ICEBERG SERIES #2 - Amira (German)

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Bildung ist für alle. Zugang, Geschlecht, Ethnie oder jegliche Form der Behinderung sollten kein Kind davon abhalten, eine Schule zu besuchen. Durch Amira können wir einige der Herausforderungen begreifen, denen Kinder mit Behinderung gegenüberstehen. Amiras Geschichte ermöglicht es uns, Mitgefühl mit Kindern in ähnlichen oder schlimmeren Situationen zu empfinden, und uns stärker um die Ansprüche von Kindern mit Behinderung zu kümmern. Das Buch möchte inspirieren, Hoffnung bringen und zu Taten verführen, weil Bildung inklusiv sein muss.

STORY BY KIRSTEN DEALL

ILLUSTRATIONS BY HANNAH BARR


Die Eisberg-Bücherreihe wurde von der Eisberg-Infografik des Perception Change Project angeregt, einer visuellen Darstellung dessen, was Medien veröffentlichen, wenn sie hinsichtlich globaler Herausforderungen über die Vereinten Nationen berichten, und wie die Realität aussieht. Die Veröffentlichung dieses Buches wurde dank der finanziellen Unterstützung der Fondation pour Genève ermöglicht. Besonderer Dank geht an die Division of Conference Management der UN Genf, für die Bearbeitung, Übersetzung und den Druck der Bücher, sowie an die Union-Universität in Jackson Tennessee für die Illustrationen. Gedruckt von der United Nations Printing Section der UN Geneva, 2018. Autor: Kirsten Deall Bearbeitung: Daniel Sanderson Illustrationen: Hannah Barr


STORY BY KIRSTEN DEALL

ILLUSTRATIONS BY HANNAH BARR

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Die Eisberg-Sammlung Eisberg Bildung Armut Jugend Klimawandel Gender Gesundheit Rechte Frieden Die Serie wurde vom Perception Change Project des BĂźros des Generaldirektors der Vereinten Nationen in Genf erstellt.

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Inklusive Bildung Inklusive Bildung bedeutet, dass alle Kinder die gleiche Bildung erhalten, einschließlich der Kinder, die in der Regel benachteiligt werden, (wie Kinder mit Behinderung, Mädchen, Kinder in abgelegenen Dörfern oder sehr arme Kinder). Inklusive Bildung beruht auf der einfachen Idee, dass jedes Kind und jede Familie gleichwertig ist und dieselben Möglichkeiten haben sollten, an alltäglichen Aktivitäten teilzunehmen, unabhängig davon, welcher Ethnie sie angehören, welchen sozialen Hintergrund, welches Geschlecht, welchen wirtschaftlichen Status oder Behinderung sie haben, sei sie verborgen oder offen. Bei der inklusiven Bildung geht es darum, anzuerkennen, dass Schulen notwendig sind, die nicht nur einigen Schülern offenstehen, sondern allen. Es geht darum, das Lernen so auf individuelle Bedürfnisse anzupassen und zu verändern, dass alle Kinder eine hochwertige Bildung genießen können. Lange Zeit wurden Kinder mit Behinderungen in getrennten Klassen oder Schulen unterrichtet. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, dass eine besondere Bildung auch getrennte Bildung bedeutet. Aber wenn Kinder mit Behinderung Schulklassen mit Klassenkameraden ohne Behinderung besuchen, schöpfen sie daraus soziale und akademische Vorteile, solange dies gut geplant und unterstützt wird und man sich dafür einsetzt. Kinder mit und Kinder ohne Behinderung einfach zusammensetzen führt nicht zu positiven Ergebnissen. Sinnvolles Lernen und sinnvolle Teilnahme ist für Kinder mit Behinderung wichtig. Manchmal wirkt die Hilfe von Freunden oder Lehrern am Besten. In anderen Fällen helfen besonders gestaltete Materialien oder Technologien ebenso. Es ist für Schulen wichtig, sämtliche Kinder unterzubringen, unabhängig von den physischen, emotionalen, sozialen, linguistischen oder sonstigen Bedingungen, da Bildung ein Recht und kein Privileg der Kinder ist.

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Mein Name ist Amira. Ich bin eine Lehrerin für eher ungewöhnliche Kinder, und ich möchte meine Geschichte erzählen. Als ich aufwuchs, gab es in den Schulen meiner Umgebung hauptsächlich Jungen, keine Mädchen. In meinem Land durften Jungen lernen und Mädchen heirateten. Da mein Vater sich an die Tradition hielt, suchte er nach einem Ehemann für mich, den ich mit 10 heiraten konnte. Ich verstand nicht, was die Ehe bedeutete und freute mich wegen den Dingen, die mir mein Vater erzählte, darauf, 10 Jahre alt zu werden. Er sagte mir jedoch nicht, dass ich nicht in die Schule gehen dürfte.

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Meine Mutter hatte eine andere Meinung als mein Vater. Als ich drei Jahre alt war, begann sie mir Bücher vorzulesen. Sie sagte, dass ich die Wörter auf den Seiten gerne betrachtete und dies änderte sich auch nicht, als ich älter wurde. Meine Mutter wusste, dass mein Vater nicht wollte, dass ich lerne. Deshalb versteckte sie die Bücher, bevor er abends nach Hause kam. Nach einiger Zeit war sie der Ansicht, dass es gut wäre, eine Schule für mich zu suchen. Das bedeutete, dass ich eine weit entfernte Schule besuchen musste, wo mich unsere Nachbarn nicht sehen würden. Deshalb brachte mich meine Mutter jeden Tag zur Vorschule, nachdem mein Vater zur Arbeit gegangen war. Die Fahrt zur Schule und die Rückkehr war für mich immer der schrecklichste Teil davon. Ich hatte Angst, dass mein Vater uns erwischen würde.

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Manchmal war es zu gefährlich für mich, zur Schule zu gehen. Jeden Morgen wachte ich in der Hoffnung auf, dass ich die Schule nicht verpassen würde. Ich liebte das Lernen, neue Freunde zu finden und dort zu essen. Die Lehrer gaben uns jeden Tag etwas zum Mittagessen. Wir aßen unterschiedliche Sandwiches und Früchte und an den Freitagen gab es etwas ganz Besonderes, wie zum Beispiel Hähnchen und Reis. Ich genoss das Essen, da es anders war, als das Essen meiner Mutter. Meine Mutter arbeitete auf dem Bauernhof ihres Cousins, pflanzte Setzlinge ein, trug die Ernte zur Mühle und zog Hühner auf. Ein Fahrer brachte sie zum Hof und wieder zurück. Als Frau durfte sie nicht alleine in der Öffentlichkeit gesehen werden. Ich half meiner Mutter oft auf dem Hof, wenn ich nicht zur Schule gehen konnte.

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Ich erinnere mich deutlich an einen Tag, an dem wir in der Vorschule „Kaputtes Telefon“ gespielt haben. Die Kinder sitzen in einem Kreis und flüstern ihrem Nachbarn eine Botschaft ins Ohr. Die Botschaft sollte eigentlich einmal im Kreis gehen, ohne sich zu verändern, aber meistens tut sie das. Es macht ziemlichen Spaß ... Nun, für die meisten Kinder jedenfalls. Ich habe jedoch eine schlechte Erinnerung daran. Als man mir die Botschaft ins Ohr flüsterte, konnte ich nicht verstehen, was gesagt wurde. Das Mädchen neben mir wiederholte die Botschaft ein paar Mal. Meine Klassenkameraden sahen zu und warteten. Einige kicherten. Das Mädchen flüsterte die Botschaft ins andere Ohr, mit dem ich besser hören konnte, aber mittlerweile flüsterte sie schon nicht mehr.

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Der Lehrer erkannte als Erster, dass ich ein Hörproblem hatte und empfahl mir ein öffentliches Krankenhaus. Die Ärzte bestätigten, dass ich nicht so gut hören konnte wie andere Kinder. Meine Mutter sagte meinem Vater, dass ich ein Hörproblem hätte, schaffte es aber, geheim zu halten, dass ich zur Schule ging. Daraufhin wurde ich mehrmals am Ohr operiert. Es war eine große finanzielle Belastung für meine Familie, aber mein Vater bestand darauf, dass mein Gehör in Ordnung gebracht werden musste. Er sagte, dass jede Art der „Behinderung“ meine Chancen senken würde, früh verheiratet zu werden. Ich erinnere mich gut an diese Krankenhäuser. Die Piepsgeräusche der Maschinen und den Geruch der Untersuchungszimmer werde ich nie vergessen. Das öffentliche Krankenhaus war nicht so toll. Die Instrumente waren schmutzig, so dass ich häufig Ohrinfektionen hatte. Es gab so viele Patienten und so wenige Ärzte. Die Ärzte hatten nicht genug Zeit, sich um mich zu kümmern oder mir zuzuhören.

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Die Operationen waren erfolgreich und mein Hörvermögen verbesserte sich, aber ich wurde dennoch häufig daran erinnert, dass mein Gehör auf bestimmte Weise eingeschränkt war. Häufig wurde ich vom Spielplatz der Schule gerufen, um zum Logopäden zu gehen. Wenn ich dann wegging, sah ich immer auf den Boden. Ich wollte mir nicht eingestehen, dass meine Freunde den Lehrer fragen würden, warum ich jetzt ginge. Ich war dennoch tapfer. Ich beschwerte mich nie. Aber ich wusste, dass ich anders war. Die Therapeutin war eine nette und freundliche Dame, die dafür sorgte, dass mir die Sitzungen Spaß machten, aber dennoch wollte ich dort nicht sein.

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Meine Eltern redeten mit den Ärzten über den Zustand meines Gehörs in einem der Zimmer des Krankenhauses, während ich draußen auf einer Bank wartete. Meine Mutter würde die Informationen dann an die Lehrer meiner Schule weitergeben, aber davon bekam ich nicht viel mit. Sie tat, was sie für das Beste hielt und sie war der Meinung, dass es mir nur unnötige Sorgen bereiten würde, wenn sie mir die Einzelheiten erklären würde. Deshalb verstand ich nie wirklich, was mein Problem war. Und ich wusste auch nichts von meinen Möglichkeiten.

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Aber von den Gesprächen der Erwachsenen ausgeschlossen zu werden, war nicht der einzige Grund, warum ich mich ausgeschlossen fühlte. Obwohl ich auf eine gewöhnliche Grundschule ging, fühlte ich mich nie zugehörig. Die Lehrer waren nicht darauf vorbereitet, Kinder mit Behinderung in den Unterricht miteinzubeziehen, egal ob es sich um kleine oder große Behinderungen handelte. Vor den Augen aller Klassenkameraden bat mich der Lehrer, in der ersten Reihe zu sitzen und fragte mich, ob ich gut hören könne. Das war mir sehr peinlich. Meine Freunde waren zwar neugierig, waren sich aber auch nicht sicher, wie sie mit jemandem wie mir, der zusätzliche Aufmerksamkeit benötigte, umgehen sollten.

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Nach der Grundschule sprach mein Vater zunehmend davon, dass ich heiraten solle. Die Männer von denen er sprach, waren alle sehr alt, beinahe so alt wie mein Vater. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ein Alter erreicht, in dem mir klar wurde, dass ich nicht so früh schon eine Ehefrau sein wollte. Ich konnte meinen Schulbesuch nicht mehr vor meinem Vater verstecken, also sagte ich es ihm. Ich sagte ihm, dass ich mich für Bildung, nicht für einen Ehemann entschieden hatte. Meine Mutter sagte häufig, dass ich einen sehr starken Willen hätte, aber sie wusste nicht, dass ich voller Angst war. Mein Vater reagierte, wie ich es erwartet hatte. Er sagte, wenn ich mich für die Bildung entscheiden würde, würde er mich verstoßen. Das ging mir sehr zu Herzen. Ich hatte sonst niemanden auf der Welt. Ich würde alle meine Freunde, mein Zuhause, alles zurücklassen müssen, was mir vertraut war. Ich konnte den Gedanken, meiner Mutter auf Wiedersehen sagen zu müssen, nicht aushalten. Nur wegen ihr liebte ich das Lernen. Ich war mir auch bewusst, dass er meine Mutter dafür bestrafen würde, dass sie mich insgeheim auf die Schule geschickt hatte. Nachdem mir meine Mutter Mut gemacht hatte, verließ ich das Haus.

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Ich beendete die Schule mit Hilfe des Geldes, das mir meine Mutter gab und des Geldes, das mir meine Ferienarbeit als Kinderbetreuerin eingebracht hatte. Dann strebte ich mit Hilfe von Stipendien einen Universitätsabschluss an. Ich habe mein Studium abgeschlossen und war unter den besten Studenten. Kurz darauf wurde mir eine Stelle als Grundschullehrerin für Kinder mit Behinderung angeboten. Wegen meines Hintergrunds konnte ich eine Menge erreichen, aber am meisten bedeutete es mir, Kinder mit Behinderung zu betreuen. Meine „Behinderung“ schränkte meine Möglichkeiten nicht ein. Es ging nicht darum, was die Umstände aus mir machen wollten. Ich konnte mein Potential so gut ausschöpfen, dass ich es selbst kaum glauben mag.

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Ich bin Amira. Ich bin kein Superheld – die Welt braucht keine Superhelden. Die Welt braucht normale Menschen wie dich und mich, die zuhören können. Ohne Zuhören kann es kein Verständnis geben, und die Welt muss die Bedürfnisse anderer verstehen, um diese zu verstehen.

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„Das Wichtigste ist, dass Personen (mit Behinderung) in die Schulen integriert werden und den ganzen Tag hindurch Teil des Bildungsplans sein müssen, auch bei außerschulischen Aktivitäten.“ Ed Polloway, Rosel H. Schewel Distinguished Professor in Education

„Wir kämpfen für die Inklusion, um die Ungleichheiten zu beseitigen, die daran Schuld sind, dass 263 Millionen Kinder und Jugendliche keine Schule besuchen können. Die Mehrheit davon sind Mädchen.“ Irina Bokova, Generaldirektor der UNESCO „Inklusive Bildung geht die gesamte Gesellschaft etwas an und verlangt, dass man zuhören und auf Fragen antworten kann, die von Gemeinschaften und Familien nach den angemessensten Lernbedingungen für die Kinder gestellt werden. Renato Oppertti, Senior Programme Specialist, International Bureau of Education

„Eins von sieben Kindern hat eine Behinderung. Sie werden benachteiligt, indem man ihnen ihre Rechte verwehrt. Sie können nicht in die Schule gehen, weil es keine Rampen für Rollstühle gibt; es gibt zwar Toiletten, die aber nicht für Kinder mit Behinderung geeignet sind. Die Lehrer sind nicht entsprechend ausgebildet, so dass sie Schwierigkeiten haben, Kinder mit einer Seh- oder Hörbehinderung zu unterrichten. Autistische Kinder gehen in Sonderschulen. Im September 2015 einigte sich die globale Staatengemeinschaft darauf, für eine inklusive Bildung einzustehen, um dafür zu sorgen, dass jedes Kind in die Schule gehen kann. Jede Schule muss Räumlichkeiten bieten, die inklusiv sind und in denen effektives Lernen möglich ist. Die Kinder mit Behinderung werden bis 2030 Zugang zu allen Bildungseinrichtungen haben. Sie können sich berufliche Fähigkeiten aneignen, die in angemessenen Berufsfeldern benötigt werden.“ Mosharraf Hossain, Country Director ADD International


TRIFF die Wahren

Helden

Amira ist nur eine erfundene Geschichte. Aber es gibt viele wahre Geschichten wie ihre, in denen Kinder große Hindernisse überwinden müssen, um eine Ausbildung zu erhalten.

Michaela ‘Chaeli’ Mycroft wurde mit zerebraler Lähmung geboren und kann ihre Arme und Beine nicht vollständig einsetzen. 2012, im Alter von 17 Jahren, wurde ihr der Internationale Friedenspreis für Kinder für ihre Arbeit bei der Förderung von Rechten für Kinder mit Behinderung in Südafrika verliehen. 2004 gründete die neunjährige Chaeli gemeinsam mit ihrer Schwester und drei Freunden die ChaeliKampagne, die sich für die Rechte und die Inklusion von Kindern mit Behinderung in ganz Südafrika einsetzt. Die Chaeli-Kampagne ist eine Organisation, die Kindern mit Behinderung Geräte, Physiotherapie und Programme zur Verfügung stellt. Sie schafft auch Ausbildungsprogramme, welche die Inklusion von Kindern mit Behinderung an gewöhnlichen Schulen unterstützt. „Wir glauben, dass eine inklusive Bildung möglich ist, wenn man die Menschen mit Behinderung unterstützt.“ sagt Chaeli, und fügt hinzu, dass auch die Familien, Lehrer und Studenten, die Teil des Lebens des Kindes sind, ebenfalls Unterstützung benötigen. „Ein erster Schritt hin zu einer inklusiven Bildung besteht darin, die Kinder in gewöhnlichen Umgebungen unterzubringen.“, sagt Chaeli. Quelle: UNICEF Malik, ein sechsjähriger Junge aus Togo, wurde mit einer Behinderung geboren, die es ihm unmöglich macht, zu gehen. Plan International unterstützte ihn bei der Operation und Rehabilitation, die er benötigte, um sich erholen und zur Schule gehen zu können. Plan International schult auch Lehrer an seiner Schule über die Arbeit mit Kindern mit Behinderung. „Als Malik zum ersten Mal in die Schule gebracht wurde, wurde er heftig diskriminiert“, sagte sein Lehrer, Herr Koula. „Seit wir die Schüler über Maliks Behinderung aufgeklärt haben, mögen Sie ihn ebenso gerne, wie wir Lehrer.“ Maliks Lehrer wurden dafür ausgebildet, ihm eine hochwertige Bildung zu ermöglichen.

Quelle: Plan International Sabina, 12 Jahre alt, die in der ländlichen Balkh-Provinz in Afghanistan aufwuchs, sagt: „Meine Schwester schloss das erste Jahr an der Schule ab, aber dann war es ihr zu viel und sie brach ab. Sie musste jeden Tag vier Stunden für eine Strecke zur Schule zu Fuß gehen, und das wurde ihr zu viel.“ Sabina konnte mit 10 anfangen zu lernen, nachdem ihre Familie in die Stadt Mazar-e Sharif zog. Ihre Schwester wurde, nachdem sie die Schule verlassen hatte, im Alter von 15 oder 16 Jahren verheiratet.


Viele Mädchen in Afghanistan kämpfen sehr darum, lernen zu dürfen. Andere haben Familien, die für sie kämpfen - sie ziehen ans andere Ende der Stadt oder des Landes, um eine Schule zu finden, oder sie schicken sie zu entfernt lebenden Verwandten, die in der Nähe einer Schule leben. Ganze Familien haben sich verschworen, um Mädchen gegen den Willen des Vaters auf eine Schule zu schicken. Mädchen, die noch immer mit Spielzeug spielen, sind ausreichend geschult, um über die Angriffe der Taliban auf Bildungseinrichtungen, Bombenanschläge und die Leistung der afghanischen Armee zu diskutieren. Sie haben Familienmitglieder, die getötet oder verwundet wurden, Familienmitglieder, die das Land aus Sicherheitsgründen verlassen haben, und Eltern, die den Tod ihrer Kinder nie überwunden haben. Was die Arbeit betrifft, müssen viele Mädchen Teppiche knüpfen, nähen, sticken oder einen Haushalt führen - was sie vom Lernen abhält. Zu viele Mädchen wurden als Kinder verheiratet und eine Heirat und selbst eine Verlobung macht eine Ausbildung unmöglich. Wenn Mädchen die Gelegenheit gegeben wird, in Afghanistan eine Schule zu besuchen, lernen sie in der Regel abseits von den Jungen. Aber die Regierung stellt Mädchen wesentlich weniger Schulen zur Verfügung, als den Jungen. In einem nachweislichen Fall, erhielten die Jungen den Unterricht in neuen Gebäuden, die von internationalen Spenden gebaut wurden, während die Mädchen nebenan in Zelten unterrichtet wurden. Einige Mädchen wiederum werden von ihren Familien von der Teilnahme abgehalten, weil die Lehrer Männer sind; nur die Hälfte der afghanischen Provinzen haben Schulen, in denen mehr als 20 % des Kollegiums Frauen sind. Armut spielt eine wichtige Rolle dabei, ob Kinder eine Ausbildung erhalten. Die staatlichen Schulen sind kostenlos, aber selbst die Kosten für Bleistifte, Schreibhefte, Schulranzen und Uniformen sind für viele bereits zu hoch. Quelle: Human Rights Watch Zarifa, 17 Jahre alt, ist mit 30 bis 35 Mädchen ihrer kabuler Nachbarschaft in eine Schule gegangen, die von einer nichtstaatlichen Organisation eingerichtet wurde, und wechselte dann auf eine staatliche Schule. Die meisten Klassenkameraden haben abgebrochen. „Es sind nur sehr wenige geblieben“, sagt sie. „Einige haben geheiratet, einige Familien haben es ihnen nicht gestattet, weiterzumachen, einige hatten Sicherheitsprobleme ... Es gibt zu viele Schüler, man kann sich nicht um alle kümmern“ sagt sie. „Es gibt nicht genügend Stühle, Lehrer oder Klassenzimmer. Es ist zu voll - einige lernen sogar in Zelten. Es mangelt an Büchern. Es gab einen Zeitpunkt, an dem ich gar keine Bücher hatte.“ Sechs Jahre später lernten nur noch 8 bis 10 der ursprünglich 35 Mädchen, die mit ihr zur Schule gingen. „Ich ließ einfach nicht zu, dass ich abbrach“, sagt Zafira. „Ich hatte versprochen zu bleiben und meinen Abschluss zu machen.“ Quelle: Human Rights Watch

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Francisca hatte keine Wahl. Während der dritten Klasse der Grundschule musste sie die Schule abbrechen. Sie nahm die Arbeit in den Feldern auf und passte auf ihre Geschwister auf, um ihre Eltern zu unterstützen. Für die meisten eingeborenen Mädchen in Guatemala, die aus armen Familien mit vielen Kindern kommen, steht eine Schulausbildung außer Frage. Seit 2018 unterstützt der UNESCO Malala-Fond für das Recht von Mädchen auf Ausbildung die Schaffung von Bildungsprogrammen für Mädchen und junge Frauen von Totonicapán in Guatemala mit der Errichtung von zwei UNESCO Malala-Zentren. Das neue Projekt, das von dem Guatemala-Büro der UNESCO geführt wird, zielt darauf ab, Bildungsrechte durchzusetzen, vor allem von Personen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Armut oder weil sie aus einer ländlichen Gegend stammen, benachteiligt sind. Als Francisca 19 Jahre alt wurde, sind Vertreter des Projekts in ihre Gemeinschaft gekommen und haben ihr angeboten, sie bei ihrer Ausbildung im Rahmen des Beschleunigten Primärprogramms des Bildungsministeriums zu unterstützen. Mit dieser Unterstützung konnte Francisca die Grundschule abschließen. Sie arbeitet nun als Köchin in einer Caféteria, wo sie Geld für sich und ihre Familie verdient. Sie träumt davon, die High School abzuschließen und weiterzulernen, um eine professionelle Köchin zu werden. Für Francesca „ist Bildung ein Nahrungsmittel, das uns wachsen lässt“. Quelle: UNESCO Fardowsa Bile Abdullahi, 17 Jahre alt aus Somalia sagt: „Ich bin ein völlig anderer Mensch, seit ich lesen und schreiben gelernt habe. Meine Familie vertraut mir ihre Geschäfte an, da ich rechnen und Buchungen tätigen kann, was ich alles im Zentrum gelernt habe.“ Fardowsa ist unter den jungen Mädchen, die vom Alphabetisierungs- und Lebensfähigkeiten-Projekt profitieren, das von der Al Maktoum-Stiftung finanziert und von der UNESCO umgesetzt wurde. Fardowsa hatte wegen der zivilen Unruhen und den Kämpfen im Land nicht die Gelegenheit, als Kind auf eine Schule zu gehen und zu lernen. Eine Grundausbildung stand nur den Wenigen offen, die sie sich leisten konnten, da die meisten Bildungsbetriebe privat betrieben wurden. „Eines Tages, als ich zum Markt ging, erzählte mir ein Freund von der Möglichkeit, das Somalia National Women’s Community Training Centre zu besuchen. Ich ging sofort zu diesem Zentrum, um die Kurse für Alphabetisierung, Zahlen und Unternehmertum zu belegen“, sagte Faradowsa. „Dies ist eine kostenlose, einmalige Gelegenheit für Lernende wie mich, die nie die Gelegenheit hatten, etwas zu lernen.“ Quelle: UNESCO

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8STATISTIK JEDE

ist ein

PERSÖNLICHER ERFOLG

Dies sind nur einige wenige Beispiele der positiven Statistiken, die eigentlich eine Schlagzeile wert wären. Da sich die Zahlen täglich verändern, können Sie die aktuellsten Informationen auf den Webseiten der entsprechenden Organisationen nachlesen. •  Am 20 Januar 2016 wurde in Zimbabwe die Kinderehe verboten. • Seit 2016 wird in der Republik Moldavien verlangt, dass mindestens 40 % der Bewerber für politische Ämter und für das Kabinett Männer und Frauen sind (UN-Women). • In Bangladesch, kamen 1,24 Millionen Mädchen aus 6.700 weiterführenden Schulen in den Genuss des Qualitätsund Zugangsverbesserungsprojekts für Weiterführende Schulen der Weltbank. •  In Ghana profitieren 3.450 Mädchen der Oberstufe (im Alter zwischen 15 und 17 Jahren) von Stipendien des Secondary Education ImprovementProjekts, welches für das Schulgeld und sonstige Lernmittel für die drei Jahre der Oberstufe aufkommt, etwa Bücher und Uniformen. •  In Pakistan gibt es einen Zuwachs von 9 % mehr Schülerinnen in öffentlichen Schulen, was mit der Hilfe des World Bank Punjab Education Sector-Projekts erreicht werden konnte, welches Schulgeldgutscheine für 150.000 gefährdete jugendliche Mädchen sowie Bargeldstipendien für 400.000 Mädchen in Gebieten mit geringer Alphabetisierungsrate zur Verfügung stellt, damit diese motiviert werden, weiterführende Schulen zu besuchen.

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• In Nigeria stieg die Anzahl der Mädchen, die eine weiterführende Schule abgeschlossen haben, zwischen 2007 und 2011 von 7 % auf 34 % - derselbe Zeitraum, den das Staatliche Bildungssektor-Projekt der Weltbank Bestand hat. •  1,2 Millionen Kinder weltweit erhalten im Jahr 2016 eine Schulausbildung, die auf die Sponsorenprogramme für Kinder von Plan Internationals zurückzuführen sind. • Plan International hat dafür gesorgt, dass 2016 2,8 Millionen Menschen ausgebildet wurden, um Kinder zu unterrichten. • Plan International hat 2016 17,1 Millionen Mädchen durch die Schulungsprogramme gefördert. • Plan International hat 2016 15,5 Millionen Jungen durch die Schulungsprogramme gefördert. •  97 Millionen € wurden von Plan International 2016 in das Recht auf Bildung investiert.


International Geneva Genf nimmt nur einen kleinen Streifen Land in der Schweiz ein, verfügt über einige der bekanntesten Qualitäten der Schweiz. Die wunderschöne Landschaft begeistert Besucher, die zum ersten Mal hier sind, ein wettbewerbsfähiges Finanzzentrum zieht zahlreiche Kulturen an und alle Bewohner genießen einen hohen Lebensstandard, viel wichtiger ist jedoch, dass sich in Genf die größte Anzahl internationaler Organisationen befindet. Daher stammt auch der Begriff „Internationales Genf“. Es begann alles 1863 mit der Gründung des Roten Kreuzes in Genf, das es sich zum Ziel machte, die Leben von Verwundeten und Leidenden aus bewaffneten Konflikten zu schützen. Heute kümmert sich die Stadt nicht nur um humanitäre Bedürfnisse, sondern auch um Frieden, Gesundheit, Wissenschaft, Menschenrechte, Migration, Klimawandel und vieles mehr. International Geneva vereint internationale Organisationen, akademische Einrichtungen, eine internationale Wirtschaftsgemeinschaft, viele nichtstaatliche Organisationen und die ständigen Vertreter der 179 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. International Genevas Einfluss reicht weit über Genf hinaus und der Leuchtturm, der ihre Arbeit leitet, ist die Agenda 2030. Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung geben den Weg vor, den International Geneva gemeinsam mit vielen weltweiten Partnern im Kampf gegen Armut, Gewalt, für den Schutz des Planeten und für andere Ziele geht. Genf ist vielleicht eine kleine Stadt, übt aber einen großen Einfluss aus. Es ist die größte Kleinstadt der Welt. Es ist die Stadt des Friedens, in der die Welt an Lösungen arbeitet.

Nachhaltige Entwicklungsziele In einer Zeit, in der wir mit negativen Nachrichten überschwemmt werden, kann man sich leicht entmutigt und schlecht ausgerüstet fühlen, um unsere Welt, in der wir leben, zu verbessern. Zum Glück hat die weltweite Staatengemeinschaft die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklungsziele ins Leben gerufen: 17 Ziele, die eine humanitäre Roadmap zur Verbesserung unseres Planeten darstellen. Die Ziele betreffen jeden, sie lassen niemanden zurück. Sie sind alle miteinander verbunden und deren Erreichen liegt in der Verantwortung aller. Wir haben alles was wir benötigen, damit jeder Mensch aufblühen und sein gesamtes Potential ausschöpfen kann. Schaffen wir gemeinsam eine Welt, in der Frieden, Rechte und Wohlergehen Realität sind.

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Perception Change Project J edes Mal, wenn die Leute zum ersten Mal von den Vereinten Nationen hören, entdeckt man ein Leuchten in ihren Augen. Vor allem bei Kindern. Es gibt kein Gefühl, das uns so sehr tröstet und beruhigt, wie zu wissen, dass es eine Organisation gibt, welche die gesamte Welt unter dem Banner von Frieden, Rechten und Wohlergehen zusammenbringt. Es erübrigt sich zu erklären, warum eine solche Organisation dringend benötigt wird. Wir alle wissen warum. Es gibt sie für jeden Einzelnen von uns. Und sie befindet sich im Internationalen Genf. Gleichzeitig versiegt dieses Gefühl der Ehrfurcht und der Sicherheit rasch wieder, da wir in turbulenten Zeiten leben und natürlich, weil die Realität anders aussieht. Wir erleben gute und schlechte Zeiten und müssen uns ständig neuen Herausforderungen stellen. Nachrichten konzentrieren sich häufig auf das Negative, während wir das Positive als selbstverständlich ansehen. Es liegt in unserer Natur, das Augenmerk auf die Dinge zu richten, die in Ordnung gebracht werden müssen, statt das zu feiern, was wir gut können. Aber der Auftrag und der zugrundeliegende Einfluss der Arbeit der Vereinten Nationen und deren Partner bleibt immer derselbe, und wir erkennen das im Alltag nicht immer. Die gute Nachricht ist, dass die Konstellation von Organisationen, aus denen sich International Geneva zusammensetzt, immer noch da ist, und sie noch immer ihrer edlen Mission nachgehen. Und sie gehört uns allen. Damit sie Erfolg haben kann, müssen wir ihren Wert und ihren Einfluss schätzen lernen und sicherstellen, dass sie in der Lage ist, ihre ursprünglichen Ziele zu verfolgen. Darum geht es beim Perception Change Project und es hat jedes Mal dann Erfolg, wenn die Augen einer Person aufleuchten, wenn Sie über die Vereinten Nationen hört, so als sei es das erste Mal.

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Die Eisberg-Bücherreihe wurde von der Eisberg-Infografik des Perception Change Project angeregt, einer visuellen Darstellung dessen, was Medien veröffentlichen, wenn sie hinsichtlich globaler Herausforderungen über die Vereinten Nationen berichten, und wie die Realität aussieht. Die Veröffentlichung dieses Buches wurde dank der finanziellen Unterstützung der Fondation pour Genève ermöglicht. Besonderer Dank geht an die Division of Conference Management der UN Genf, für die Bearbeitung, Übersetzung und den Druck der Bücher, sowie an die Union-Universität in Jackson Tennessee für die Illustrationen. Gedruckt von der United Nations Printing Section der UN Geneva, 2018. Autor: Kirsten Deall Bearbeitung: Daniel Sanderson Illustrationen: Hannah Barr


Bildung ist für alle. Zugang, Geschlecht, Ethnie oder jegliche Form der Behinderung sollten kein Kind davon abhalten, eine Schule zu besuchen. Durch Amira können wir einige der Herausforderungen begreifen, denen Kinder mit Behinderung gegenüberstehen. Amiras Geschichte ermöglicht es uns, Mitgefühl mit Kindern in ähnlichen oder schlimmeren Situationen zu empfinden, und uns stärker um die Ansprüche von Kindern mit Behinderung zu kümmern. Das Buch möchte inspirieren, Hoffnung bringen und zu Taten verführen, weil Bildung inklusiv sein muss.

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