Bel.-Perspektiven 48 Frühjahr 2010

Page 15

Innenpolitik

Verband beruhigen, würde sich diese These bestätigen. Wobei auch ein sanfteres staatliches Vorgehen keine dauerhafte Lösung für den Konflikt wäre. Eigentlich gibt es nur zwei Varianten: entweder erkennt die belarussische Regierung den Flügel um An żelika Borys an – oder die beiden Verbände werden unter einer neutralen Führung wieder vereint. Nach den monatelangen Auseinandersetzungen zwischen dem „alten“ Flügel auf der einen

sowie der Staatsmacht und ihrer „neuen“ Union auf der anderen Seite ist jedoch fraglich, ob der Borys-Fraktion an einer solchen Lösung gelegen wäre. Schließlich könnte in einem wiedervereinigten Polenverband die vom Regime geförderte prostaatliche Übermacht schnell den regimekritischen Flügel niederringen. Die Abtrünnigen um An żelika Borys werden also aller Wahrscheinlichkeit nach für ihren eigenen Verband kämpfen.

Zu den Waffen? Nach wie vor gibt es in Belarus kein Zivildienst-Gesetz, obwohl die Verfassung einen solchen Dienst ausdrücklich gestattet. Pech für Verweigerer: Im Frühjahr wurden wieder drei von ihnen zu Geld- und Freiheitsstrafen verurteilt. Gennadij Kesner, Minsk Das belarussische Gesetzbuch sieht für Wehrdienstverweigerer Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren vor. Bei Betrugsversuchen, vorgetäuschten Krankheiten oder gefälschten Dokumenten kann die Strafe auf bis zu fünf Jahre erhöht werden. Am ersten Februar wurde in Minsk Ivan Michajlov, ein gläubiger messianischer Jude, zu drei Monaten Haft verurteilt. Er hatte sich geweigert, den Wehrdienst zu absolvieren. Nach Aussagen von Valentin Stefanovič, Mitglied der Menschenrechtsorganisation Ves‘na, hatten sich die Eltern von Michajlov mehrfach mit der Bitte um einen alternativen Dienst an das Verteidigungsministerium gewendet. Stefanovič fasste das ernüchternde Ergebnis der Bemühungen zusammen: „Die Antworten der Abteilung liefen alle darauf hinaus, dass Michajlov höchstens zur Reservetruppe gehen könnte, weil es keinen Zivildienst in Belarus gäbe.“ Allerdings, meinte Stefanovič, habe Michajlov seines Wissens nach auch keinen Einberufungsbescheid erhalten. Die Verurteilung entbehre damit ihrer Grundlage. Kein Einzelfall, meint Stefanovič. In diesem wie auch schon im vergangenen Jahr habe es mehrere ähnliche Fälle gegeben, in denen Gewissensverweigerern kurzerhand der Prozess gemacht worden sei. Auch Evgenij Jakovenko aus Gomel‘ wurde mit einer Geldstrafe bestraft, weil er am 20. Dezember ohne ausreichende Begründung nicht der Einberufung gefolgt war. Das Gericht berücksichtigte dabei nicht, dass Jakovenko zuvor mehrfach das Verteidigungskommissariat angeschrieben und um eine Alternative zum Wehrdienst gebeten hatte. Auch die 02 / 10  Nr. 48

Bitten von Dmitrij Smyk ignorierten die Behörden einfach: Der junge Anhänger der Zeugen Jehovas wurde zum Jahresende in Gomel‘ für seine Verweigerung zu einer Strafe von 3,5 Millionen Belarussischer Rubel (ca. 880 Euro) verurteilt. Mehrmals hatte er schriftlich darum gebeten, alternativ einen Zivildienst machen zu dürfen, da seine Religion es ihm verbiete, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Ein Verfassungsbruch, findet Menschenrechtler Valentin Stefanovič. In Belarus fehlt weiterhin die gesetzliche Grundlage für den Zivildienst, obwohl dieser im Paragrafen 75 der Verfassung erwähnt wird. Dort heißt es, dass die Pflicht, das Vaterland zu verteidigen, durch einen Dienst in der Armee oder durch andere Dienste ausgeführt werden könne, darunter den Zivildienst. „Das heißt, der Paragraf 75 sieht einen Zivildienst vor. Dazu gab es bereits 2000 einen Beschluss des Verfassungsgerichts, der besagt, dass die belarussischen Bürger das Recht hätten, einen Zivildienst einzufordern – und dass das Parlament ein entsprechendes Gesetz unmittelbar nach Annahme der Verfassung von 1994 hätte verabschieden müssen,” betont Stefanovič. Bisher ohne Ergebnis. Die Staatsmacht scheint nun jedoch zu reagieren. Am 18. Februar beauftragte Aleksandr Lukašenko den Staatssekretär des Sicherheitsrates, Leonid Mal‘cev – bis vor kurzem selber Verteidigungsminister – damit, einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten. Bis dieses Gesetz jedoch tatsächlich in Kraft tritt, werden noch viele junge Männer in Belarus als vermeintliche Verbrecher vor Gericht stehen, trotz des liberalen Verfassungsparagraphen.

Belarus Perspektiven

15


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.