PASTA! Juni 2015 - Oans, zwoa, g'suffa!

Page 57

HERBERT GRANTELT

SAUDEPP 4.0 Herbert in den Abgründen der Daten-Exhibitionisten TEXT > CHRISTIAN GÖTZ

E

s ist schon ein Drama mit der neuen Welt. Und das im doppelten Wortsinn. Doch fangen wir mal mit den Amerikanern an – Sie wissen schon, das sind diese gwamperten Pick-up-Fahrer jenseits des Atlantiks. Natürlich entschuldige ich mich ausdrücklich für dieses unappetitliche Klischee. Ich weiß auch nicht, warum mir beim Stichwort Amerika immer gwamperte Pick-up-Fahrer einfallen, die den Klimawandel mit der Begründung abstreiten, dass God this selfverfreelight would never do to the greatest country in the world. Zumal es hier um die Schlaubären im Reich der Übersee-Dinosaurier geht. Die bewegen sich zwar auch ungern, doch was sie nicht in den Beinen haben, machen sie wett durch schier grenzenlose Neugier. Und sie wollen so viel wissen. Wie und wo wir leben, was wir kaufen, sagen, träumen, hoffen. Denn für all das gibt es schließlich passende Produkte, die sie uns dann durch gezielte Werbung in Facebook und Co. unterjubeln können. Gut, teilweise stellen die sich immer noch ganz schön dämlich an mit ihren Algorithmen. So erhalte ich beispielsweise seit dem

JUNI 2015

Lektorat eines Modemagazins Werbung für Übergrößen-Bikinis – und muss gleich wieder an die Amerikaner denken. Immerhin kann man sich gegen diese Art der Ausspähung noch (!) wehren; am besten, indem man sein Gehirn benutzt und (im Laden!) kauft, was man benötigt. Richtig ätzend wird’s erst dort, wo für die meisten von uns Gegenwehr unmöglich ist. Nehmen wir mal die NSA, jene hochtechnisierte Selbsthilfegruppe paranoider Verschwörungstheoretiker, die uns unbedingt nackt sehen wollen. Nackte Bürger, nackte Firmen, nackte Ministerien – und eine Nutte namens BND, die fleißig dafür sorgt, dass beim Europa-Porno stets beste Drehbedingungen herrschen.

G O O D N I G H T,

OLD EUROPE« Ärgerlich das alles. Doch mal ganz ehrlich: Wie sehr haben Sie sich in letzter Zeit darüber echauffiert? Mehr als über die wieder gestiegenen Spritpreise? Oder gehören Sie gar zu der Fraktion von Hirndübeln, die

mit dem Hinweis darauf, nichts zu verbergen zu haben, freiwillig ihren letzten Datentanga lüften – zum Beispiel der Krankenkasse per Fitness-App? Oder der Autoversicherung per Fahrverhalten-Telematik? Oder sympathisieren Sie gar mit den Flachbirnen in England, die dem Arbeitgeber ihre Schlafdaten übermitteln, damit er im Bedarfsfall bei der Produktivitätsoptimierung behilflich sein kann? Warum nicht gleich noch Vibrator, Sneakers oder das Scheißhaus vernetzen? iFick, iSchweiß, iScheiß. Sexuelle Zufriedenheit, frische Socken und guter Stuhlgang sind schließlich essenziell für ein langes, produktives (Arbeits-)Dasein. Ich weiß nicht, wer diesen gleichgeschalteten Demokratie-Totengräbern ins Hirn geschissen hat – fest steht nur: Diese Jauche aus Dummheit, Politikferne, Untertanenmentalität und Gesundheitsapostelei gehört … ausgenutzt. Noch ein bisschen Retro-Charme dazu (ist ja zurzeit auch schwer im Trend) und fertig ist der totally personal arbeitgeber- und krankenkassenconnected Shabby-Chic-Life-Coach. Good Night, Old Europe. 57


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
PASTA! Juni 2015 - Oans, zwoa, g'suffa! by Pasta! Passauer Stadtmagazin für Genusskultur - Issuu