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No Water, No Photography

Leonie Pfennig on the exhibition

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“Vibrant Waters” at the Temporary Gallery

trachtung vor, und seit ein paar Jahren hat diesen Impuls der Hydrofeminismus übernommen; ein Begriff, den die Kulturhistorikerin Astrida Neimanis bereits 2012 eingeführt hat. Wie wir das vom Feminismus kennen, geht es auch hier um ein Überwinden von einengenden hierarchischen und binären Polen. Und auch hierbei stehen Körper im Mittelpunkt, aber nicht mehr die eines bestimmten Geschlechts, sondern „Bodies of Water“, aus Wasser bestehende Körper, aber auch Wasser als Körper. Wir trinken einen Schluck Wasser, der unseren Körper am Leben hält, den wir später wieder ausscheiden und dem Wasserkreislauf zurückführen, angereichert mit Informationen über das, was wir essen, trinken, die Medikamente und Substanzen, die wir einnehmen, die

Viren, die unsere Körper lahmlegen. Das Wasser trägt das Gedächtnis der gesamten Evolution in sich und gleichzeitig unsere anthropomorphen Eigenheiten – alles ist mit allem verbunden. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn wir unsere Sicht auf Körper verändern, wirkt sich das auch auf unsere Wahrnehmung von Wasser aus? Aber was hat das mit Fotografie zu tun?

Nada Rosa Schroer bringt in der Ausstellung ausgehend vom Element Wasser verschiedene Themenkomplexe zusammen. Da ist zunächst das Wasser als Material in der Fotografie, sowohl historisch als auch gegenwärtig. Ohne Wasser keine Fotografie, so kann man es verkürzt sa- gen, ohne Wasser keine Silberförderung, keine Entwicklerflüssigkeit, keine Produktion von Computerchips und Digitalkameras, aber dazu später mehr.

Die Allmacht des Wassers als bildgebendes Element zeigen eindrucksvoll die großformatigen Silbergelatinedrucke des in Los Angeles ansässigen Kollektivs „Metabolic Studio“, das sich künstlerisch mit selbsterhaltenden und selbstverändernden Systemen beschäftigt. Die mehr als drei Meter langen Prints entstanden mittels einer Lochkamera, dem simpelsten fotografischen Verfahren, allerdings war die Kamera der Innenraum eines Transporters, geparkt am Ufer des Owens Lake bei L.A. Der See trocknete ab 1913 rapide aus, da das Wasser in die Stadt gepumpt wurde, weil es dort, wie Präsident Theodore Roosevelt beschlossen hatte, den Menschen insgesamt mehr bringen würde als den Bewohnern des Owens Valley. Der See, an dessen Ufer bis Ende des 19. Jahrhunderts Silberminen betrieben wurden, ist heute nur noch eine hochgiftige mineralische Pfütze. Die „Optic Division of the Metabolic Studio“ führte 2013 ihr fotografisches Experiment an diesem Ort durch und nutzte die Mineralschicht als Entwickler für die im Transporter aufgenommenen Ansichten des Seeufers. Das Material wird selbst zum Motiv und vice versa.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die libanesische Künstlerin Lara Tabet mit ihrem Chemogramm „The River“. Ihr Experimentierfeld ist der Beirut River, der die Stadt von den östlichen Vororten trennt und seit den 1970er-Jahren als begradigter und einbetonierter Kanal vor allem verdrecktes Abwasser aus der Stadt hinausbefördert und dabei immer wieder über die Ufer tritt. Lara Tabet zeigt ein auf Textil gedrucktes Porträt des Flusses anhand der in ihm lebenden Mikroorganismen. Auf einem 120 Zentimeter langen Farbfilmstreifen platzierte sie im Fluss gesammelte Proben und ließ die Bakterien mit der Fotochemie reagieren. Ein lebendiger Mikrokosmos in einem politisch wie wirtschaftlich aufgeladenen Ökosystem.

Auch bei Olga Holzschuh geht es um Wasser als Erinnerungsträger und als Mittel zur fotografischen Bilderzeugung. Immer ausgehend von Orten, die sie mittels Abdruckverfahren auf ihre Indexikalität hin untersucht, widmet sie sich in ihrer neuen Arbeit dem Rhein sowohl als Ort wie auch als Material. Zur Herstellung der lichtempfindlichen Emulsion diente ihr Wasser aus dem Rhein, das wiederum als abstrakte Spur auf der Trägerplatte direkt durch das im Ausstellungsraum vorhandene UV-Licht sichtbar wird und somit beide Orte – den Fluss und die Ausstellung – miteinander verbindet.

Wenn anfangs die Rede von Wasser als Speicher von evolutionärer Erinnerung war, so geht die Videoarbeit der taiwanesischen Künstlerin SU Yi Hsin in die entgegengesetzte Richtung und betrachtet Wasser, dem jede Spur organischer, geografischer oder historischer Bestandteile entzogen wurde: das hochreine, chemisch hergestellte H₂O, das in der Halbleiterproduktion gebraucht wird, um die Mikrochips zu reinigen. Als Taiwan 2021 von einer großen Dürre betroffen war, geriet die Halbleiterproduktion im größten Werk der Welt TSMC ins Stocken, und damit die Fabrikation von Computern, Autos, Fernsehern, kurz allem, was heutzutage mit digitaler Chiptechnik betrieben wird – auch Kameras. Halbleiter und ihr enorm hoher Wasserverbrauch sind Fluch und Segen unserer modernen Gesellschaft zugleich. Denn ohne sie sind die digitalisierte Welt, aber auch die Energiewende undenkbar. Diesem Dilemma geht SU Yi Hsin in ihrem fortlaufenden Projekt „Particular Waters“ nach. Wirtschaftliche Produktion ist nicht ohne Extraktion von Bodenschätzen und Rohstoffen möglich, und die wiederum kommt nicht ohne Wasser aus. In den Fotografi- en auf Plakaten von Beate Gütschow wird diese Abhängigkeit sichtbar gemacht, wenn auch eher subtil. Die Künstlerin hat in den letzten Jahren ihre eigene Rolle als Fotografin der Klimakrise hinterfragt und ihr Schaffen einem Neustart unterzogen. Ganz bewusst stellt sie sich heute die Frage: Wie kann ich mit meiner Kunst die Klimabewegung unterstützen? Auf der Suche nach einer Antwort legt sie den Prozess offen und stellt auch immer wieder die eigene fotografische Produktion zur Disposition, indem sie den Ressourcenverbrauch durch Fotografie öffentlich thematisiert.

In „RWE: Zukunft, Sicher Machen“ von 2013 dokumentiert sie die aus der Erde ragenden Wasserrohre, die zu einem unterirdischen Pumpensystem des Energiekonzerns RWE gehören, um die Kohlegruben trocken zu halten. In der Arbeit „Lützerath, Samstag dem 30. Oktober 2021 um 9.22“ schwingt auch die Frage mit, wie weit Protest gehen darf – wo Kunst eine aufklärerische Rolle zuteil wird und künstlerische Arbeit in Aktivismus übergeht.

Der japanische Fotograf Mitsutoshi Hanaga hat schon in den 1970er-Jahren Formen des Klimaaktivismus dokumentiert. Seine Serie „Kogai Kigyoshu Jusatsu Kito Sodan“ von 1970 zeigt buddhistische Mönche, die sich nicht anders zu helfen wussten, als die CEOs von großen Energiekonzernen zu verfluchen, da sie diese als persönlich Verantwortliche für die Zerstörung von Lebensraum sehen. Mit weißen halbrunden Kopfbedeckungen und Bannern versammelten sich die Mönche und ihre Anhänger am

Ufer des Suzuka Rivers, um die Firmenbosse der gegenüberliegenden Fabrik durch das Singen von Mantren mit einem todbringenden Fluch zu belegen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten Yokkaichi und Kamioka gegen die von den USA auferlegten ökonomischen Reformen und die Luft- und Umweltverschmutzung, die diese verursachten, gärte bereits, aber es brauchte die Initiative der Mönche, um diese Wut gegen das Nicht-Eingreifen der Regierung im Aktivismus zu kanalisieren. Auch bei Hanaga kann man sich fragen, inwiefern er die journalistische Neutralität bewahrte oder sich durch seine Kamera mit den Protestierenden verband, indem er mit seiner Kameralinse ihrer Blickrichtung folgte.

Kann aktuelle Kunst und ihre Produktion, kann kuratorische Arbeit im Angesicht der Klimakrise überhaupt noch neutral sein? „Wir sind hineingezogen in komplexe Choreografien verschiedener Körper und Strömungen“, schreibt Astrida Neimanis 2012 in ihrem Aufsatz „Bodies of Water“. „Nicht nur von menschlichen Körpern, sondern auch von tierischen, pflanzlichen, geophysischen, meteorologischen und technischen; nicht nur von Wasserströmungen, sondern auch von solchen der Macht, Kultur, Politik und Ökonomie.“

„Vibrant Waters“ kann mit dem Fokus auf das Element Wasser einen Anstoß geben, unser Bewusstsein für die Verwobenheit von Extraktion, Klimakatastrophe und künstlerischer Produktion zu schärfen.