpignan ist ein gutes Stichwort. Ich kam 1996 als Agent nach Südfrankreich zum Festival „Visa pour l’image“. Jeder Gast bekam einen Baumwollbeutel, damals gesponsert von „Le Monde“. Darin lag auch eine Ausgabe von „American Photo“. „Is photojournalism dead?“ Diese Headline prangte auf dem Cover. Ich bin mir nicht
Photojournalism is freer than ever before. Young people are still taking up the profession. Never were there more diverse opportunities to get noticed as digitization rises up to conquer. However, digital channels are highly ephemeral. In every respect. With the “dying” of printed daily newspapers and magazines, photojournalism has been in free-fall for decades. Paradoxical, don’t you think? Remuneration is becoming more and more of an issue, and yet the story continues. In the name of self-exploitation and the worthy cause. Can it be that photojournalism is a very special form of curiosity and social empathy, which certain people cannot suppress?
Recently at the bar. In Sarajevo, in Kabul? The place where press packs would once take breaks and recuperate from war reporting? No – I noted it recently at a bar in Bielefeld with a former colleague. “Look, photojournalism may have been under fire since the mid-1990s, but the structure’s basically the same. The correspondent network has thinned out, but it’s still there. AFP and the like are still around. Black Star may have died. That dinosaur Magnum is looking shaky – but wasn’t that gathering of geniuses shaky from the start? Yet new collectives are springing up everywhere. Universities are turning out enough new talent, you know. Competitions like World Press Photo are inundated with entries from the world over, and for the Triennale der Photographie in Hamburg or the Photoszene in Cologne, you have to take a week off to get any sort of an idea of them. But these days, you know, photojournalists all make a pilgrimage to Hanover, anyway. Lumix is the new Perpignan.”
Cash in the bag
Perpignan is a keyword worth noting. In 1996, working as an agent, I came to the South of France to the “Visa pour l’image” festival. Every visitor was given a cotton bag, sponsored by “Le Monde”. There was also an issue of “American Photo” inside. “Is Photojournalism Dead?” was the headline splashed on the cover. I am not sure, but was this not the year when Corbis made its
Hendrik Neubauer 33
sicher, aber tauchte in diesem Jahr nicht das erste Mal auch Corbis auf dem Festival auf? – Die Agentur, die ein paar Jahre später Archive von Reportage-Agenturen und von Fotojournalisten wie den Turnley-Zwillingen aufsaugen sollte. Damals war dank Bill Gates auf einmal ganz viel Geld in der Branche. Fotojournalismus als Goldgrube? Das konnte doch nicht angehen. Big Player „bedrohten“ die mittelständischen Strukturen, in denen das Agenturgeschäft seit den 1930er-Jahren traditionell organisiert war. Corbis. Diese „Krake“ ist selber Opfer von Aufkäufen und globalem Mischmasch geworden. Getty heißt der Sieger im Kampf der Giganten.
Schrumpfende Redaktionsbudgets und Werbeeinnamen waren damals auch schon Fakt. War das das eigentliche Malheur? Redaktionen wie der „Stern“, die Anfang der 1990er-Jahre den Markt leerkauften und Reportagen auf Halde legten, mussten den Gürtel enger schnallen. Magazine wie „Newsweek“ jagten bis zur Jahrtausendwende noch Redaktionsfotografen über die Kriegsherde der Welt. Den westlichen Reportern erwuchs eine Konkurrenz in den Regionen, aus denen sie bisher berichteten. Im Zeitalter des Internet und der Globalisierung verstanden auch Menschen außerhalb der westlichen Welt, was es heißt, fotojournalistisch zu arbeiten. Auf einmal waren unter den Preisträgern des World Press Photo Award auch Fotografen wie der Algerier Hocine Zaourar zu finden. Das war die Zeit, als Fotojournalisten aus den Metropolen anfingen, auch ohne Auftrag aus dem Haus zu gehen, um zu arbeiten.
Der Große Crash
Zu Hause auf der Couch schaue ich auf den Bildband
„Here is New York“ aus dem Scalo Verlag. Das Buch stabilisiert unseren altersschwachen Tisch von Oma Frieda, erinnert mich aber täglich an diesen historischen Tag.
9/11 in New York ist für mich persönlich wie fotohistorisch genauso wichtig wie der 9. November 1989, der Tag, an dem die Mauer in Berlin fiel. 9/11 habe ich am Empfang eines Bildband-Verlages in Köln erlebt. Ein großer Teil der Angestellten sammelte sich im Erdgeschoss und starrte fassungslos auf den Bildschirm von Bob, dem Rezeptionisten. 9/11 verschlimmerte die Finanzkrise, die sowieso schon herrschte. Es begann ein Totentanz auf den Trümmern der New Economy. Milliarden lösten sich in Luft auf, Finanzjongleure wurden vom Hof gejagt, nachdem sie und ihre Renditen seit Ende der 1990er wie im Rausch gefeiert worden waren. Ja, auch die Medien und vor allem die Buchverlage stürzten ab.
Die Digitalisierung entpuppte sich als Fluch und Segen zugleich. Es war so, als setzte sich die Medienwelt und damit auch der Fotojournalismus wieder neu zusammen. Ich wandere an meinem Buchregal entlang und mir fällt ein Buch in die Hände, das am besten zeigt, welche Überlebensstrategien Fotojournalisten nach dem großen Crash entwickelten. Rob Hornstra veröffent-
first appearance at the festival? – The agency that, a few years later, was to absorb archives from reportage agencies and photojournalists, the Turnley twins for example. Back then, thanks to Bill Gates, there was suddenly a whole lot of money in the industry. Photojournalism as a goldmine? Now, that could not be tolerated. Big players were a “threat to” the mid-range structures in which the agency business had been traditionally organized since the 1930s. Corbis. This “kraken” itself fell victim to buy-ups and the global mishmash. Getty is the victor in the battle of the giants.
Shrinking editorial budgets and advertising revenue were already a fact back then. Was that the actual misfortune? Editorial offices such as “Stern”, which gobbled up the market and stockpiled reportages at the beginning of the 1990s, were forced to tighten their belts. Magazines such as “Newsweek” were still chasing press photographers across the world’s flashpoints until the turn of the millennium. Western reporters began to be faced with competition in the regions they previously reported from. In the age of the Internet and globalization, even people outside the western world understood what it means to work as a photojournalist. All of a sudden, winners of the World Press Photo Award also included photographers such as the Algerian Hocine Zaourar. That was the time when photojournalists from the big cities began leaving the house to work, even without an assignment.
The Great Crash
At home, on the couch, I take a look at the illustrated book “Here is New York”, from Scalo Verlag publishers. The book stabilizes our decrepit table inherited from Grandma Frieda, but reminds me daily of that historic day. To me, personally, and from a photography history perspective too, 9/11 in New York is exactly as important as November 9, 1989 in Berlin, the day when the Berlin Wall fell. I experienced 9/11 at the reception of an illustrated book publishers’ in Cologne. Many of the employees gathered on the ground floor and stared uncomprehendingly at Bob the receptionist’s TV screen. 9/11 worsened the financial crises that was already prevailing. A death dance commenced on the rubble of the New Economy. Billions went up in smoke, financial speculators were driven out where once, they and their profits had been celebrated in almost a frenzy. Yes, the media and especially the book publishers crashed too. Digitization turned out to be a blessing and a curse simultaneously. It was as though the media world and, with it, photojournalism too, was reconstituting itself. I walk along my bookshelf and a book falls into my hands that most effectively demonstrates the survival strategies developed by photojournalists after the big crash. In 2004, Rob Hornstra brought out the first self-published major documentary work. No publisher
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lichte 2004 die erste größere dokumentarische Arbeit im Selbstverlag. Kein Verlag wollte in Vorleistung gehen, um „Communism & Cowgirls“ in die Verkaufsregale zu bringen. Um den Buchdruck finanzieren zu können, verkaufte Hornstra im Vorfeld Prints über Mundpropaganda und Networking. Das dauerte und es kostete Zeit und Energie, klappte aber so gut, dass er die nächsten Bücher auf die gleiche Weise veröffentlichte. Crowdfunding und Selfpublishing sind heute hochfrequentierte Pfade, um Reportagen und Veröffentlichungen zu ermöglichen, die in den etablierten Redaktionen und Verlagen nie einen Platz gefunden hätten. Irgendwas ist ja immer, was einer Arbeit im Weg stehen könnte. Zu gefährlich, zu teuer, gerade nicht angesagt.
Aber irgendjemand muss den Fotojournalismus doch finanzieren, der sich selbst unter widrigsten Bedingungen als so resilient erweist. Bestimmt jetzt das Publikum selbst, was es sehen will? Wäre das der einzige Weg, wäre das sehr sehr heikel für den Einzelnen. Wie lange reicht die Aufmerksamkeit des Schwarms, wie oft geht dessen Portemonnaie auf? Schauen wir noch mal auf das Schaffen Hornstras. Für sein „Sochi Project“ besuchte der Fotograf die russische Stadt das erste Mal 2006 und beendete die Arbeit vor den Olympischen Spielen 2013 mit einer Buchveröffentlichung bei Aperture. Am Schluss war es dann also doch wieder ein etablierter Verlag, der sich des Themas annahm. Dazwischen lagen jedoch rund ein Dutzend Veröffentlichungen im Eigenverlag sowie elf Besuche in der Region, die der Fotograf alle gemeinsam mit dem Autoren Arnold van Bruggen bestritt. Und man darf auch nicht verschweigen, dass auf der gesamten Strecke internationale Veröffentlichungen in allen wichtigen Zeitungen und Magazinen lagen. Am Ende kommen alle wieder zusammen. Die Erkenntnis dabei ist so einfach wie banal. Viele Wege führen nach Rom, nur die Reisebedingungen ändern sich ständig. Business Class ist schon lange nicht mehr, momentan „pilgern“ sehr viele Selbstständige, die in der Branche des Fotojournalismus arbeiten.
Da liegt die Vermutung nahe, dass die fotografische Langzeit-Dokumentation als erstes sterben wird. Sie steht heute für den „Slow Journalism“. Diese Art des Eintauchens in Themen und Geschichten, dieses langwierige Ringen um Wahrhaftigkeit und Hintergründe schlug sich 2015 in der Einführung einer neue Kategorie beim Word Press Photo Award nieder. Endlich werden hier „Long Term Projects“ gewürdigt, war vielfach zu hören. Ich selbst sprach in meiner „ProfiFoto“-Kolumne 2017 von einer „Drift ins Epische“, die an Veröffentlichungen wie dem „Atlas der Angst“ abzulesen sei. Diese Drift, dieser Wille, große Geschichten zu erzählen, ist dem Fotojournalismus jedoch seit den Anfängen eingeschrieben. Eugene Smith hatte 1955 gerade seine Beziehung mit dem Magazin „Life“ aufgekündigt, da bekam er den Auftrag, drei Wochen lang den Niedergang der amerikanischen Stahlmetropole in rund 100 Fotos zu dokumentieren.
was willing to pay an advance to get “Communism & Cowgirls” onto the shelves. In order to fund the book’s printing, Hornstra sold prints beforehand via word-ofmouth and networking. It took a long while and cost time and energy, but it worked so well that he published his subsequent books the same way. Today, crowdfunding and self-publishing are well-trodden paths for making reportages and publications possible that never would have found a place in the established editorial offices and publishers. After all, there is always something that might get in a work’s way. Too risky, too expensive, not in demand at the moment. Still, somebody has to fund photojournalism, which proves itself so resilient even under the most adverse circumstances. Does the public now determine what it wants to see itself? If that were the only way, that would by very, very tricky for the individual. How long will the hive’s attention span hold out, how often do they open their wallets? Let us just take a look at Hornstra’s creative output. For his “Sochi Project”, the photographer visits the Russian city for the first time in 2006 and completed the work before the Olympic Games in 2013 with a book publication at Aperture. So in the end, then, it was another established publisher that attended to the topic. In between, however, there were about a dozen self-publications plus eleven visits to the region, all jointly paid for by the photographer with the author Arnold van Bruggen. And we should also not neglect to mention that international publications in all major newspapers and magazines lay all along the way. All come back together in the end. This realization is as straightforward as it is banal. Many roads lead to Rome; only the conditions of travel change. Business Class is long gone; at the moment, very many independent photographers working in photojournalism are “on a pilgrimage”.
It would appear that photographic long-term documentation will be the first to die. These days, it is synonymous with “slow journalism”. This method of immersion in topics and stories, this protracted wrestling for truthfulness and back stories was reflected in 2015, in the introduction of a new category at the World Press Photo Award. Tribute is being paid to “long-term projects” at last, was the word on many sides. I myself spoke in my “ProfiFoto” column in 2017 of a “drift into the epic”, which could be seen from publications such as the “Atlas of Fear”. However, this drift, this will to tell big stories, has been an integral part of photography since its beginnings. In 1955, Eugene Smith had only just dissolved his relationship with “Life” magazine when he received the assignment to spend three weeks documenting the decline of America’s steel metropolises in around 100 photos. Smith gave himself a year and brought back almost 16,000 photos. A fraction went into the book “Dream Street”. The revenue from the book will have barely covered Smith’s investment.
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Smith nahm sich ein Jahr Zeit und brachte fast 16.000 Fotos mit. Ein Bruchteil floss in das Buch „Dream Street“ ein. Die Bucherlöse werden das Investment von Smith kaum refinanziert haben. Eugene Smith war eine extreme Persönlichkeit. Er kündigte die finanzielle Sicherheit der Zusammenarbeit mit „Life“ auf, weil er sich von der Redaktion journalistisch eingeschränkt und gegängelt fühlte; er wollte zuviel. Er wollte die Kontrolle über seine Geschichten. Diesen Dauerkonflikt hielt er nicht aus, kämpfte aber zeitlebens mit wirtschaftlich prekären Verhältnissen. Seit 1980 existiert ein W. Eugene Smith Memorial Stipendium, die Generation nach ihm sollte es besser haben.
Fotojournalismus. Ein knappes Gut
Auf der Vernissage der Ausstellung „Café Lehmitz“ in der Ausstellung der Freelens-Galerie in Hamburg hörte ich im Februar 2018 beiläufig den Satz: „Na, hast du die Anträge abschickt?“ Wer heute lange und intensiv ein Thema dokumentarisch bearbeiten möchte, der muss Stipendien ergattern und noch selber Geld mitbringen. Redaktionen oder Verlage schieben die Arbeiten nur noch im Ausnahmefall an. Fotojournalismus in seiner Langform wird damit zu einem knappen Gut.
Auf derselben Veranstaltung verhielten sich einige Gäste mit Kameras und Smartphones sehr unwürdig. Sie krochen dem Urheber Anders Petersen fast auf den Schoß und lagen ihm zu Füßen. Sie schossen diesen Großmeister der Reportage regelrecht ab. Am nächsten Morgen sah ich beim Check meines InstagramAccounts, warum. Hier und da tauchten mitunter sogar ganz ordentliche bis schräge Porträts des Schweden auf. Womit wir wieder bei der Digitalisierung und ihren großen Versprechen angekommen wären. Es wird immer wieder gemunkelt, dass Fotojournalisten auf Instagram & Co. nicht nur auf ihre Arbeit aufmerksam machen, sondern tatsächlich auf diesem Weg Geld verdienen. Unternehmen beauftragen Profis damit, Bilder und Videos für ihre Social-Media-Präsenzen anzufertigen. Ist das ein neues Geschäftsfeld, das den Fotojournalismus rettet? Verändert sich damit nicht auch die Bildsprache? Tritt hier Schwarzweiß einen neuen Siegeszug an, müssen wir uns an harte Kontraste gewöhnen, gibt es endlich mal wieder gewagte Bildanschnitte, verdrängt das Quadrat und das Hochformat das dominante Quer? Ändert sich gerade was frei nach Monty Python: „Always look on the social media side of life ... Enjoy it, it’s your last chance anyhow”?
Bringt das in Zukunft die Butter auf das Brot? Solche Hoffnungsschimmer ändern wohl nichts an der Grundsituation. Die zahlreichen Akteure da draußen werden in ihre Arbeit von Überzeugungen und Aktivismus sowie einem unerschütterlichen Willen zur Selbstausbeutung getragen. Diese Menschen bereichern sich, was menschliche Erfahrungen angeht. Meist unter persönlichen Entbehrungen. Es ist, wie es ist.
Eugene Smith was an extreme personality. He put an end to the financial security of working with “Life” because he felt journalistically limited and restrained by the editors; he wanted too much. He wanted control over his stories. He could not stand this permanent conflict, but he battled with economically precarious circumstances his whole life long. There has been a W. Eugene Smith Memorial Fund in place since 1980: the generation after him was to have it easier.
Photojournalism. A scarce commodity
At the vernissage of the exhibition “Café Lehmitz” at the Freelens-Galerie in Hamburg, in February 2018, I casually overhead the following phrase: “So, sent off the applications, then?” These days, photographers intending to work long and hard on any topic have to get hold of a grant, and chip in some money themselves as well. Editorial offices or publishers will now only bump-start projects in exceptional cases. Photojournalism in its long form is becoming a scarce commodity as a result.
At the same event, a few guests with cameras and smartphones conducted themselves in a very undignified manner. They practically crept onto the lap of author Anders Petersen and lay themselves at his feet. They veritably shot down this grand master of reportage. The next morning, on checking my Instagram account, I saw why. There were even some entirely decent to oddball portraits of the Swede popping up here and there. Which would bring us back to digitization and its big promises. It is repeatedly rumoured that photojournalists on Instagram and the like are not only drawing attention to their work, but actually earning some money this way. Companies commission professionals to prepare images and videos for their social media presences. Is this a new area of business that is going to save photojournalism? Is visual language not also changing as a result? Has black-and-white set off on a new triumphal march here, are we going to have to get used to harsh contrasts, will there finally be daring picture details again, are the square and the portrait set to drive out the dominant landscape format? Are there changes afoot? To freely quote Monty Python: “Always look on the social media side of life... Enjoy it, it’s your last chance anyhow”?
Is that going to butter photographers’ bread in the future? Glimmers of hope like these are not likely to alter anything about the underlying situation. The numerous protagonists out there are supported as they work by convictions and activism, along with an unshakeable will to self-exploit. These people are enriching themselves as far as human experiences are concerned. Mostly at the cost of personal deprivations. It is the way it is.
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„Die Geschichte der Fotografie fängt mit dem Digitalen erst an“
Über den technischen Wandel und mögliche Perspektiven
Damian Zimmermann
Wenn die Photokina am 26. September als weltweit wichtigste Messe für Fotografie und Videografie öffnet, dann wird sie es zum letzten Mal zum traditionellen Herbst-Termin tun. In Zukunft findet die Photokina im Mai statt. Was aber noch viel wichtiger ist: Statt alle zwei Jahre kommt die internationale Fotoindustrie-Branche dann jährlich in den Messehallen in Köln-Deutz zusammen. Damit will die Messe in Zukunft flexibler auf Innovationen reagieren können.
„Jede Messe muss sich fragen, wo sie im digitalen Zeitalter stehen will“, erklärt der neue Projektleiter Christoph Menke den Wechsel. Und weil mittlerweile 85 Prozent der Fotos mit dem Smartphone gemacht werden, sei es ganz selbstverständlich, dass auch Smartphone-Hersteller wie Huawei auf der Photokina vertreten sein werden. Bislang haben die sich auf der Messe aber eher zurückgehalten – auf der einen Seite verständlich, schließlich ist ein Smartphone eben weit mehr als nur ein Fotoapparat. Auf der anderen Seite haben Smartphones den Markt der Digitalkameras, besonders den der Kompaktkameras, nahezu eliminiert: Wurden im erfolgreichsten Jahr 2008 9,3 Millionen Digitalkameras in Deutschland verkauft, waren es 2017 nur noch 2,1 Millionen – und das sind vor allem anspruchsvolle Spiegel-
When Photokina, the world’s most important photography and videography trade show, opens on 26 September, it will do so for the last time on its traditional autumn date. In future, Photokina will take place in May. But what is even more important is that, instead of every two years, the international photography industry will then be convening in the Cologne-Deutz trade show halls on an annual basis. This will enable the trade show to react to innovations more flexibly in future.
“Every trade show needs to ask itself where it wants to stand in the digital age”, says new project chief Christoph Menke, explaining the change. And because 85 percent of photos are now being taken on smartphones, it’s perfectly natural, he says, that smartphone manufacturers such as Huawei are going to be represented at Photokina. So far, though, they have been rather a quiet presence at the trade show – on the one hand, that is perfectly understandable, because after all, a smartphone is far more than just a camera. On the other hand, smartphones have virtually wiped out the market for digital cameras, especially compact cameras: Whereas, in their most successful year, 9.3 million digital cameras were sold in Germany in 2008, only 2.1 million were bought in 2017 – and most of those
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„Digital marks the real start of photography‘s history“
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On the technical transformation and possible outlooks
reflexkameras für Profis und engagierte Amateure. Kompaktkameras, wie sie der Normalbürger für seine Urlaube und Familienfeiern genutzt hat, gehen heute kaum noch über die Ladentheke.
Aber auch die Spiegelreflexkamera hat ernst zu nehmende Konkurrenz bekommen: Spiegellose Systemkameras sind nicht nur auf dem Vormarsch, sondern haben im April 2018 in Deutschland erstmals die Spiegelreflex-Modelle überholt – und zwar sowohl beim Umsatz als auch bei den Stückzahlen. Das hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bekannt gegeben. Möglicherweise gehört den Spiegellosen also die Zukunft: Waren bislang Panasonic, Sony und Fujifilm dominierend, haben nun auch die Spiegelreflex-Giganten Nikon und Canon eigene Modelle angekündigt. Durch die kompakte Bauweise sind kleinere und vor allem leichtere Kameras möglich, die dennoch eine hervorragende Bildqualität liefern und zudem lautlos arbeiten. Ob sie die Spiegelreflex-Kameras genauso verdrängen werden wie Smartphones die Kompaktkameras oder ob sie den Markt lediglich erweitern, bleibt abzuwarten.
Weit auseinander gehen die Meinungen darüber, ob mit dem massiven Anstieg an fotografischen Bildern in den vergangenen zehn Jahren auch das Interesse an ihnen gestiegen ist. 1,2 Billionen Fotos wurden allein 2017 aufgenommen – darin sind die Bilder von Überwachungskameras, Drohnen, Satelliten und selbstfahrenden Autos noch gar nicht inbegriffen. 2010 waren es „nur“ 350 Milliarden, in den 1980ern etwa 25 Milliarden pro Jahr. Misst man das Interesse am Medium Fotografie an der Fotoaktivität der Menschen, dann müsste es geradezu explodiert sein. Und auch die Museen, Messen und Fotofestival verzeichnen Besucherzuwächse.
Dennoch hält der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Peter Vorderer von der Universität Mannheim den oft ausgerufenen Boom der Fotografie für ein Klischee. „Es gibt keinen Trend, dass alle Menschen mehr Fotos als je zuvor machen.“ Im Gegenteil: Die Anzahl der Deutschen, die sich nach eigener Aussage für Fotografie interessieren, sei in den letzten Jahren sogar leicht zurückgegangen, und die große Mehrheit der Deutschen gibt an, sich kaum bis gar nicht fürs Fotografieren zu interessieren. Daraus, dass „Fotografie ‚the new way of being‘“ ist, schlössen Beboachter, „dass sich alle Menschen überall auf der Welt fürs Fotografieren interessieren, aber ich glaube nicht, dass das der Fall ist“, sagt Vorderer. „Das Smartphone hat die Welt und unser Leben in fast allen Bereichen verändert – die Fotografie ist bloß ein Teil davon.“ Das klingt einleuch-
are sophisticated single-lens reflex cameras for professionals and dedicated amateurs. Compact cameras, as used by ordinary citizens for vacations and family celebrations, barely pass over the store counter these days.
However, even the single-lens reflex camera now has a formidable rival: Mirrorless system cameras are not only on the advance, but they overtook single-lens reflex models in Germany for the first time in April 2018 – and indeed in terms of both sales turnover and piece numbers. This was announced by the Society for Consumer Research (GfK). So it is possible that the future belongs to the mirrorless: Whereas Panasonic, Sony and Fujifilm dominated before, single-lens reflex giants Nikon and Canon have now also announced their own models. Their compact construction enables smaller and, above all, lighter cameras, which are nevertheless able to deliver outstanding image quality and operate silently in addition. Whether they will squeeze out single-lens reflex cameras exactly the way smartphones squeezed out compact cameras, or whether they will merely expand the market, remains to be seen.
Opinions differ widely over whether the massive rise in photographic images is concomitant with an increased interest in them. 1.2 billion photos were taken in 2017 – and these do not even include images from surveillance cameras, drones, satellites and self-driving cars. In 2010, they numbered “only” 350 billion, in the 1980s, some 25 billion per year. If one measures interest in the medium of photography by people’s photo-taking activity, then it must have downright boomed. And museums, trade shows and photo festivals are also recording higher visitor numbers.
Nevertheless, media and communication scientist Peter Vorderer from the University of Mannheim believes the oft-proclaimed photography boom to be a cliché. “There’s no trend where all people are taking more photos than ever before.” On the contrary: The number of Germans who claim a personal interest in photography has even declined slightly in recent years, he says, and the large majority of Germans indicate that they have little to no interest in photography. The proposition that photography is “the new way of being” leads observers to conclude “that all people, everywhere in the world, are interested in taking photographs, but I don’t believe that’s the case”, says Vorderer. “The smartphone has changed the world and our lives in almost all areas – photography is merely a part of that.” That sounds plausible: after all, people are
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tend, denn schließlich interessieren sich Menschen auch nicht plötzlich mehr für Geografie, nur weil sie ständig Navigationsgeräte benutzen. Entscheidend ist, dass durch die Benutzung des internetfähigen Smartphones die Kommunikation zwischen Menschen massiv zugenommen hat. Und Teil dieser Kommunikation sei eben das fotografische Bild genauso wie Text, Musik und Video.
Und auch über die Bedeutung des einzelnen Fotos im Zeitalter der Bilderflut wird gestritten. Denn es mag stimmen, dass wir uns heute viel mehr Fotos anschauen, an die wir uns am Ende des Tages nicht mehr erinnern können. Aber war das früher, als wir weniger Fotos zu sehen bekamen, eigentlich anders? Und, was noch viel wichtiger ist: Besondere Fotos zum richtigen Zeitpunkt bekommen auch heute noch unsere Aufmerksamkeit, können sich in das individuelle wie kollektive Gedächtnis einprägen und sogar für einen Aufschrei sorgen. Ich will nur an den toten syrischen Jungen Aylan Kurdi erinnern, der im September 2015 an einen türkischen Strand gespült wurde. Das Bild wurde zum Symbol für die Flüchtlingskrise in Europa. Es löste eine Diskussion darüber aus, ob man es überhaupt hätte veröffentlichen dürfen (obwohl es eigentlich eher harmlos aussieht) und hat zugleich Hilfsorganisationen einen wahren Geldsegen beschert.
Eines kann jedoch mit Sicherheit gesagt werden: Selbst wenn das Interesse an der Fotografie nicht per se gestiegen sein sollte, ermöglicht das Smartphone zumindest einen sehr leichten Einstieg in das Medium – schließlich besitzt nahezu jeder ein solches Gerät (aber nicht jeder eine Kompakt- oder gar eine Spiegelreflexkamera). Das hat auch die Photokina erkannt: „Der Nachwuchs kommt nicht auf die Idee, mit der Spiegelreflexkamea zu fotografieren, sondern fängt mit dem Smartphone an. Und da müssen wir ihn auch abholen“, kündigt Christoph Menke an. Die Weltleitmesse der Imaging-Industrie wird sich also nicht nur Gedanken über die Technik der Zukunft, sondern auch über die Kunden der Zukunft machen müssen und Veranstaltungen wie Workshops und Vorträge anbieten. Des Weiteren wird es ein Imaging-Lab geben, in dem Start-ups mit Forschungsinstitutionen und Technologieführern zusammen Visionen interaktiv entwickeln werden – mit Workshops, Pitches, Hackathons und Awards.
Auch der deutsche Kamerahersteller Leica investiert bereits seit Jahren in die visuelle Bildung seiner (möglichen) Kunden – mit 19 Fotogalerien weltweit, in denen Menschen anspruchsvolle Fotografie sehen können, sowie mit der Leica-Akademie,
not suddenly more interested in geography just because they use satellite navigation devices all the time. The crucial thing is that communication between people has increased massively due to the use of Internet-capable smartphones. And part of this communication, precisely, is the photographic image, just like text, music and video.
And there are also disputes over the significance of the individual photo in the age of the flood of images. It may be true that we look at far more photos now, and will have forgotten them at the end of the day. But were things really different before, when we had fewer photos in front of us? And, an even more important point: Particular photos at the right time still get our attention, find their way into individual and collective memory alike, and even cause an outcry. I just want to recall the dead Syrian boy, Aylan Kurdi, who was washed onto a Turkish beach in September 2015. The image become a symbol of the refugee crisis in Europe. It triggered a debate over whether it should have been permitted for publication in the first place (although, actually, it looks rather innocuous) and brought aid organizations a veritable financial godsend at the same time.
One thing can be said for sure, though: Even if it turns out to be true that interest in photography has not grown per se, the smartphone at least enables a very easy start in the medium – after all, almost everyone owns such a device (but not everyone has a compact or single-lens reflex camera). Photokina has recognized that too: “It won’t occur to the next generation to take photographs using a single-lens reflex camera – they’ll start with the smartphone. And that’s where we’ll have to meet their needs”, announces Christoph Menke. This means that the imaging industry’s leading global trade show will not only have to give some thought to the technology of the future, but also the customers of the future and offer events such as workshops and talks. Further, there is going to be an Imaging Lab, in which start-ups join research institutions and technology leaders in interactively developing visions –with workshops, pitches, hackathons and awards.
German camera manufacturer Leica has also been investing in the visual education of its (potential) customers for years – with 19 photography galleries worldwide, in which people can view sophisticated photography, as well as the Leica Academy, which offers numerous workshops, travel and events. “These days, people snap away on their smartphones but have stopped taking photographs”, explains Karin Rehn-Kaufmann, who is in charge of the
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die zahlreiche Workshops, Reisen und Events anbietet. „Heute schießt man mit seinem Smartphone herum, aber man fotografiert nicht mehr“, erklärt Karin Rehn-Kaufmann, die für die Leica-Galerien zuständig ist. „Deshalb ist für uns die Schule des Sehens so wichtig. Wir wollen die Menschen zum achtsamen Fotografieren erziehen.“
Doch wo steht die Fotografie in zehn oder zwanzig Jahren? Google Glass, die Brille mit eingebauter Kamera, die der Internetriese 2012 vorgestellt hat, floppte und der Verkauf wurde 2015 eingestellt. Gleichzeitig hält Google jedoch ein Patent auf Kontaktlinsen, mit denen Fotos aufgenommen werden könnten. Wäre das die Zukunft der Fotografie?
Oder, um den Gedanken weiterzuspinnen: Benötigen wir in 20 Jahren überhaupt noch eine Kamera, wie klein sie auch sein mag, um zu fotografieren?
Bereits 2011 haben Wissenschaftler der University of California in Berkeley allein anhand der Hirnaktivität der Probanden rekonstruiert, welche Bilder sie gesehen haben. Das würde bedeuten, dass man alles, was man sieht (oder zumindest wahrnimmt) rekonstruieren kann. Und würde das im Umkehrschluss auch bedeuten, dass man Hirnaktivitäten ohne direkten visuellen Reiz aufzeichnen kann – zum Beispiel, indem man sich an etwas erinnert oder von etwas träumt? Ironischerweise erschien ebenfalls 2011 die Folge „Das transparente Ich“ („The Entire History of You“) der britischen Science-Fiction-Miniserie „Black Mirror“. In ihr wird anschaulich dargestellt, welche Konsequenzen eine Komplettaufzeichnung unseres Lebens haben könnte.
Zugegeben: Die Ergebnisse des Berkeley-Experiments sahen noch sehr undeutlich und verschwommen aus und man kann das Dargestellte mehr erahnen als erkennen – aber der berühmte Blick aus Joseph Nicéphore Niépces Arbeitszimmer 1826 sah auch nicht viel deutlicher aus, und wir wissen, wie sich die Fotografie seitdem entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund bekommt die Einschätzung des italienischen Fotografen Frank Horvat noch einmal eine ganz neue Bedeutung: „Was es vor der digitalen Fotografie gab, war nur die Vorgeschichte der Fotografie. Die Geschichte der Fotografie fängt mit dem Digitalen erst an.“
Leica Galleries. “That’s why the School of Seeing is so important to us. We want to teach people to take photos mindfully.”
But what will be photography’s status in ten or twenty years’ time? Google Glass, the spectacles with a built-in camera introduced by the Internet giant in 2012, flopped and was taken off the shelves in 2015. At the same time, though, Google holds a patent on contact lenses that could be used in order to take photos. Might that be the future of photography? Or, to pursue the thought further: In 20 years’ time, will we even need a camera, however small it may be, for photographs? As early as in 2011, scientists at the University of California in Berkeley reconstructed pictures seen by trial participants based solely on their brain activity. That would mean that everything one sees (or at least perceives) could be reconstructed. And, inversely, would that also mean being able to record brain activities in the absence of direct visual stimulus –by remembering or dreaming about something, for example? Coincidentally, an episode of British sci-fi mini-series “Black Mirror”, called “The Entire History of You”, also came out in 2011. It offers a vivid depiction of the potential consequences of full recording of our lives.
Admittedly: The results of the Berkeley experiments still looked very unclear and blurry and the portrayed is more hinted at rather than shown – but the famous view from Joseph Nicéphore Niépce’s study in 1826 was not much clearer, either – and we know how photography has evolved since then. In this light, the appraisal by Italian photographer Frank Horvat is given an entirely new meaning: “What was before digital photography was only the pre-history of photography. Digital marks the real start of photography’s history.”
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Rose ist eine Rose ist eine Rose
Christian Schön
A rose is a rose is a rose
Wie Maschinen dank Deep Learning Bilder verstehen können
How Deep Learning enables machines to comprehend images
Bilder sind Zeichen. Diese wichtige Einsicht ist nicht selbstverständlich. Bilder können wir „verstehen“, weil es zwischen ihnen und der Realität eine Ähnlichkeit gibt. Sehen wir ein Bild von einem mit Gras bewachsenen Hügel, auf dem ein Mensch steht, der den Sonnenuntergang betrachtet, verstehen wir dieses Bild, weil wir Hügel, Mensch und Sonnenuntergänge aufgrund unserer Seherfahrung kennen. Aber wie bringt man Maschinen oder Programmen bei, was auf Bildern zu sehen ist, wo ihnen doch diese Form der Erfahrung, das Weltwissen und unser darauf basierendes Bild-Verständnis fehlen? Diese Fragen sind alles andere als trivial. Denn die Antworten darauf entscheiden darüber, ob und wie wir die exponentiell wachsenden Bildarchive verwalten und die darin steckenden Informationen nutzen können, und auch darüber, ob es intelligenten Systemen gelingen wird, sich autonom in der physischen Welt zu orientieren.
Maschinen lesen Daten, keine Zeichen
Zunächst stellt sich die Frage, was Maschinen überhaupt auf Bildern „sehen“ und wie sie diese Bildinhalte verstehen. Für eine Maschine sind Bilder in erster Linie Daten, die Helligkeits- und Farbwerte repräsentieren. Sie unterscheiden nicht, ob es sich um eine die Realität abbildende Fotografie oder um ein Symbol handelt, also um ein Bild, das mehr als ein bloßes Abbild eines Gegenstandes ist. Mit dem Bild einer Rose
Images are signs. This major insight is not self-evident. We are able to “comprehend” images because there is a similarity between them and reality. If we see a picture of a grassy hill, on which a person stands, admiring the sunset, we comprehend this image because we are familiar with hill, person and sunsets on account of our visual experience. But how do we teach machines or programs what can be seen in images when, after all, they lack this form of experience, knowledge of the world, and our comprehension of images that is based on these factors? These questions are anything but trivial. For their answers have a say on whether and how we can administrate the exponentially growing visual archives and utilize the information that they contain, and also on whether intelligent systems will succeed in finding their way in the physical world autonomously.
Machines read data, not signs
First of all comes the question of what people “see” in images in the first place and how they comprehend this visual content. To a machine, images are primarily data that represent brightness and colour values. Machines cannot distinguish whether the photograph at hand depicts reality or is a symbol, therefore an image that is more than a mere illustration of an object. With the image of a rose or heart we are able
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oder eines Herzens können wir Emotionen wie Liebe oder Zuneigung zum Ausdruck bringen. In anderen Fällen jedoch wollen wir unserem Gegenüber wirklich das Abbild einer bestimmten Pflanze oder eines Organs zeigen. Auch Bildtypen wie Gemälde, Grafiken oder mit Photoshop veränderte Fotografien zeigen nicht nur die Realität, sondern erzählen auch Geschichten, machen vielleicht Anspielungen auf andere Bilder oder verwenden einen speziellen Code. Für eine Maschine gibt es all diese Unterschiede nicht, weil sich durch die Interpretation an den Bilddaten selbst nichts ändert.
Warum Google Bilder findet … und warum nicht
Die Bildsuche von Google gibt es zwar seit vielen Jahren. Sie funktionierte aber lange nur deshalb, weil der Suchalgorithmus von Google die Texte durchsuchte, in denen auch Bilder vorkamen. Die Begleittexte lieferten die gesuchten Stichworte und so kam das Ergebnis zustande. Die Annahme, dass Texte und Bilder zusammengehören und sich gegenseitig erklären, musste als Voraussetzung gegeben sein, damit die Google-Bilder-Suche erfolgreich war. Während Google bei seiner Bildsuche längst auf Deep-Learning-Algorithmen umgestellt hat, basieren die Suchfunktionen nach wie vor auf der Verschlagwortung von Bildern, sprich: auf den Metadaten. Bildagenturen wie Shutterstock oder 500px lassen ihre Kunden beim Upload die entsprechenden Keywords hinzufügen. Auch Hashtags bei Instagram erfüllen diesen Zweck. Eine solche Kombination aus Text und Bild stellt eine effektive Möglichkeit dar, um mit Bilddatenbanken umzugehen.
Diese Methode hat aber ihre Grenzen, beispielsweise aufgrund von Homonymen, also Wörtern, die etwas Unterschiedliches bezeichnen, obwohl sie genau gleich klingen bzw. gleich geschrieben werden. Das kann zu falschen Suchergebnissen führen. Eine Bildsuche nach „Golf“ kann Ergebnisse liefern, die Autos der Marke VW zeigen, eine bestimmte Sportart darstellen oder aber eine Meeresformation zeigen, zum Beispiel den Golf von Mexiko. Auch unbeabsichtigte Falschschreibungen von den Suchenden selbst können das Suchergebnis verfälschen oder zumindest die Suche erschweren. Aber Grenzen gibt es nicht nur hinsichtlich der Sprache – auch Bilder oder Bildbestandteile können sich zum Verwechseln ähnlich sehen, obwohl sie zwei völlig verschiedene Dinge abbilden: Aus diesem Grund wurden Bilderrätsel viral, die beispielsweise Chihuahuas und Muffins oder Komondore und Wischmops zeigen. Nicht nur, dass solche Methoden das Problem nicht endgültig lösen, es stellt sich darüber hinaus die Frage: Was machen wir mit Bildarchiven,
to express emotions such as love or affection. In other cases, however, we really do want to show our counterpart a picture of a particular plant or organ. Also, image types such as paintings, graphics or photographs altered using Photoshop not only show reality, but tell stories, allude to other images, or use a specific code as well. All of these differences are non-existent to a machine, because the interpretation does not alter the data in any way at all.
Why Google finds... and fails to find images
Google’s image search has been around for many years. For a long time, though, its sole mode of operation involved having Google’s search algorithm search through texts that also incorporated images. The accompanying texts supplied the sought keywords and this gave rise to the result. The success of Google Images was founded on the assumption that texts and images belong together and are mutually explanatory. Whereas Google long since switched to Deep Learning for its image search, search functions continue to be based on the keywording of images, that is to say: on metadata. Image agencies such as Shutterstock or 500px have their clients add the relevant keywords upon uploading. Hashtags on Instagram also fulfil this purpose. Combining text and image this way is an effective option for working with image databases. This method has its limits, however; for example, on account of homonyms (words that describe something different even though they sound exactly the same, or are spelt identically). This can lead to incorrect search results. An image search for “golf” may deliver results that show cars made by VW, a certain type of sport or, if the search is in German, the body of ocean called the “Golf von Mexiko” (Gulf of Mexico). Unintentional spelling errors by searchers themselves may also falsify the search result, or at least make the search more difficult. However, it is not only with regard to language that constraints exist – images or components of images can look confusingly similar to one another, even though they depict two completely different things. This is the reason why certain picture puzzles went viral, for example the ones featuring a chihuahua and a muffin or a Komondor and a floor mop.
Not only is it the case that methods like these do not definitively solve the problem, there is a question that also comes up: What do we do with image archives that consist of many millions of images? Going through these manually and providing them with keywords is a thing of impossibility, or at least exceedingly inefficient. The answer to this problem is: Deep Learning.
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die aus vielen Millionen von Bildern bestehen? Diese von Hand durchzugehen und mit Stichworten zu versehen, ist ein Ding der Unmöglichkeit oder zumindest hochgradig ineffizient. Die Antwort auf dieses Problem lautet: Deep Learning.
Das Gesicht aus der Perspektive einer Maschine
Deep Learning ist ein Teilaspekt von Machine Learning und basiert auf der Idee von künstlich-neuronalen Netzen. Die Verschlagwortung von Bildern ist für Lernvorgänge, also das Training von künstlichneuronalen Netzen zentral. Die Schlagwörter geben den Deep-Learning-Algorithmen ein Feedback darüber, ob sie bei ihrer eigenen Bestimmung der Bildinhalte richtig lagen.
Algorithmen dieser Art können – sofern sie erst einmal trainiert sind – durchaus erstaunliche Dinge leisten. Sie suchen nach ähnlichen Strukturen in Bilddaten und können anhand von wiederkehrenden Mustern zuverlässig Bilder verschiedenen Gruppen zuordnen, etwa den Landschaftsaufnahmen oder den Architekturbildern, und sie können auch Gesichter auf Bildern erkennen. Augen oder ein Gesicht zeichnen sich durch immer wiederkehrende Muster aus. Gesichter – so individuell sie sein mögen – weisen immer ähnliche Strukturen auf. Die Fortschritte in diesem Bereich ziehen überaus praktischen Nutzen nach sich: Kameras und Smartphones erkennen Gesichter oder können exakt auf das Auge fokussieren.
Dabei kommen je nach Anwendungsfall sehr unterschiedliche Technologien und Methoden zum Einsatz. Entweder werden Bild- bzw. Sensordaten auf Strukturen und Muster hin analysiert oder durch Mapping-Verfahren und Infrarot-Sensoren oder Laserstrahlen virtuelle Repräsentationen von Gesichtern erstellt. Letzteres Verfahren wird beispielsweise dazu genutzt, um Smartphones zu entsperren oder Personen, etwa beim Bezahlen, zu identifizieren. Deep Learning hilft in diesen Fällen dabei, Gesichter zuverlässig wiederzuerkennen, auch wenn diese sich verändern. Ob mit oder ohne Bart, mit oder ohne Sonnenbrille, mit oder ohne Make-up – die intelligenten Algorithmen sind so lernfähig, dass sie die individuellen Merkmale sicher erkennen.
Risiken und Nebenwirkungen von Deep Learning
Wie bei anderen Systemen gibt es auch im Fall der Gesichtserkennung und der Speicherung von biometrischen Daten keine hundertprozentige Sicherheit. Insbesondere die Gefahr des Identitätsdieb-
The face from a machine’s perspective
Deep Learning is a partial aspect of Machine Learning and is based on the concept of artificial neural networks. The keywording of images is central for learning processes, that is, the training of artificial neural networks. The keywords provide the Deep Learning algorithms with feedback on whether they were on the right path with their own identification of image content.
Provided that they have had the training first, algorithms of this kind can do thoroughly astonishing things. They search for similar structures in image data and, on the basis of recurring patterns, are reliably able to assign images to various groups, to landscape shots or architecture pictures for instance, and they can even recognize faces in pictures. Eyes or a face are characterized by patterns that occur again and again. Faces – as unique as they may be – always exhibit similar structures. Progress in this area entails a highly practical benefit: cameras and smartphones recognize faces or are able to focus directly on the eyes. Depending on application, very different technologies and methods come to be used along the way. It may be that image data – or sensor data – are analysed for structures and patterns, or virtual representations of faces are created by means of mapping methods or laser beams. The latter method, for example, is used for unlocking smartphones or identifying persons, during payment transactions for instance. In these cases, Deep Learning assists in reliably recognizing faces, even if they change. Be it with or without a beard, with or without sunglasses, with or without make-up – the intelligent algorithms have such a capacity for learning that they infallibly recognize individual features.
Risks and contra-indications of Deep Learning
As with other systems, there is no one hundred percent security when it comes to facial recognition and the storage of biometric data. Drastic consequences can arise from the danger of identity theft and misuse in particular. For one thing, financial damage can be incurred if a stolen identity is used in order to carry out transactions. For another, in the worst scenario it can come to entanglement in criminal activities if the stolen identity is used in breach of the law.
Besides concerns that people could deliberately exploit these security gaps, there is a further objection to Deep Learning, and this problem is inherent to the algorithms themselves. Initial research demonstrates clearly that algorithms adopt their
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Christian Schön
stahls und -missbrauchs kann drastische Folgen nach sich ziehen. Zum einen können finanzielle Schäden entstehen, wenn eine gestohlene Identität dazu benutzt wird, Transaktionen durchzuführen. Zum anderen kann es im schlimmsten Fall zu einer Verstrickung in kriminelle Aktivitäten kommen, wenn die gestohlene Identität dazu benutzt wird, gegen das Gesetz zu verstoßen.
Neben den Bedenken, Menschen könnten diese Sicherheitslücken bewusst ausnutzen, spricht noch etwas anderes gegen Deep Learning, und dieses Problem steckt in den Algorithmen selbst. Erste Forschungen zeigen eindeutig, dass Algorithmen die Vorurteile ihrer Programmierer übernehmen. So konnte festgestellt werden, dass beispielsweise Spracherkennungssoftware lange Zeit die gesprochene Sprache von männlichen, weißen Amerikanern am besten verstand. Menschen mit einer anderen kulturellen und sprachlichen Prägung oder anderen Geschlechts wurden im Vergleich dazu viel schlechter verstanden. Vorurteile, Missverständnisse aber auch falsch angewandte Konzepte können schon während der Trainingsphase in Deep-Learning-Algorithmen (bewusst oder unbewusst) integriert werden. So ist es beispielsweise zu erklären, dass sich rassistische Ressentiments in Suchergebnissen widerspiegeln wie in einem bekannt gewordenen Fall, bei dem die Google-Suche nach „Gorilla“ auch Menschen mit afroamerikanischen Wurzeln auswarf.
Deep Learning: Maschinen lernen, Bilder zu sehen und zu verstehen
Allein aufgrund der schieren Menge der Datenmassen ist es notwendig, Maschinen das Sehen und Verstehen von visuellen Informationen beizubringen. Deep-Learning-Netze schaffen die Grundlage zur Verwaltung von Big Data, erschließen das wirtschaftliche Potenzial, das in Bilddaten steckt und stellen einen wichtigen Baustein für künftige Entwicklungen dar. Während heute daran gearbeitet wird, die Mensch-Maschine-Kommunikation mittels natürlicher Sprache zu optimieren, wird es in Zukunft möglich sein, dass Maschinen ihre Umwelt sehen und interpretieren können. Ob Maschinen dabei am Ende wirklich zu einem „Verständnis“ der wirklichen Welt kommen können oder gar Weltwissen erlangen, ist einerseits fraglich, spielt andererseits aber auch keine große Rolle. Für Maschinen genügt es, Daten so auswerten zu können, dass sie ihren Zweck immer besser erfüllen – sei es beim autonomen Fahren, bei der Kategorisierung von Bildern oder beim Erkennen eines Gesichts.
programmers’ prejudices. For example, it has been observed that speech recognition has long understood the spoken language of male white Americans best. People with other cultural and linguistic characteristics, or of another gender, were understood much less effectively in comparison. Prejudices, misunderstandings, or even falsely applied concepts may be (consciously or unconsciously) integrated into Deep Learning algorithms during the training phase. Herein lies an explanation for when, for example, racist sentiments are reflected in search results, as in one now-notorious incident where a Google search for “gorilla” also turned up people with Afro-American roots.
Deep
Learning: Machines learn to see and comprehend images
The sheer mass of data, by itself, makes it necessary to teach machines how to see and comprehend visual information. Deep Learning networks create the basis for administrating Big Data, tap into the economic potential that image data hold, and constitute an important building block for future developments. While work is being done on optimizing human-machine communication by means of natural language today, machines will be enabled to see and interpret their environment in the future. Whether, in the process, machines ultimately arrive at an “understanding” of the real world, or even acquire world knowledge, is on the one hand questionable, but on the other it is also of little importance. Machines are satisfied with being able to analyse data in such a way that they can fulfil their purpose more and more effectively – be this purpose autonomous driving, the categorization of images, or facial recognition.
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“When people look at it... uhhh, it looks crazy. That’s a very natural thing. Sometimes when we look at it, it looks crazy. It is the result of reasoned, engineering thought. But it still looks crazy.” 1
You, the Rover
49 MER Curiosity Alle Bilder von / all images by NASA/JPL-Caltech/MSSS
Wenn die Zukunft, wie William Gibson meinte, schon da ist, bloß noch nicht überall im gleichen Maße, gehen alle Zeitformen durcheinander. Die Zukunft zu fotografieren, wird auch Aspekte der Vergangenheit und der Gegenwart einbeziehen – insbesondere, wenn du der Mars-Rover Curiosity bist. Denn es fängt damit an, dass alles, was du mit deinem Bedienpersonal auf der Erde kommunizierst, immer erst sieben Minuten später ankommt. Die Bilder, die du sendest, brauchen sogar noch länger, um ihre Betrachter zu finden: Jedes Foto, das online zugänglich gemacht wird, hat verschiedene Prozesse, erst der Planung, dann der Ausführung, durchlaufen. Am Ende werden die Daten über Mars-Sonden zurückgeschickt. Es kann über zwei Wochen dauern, bis ein Panorama zusammengesetzt, der Farbausgleich gemacht und so das Ganze für den menschlichen Blick bearbeitet ist. Hier ist ein Bündel an Technologien zusammengeballt worden, und du bist wirklich auf der Höhe der Zeit.
Und doch befindest du dich auf dem Mars und fotografierst die Zukunft wie irgendein Kolonialfotograf des 19. Jahrhunderts. Du verwendest die Kamera dazu, Territorien zu erfassen, zu bespielen und zu erobern, die der Lehnsesseltourist daheim noch nie gesehen
hat. Du bist da, weil die Wüste, die deine Heimat ist, zur Zeit unser äußerster Vorposten ist. Eine deiner wichtigsten Aufgaben ist es, einen menschlichen Blick auf den Mars zu werfen, damit das Publikum bereit wird für bemannte Missionen, um das Unmögliche möglich und machbar erscheinen zu lassen – die ersten Missionen sollen schon binnen der nächsten zehn Jahre starten.
Ihr Mars-Erforschungs-Rover, auch liebevoll MERs genannt, seid die Augen einer außerirdischen Spezies, die zu Besuch gekommen ist – und vielleicht bleiben wird. Die Schönheit, der Genuss, die deine Bilder einem Publikum weltweit bringen, sind selbstverständlich, neben vielem anderen, reine Propaganda. Deine Ausblicke kommen mit dem Versprechen auf Neuanfänge, voll mit Abenteuern, daher – doch sind es an und für sich alte Träume, Sehnsüchte aus einer Vergangenheit, die uns wenig darüber voraussagen konnte, welche Spur der Verwüstung unsere Spezies hinter sich herzieht.
Wenn nun aber fünf Missionen für 2020 geplant sind, dann fürchte ich, dass du den Parkplatz fotografieren musst, der der Mars zu werden scheint. .... Komm mal her, mein lieber Curiosity, ich möchte dich einem alten Freund vorstellen – Lewis Baltz.
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1 Adam Steltzner, Nasa Jet Propulsion Laboratory, zitiert nach „Curiosity's Seven Minutes of Terror“, {www.jpl.nasa.gov/video/details.php?id=1090}, zuletzt abgerufen am 25.06.2018. Das auf der Seite zu sehende Video erläutert den wissenschaftlichen Hintergrund beim Landemanöver des Rovers Curiosity auf dem Mars.
When the future (like William Gibson said) is already here, but just hasn’t been evenly distributed, all tenses start getting mixed up. Photographing the future will include slices of the past and the present - even more so when you are the Mars Curiosity Rover. To begin with, everything you communicate with your operators on Earth suffers a seven minutes delay. The images you send, take even longer to reach the public: each picture made available online has gone through several processes, first of planning, then of executing, and finally the data is sent back via Mars orbiters. It can take over two weeks for one panorama to be compiled, color balanced, and adjusted for human perspective. As a ball of technologies all rolled into one, you are truly contemporary.
Yet here you are, on Mars, photographing the future like any old 19th century colonial photographer, using the camera to survey, to entertain and to conquer territories unseen by the armchair tourist back home. You are there, because the desert you call home, is presently our next frontier. One of your main missions is to deliver a human perspective on Mars, in order to ready the public for manned missions, to make the impos-
sible seem probably and within reach – the first ones planned to launch within a decade.
You Mars Exploration Rovers, lovely called MERs, are the eyes of the alien species that came to visit – and perhaps to stay. The beauty and delight that your pictures bring to a global audience are of course, among many other things, pure propaganda. Your vistas contain the promise of new beginnings packed with adventure - in itself old dreams, yearnings from a past that taught us little about the devastation our species tends to bring in its wake.
However, with five new missions planned for 2020, I fear your future will be to photograph the parking lot that Mars seems destined to become… Come, dear Curiosity, let me introduce you to an old friend, Lewis Baltz by name.
Katja Stuke & Oliver Sieber 51
MER Curiosity
1 Adam Steltzner, Nasa Jet Propulsion Laboratory, in “Curiosity‘s Seven Minutes of Terror”, a video on the science behind the landing of the Curiosity Rover on Mars. Retrieved 17/06/2018 from https://www.jpl. nasa.gov/video/details.php?id=1090.
Das Netz der totalen The Net of Total
Urs Stahel über den digitalen GuerillaKämpfer Florian Freier
Installationsansicht „The moving city“, Hangar Studios, Barcelona, 2017
Dokumentation Documentation
Urs Stahel on the digital guerrilla warrior Florian Freier
Wir müssen den Begriff des Dokumentarischen grundsätzlich überdenken und neu formulieren. Bisher verbanden wir ihn mit Neugierde, mit Entdecken, mit Wissen-Wollen, mit dem Eingliedern von Situationen, Ereignissen, Dingen in das Feld des Kulturellen, samt seinem teilbaren Sprach- und Bildfond und seinem mitteilbaren Wissen und Fühlen. Wir besetzten den Begriff bisher vornehmlich mit einem positiven Gefühl, von Ausnahmen abgesehen. Das ändert sich gerade fundamental. Die Ausnahme wird die Regel. Die Änderungen sind schnell, flächendeckend, oft schonungslos ausbeuterisch, mit klaren Anzeichen einer Verschiebung der Gewalten auf der Erde. Die Welt wird von zahlreichen Überwachungsnetzen überzogen, eingezont, abgespeichert, analysiert, verwandelt.
Florian Freier weiß darum. Er bewegt sich seit ein paar Jahren wie ein Doppel- oder Tripelagent vor, hinter, unter den (Grenz-)Linien. Er stellt in „Cached Landscapes“ (2015) fest, dass sein „eigener“ Computer (ein rührender Besitzanspruch) von jedem seiner Schritte auf Google Map ein verstecktes Thumbnail ablegt, dass er beim Erkunden von möglichen Überwachungsstationen also von der eigenen Software ausspioniert wird. In der Arbeit „In the Eye of God – Recreating Andreas Gursky (Google Earth Remix)” (2009–2015) hingegen wechselt er seine Position. Er wird zum digitalen Guerilla-Kämpfer, der mittels Google Earth die „Autorität“ von Gurskys berühmtem Werk „Bahrein I“, diesen Tanz des Asphalts in der arabischen Formel-I-Wüste des gleichnamigen Königreichs, hackt und davon virtuos-virtuell ein Komposit herstellt. In „Profil Page“ (2014–2016) wiederum schiebt er reale und virtuelle Profile schmerzlich eng aneinander. Aufnahmen, die er in einem riesigen Studentenwohnheim von immer gleichen Wohn-und Schlafräumen gemacht hat, stellt er nahtlos den Profilseiten auf Facebook gegenüber und erlebt, wie nervös auf die Publikation der virtuellen als der analogen Identität reagiert wird. In verwandter Weise stellt er in „The Moving City“ (2016/2017) Street-View-Bilder von abgepacktem Bauschutt in Barcelona den Interieurs der mit GPS getrackten Airbnb-Bilder der (möglicherweise) gleichen Wohnungen gegenüber und dokumentiert so auf neue Weise den versteckten Umbau der Stadt.
Florian Freier forscht, hackt, klaut, stellt aus, stellt bloß, er ist Schlitzohr und Profiler in einer Person, und führt uns so das Netz der totalen Dokumentation und ihrer Folgen vor Augen. Zentrale Aufgabe einer neuen Fotografie.
We need to thoroughly rethink and reformulate the concept of the documentary. Hitherto we have associated it with curiosity, with discovering, with wanting-to-know, with the incorporating of situations, events, things into the field of the cultural, along with its shareable linguistic and pictorial foundation and its communicable knowing and feeling. We have laden the concept, hitherto, chiefly with a positive feeling, disregarding exceptions. This is currently changing fundamentally. The exception is becoming the rule. The changes are swift, extensive, often mercilessly exploitative. With clear signs of a shift of powers on the Earth. The world is undergoing coverage by numerous surveillance networks, getting divided into zones, saved to memory, analysed, transformed.
Florian Freier knows about that. For some years he has been moving like a double or triple agent in front of, behind, beneath the (border) lines. In “Cached Landscapes” (2015), he establishes that his “own” computer (a moving claim to possession) deposits hidden thumbnails of each of his steps on Google Maps, that he is, therefore, being spied on by his own software while exploring potential surveillance stations. In the work “In the Eye of God – Recreating Andreas Gursky (Google Earth Remix)”, by contrast, he changes his position. He becomes a digital guerrilla who, using Google Earth, hacks the “authority” of Gursky’s famous work “Bahrein I”, this dance of asphalt in the Grand Prix desert of the kingdom of the same name, and makes a virtuoso virtual composite of it. In “Profil Page” (2014-2016), in turn, he moves real and virtual profiles painfully close to one another. He places shots that he took in a colossal students’ hall of residence made up of ever-repeating identical living rooms and bedrooms seamlessly opposite Facebook profiles, and experiences how nervous the reactions are to publication of virtual and analogue identity. In a similar manner, in “The Moving City” (2016/2017) he juxtaposes Street View images of packaged rubble in Barcelona with interiors of GPS-tracked Airbnb pictures of (possibly) the same apartments and thus documents the city’s hidden rebuilding in a new way.
Florian Freier explores, hacks, thieves, exhibits, lays bare; he is sly fox and profiler in one person, and thus shows us the Net of total documentation and its consequences. A central task of a new kind of photography.
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Florian Freier 55 Cached Landscapes –Objects of Surveillance #5 –Niederhausen, 2015 The Eye Of God –Recreating Andreas Gursky (Google Earth Remix), 2009
Ausstellungen / Exhibitions
Eine kleine Auswahl der insgesamt 87 Ausstellungen zum Photoszene-Festival
A small selection of the 87 exhibitions in total to mark Photoszene Festival
21. — 30. Sept 2018 Köln / Cologne
When talking about the future of photography, it is also rewarding to take a look back at what influenced and defined the medium in the past. As the Hungarian-Dutch photographer Éva Besnyö (1910-2003) did, for example. She not only inspired Robert Capa to become a photographer, but also ran her own photo studio in Berlin between 1930 and 1932, before emigrating, as a Jew, to Amsterdam on account of the incipient anti-Semitism in 1932. Together with László Moholy-Nagy and Erwin Blumenfeld she is among the most important representatives of the “New Vision” in photography, a visual vocabulary closely associated with Bauhaus that threw overboard conventional compositional patterns and technical standards, and perspectives and lighting alike.
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Edmund Clark
Parrotta Contemporary Art Brüsseler Str. 21 50674 Köln 07.09. – 10.11.2018
Max Dauven
Case – Projektraum der Fotografie, Kunsthochschule für Medien Köln
Große Witschgasse 9–11, Hinterhof
50676 Köln
28.09. – 30.09.2018
Ist das Bild unscharf oder einfach nur pixelig? Max Dauven verschränkt analoge und digitale Bildwelten miteinander, indem er in einem aufwendigen Prozess in der Dunkelkammer mithilfe von Schablonen oder Negativmontagen digital anmutende Bilder simuliert.
Is the image blurry or merely pixellated? Max Dauven interlaces analogue and digital visual worlds by applying an elaborate process in the darkroom in order to simulate digital-looking images with the aid of stencils or montages of negatives.
Éva Besnyö
Käthe Kollwitz Museum
Neumarkt 18–24
50667 Köln
21.09. – 09.12.2018
Wenn man über die Zukunft der Fotografie spricht, lohnt es sich auch, einen Blick zurückzuwerfen auf das, was in der Vergangenheit das Medium beeinflusst und bestimmt hat. So wie die ungarischniederländische Fotografin Éva Besnyö (1910–2003). Sie inspirierte nicht nur Robert Capa dazu, Fotograf zu werden, sondern betrieb auch ein eigenes Fotostudio in Berlin zwischen 1930 und 1932, bevor sie als Jüdin wegen des aufkeimenden Antisemitismus 1932 nach Amsterdam emigrierte. Zusammen mit László Moholy-Nagy und Erwin Blumenfeld gehört sie zu den wichtigsten Vertretern des „Neuen Sehens“ in der Fotografie, einer eng mit dem Bauhaus in Verbindung gebrachten Bildsprache, die klassische Kompositionsmuster genauso über Bord warf wie technische Standards, Perspektiven und Lichtsetzung.
Edmund Clark verschafft sich immer wieder Zugänge zu geheimen Orten, die mit dem Kampf gegen den Terrorismus in Verbindung stehen. So nahm er die Zellen und Aufenthaltsräume in Guantanamo auf und für „Control Order House“ fotografierte er in dem Haus eines unter Terrorverdachts stehenden Mannes in Großbritannien. Die Arbeit enthält Verweise auf Zensur und reflektiert zugleich die Beschränktheit des Mediums Fotografie. Edmund Clark repeatedly gains access to secret locations that are connected with anti-terrorism measures. For example, he captured the cells and recreation rooms in Guantanamo, and for “Control Order House” he took photographs in the house of a man under suspicion of terrorist acts in the United Kingdom. The work contains references to censorship and reflects simultaneously on the narrowness of the medium of photography.
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Éva Besny ő : Wannsee , 1931 © Éva Besny ő MAI ––––––––
Shigeru Takato plus Raum für Bilder Schillingstr. 14
50670 Köln
07.09. – 03.11.2018
Die Serie „The Moon“ des Kölners Shigeru Takato ist eine wunderbare Hommage auf die frühen Nasa-Fotografien vom Mond und spielt zugleich mit den Verschwörungstheorien rund um die MondLandung und der aktuellen Fake-NewsDebatte. Denn weder war er persönlich auf dem Erdtrabanten unterwegs noch hat er sich in den Nasa-Archiven bedient. Takato ist für seine Fotos auf die Kanaren-Insel Teneriffa gereist. Den Tipp hat er von der European Space Agency (ESA) bekommen, die dort ihren Mars-Roboter-Prototypen getestet hat –die Geologie der Vulkan-Insel kommt der des
film, which colours the sky completely black, he suggests to us the aesthetic of shots on the moon – and deceives us in very many respects.
Alexander Basile
Stefan Schuelke Fine Books Palmstr.
50672 Köln
21.09. – 06.10.2018
Mit der Schau „You is always someone else“ stellt der Kölner Künstler und Filmemacher Alexander Basile seine private Fotobuchsammlung aktuellen fotografischen Porträts gegenüber. Der Ort dafür könnte kaum besser gewählt sein – Stefan Schuelke Fine Books gehört zu den besten Kunstbuchantiquariaten der Stadt.
Lichts“ löscht er nun einen Bildbereich durch Über- und Langzeitbelichtungen aus und es kommt zu Kippmomenten zwischen Dunkel und Hell, Negativ und Positiv, Fläche und Form, Papier und Bild. Andres Gefeller is well-known for his ingenious montage technique, which enables hitherto unknown perspectives. With his group of works “Die Rückseite des Lichts”, he now obliterates an area of an image by means of over and long exposures, and the result is titling moments between dark and light, negative and positive, surface and form, paper and image.
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Aurel Dahlgrün
Zero Fold
Albertusstr. 4 50667 Köln 01.09. – 13.10.2018
Aurel Dahlgrüns Werk pendelt zwischen Konkreter Fotografie, Installationen, großformatigen Fotogravüren und Künstlerbüchern. Sein bevorzugtes Sujet ist dabei das Element Wasser, seine bevorzugte Technik scheint das Experiment, wenn er etwa das Papier zeitweise selbst schöpft und Fotografien schreddert, um daraus Farbpigmente für neue Arbeiten zu gewinnen.
Mars am nächsten. Nun ist der Mars nicht der Mond, aber Takatos Bilder gaukeln es uns vor. Mithilfe eines Infrarotfilms, der den Himmel komplett schwarz einfärbt, suggeriert er uns die Ästhetik von Mond-Aufnahmen – und täuscht uns gleich in mehrfacher Hinsicht.
The series “The Moon” by Colognebased Shigeru Takato is a wonderful homage to the early NASA photographs and plays, at the same time, with the conspiracy theories surrounding the moon landing and the current fake news debate. For he neither walked personally on the Earth’s satellite, nor did he help himself from the NASA archives. For his photos, Takato journeyed to the Canary Island of Tenerife. He had received the tip-off from the European Space Agency (ESA) that it tested its Mars robot prototypes there – the geology of the volcanic island comes the closest to that of Mars. Now, Mars is not the moon, but Takato’s images lead us to believe that. With the aid of an infra-red
With the show “You is always someone else”, the Cologne-based artist and filmmaker Alexander Baile juxtaposes his private photobook collection with current photographic portraits. The location for this could not have been chosen more judiciously – Stefan Schuelke Fine Books is among the city’s best antiquarian art-book stores.
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Andreas Gefeller
Thomas Rehbein Galerie Aachener Str. 5
50674 Köln 07.09. – 06.10.2018
Andreas Gefeller ist bekannt für seine ausgeklügelte Montagetechnik, die bislang unbekannte Perspektiven ermöglicht. Mit seiner Werkgruppe „Die Rückseite des
Aurel Dahlgrün’s oeuvre oscillates between Concrete Photography, installations, large-format photo engravings and artists’ books. His preferred subject, along the way, is the element water; his preferred technique seems to be the experiment, when, for instance, he occasionally makes the paper himself and shreds photographs, in order to turn them into colour pigments for new works.
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Alle gibt es in unserem Festival-Guide und auf unserer Internetseite www.photoszene.de
All exhibitions are included in our Festival Guide and on our Internet site www.photoszene.de
Katja
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Stuke & Oliver Sieber
Shigeru Takato: ohne Titel, 2007, aus der Serie The Moon
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Highlights Photoszene-Festival
Wieviel Recht(e) haben Fotos?
Die seit Mai 2018 in der Europäischen Union geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist wohl auch für Fotografen ein weites Feld. Da bislang niemand die Wirkung dieser Verordnung einschätzen kann und selbst Bundeskanzlerin Merkel vor den Folgen warnte, sei ein vorsichtiger Ausblick gewagt. Ziel der Verordnung ist im Wesentlichen der Schutz von Grundrechten und Grundfreiheiten natürlicher Personen. Sie will natürliche Personen vor der Verarbeitung personenbezogener Daten und vor dem freien Verkehr mit diesen Daten schützen. Danach sind Fotos mit erkennbaren Personen grundsätzlich personenbezogene Daten. Dies gilt sowohl für digitale als auch für eingescannte analoge Fotos. Ebenso betroffen sind Fotos, die in analogen Systemen, etwa auf Karteikarten, geordnet werden. Jede Speicherung eines angefertigten Fotos ist bereits eine Verarbeitung. Da die Verordnung einige Ausnahmen, unter anderem für Medien, vorsieht, soll hier im Wesentlichen auf die freien Fotografen fokussiert und die Frage gestellt werden, ob beispielsweise Espen Eichhöfer oder der verstorbene Tscheche Miroslav Tichý heute problemlos arbeiten könnten. Eichhöfers ohne Erlaubnis angefertigter und ausgestellter Schnappschuss von einer elegant gekleideten Dame mit Handtasche und Plastikbeuteln vor einem Pfandhaus hat bereits laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts deren Persönlichkeitsrechte verletzt und darf nicht mehr veröffentlicht werden. Immerhin bekam die Dame kein Recht auf Schadenersatz, da die Verletzung ihrer Rechte doch nicht so schwer wog. Die vordergründig voyeuristisch anmutenden Frauenfotos, die Tichý in Schwimmbädern, Parks, auf Straßen usw. aufgenommen hat, könnten ähnlich bewertet werden. Fast alle Damen sind dort klar erkennbar. Schließlich erfordert die Verordnung in jedem Fall die Einwilligung der Personen. Vor deren Ablichtung! Wie soll das künftig bei Zufallsfotos, Schnappschüssen und Fotografien im öffentlichen Raum funktionieren? Heißt das in der Praxis, dass Fotografen getarnt ihrer Kunst nachgehen müssen – zwecks Vermeidung von Prügelattacken besorgter Datenbürger?
What Right(s) Do Photos Have?
The General Data Protection Regulation (GDPR), valid in the European Union since May 2018, is also likely to apply broadly to photographers. As it is too soon for anybody to assess this regulation’s impact and even Chancellor Merkel warned of its consequences, we will venture a cautious outlook.
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und die Fotografie –eine vorläufige Einschätzung.
In essence, the regulation is aimed at preserving natural persons’ fundamental rights and freedoms. It intends to safeguard natural persons against the processing of personal data and the free circulation of these data. According to the regulation, photos featuring recognizable persons are basically personal data. This applies for both digital and scanned analogue photos. Likewise concerned are photos that are arranged in analogue systems, on index cards for instance. Every act of storing a prepared photo is already an act of processing. As the regulation allows for a number of exemptions (which include the media), the essential focus here will be on freelance photographers, and the question is raised of whether Espen Eichhöfer, for example, or the late Czech Miroslav Tichý would be able to work unhindered today. According to a verdict by the German Federal Constitutional Court in February 2018, Eichhöfer’s snapshot, taken without permission, of an elegantly dressed lady standing outside a pawnshop, breached the lady’s personality rights and the photo has been barred from publication. Still, the lady obtained no right to compensation, as the breach of her rights was not so serious after all. A similar assessment might be made today of the superficially voyeuristic-seeming photos of women that Tichý took at swimming pools, in parks, on streets etc. Almost all the ladies in these shots are clearly recognizable. After all, the regulation demands the persons’ consent in every case. Before their photograph is taken! How is that meant to work in the future for random photos, snapshots and photographs in the public space? Does that mean, in practice, that photographers will have to pursue their art in disguise – to avoid getting beaten up by concerned data citizens?
Wolfgang Lorentz
Bisher half das alte Kunsturhebergesetz (KUG). Es regelt das Recht am eigenen Bild, wozu auch Fotos gehören. Danach wird abgewogen, ob das Veröffentlichen eines Personenfotos überhaupt der Einwilligung bedarf oder eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt. Dies ist nicht der Fall, wenn das Foto einem „höheren Interesse der Kunst“ dient und die Verwendung für einen künstlerischen Zweck „notwendig, geboten und verhältnismäßig“ ist. Das war stets im Einzelfall zu prüfen – wie bei Eichhöfer. Nach § 201 Strafgesetzbuch (StGB) verletzen veröffentlichte Fotos den Lebensbereich der Abgebildeten, wenn sie deren Hilflosigkeit zur Schau stellen. Auch hier ist eine Abwägung im Einzelfall notwendig. Diese Kriterien haben sich grundsätzlich in der Rechtsprechung bewährt. Nach einer sogenannten Öffnungsklausel der umstrittenen Verordnung sind vorhandene Spezialgesetze der einzelnen EU-Länder vorrangig anzuwenden. Die Bundesregierung überlässt die Entscheidung den Gerichten. Sie sollen entscheiden, ob die Spezialgesetze KUG und StGB vor der Prüfung der Verordnung Urteilsgrundlage bleiben. Das ist wünschenswert.
The General Data Protection Regulation (GDPR) and photography –an interim appraisal.
The old German Art Copyright Act (KUG) used to be of assistance. It regulates the right to one’s own image – which is what photos are, as well. The act provides scope for deliberating whether the publication of a photo featuring people requires any consent or is in breach of any personality right in the first place. This is not so if the photo serves a higher artistic interest and its use for an artistic purpose is “necessary, imperative and appropriate”. This always required examination in the individual case – as with Eichhöfer. According to § 201 German Penal Code (StGB), photos breach the protagonists’ sphere of life if they put the illustrated persons’ vulnerability on display. Here, too, deliberation in the individual case is necessary. These criteria have invariably held good before the courts. According to a so-called escape clause of the controversial regulation, any pre-existing special laws in EU countries take precedence. The German federal government is leaving the decision to the courts.
Ob die befürchtete Abmahnwelle auf Fotografen zurollt, wird sich weisen. Erkennen die Gerichte künftig jedes personenbezogene Foto, unabhängig von seiner Aussage und von künstlerischen Zwecken, nur als Daten im Sinn der neuen Verordnung an, ist diese Art der Fotografie wohl tot. Das ist jedoch kaum anzunehmen. Im Eichhöfer-Urteil wird die Street Photography immerhin als legale Kunstform anerkannt. Das lässt hoffen. Die Bundesregierung plant zudem ein „Anti-Abmahngesetz“, um rechtsmissbräuchliche Abmahnwellen zu verhindern. Zumindest kein verkehrter Ansatz. So könnte auch Tichý heute womöglich seine Fotos zeigen.
It remains to be seen whether the dreaded wave of warnings will come crashing down onto photographers. If courts ruling in the future keep the new regulation in mind and recognize all photos showing people exclusively as data, regardless of the pictures’ statements and artistic purposes, this type of photography is probably dead. This is hardly to be assumed, however. After all, in the Eichhöfer ruling, street photography is recognized as a legal art form. This provides grounds for hope. In addition, the German federal government is planning an “anti-warning law”, in order to prevent illegitimate waves of warnings. That, at least, is not such a bad approach. It means that Tichý would have been permitted to exhibit his photos today.
63 Kunst hat Recht(e) / Art’s right(s)
Warum L. Fritz?
Kein anderer Name ist in Köln so eng mit der Fotografie verbunden wie der von Leo Fritz Gruber. Geboren wurde er am 7. Juni 1908 in der Domstadt. Er studierte Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft, Zeitungswissenschaft, Völkerkunde und Sprachen. 1933 emigrierte Gruber nach London und arbeitete dort als Werbe- und Fotokopie-Fachmann sowie für die Jahrbücher „Modern Photography“ und die Zeitschrift „Gebrauchsgraphik“. Zurück in Köln, baute L. Fritz Gruber die von Bruno Uhl neu gegründete Fachmesse Photokina mit auf und erfand die bis heute legendären „Bilderschauen“, in denen bereits 1950 nationale wie internationale Fotografen (teilweise zum ersten Mal in Deutschland) gezeigt wurden – unter anderem hatte 1951 hier August Sander seine erste große Schau, durch die er weltweit bekannt wurde. Im selben Jahr initiierte Gruber die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), 1977 legte die Sammlung Gruber mit über 1000 Arbeiten den Grundstock für die Fotografische Sammlung des neu gegründeten Museum Ludwig. L. Fritz Gruber starb am 30. März 2005 im Alter von 96 Jahren. 2012 wurde ein Platz in der Kölner Innenstadt nach ihm benannt. Mit unserem Magazin „L. Fritz“ wollen wir die Verdienste und die jahrzehntelange Leidenschaft L. Fritz Grubers in Erinnerung halten.
Impressum / Imprint
Titel / Cover:
Ludwig Kuffer: Enter Muybridge
Photoszene-Magazin L.Fritz
Chefredaktion / editor-in-chief
Damian Zimmermann
Autoren dieser Ausgabe / authors of this issue
Florian Ebner, Klaus Honnef, Hester Keijser, Wolfgang
Lorentz, Hendrik Neubauer, Rosa Roth, Esther Ruelfs, Christian Schön, Urs Stahel, Markus Weckesser
Konzeption / conception
Damian Zimmermann mit/with
Heide Häusler und Inga Schneider
Lektorat / copy-editing
Stefan Ripplinger
Übersetzung dt-engl / translation ger-engl
Alexandra Cox
Übersetzung engl-dt / translation engl-ger
Stefan Ripplinger
Grafische Gestaltung / graphic design
Studio Carmen Strzelecki
Illustrationen / illustrations
Nane Weber
Anzeigen-Akquise / Advertising sales
Kathrin Esser
Why L. Fritz?
In Cologne, no other name is so closely associated with photography as that of Leo Fritz Gruber. He was born on 7 June 1908 in Cologne. He studied philosophy, German language and literature, art history, drama, journalism, geography and languages. In 1933 Gruber emigrated to London and was employed there as an advertising and photocopy specialist, as well as at the annuals “Modern Photography” and the magazine “Gebrauchsgraphik”. Back in Cologne, L. Fritz Gruber helped to build up the photokina trade show, newly founded by Bruno Uhl, and invented the still-legendary “Bilderschauen”, in which, as early as in 1950, both national and international photographers (sometimes for the first time in Germany) were exhibited – among others, August Sander had his first big show here, which made him world-famous. In the same year Gruber initiated the founding of the German Photographic Association (DGPh); in 1977 the Gruber Collection, comprising more than 1000 works, laid the foundation for the Photographic Collection at the newly established Museum Ludwig. L. Fritz Gruber died on 30 March 2005 at the age of 96. A square in Cologne’s inner city was named after him in 2012. We wish to sustain the memory of L. Fritz Gruber’s contributions and decades-long passion with our magazine “L. Fritz”.
Lithografie / lithography
Heinrich Miess
Druck / print
Buch- und Offsetdruckerei Häuser KG
Papier / paper Maxioffset 110 g/m2
Herausgeber / publisher
Internationale Photoszene Köln
gUG
Körnerstr. 6-8
50823 Köln +49-(0)221-966 72 377 info@photoszene.de www.photoszene.de
Geschäftsführung / managing director
Heide Häusler
Assistenz / assistance
Sabrina Biegel
Diese Ausgabe erscheint im Rahmen des PhotoszeneFestivals 2018 / This issue has been published as part of the PhotoszeneFestival 2018
© 2018
Internationale Photoszene Köln, gemeinnützige Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), die Fotografen und Autoren.
„L. Fritz“ erscheint jährlich zum Photoszene-Festival. Gegen einen Unkostenbeitrag von 4 Euro pro Heft schicken wir Ihnen ältere Ausgaben auch gerne innerhalb Deutschlands zu. Schreiben Sie uns dafür einfach eine Mail an info@photoszene.de
Zudem können Sie alle Ausgaben von „L. Fritz“ auch online unter www.issuu.com/ photoszene finden.
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