STORY
Von Stefan Franzen
Vielgesichtig João Bosco · Wenn Caetano Veloso der androgyne Pan, Gilberto Gil der Polit-Popstar und Milton Nascimento der mystisch-barocke Poet ist – wer oder was wäre dann João Bosco? Die vierte Säule der Música Popular Brasileira?
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oão Bosco in ein griffiges Prädikat zu fassen, scheint schwierig. Zu oft hat sich der 64-Jährige neu definiert, hat unerkundete Wege eingeschlagen, wenn auch nicht in spektakulären Hakenschlägen, dafür in beständiger Kreativität. Die Gitarre war dabei – ganz im Gegensatz zu manchen Kollegen – immer wesentlich. Selbst in seinem neuen, „big“ besetzten Projekt. Hörte man vier beliebige Platten von João Bosco aus verschiedenen Phasen seiner Karriere, man erhielte ein umfassendes Bild der modernen brasilianischen Musik. Mehr als alle seine berühmten Kollegen der Música Popular hat der Gitarrenpoet mit dem markanten Gesicht – Kennzeichen Vollbart und Baskenmütze – im Laufe von nahezu vier Dekaden die Farben des ganzen Kaleidoskops Brasiliens gebündelt. Den Samba erhob er zu einer lyrischen Kunstform, er fasst private Liebe und große Politik treffend in Vierminutengeschichten, bringt meisterhafte Lautmalerei, integriert Afrikanisches und Arabisches, Jazz und Soul. Die Gitarre fungiert in seinem Werk stets als heimliche Hauptperson, denn – so ein häufiger Ausspruch von ihm – sie sei die „Seele der brasilianischen Musik.“ Eine Facette fehlte ihm bislang in seinem Spectrum, die Arbeit mit einer Bigband. Nun hat er mit dem Klangkörper des NDR auch diese Lücke geschlossen.
João Bosco: Botschafter der Música Popular Brasileira
Frühe Rio-Jahre – Aldir Blanc und Elis Regina Ein Blick auf die Vita Boscos verdeutlicht, wie viel Befruchtendes er der Musik seiner Heimat
aktuelle Produktion
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AKU S TIK G ITARRE 5 / 1 0
Foto: PR
Aktuelle Produktion: Senhoras Do Amazonas (Yellowbird/enja) Die zehn Stücke werfen in völlig neuem Klanggewand Schlaglichter auf die Karriere Boscos aus den Jahren 1975 bis 1991. Die perkussive Lautmalerei von ‚Bate Um Balaio‘ und die Wortspiele des Bosco/Blanc-Doppels in ‚Preta-Porter‘ werden von den NDR-Akteuren treffend mit Samba- und Funk-Ambiente ausstaffiert. Die Perspektiven auf verflossene und sich erneuernde Liebe in ‚Bodas De Prata‘ und ‚A Nivel de...‘ gestaltet das Orchester mit ironischen Soli und packenden sowie harmonisch komplexen Hornsätzen. Zwischendrin platzierte man mit ‚Chega De Saudade‘ und ‚Desafinado‘ zwei Welthits von Jobim und Vinicius – keine Zugeständnisse ans deutsche Publikum, sondern Ausdruck der tiefen Boscoschen Bossa-Verehrung. In letzterem legt der Brasilianer all seine Scat-Qualitäten in die Waagschale – so hat man diesen Klassiker wohl noch nie gehört. Der unbezweifelbare Höhepunkt ist jedoch das fast zehnminütige Titelstück: Von einem intimen Einstieg auf der Gitarre, in dem sich beweist, wie Bosco seine Stimme auf das Instrument verlängert, wölbt sich der atemberaubende Spannungsbogen bis zu einem lebendigen, lautmalerischen Dialog zwischen Sax, Stimme und Saiten. Stefan Franzen
seit über 40 Jahren gegeben hat: Als Jüngling gründet er eine Rockband in Ponte Nova im Staat Minas Gerais, wo auch Milton Nascimentos Wurzeln liegen. Im Gegensatz zu den Liedern seines Dichterkollegen spielt aber in Boscos Kompositionen die lyrische, fast sakrale Atmosphäre der Mineiro-Tradition keine wesentliche Rolle. 1967 lernt er Vinicius de Moraes kennen, mit dem er auch einige Songs schreibt. Als er sechs Jahre später nach einem Studium an der technischen Hochschule nach