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Pablo Lerma AMA Interviews

Pablo Lerma (Jahrgang 1986) befragt als Künstler, Theoretiker und Vermittler das Archiv des NS-Dokumentationszentrums mit seinen fotografischen Beständen aus der Zeit des Nationalsozialismus nach Aspekten von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Repräsentation und Trauma. Durch ein Reenactment werden die Bestände der Gedenkstätte aktiviert und das Ö nen, Sichten und Verwahren von Archivalien zum Gegenstand einer Performance.

Pablo Lerma (born 1986), as artist, theoretician and educator, queries the archive of the NS-Dokumentationszentrum, with its photographic holdings from the National Socialist period, for aspects of visibility and invisibility, representation and trauma. The memorial site’s holdings are activated by means of a re-enactment and the opening, viewing and keeping of archived items are made the object of a performance.

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Wie gehst du mit der Logik eines Archivs um, dass Bestände auseinandergerissen sind und einzelne Stücke fehlen?

Wie viele andere Archive befindet sich auch dieses in einem Prozess. Es enthält eine Unmenge von Materialien. Die Arbeit des Archivs verschlingt viel Zeit, da Information digitalisiert und in die Datenbank eingespeist werden muss. Außerdem befinden sie sich gerade in einer heiklen Situation, weil viele Menschen bereits verstorben sind; es sind Menschen, die, soweit es die hier gesammelten besonderen Materialien betri t, etwas mit den Konzentrationslagern oder mit der Zeit des Nationalsozialismus zu tun haben. Es kostet viel Zeit und Sucherei, um die Verbindungen zwischen Dokumenten, Papieren, Bildern herzustellen. Wenn man bedenkt, wie lange es dauert, bis ein einziges Album digitalisiert ist, kann man sich ausrechnen, was es heißt, dass Hunderte von ihnen zu verarbeiten sind. Dokumente müssen mit diesen Alben in Beziehung gesetzt, es muss herausgefunden werden, wer die vorliegende Person war und welche korrekten Angaben in die Datenbank hochzuladen sind. Doch zugleich ist das NS-Dokumentationszentrum kein gewöhnliches Archiv. Es ist ein Ort, an dem sich Teile der Geschichte der Menschheit befinden. Es geht deshalb auch immer um Sichtbarkeit und Darstellung.

Aus ethischen Gründen ist der Archivbestand des NS-Dokumentationszentrums mit Respekt zu behandeln. Wer mit einem emotional so aufwühlenden Thema arbeitet, muss sich wohl persönlich Grenzen setzen. Ganz abgesehen von dem emotionalen Stress, lädt die Archivarbeit und die Präsentation einer

„künstlerischen Intervention“ eine enorme kulturelle Verantwortung auf deine Schultern. Wie gehst du als Künstler damit um und was hat das Projekt mit dir gemacht?

Ich bin kein Deutscher, ich habe keine unmittelbare Verbindung zur deutschen Geschichte. Es findet sich in meiner familiären Vorgeschichte nichts, das etwas mit diesem Land zu tun hätte. Aber den Umstand, dass ich Stellung beziehen muss, kann ich nicht leugnen. Das Entscheidende ist für mich dieses: Ich kann keine Arbeit machen, die lediglich von Ästhetik spräche, keine, ohne mich selbst und meine Erfahrung in eine Beziehung zu diesem Inhalt und zu der Institution zu setzen, die mich beauftragt hat. Ich habe viel Zeit im Magazin bloß damit verbracht, Kisten zu ö nen und eine Menge Fragen zu stellen. Da spürte ich gewisse Reibungen, die das Projekt mit sich bringt. Ich war jedes Mal emotional erschöpft, nachdem ich einen Tag im NS-Dokumentationszentrum verbracht habe. Ich schaute Hunderte von Fotos und Fotoalben von Nazi-Familien oder von Familien an, die dem Regime nahestanden. Nach ein paar Besuchen, bei denen ich etliche Archivkisten geö net und mir vor allem Nazi-Material angeschaut habe, was mich erschöpfte und auslaugte, ging ich zurück in mein Hotel und fragte mich: Warum mache ich das? Was bringt es mir, in dieser Stellung am NS-Dokumentationszentrum zu sein? Deshalb entschied ich vergangenen Sommer bei meinem letzten Besuch, dass ich mit diesen Inhalten nichts mehr anfangen will. Die Hauptsache war für mich der Behälter: die Institution selbst als Behälter, das Magazin als Behälter innerhalb der Institution sowie die Archivbox voller Materialien innerhalb des Magazins als weiterer Behälter.