Magazin | Seite 29
PfäffikerIN | Juli 2013
Kommentar zum Julibild im historischen Kalender 2013
«Mer händ e schöns Dorf, ...», seit 175 Jahren! «In der Nacht vom 11ten auf den 12ten Febr. wurde der blühende Flecken Pfäffikon von der verheerenden Flamme des Feuers grösstentheils ein Schauplatz der Verwüstung.» Das steht im erschütternden «100-Jahr-Jubiläum»-Bericht im «Wochenblatt» vom 11. Februar 1938. Vor 175 Jahren wurden 8½ Häuser eingeäschert, die meisten an der Hauptstrasse, 9 bis 10 andere arg beschädigt. Mit dem Wiederaufbau konnte die breite, für damalige Verhältnisse grosszügige Strasse entstehen, die Seestrasse. Sozusagen das erste Kernzonenprojekt. «Mer händ e schöns Dorf ...», hiess es im Pfäffiker Musical von 1966, und die Seestrasse wurde als Flaniermeile, Begegnungszone und Einkaufsparadies besungen. Nehmen wir nun einen Augenschein im Dorf von den goldenen Zwanzigern bis heute, im – damals – quirligen Zentrum (eine Auswahl). Links Seestrasse rauf ... Die Vorplätze der Häuser und die Rinnsteine am Strassenrand sind gepflästert, die Strasse hat einen harten Kiesbelag und ist seit Anfang Jahrhundert elektrisch beleuchtet. Die Fassaden der ausgerichteten Häuserfronten bilden den Rahmen für das kompakte Dorfbild. Im Erdgeschoss sind Geschäfte, in den oberen Etagen Wohnungen. Täglich trifft man sich beim Einkauf im Dorf, alles ist zu haben: an der Ecke See-/Usterstrasse Fleisch und Wurst bei Metzger Meier, später Aschwanden, dann Eichmann (heute Blumenkunst), ein Haus weiter, Strasse aufwärts links gibt’s Brot und Leckereien aller Art beim Beck Huber, später Thönen, (im oberen Stock betreibt Fabrikant Fischbacher die hubersche Schoggifabrik), dann Knecht, heute Schneider’s Quer. Anschliessend in der Gartenwirtschaft zum Hirschen (heute Parkplätze) geniesst man das Feierabendbier und im «Hirschen» selbst, verwöhnt einen Familie Bühler mit Währschaftem, in den 80ern übernimmt die Familie Rüegg den «Hirschen», und heute heisst es hier «Hirschen Pub». Das ehrwürdige Haus wurde mehrmals umgebaut. Da wo heute das «Hirschen»-Säli ist, schäumten Coiffeurmeister Züst und sein Geselle die Bärte ein, wetzten die Rasiermesser und schabten die Wangen fein. «Hirschen» und Salon boten Hinterund Vorderein- bezw. -ausgang – Diskretion gehört sich. Direkt angebaut ist seit den 80er-Jahren das Fotogeschäft Prosser, wo seit den 20er-Jahren, fast ein halbes Jahrhundert lang, Guschti Ramps Schuhgeschäft war. Kinder waren begeistert von seinem Röntgenapparat für die Füsse; bei dem man durchs Guckloch das Zusammenspiel der eigenen «grünen» Fussknochen miterleben und sehen konnte, wo der Schuh drückt! Nach dem Rosshöörigässchen folgt die Myrthe. Das
schöne Wohnhaus mit Eckquadern und Schmiedeeisenbalkon gehörte zur Rosshaarspinnerei Isler (Rosshööri) und später der Familie Brandenberger. Im nächsten Haus gibt’s schon wieder Wurst: Von den 20ern bis in die 50er-Jahre bediente Familie Lampert in ihrer Metzgerei die Kundschaft. Das frische Fleisch und die Wurstwaren wurden direkt im angebauten Schlachthaus bereitet. Es übernahmen Metzger Signer, später Metzger Graf. Seit den 80er-Jahren ist es keine Metzgerei mehr, sondern ein Sportgeschäft mit wechselnden Besitzern, heute Sport Attack, das ehemalige Schlachthaus ist Materiallager. Nur ganz kurz öffnet sich die Szenerie mit einem schnurgeraden Blick zum Obermattschulhaus, und schon kommen wir zum Spritzenhäuschen der Gemeinde Pfäffikon, welches 1935 abgebrochen und durch einen Neubau mit Wohnungen ersetzt wurde. Im Parterre befindet sich ein Coiffeursalon. Kaum eine Menschendicke entfernt, Mauer an Mauer fast, steht das Modehaus mit grosser Dachzinne. In den 20ern hatte Stricker Weiss hier seine Mercerie und Bonneterie, in den 50ern die Familie Eichenberger und seit den 70ern die Familie Mühlemann mit Mode. In neuester Zeit wechseln Geschäftsleute und Branchen häufig. Nach dem anschliessenden Apothekergässchen (Durchgang zum «Grünen Hof») folgt das Haus der Sattlerei Waeber, welches der Familie seit den 20er-Jahren gehört; im ehemaligen Geschäft wirkt heute eine Job-Factory. Erfolg im waeberschen Geschäft und fehlende Erweiterungsmöglichkeiten führten zum neuen Standort Möbel Waeber in der Schanz. Direkt angebaut an idealem Geschäftsstandort steht das Haus von Coiffeur und Chirurg Kunz. Haare oder Zähne lassen gehörten hier zum Service. 1948 konnte Familie Teufer dieses Haus übernehmen und ihre Drogerie an dieser bevorzugten Lage platzieren und zum Erfolg führen. Historisch bedeutsam und das Dorfbild prägend, steht stolz der obere Dorfbrunnen mitten im Dorfplatz. ... und rechts Seestrasse runter Das über 400 Jahre alte Traditionshaus «Krone» gehört zu den drei alten Tavernen im Dorf mit dem «Hecht» (seit 1463) und dem «Löwen» in Bussenhausen (seit 1804, vergantet 1890). Die «Krone» war immer Angelpunkt für das gesellschaftliche, kulturelle und politische Leben lokal, regional und kantonal. Vor dem Bau der Eisenbahn (70er-Jahre des 19. Jahrhunderts) fanden hier Eisenbahnprozesse statt, im «Kronen»-Saal wurde getanzt und gefeiert, Vereine hielten hier ihre Versammlungen ab, Theater wurden aufgeführt, sie war Kulisse für den Film «Zum goldenen Ochsen» mit Margrit Rainer
und Schaggi Streuli 1958, und die noch wenigen Autofahrer konnten an der Zapfsäule den Tank füllen lassen. Die einstige Scheune der «Krone» wurde zum stattlichen Wohnhaus umgebaut und war jahrzehntelang im Besitz der Coiffeurfamilie Maier. Eingemietet waren verschiedenste Geschäfte, Bäckerei, Textilien, Sport, später ein Kiosk, heute Modellbau. Im direkt an- und mehrmals umgebauten Haus von Färber Schneider gab es eine «spanische Weinhandlung», die Werkstatt von Schuhmacher Behr und bis heute das Uhrengeschäft Saurer. Praktische und elegante Kleidung bot das Modehaus Howald, später Burri Moden (heute im Dorfmärt), danach in diesem Haus die Schweizer Mobiliar und seit 2005 die Firma Krebs. Den Durst löschen kann man in der lauschig-kauzigen Gartenbeiz vom «Tannzapfe» (bis 1911 Kupferschmiede), mit der markanten Tanne als Wahrzeichen, gefolgt vom «Café Zentral» mit Bäckerei, erst Müller, dann Stössel, dann Temperli und gleich daneben die Elektrowerkstatt von Heiri Risler, in die Annalen gekommen durch sein erstes Radio in Pfäffikon (mit Kopfhörern!), später Wiesmann. Der einzige noch im Dorf verbliebene Bauernhof gehörte Heinrich Bühler,
der in bester Familientradition die Scholle bearbeitete. Die drei eben erwähnten und weitere alte Häuser dahinter bis zur Rappengasse mussten 1980 der Zentrumsüberbauung «Dorfmärt» Platz machen. Klaviermusik aus dem ersten Stock begleitet Passanten und Kundschaft vor dem Laden der Liegenschaft der Geschwister Vögeli, einem gediegenen Diversicum mit Geschirr, Geschenken aller Art, Fischerei- und Tabakwaren, heute Claro-Laden. Über die Rappengasse zur Brauerei: In den 1870er-Jahren wurde hier noch Bier gebraut, später eine kleine Wirtschaft eröffnet, allerdings mit geringem Erfolg. Richtig Schwung ins Geschäft brachte erst Beny Bühler in den 20er-Jahren. 1935 liess er Scheune und Pferdestallungen in ein Restaurant umbauen, praktisch so wie wir es heute noch kennen. Vorgängerin des heutigen Wirts Bauert war die Wirtefamilie Senger. Der untere Dorfbrunnen musste dem Verkehr weichen, er fristet heute an der Brauiwand ein «Mauerblümchendasein». Ernst Bänteli, Chronist Quellen: Unterlagen Chronikstube, Zeitungsberichte; ausführlichere Auskünfte und auch den Kalender gibt es in der Chronikstube, im Platz 1.
Seestrasse 1920 mit Dorfbrunnen und Tanne
Seestrasse 2013 mit Alleebäumen