Philosophie Magazin 2

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Dossier mAcht Arbeit glücklich?

Entfremdung, Selbstverwirklichung, Ausbeutung. Hilft Marx, die grundlegenden Probleme der heutigen Arbeitswelt zu verstehen? Sechs Fragen an die Philosophin und Marx-Expertin Rahel Jaeggi. Das Gespräch führte Svenja Flaßpöhler

Rahel Jaeggi Die Professorin für Praktische Philosophie lehrt an der HumboldtUniversität Berlin. Publikation zum Thema: „Entfremdung – Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems“ (Campus 2005).

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Philosophie Magazin: Steht Marx’ Wertschätzung der Arbeit mit ihrer gegenwärtigen Überschätzung in einem Zusammenhang? Rahel Jaeggi: Die Wertschätzung der Arbeit ist nicht unbedingt ein Spezifikum von Marx. Er folgt damit nur der neuzeitlichen Gegentendenz zur antiken Abwertung der Arbeit oder deren Verbindung mit Mühsal und Leid. Und: Was wäre denn die Alternative zur Wertschätzung der Arbeit? Vielleicht wird ja nicht die Arbeit überschätzt, sondern wir haben einen zu begrenzten Arbeitsbegriff, der sich zu sehr auf einen schmalen Kreis von Tätigkeiten und das klassische Verhältnis der Lohnarbeit beschränkt. Was versteht Marx unter Arbeit? Arbeit ist der bewusste und planmäßige Eingriff des Menschen in seine Umwelt, die Transformation dieser zum Zwecke der individuellen wie gesellschaftlichen Reproduktion. Die Menschen gestalten arbeitend die

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Welt, indem sie die äußeren und materiellen Bedingungen herstellen, unter denen sie leben. Auch der Arbeiter selbst verändert sich durch die Auseinandersetzung mit der gegenständlichen Welt. Indem wir uns arbeitend auf sie beziehen, verwirklichen wir uns in unseren Fähigkeiten und damit in unserem konkret gewordenen Bezug auf die Welt. Zudem stellt die gesellschaftliche Arbeitsteilung das Gemeinwesen als Gemeinwesen erst her. Die Art und Weise, wie Arbeit in Gesellschaften organisiert ist, ermöglicht und prägt unsere soziale Existenz, unser Zusammenleben. Was meint Marx, wenn er von entfremdeter Arbeit spricht? Entfremdung meint für Marx: Entfremdung von der eigenen Tätigkeit, dem Gegenstand, den anderen Menschen und dem „Gattungswesen“. Der eigenen Tätigkeit entfremdet bin ich, weil diese Tätigkeit unter den Bedingungen industrieller Arbeitsteilung mechanisch geworden ist, qualitativ verarmt statt reichhaltig oder anspruchsvoll. Entfremdet bin ich aber vor allem auch, weil ich über die Art und Weise, in der ich arbeite, nicht verfüge. Meine Tätigkeit ist also gleichzeitig subjektiv sinnentleert oder verarmt und fremdbestimmt, weil jemand anderes – egal wie anonym man sich diese Instanz zu denken hat – über die Art und Weise meines Arbeitens entscheidet. Ähnliches gilt für das Verhältnis zum Produkt meiner Tätigkeit. Auch diesem gegenüber bin ich aus Marx’scher Sicht entfremdet, weil ich es unter arbeitsteiligen Bedingungen nicht mehr als Ganzes vor mir habe. Darüber hinaus gehört mir das Produkt nicht, und ich kann nicht darüber verfügen. Auch die Entfremdung von den anderen Menschen, unter

— Philosophie Magazin

© dpa, Jürgen Bauer

Wie entfremdet sind wir?


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