"Lampedusa" Video von Masoud Rezavy Pour | Objektinstallation von Walter Kratner

Page 1

LAMPEDUSA WALTER KRATNER

VIDEO Masoud Razavy Pour

TEXTE Susanne Ramm-Weber Javid Ramezani Stefania Severi Masoud Razavy Pour Shmulik Krampf Barbara Jenner Fery Berger Gregory Edwards


-

LAMPE DUSA


Dr. Susanne Ramm-Weber

Kunstwissenschaftlerin, Offenburg, Deutschland

Javid Ramezani

Art director, Assistant Professor, Teheran, Iran

A

Dr. Stefania Severi

Kuratorin, Kunsthistorikerin, Rom, Italien

Walter Kratner

Künstler, Graz, Östereich

Masoud Razavy Pour

Visual-Media-Artist, Graz, Österreich

Shmulik Krampf

Kurator, Galerie „refusalon“, San Francisco, USA

Barbara Jenner

Künstlerin, Berlin, Deutschland

TEXTE

deutsch italienisch englisch farsi | übersetzung: Sharareh Sharafeh

Fery Berger

Caritas Österreich

Gregory Edwards

Künstler, San Francisco, USA


DAS BOOT IST SPIELBALL DER WELTEN


Die Objekt-Installation „Lampedusa“ von Walter Kratner hat im Grundsatz etwas Klassisches. Das Video zur Installation zeigt ihre diversen Aspekte. Zunächst ist die gesamte Raumsituation im Blick und verdeutlicht, dass die Installation zur barocken Umgebung der Kirche im formalen Kontrast steht. Schlank, durchlässig und in drei getrennten, gleichwohl aufeinander bezogenen Teilen liegt ein Boot, pragmatisch auf kleinen Rollen auf einem Tuch gelagert, seitlich im Kirchenraum. Der Titel „Lampedusa“ verweist auf die rettende, italienische Insel im Mittelmeer, das erste Ziel tausender Flüchtlinge, die auf ein besseres Leben hoffen. Die unerträglichen Meldungen von gesunkenen Schiffen und ertrunkenen Flüchtlingen, die das Ziel nicht erreichen, beherrschen besonders im Frühjahr 2015 die Medien. Die Boots-Installation verweist auf die tragischen, traurigen Geschehnisse im Mittelmeer, das zum Massengrab wird. Zwei der drei farblich einheitlich gestalteten Teile stellen Bug und Heck des zerbrochenen Bootes dar, ohne Außenhaut, gerüstartig angedeutet nur, dabei formschön, wohlproportion iert, unauffällig grau und handwerklich sorgfältig gearbeitet. Der Bug bäumt sich auf und neigt sich zur Seite. Indirekt kommt das Wasser, seine unruhige Bewegung ins Spiel

Dr. Susanne Ramm-Weber

Kunstwissenschaftlerin, Offenburg, Deutschland

der Vorstellung, das Boot als Spielball der Wellen. Der Schiffbruch ist programmiert. Hölzer mit Nägeln ragen sperrig gebrochen über die verschobenen Bootsteile hinaus. Die Bruchsituation ist sehr bewusst und präzise gestaltet. Sie ist zentral und sie steht im Kontrast zur sorgfältigen handwerklichen Ausführung. Inmitten dieses Bruchs liegt niedrig der dritte Teil, der mit seiner Breite die Bootsteile optisch verbindet und dem Ganzen einen Aspekt von Ruhe gibt. In diesem mittleren Teil liegt in einer Aussparung aus geordneten Lamellen wie eingebettet in einen gläsernen Sarg eine weißliche tote Ratte, Sinnbild für Tausende Ertrunkene. Im Video wird sie fokussiert. Sie gibt dem vermeintlich harmlosen Boot eine profunde Schärfe. Zugleich liegt sie unter der Glasabdeckung wie ein Museumsobjekt, Distanz entsteht, das Ekelgefühl wird abgemildert und aufgefangen. Es wandelt sich in Ehrfurcht vor dem Tod. Die Symbolisierung der Situation ist in der Installation ebenso eindeutig wie kompromisslos. Die auf Spannung und Kontrast ausgelegte Form und der dramatisch geladene Inhalt gehen künstlerisch eine wirkungssteigernde Einheit ein. Deutlicher kann man die Tragik der Flüchtenden nicht machen.


UNSER RÜCKGRAT IST GEBROCHEN


Masoud Razavy Pour

Visual-Media-Artist, Graz, Österreich

Manchmal frage ich mich, welche Lehre dem Kerker zugrunde liegt, den sich der Mensch aufgebaut hat? Soll das der gesuchte Weg sein? Die verborgene Wahrheit und die unverhohlene Wirklichkeit? Oder verirre ich mich in den Wirrungen eines Weges mit historischen Wurzeln? Das Schiff erreichte nicht den Strand. Es ist im Ozean der Unwissenheit zerschellt. Wie absurd zu glauben, dass seit gestern (bis zum heutigen Tag) nur die Farben blasser geworden wären. Das Innere dieses gebrochenen Schiffes liegt aufgerissen dar. Das geometrische Gerippe ebenfalls zerbrochen. Das Segel, ─ verloren gegangen. Es besteht auch keine Notwendigkeit für dessen Existenz. „Wo wollen wir denn hin?” Die Vervielfältigung der Geometrie ist Stück für Stück in der Finsternis versunken und das Horn des Wellenbrechers, das sich gegen den Himmel richtet, ist nutzlos. Unser Rückgrat ist gebrochen. Wir sind ineinander verknotet und das Fieber der Pest hat uns blind gemacht. Vielleicht offenbart sich ein Strand in einer der nächsten Wiederholungen. Übersetzung: Sharareh Sharafeh


DAS EN UND


NDE DER GESCHICHTE D DER LETZTE MENSCH

Javid Ramezani

Art director, Assistant Professor, Teheran, Iran


-

ERTRANKEN.


Die Installation „Lampedusa” erinnerte mich an „das Ende der Geschichte und der letzte Mensch”1. Das Werk stellt nämlich eine Geschichte aus, die weder linear noch periodisch verläuft. Die Installation erinnert an Stillstand und Wiederholung. An Ereignisse wie: die Krise der Kirche während der Aufklärung, den Widerspruch zwischen Moral und Macht, an antike Sklaverei und die daraus folgenden Migrationswellen der Afrikaner Richtung Europa. An den geistigen Austausch zwischen Griechenland und dem Osten, an das Erblühen der Zivilisation entlang der mediterranen Ländern. Jedes dieser Ereignisse ist in ihrer ewigen Wiederholung, ein Zeuge des Untergangs eben dieser Geschichte. Als ob die Zivilisation den Wahn der Modernität auf die Spur gekommen wäre. Für die „Zivilisation“ bedeutet die brennende Fackel2 der „Lampedusa” das Zeichen der inneren und äußeren Krisen des modernen Menschen und dessen Bedürfnis nach Migration. Das Boot wurde in drei Teilen zerstückelt. Die Besatzung hat das geplagte Schiff verlassen,und / oder: die Migranten fanden auf der Suche nach einem besseren Leben im stürmischen mediterranen Meer den Tod. Ertranken. Sie hatten den Horizont Europas erblickt und

Javid Ramezani

Art director, Assistant Professor, Teheran, Iran ,

vermuten dort das erhoffte Glück. Hatten jedoch vergessen, dass für ihre Väter das Tor nach Europa den Weg in die Sklaverei 3 bedeutete. Scheinbar ist das mittlere Stück der Installation eine Station zwischen dem Osten und dem „fortgeschrittenen“ Westen. Die getrocknete Leiche der toten verpesteten Ratte liegt in der Mitte und die zerbrochenen Teile seitlich davon. Der mittlere Teil, wie die verdorrte Insel südlich von Sizilien, ist an Pest erkrankt und schon tot; vielleicht ist das die Schuld des heiligen Papstes. Die Installation „Lampedusa” verweist auf viele interdisziplinäre Begriffe und auf eine Symbolik, welche man aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten könnte. Die Dreiteiligkeit der Installation könnte mit der Gedanken-Trilogie „Ost, West, Katastrophe“ auch einen Hinweis auf die Dreifaltigkeit beinhalten. 1 das gleichnamige Buch von Francis Fukuyama; amerikanische Politikwissenschaftler und Philosoph. 2 das Wort „Lampedusa” bedeutet „Fackel“. 3 die Insel Lampedusa war früher ein Stützpunkt für Piraten und Händler der afrikanischen Sklaven. Übersetzung: Sharareh Sharafeh


... DENN ICH WAR FREMD UND OBDACHL Sie sterben im Meer, wie die Ratten

850 Flüchtlinge starben vor kurzem auf ihrer Überfahrt von Afrika nach Italien. Die größte Seekatastrophe, die es je im Mittelmeer gab. Seit Jahren sollen ca. 2000 Menschen im Jahr auf diese Weise umkommen. Niemand weiß die Zahl der Ertrinkenden wirklich. Sie wird bei weitem höher sein. Auf jeden Fall ist sie himmelschreiend. In den letzten Jahren hat Europa bewusst zugeschaut; auch um die vielen anderen, die sich auf der Flucht befinden, abzuschrecken. In der Türkei warten 2 Millionen Syrer darauf, über das Meer nach Griechenland zu gelangen. Auch einige der 37 Flüchtlinge, die jetzt bei uns in Weiz leben, sind so zu uns gekommen. In Deutschland wurden im letzten Jahr 260 Asylantenheime angezündet. Die öffentliche Debatte rund um Flüchtlinge wird immer aggressiver. Bürgermeister müssen zurücktre-


Fery Berger

Caritas Steiermark, Weiz, Österreich

LOS

ten, weil sie Flüchtlinge in ihren Gemeinden unterbringen wollen. Sind das Zustände, die bald auch auf uns zukommen werden? In Vogau wurde ein Gasthaus, indem Flüchtlinge untergebracht sind, mit Steinen beworfen. Vor kurzem wurden alle Unterbringer von Flüchtlingen in der Steiermark von der Polizei aufgefordert, besonders vorsichtig zu sein. Muss man inzwischen mutig sein, sich für Verfolgte einzusetzen? Braucht es Mut öffentlich zu widersprechen, wenn es heisst: „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber...“ „Es können ja nicht alle zu uns kommen...“ Braucht es Mut für uns ChristInnen ganz klar auf der Seite der Verfolgten zu stehen? Braucht es Mut, die entscheidende Aufforderung Jesu in seiner Gerichtsrede ernst zu nehmen: „Denn ich war fremd und obdachlos, und ihr seid zu mir gekommen.“? Mut ist das Motto der Pfingstvision 2015.

Es war Papst Franziskus, der Lampedusa mit seinem ersten Besuch weltweit bekannt gemacht hat. Er ist es, der uns immer wieder auffordert, hinauszugehen aus unseren Kirchen, hinaus zu den Rändern unserer Welt. Jesus möchte, dass wir Gott nicht nur im Tempel anbeten. Er möchte, dass wir ihn in den Geringsten erkennen; in denen, die heute wie Ratten vor unseren Toren ertrinken. Walter Kratner, künstlerischer Leiter der Pfingstvision, führt uns in seiner Objektinstallation schonungslos unsere Wirklichkeit vor Augen. Die Ratte wird zur Provokation. Lassen wir uns aufrütteln. Schauen wir über unsere Kirchtüren hinaus. Erkennen wir, dass wir als Menschheit alle in einem Boot sitzen. Erkennen wir, dass wir entweder alle an das andere Ufer kommen, oder alle gemeinsam untergehen. Mai 2015


... HOFFNUNGSLOSIGKEIT VOR AUGEN


Walter Kratner

Künstler und Kurator, Graz, Österreich

Mut aus Verzweiflung

Flüchtige auf einem Boot, kein Land in Sicht: „Boat People“ nennen wir diejenigen, die vor den Toren Europas dazu verdammt sind, nicht anzukommen. „Boat People“ ist ein Begriff, hinter dem sich eine jahrhundertalte Erfahrung verbirgt: Abschied und Aufbruch, ewige Reisen zwischen Diesseits und Jenseits. Individuelles Scheitern, Schuld und Hybris durchziehen viele der Geschichten von Schiffbrüchigen und Gestrandeten. Doch die Reisen zwischen Diesseits und Jenseits bieten nicht nur Projektionsflächen für individuelle Geschichten. Das Mittelmeer ist ein Massengrab: Am 3. Oktober 2013 sinkt ein überfülltes Motorschiff vor Lampedusa. 366 Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia ertrinken. Acht Tage später sterben bei einem erneuten Unglück mehr als 250 Menschen aus dem bürgerkriegsgeplagtem Syrien. Der Beginn einer schrecklichen Serie bis heute. Wie viele Menschen genau an den Außengrenzen der EU umkommen, ist nicht bekannt. Keine offizielle Stelle zählt sie und kein Grab erinnert an die vielen Frauen, Männer und Kinder. Einige Fachleute gehen von mehr als 23.000 ertrunkenen Flüchtlingen seit der 1990er Jahren aus. 1.700 Menschen sterben im Durchschnitt pro Jahr. Der zerbrochene Bootskörper, den Walter Kratner im Sakralraum des Weizbergs installiert, zeigt die besondere Dialektik, die diesem Objekt innewohnt: Hoffnung kann es nur geben, wenn man sich zunächst die eigene Hoffnungslosigkeit vor Augen führt.


THE UNEQUALITY OF WEALTH

From my perspective, as an African American, it isn’t possible to consider the plight of so many Africans desperately trying to immigrate to Europe without considering the plight of Africans on the high seas two centuries ago destined for the shores of America. It is called the “Middle Passage” in our history books. In chains, we were delivered to enthusiastic American buyers - themselves only recently liberated from the harsh existence they’d led in Europe - who hoped to reap a fortune off of our inexpensive labor. It paid off handsomely for many now influential American families. The American Slave Trade was a subsidiary of the European Cartel exploiting Africa for the same purposes. The situation of African People has been changed forever by that Enrichment Project carried out by so many agencies of Western Society. Whenever I am in Europe, it never fails (entgeht) to move me deeply, how much the Africans in Europe have in common with African Americans here. In the Black


Gregory Edwards Artist, San Francisco, Usa

neighborhoods of Europe and America, poverty, crime and despair exist right next to hope, limited advancement and the exhilaration of gaining a foothold in the wealthy countries which our exploitation aided in creating. And continues to aid in maintaining.

our people - especially the young, both here and there, the Middle Passage does not end. Nor does the search for meaningful employment and the respect of the larger culture. Voluntarily or not, we end up similarly circumstanced. I consider the distinctions superficial.

What happened to our customs, traditions and the philosophies that served our Pre-Colonial human needs going back to the Dawn Of Time? What has happened to us that leaves African economies inverted as pertains to wages and return on investment? What has happened to us that leaves many of our sons with the idea that in order to get ahead, they must ravage our very own communities and harm our very own people? In America we did not immigrate voluntarily as it only appears that the African Boat People are doing, but we sure are involved in the same activities on both sides of the Atlantic: pursuit of a stable lifestyle and a living wage. Some of us are more successful than others, but for the larger percentage of

So to sum up my opinion of the tragedy playing out on overflowing vessels in the Mediterranean Sea and on the Atlantic Ocean, suffice it to say that the narrative continues to be driven by exploitation. Our African Brothers and Sisters are merely reacting to the landscape of want left behind, by another cycle. Although that exploitation now occurs largely through the good offices of Multi-National Corporations, in concert with corrupt African officials hand-picked for the job, the lion’s share of enrichment still finds it’s way into the coffers of influential Families in the West. The inequality of wealth continues unabated, as does the philosophy of victim-blaming which dates back at least to the thirteenth century.


IN KETTEN

Aus der Perspektive eines Afro-Amerikaners, kann man die aktuelle Notlage verzweifelter afrikanischer Migranten nach Europa nur mit der Misere afrikanischer Menschen auf hoher See vergleichen, die vor zwei Jahrhunderten für die Küste Amerikas bestimmt waren. Unsere Geschichtsbücher nennen es „Middle Passage“. In Ketten wurden wir enthusiastischen amerikanischen Käufern zugestellt. Käufer, die sich selbst erst vor kurzem von der Abhängigkeit Europas befreit hatten und die hofften mit uns ihr Vermögen zu machen. Für einige heute einflussreiche Familien, war es der Beginn ihrer Bedeutung im amerikanischen Gesellschaftsgefüge. Der amerikanische Sklavenhandel war die Ergänzung zum europäischen Kartell, das Afrika aus denselben Gründen ausbeutete. Dadurch veränderte sich Afrika für immer. Wenn ich in Europa bin, berührt es mich, wie viel afrikanische Bürger in Europa mit den amerikanischen gemein haben. In den Schwarzen-Vierteln Europas und Amerikas existieren die gleiche Armut, Kriminalität und Verzweiflung neben Hoffnung und ausgeprägte Chancenungleichheit neben Heiterkeit. Sie versuchen einen festen Halt in der Wohlfahrtsgesellschaft zu


Gregory Edwards

Künstler, San Francisco, Usa

erlangen, ─ an einem Wohlstand teilzuhaben, der auf Ausbeutung unseres Kontinents basiert und der durch unsere Hilfe entstanden ist und weiterbesteht. Was geschah mit unseren Bräuchen, Traditionen und den präkolonialen Philosophien, die seit Urzeiten galten? Was ist geschehen, dass afrikanische Ökonomien scheiterten, was Lohn und Kapitalanlage betrifft? Was bedeutet es, dass unsere Kinder glauben nur vorwärts zu kommen, wenn sie ihre eigenen Wohnviertel verwüsten und unsere eigenen Leute verletzen? Wir wanderten nicht freiwillig nach Amerika aus. Anders als die heutigen afrikanischen Boat-People es tun. Aber auf beiden Seiten des Atlantiks suchen sie dasselbe: durch Arbeit ihr Auskommen zu finden. Einige von uns sind erfolgreicher. Doch für den größten Prozentsatz unserer Leute, besonders für die jungen von uns, hat die „Middle Passage“ noch kein Ende. Ebenfalls keine Ende hat die Suche nach einer sinnvollen Anstellung und der Wunsch nach dem Respekt vor einer großen Kultur. Ob wir wollen oder nicht, wir leben in ähnlichen Zuständen. Ich halte Unterscheidungen dabei für oberflächlich.

Fasse ich meine Meinung über die Tragödie auf den überfüllten Schiffen im Mittelmeer und im Atlantik kurz zusammen, reicht es zu sagen, dass die Gründe in der fortwährenden Ausbeutung liegen. Unsere afrikanischen Brüder und Schwester reagieren jetzt lediglich auf die neuen Umstände. Obwohl die Ausbeutung heute hauptsächlich durch ein Konzert aus Multinationalen Konzernen und korrupten afrikanischen Beamten erfolgt, fließt der Löwenanteil der Bereicherung in die Geldsäckel einflussreicher westlicher Familien. Die Ungleichheit in der Verteilung des Wohlstandes dauert unvermindert an. Ansätze dieser Ungleichheit glauben Philosophen bereits im 13. Jahrhundert auszumachen.

Übersetzung: Walter Kratner


per quanto voi vi crediate assolti lo stesso coinvolti!


i siete

Dr. Stefania Severi

Curatrice, Storica dell Arte, Roma, Italia

Walter Kratner, da artista/scultore, ricorre alle immagini per trasmettere il suo messaggio. “Lampedusa” è un messaggio fortissimo, che arriva al cuore in modo ben più prorompente delle parole. La parola tace davanti all’immagine come tace davanti alle tante immagini di guerra, distruzione e morte che ci giungono in questi tempi. La barca è metafora del viaggio per antonomasia, che è la vita, ed è pertanto culla, arca e bara, ma il presupposto è che essa salpi per approdare. Qui l’approdo è indicato nel titolo dell’opera, “Lampedusa”, isola in mezzo al Mediterraneo che è sul limite tra due mondi, quello che considera l’individuo una entità con i suoi diritti-doveri e quello che considera l’altro da sé entità inferiore priva di diritti. Ecco pertanto che coloro che sanno di essere considerati “inferiori” fuggono reclamando il diritto di essere individui. Ma il viaggio è denso di incredibili pericoli e la barca si spezza: la vita è spezzata e non trova il suo naturale approdo. La barca spezzata è il viaggio tragicamente interrotto. E Walter Kratner ce lo mostra in tutta la sua drammatica crudezza, usando anche materiali raffinati e levigati perché la responsabilità della tragedia ha tanti risvolti inafferrabili, subdoli, inquietanti. E nel relitto è un topo morto, trafitto. Il topo è l’ultimo ad abbandonare la nave in caso di naufragio. Il topo è immagine del mondo ctonio, del mistero pervasivo, dell’orrore strisciante, della peste. Il topo ci fa voltare lo sguardo ma Walter Kratner ci obbliga a guardare e ci grida, come nella bellissima canzone di Fabrizio De Andrè, Canzone del Maggio: «per quanto voi vi crediate assolti siete lo stesso coinvolti!»


DAS BOOT IST DAS LEBEN, ARCHE UND SARG


Dr. Stefania Severi

Kuratorin, Kunsthistorikerin, Rom, Italien

Der Künstler/Bildhauer Walter Kratner greift auf Metaphern zurück, um seine Botschaft zu vermitteln. Die aufwühlende Botschaft der Objektinstallation „Lampedusa“ dringt tiefer in das Herz des Betrachters ein, als Wörter es könnten. Denn die Wörter verstummen in diesen Tagen angesichts der Bilder von Kriegsgeschehen, Zerstörung,Flucht und Tod. Das Boot ist die Metapher für das „Reisen“ schlechthin. Das Boot ist das Leben, die Wiege, Arche und Sarg, - gedacht in See zu stechen, um an einem anderen Ort wieder anzulegen. Hier ist der Ort der Ankunft bereits aus dem Titel des Werkes abzulesen, „Lampedusa“, ─ eine Insel im Mittelmeer, die an der Grenze zweier Welten liegt. Zwischen einer Welt, die das Individuum als Bürger mit Rechten und Pflichten ansieht, und einer zweiten, die den Anderen als unterlegen und rechtlos behandelt. So flüchten die Rechtlosen dorthin, wo sie glauben, das Recht einfordern zu können, als Mensch behandelt zu werden. Aber die Flucht ist voller Gefahren und das Boot zerbricht. Das Leben zerbricht und findet keine Fortsetzung. Das zerschellte Boot ist Bild

für eine solche tragisch unterbrochene Reise. Walter Kratner zeigt den Bruch in dramatischer Härte. Er baute das Objekt aus lackierten Hölzern und polierten Materialien nach, um zu beweisen, dass die Verantwortlichkeit für die Tragödie Folge unfassbarer, perverser, beängstigender Umstände ist. Im Relikt des Bootsgerüstes findet sich eine tote Ratte. Die Ratte ist die letzte, die das sinkende Schiff verlässt. Die Ratte ist das chthonische, irdische Bild von der Welt, dem alles durchdringenden Geheimnis des Lebens, von der latenten Greuel, von der Pest. Die Ratte lässt uns den Blick abwenden, aber Walter Kratner zwingt uns gerade dadurch hinzusehen und das ausgetrocknete Tier schreit uns zu: „Obwohl ihr glaubt, von Schuld freigesprochen zu sein, ward ihr doch beteiligt!“ 1 1 (Zitat: „per quanto voi vi crediate assolti siete lo stesso coinvolti!“ Aus: Fabrizio De Andrè, Canzone del Maggio) Übersetzung: Walter Kratner


... hoffnungslose und Wohlstand


er Bedürftigkeit

Barbara Jenner

Künstlerin, Berlin, Deutschland

Graue Holzleisten formieren sich zu einem Hohlkörper. Das Gerüst eines Bootes, zweigeteilt, und in seiner Funktion beraubt. Silbern glänzende Metallgriffe und Rollen, neben antik anmutenden Holzleisten, erinnern an Archive. Das skulpturale Objekt ist als Installation inszeniert. Nicht zuletzt aufgrund des Titels „Lampedusa“ verweist es auf die Flüchtlingsproblematik. In der Weizer Kirche vor einem barocken Altar aufgebaut, wirkt es wie ein Mahnmal, das den Kontrast zwischen hoffnungsloser Bedürftigkeit und Wohlstand sichtbar macht und zum nachdenken anregt. Die karge Ästhetik der Installation macht den Gegensatz noch deutlicher, wirkt erschreckend und neben dem üppigen Gold des Altars fast befremdlich.


DROWNING IN THE MEDITERRANEAN SEA Albert Camus, in his writing about Sisyphus, he refers us to the Greek gods as a solution for understanding human condition. Sisyphus, the son of the gods, being punished by them, for defying them. That human condition is the eternal suffering of doing the same thing over and over, rolling a stone to the top of a mountain, and seeing it roll down. In Walter Kratner’s piece, Lampedusa, takes us into the deep sea, where he puts imagery of a remnants ,drowned boat. Socially and Politically connecting us to the subject matter. The matter is refugees from Africa drowning in the Mediterranean sea. Beginning of some of humanity‘s cradle, same sea, same issues. Frantz Kafka says about his writing “I want to be the ax on the frozen lakes of your soul.” Well, my friend, the lakes melted already. Franz Kafka axed it already, and history repeats itself. We choose to turn our eyes to another direction, when the direction is right there. Forty years ago, I was given an old edition of Albert Camus, the Myth of Sisyphus. I read


A

Shmulik Krampf

Gallery Owner, “Refusalon”, San Francisco, Usa

it daily trying to assess, and understand the equation. Prometheus, who was entrusted by the gods to create molding of mankind out of clay. Prometheus was tied to a rock in the ocean, left for the birds to eat. A myth is an idea that some believe, some don’t, and hasn’t been proven true or false yet. In what’s called “human condition”, there is a desire to understand it. Understanding the myth is a pain reliever of human condition. Understanding the myth is understanding. As politics and philosophy are unbridgeable, the tragedy, the punishments of God, are useless, and understanding, becomes useless efforts of frustration. As Sisyphus becomes the subject of ancient suffering, and Prometheus becomes eternal food. Refugees in the Mediterranean sea become manifestations of navigation gone wrong.

In a constant search of Icarus and Daedalus. As Icarus and Daedalus are sinking into the sea, in attempt to fly like a bird, go higher, they are falling into the sea, at a meeting place with the same boats, and refugees. Greek mythology connects to it’s final destiny.


Albert Camus bezieht sich auf den griechischen Mythos von Sysyphos als Erklärung für die „conditio humana“. Sisyphos, der Göttersohn, wurde bestraft, weil er den Göttern trotzte. Eine Bedingung für das Menschsein ist das ewige Leid, dieselbe Tätigkeit unendlich wiederholen zu müssen: Einen Felsblock auf einen Berg hinauf wälzen zu müssen, der, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Die Bildsprache von Walter Kratners Arbeit „Lampedusa“ führt uns auf hohe See, wo Überreste eines gesunkenen Bootes den Betrachter mit dem aktuellen politischen Thema verbinden. Das Thema handelt von Flüchtlingen aus Afrika, die im Mittelmeer ertrinken. Ertrinken in der einstigen Wiege der Menschheit. Die Fragen sind seit dem dieselben geblieben.

die Bestrafung durch Gott ist sinnlos

Franz Kafka sagte über sein Schreiben: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns”. Meine Freunde, die Meere sind bereits geschmolzen. Kafka hat sie bereits eingeschlagen und die Geschichte wiederholt sich selbst. Wir haben entschieden, in eine andere Richtung zu sehen, obwohl die richtige Richtung bereits gegeben wäre.


Shmulik Krampf

Galerist, „Refusalon”, San Francisco, Usa

Vor vierzig Jahren bekam ich eine alte Ausgabe von Albert Camus` „der Mythos von Sisyphos“. Ich las täglich in diesem Essay und versuchte die Metapher für mich einzuordnen. Die Götter vertrauten Prometheus die Erweckung der Menschheit an. Also ging er auf die Erde und formte sie aus Ton. An einen Felsen über den Ozean wurde Prometheus gebunden und der Adler fraß von seiner Leber, die sich zu seiner Qual immer wieder erneuerte, da er ein Unsterblicher war.

Sisyphos wurde ein klassisches Beispiel für Leid, und Prometheus wurde zur ewigen Nahrung. Die Flüchtlinge im Mittelmeer sind Ausdruck fehlgeleiteter Navigation, ─ auf der konstanten Suche nach Ikarus und Daedalus. Ikarus und Daedalus versinken nach ihrem Versuch, wie ein Vogel zu fliegen, im Meer. Immer höher geflogen, stürzen sie in die See und schlagen auf die Boote der Flüchtlinge. Die griechische Mythologie verbindet sich mit ihrem endgültigen Schicksal.

Der Mythos ist eine Vorstellung, an die manche glauben. Er erweist sich weder als „richtig“ noch als „falsch“. Er ist der Wunsch, die „conditio humana“ besser zu verstehen. Den Mythos zu verstehen ist Qual, ein Schmerzmittel für die menschliche Existenz. Den Mythos zu „verstehen“ bedeutet „verstehen“. Politik und Philosophie sind zwei unüberbrückbare Felder. Die Tragödie, die Bestrafung durch Gott ist sinnlos. Die Bestrafung zu verstehen ist ebenfalls ein enttäuschender und sinnloser Versuch.

Übersetzung: Walter Kratner




LAMPEDUS VIDEO Realisation:

Masoud Razavy Pour Texte gesprochen von:

Walter Kratner

Fotografie f端r booklet: Franz Sattler


SA

Dr. Susanne Ramm-Weber

Kunstwissenschaftlerin, Offenburg, Deutschland

Javid Ramezani

Art director, Assistant Professor, Teheran, Iran

Dr. Stefania Severi

Kuratorin, Kunsthistorikerin, Rom, Italien

Walter Kratner

Künstler, Graz, Östereich

Masoud Razavy Pour

Visual-Media Artist, Graz, Österreich

Shmulik Krampf

Kurator, Galerie „refusalon“, San Francisco, USA

Barbara Jenner

Künstlerin, Berlin, Deutschland

TEXTE

Fery Berger

Caritas Österreich deutsch italienisch englisch farsi | übersetzung: Sharareh Sharafeh

Gregory Edwards

Künstler, San Francisco, USA


LAMPEDUSA WALTER KRATNER

VIDEO Masoud Razavy Pour

TEXTE Susanne Ramm-Weber Javid Ramezani Stefania Severi Masoud Razavy Pour Shmulik Krampf Barbara Jenner Fery Berger Gregory Edwards


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.