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Reden wir über Integration in Darmstadt, Folge 6: Dantse Dantse aus Kamerun 66

Das Problem ist: Rassismus ist eine Institution, er ist eine Kultur und ein Geschäft. Davon profitieren nur die Weißen, auch wenn sie so tun, als würden sie dagegen kämpfen. Das bringt nicht viel. Wenn die Leute auf die Straße gehen und sagen „Wir kämpfen gegen Rassismus!“, weil ein Schwarzer in Amerika von der Polizei umgebracht wurde, kommen alle. Aber wenn ich den gleichen Weißen sage: „Lass uns dagegen protestieren, dass Schwarze keine Wohnung finden können!“, dann kommt niemand. All diese Proteste nenne ich folkloristisch. Das hilft dir, ein gutes Gewissen zu haben. Aber mir hilft das überhaupt nicht.

Okay, was kann jede:r Einzelne dann tun, um sich klar und nachhaltig antirassistisch zu positionieren?

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Sehr gute Frage. Der Rassismus, so wie er aktuell definiert wird, kann gar nicht verschwinden. Das ist unmöglich. Er ist ein Teil des Europäers. Er ist ein Teil seiner Vision, seiner Kultur, seines Geldes. Und er ist ein wesentlicher Teil seiner Denkweise. Das europäische Weltbild, so wie es jetzt ist, kommt von der Aufklärung. Um Afrika kolonisieren zu können, haben die Urväter der Menschenrechte eine Lehre erfunden, um zu erklären, dass die Menschen, die sie als „schwarz“ definiert haben – die Hautfarbe wurde wirklich erfunden –, keine echten Menschen sind. All diese Denker, die sich Humanisten nannten, haben Verbrechen begangen.

Man müsste also unsere komplette Weltanschauung dekonstruieren?

Ja ... und das können die Europäer nicht. Wenn wir Rassismus bekämpfen wollen, müssen wir ein Fach „Rassismus“ in der Schule einführen. Wenn wir Rassismus wirklich verstehen wollen, müssen wir erklären, wie er entstanden ist. Und dann müssen wir zu seinen Wurzeln gehen und die Namen von all diesen großen weißen Denkern der Aufklärung – den Menschenrechtlern – entlarven: Voltaire, Rousseau, Hegel, Kant. Zu Deiner Frage, was die Weißen tun können, appelliere ich, die Geschichte zusammen neu zu schreiben, die Wahrheit zu schreiben. Es fängt damit an, die Realität, was die Afrikaner erlebt haben, anzuerkennen. Man kann diese Ungerechtigkeiten nicht einfach stehen lassen. Die Brutalität der Kolonialisten ist unglaublich, du willst es gar nicht hören. Und viele wissen es nicht. Aktuell ist die Bekämpfung von Rassismus wirklich oberflächlich. Der wahre Rassismus lebt neben uns und geht weiter.

Man kann sich demnach nicht einfach dazu entscheiden, kein Rassist zu sein? Weil Rassismus kein persönliches Vergehen ist, auf das man verzichten könnte.

Ich freue mich, dass Du das genauso verstehst. Kein Deutscher kann sich heute hinstellen und sagen: „Ich bin Antirassist. Rassismus ist nicht meine Sache.“ Du lebst von Rassismus! Es ist schon rassistisch, so zu tun, als wäre dir Rassismus gar nicht bewusst. Der schlimmste Rassismus ist nicht der offene, sondern der subtile. Der ist so schwer zu bekämpfen. Du musst sehr wachsam sein – und wenn du was sagst, dann sagen die Leute: „Ach, Du bist zu empfindlich.“ Rassismus zu bekämpfen, wird immer schwieriger.

Siehst Du, dass eine Entwicklung möglich ist? Dass wir diese strukturelle Denkweise abbauen können?

Ja, wenn Europa ein neues Zeitalter angeht, und diese alten Denkweisen vom 18. und 19. Jahrhundert hinter sich lässt. Es wird passieren, wenn Europa runtergeht, ich meine: wirtschaftlich und alles. Dann kommt eine neue Philosophie, dann kommen neue Arten zu denken. Wenn es so bleibt, wie es ist, dann glaube ich nicht, dass sich etwas ändern kann. Weil die Europäer davon leben. Wie kannst du den Ast abschneiden, auf dem du sitzt? Sie werden das nicht tun. Oder aber die Schwarzen finden einen Nutzen des Rassismus und wandeln ihn zu ihrem Vorteil um. Wie das gehen könnte, das zeige ich in meinem Buch über Rassismus, das 2023 veröffentlicht wird.

Dantse, vielen Dank für die offenen, ehrlichen Worte,

die zum Nachdenken anregen. ❉

Darmstadts kulturelle Vielfalt in Gesprächen

— Manchmal hat man an einem Ort direkt das Gefühl, dass man willkommen ist. So war es für mich, als ich 2010 aus Kanada für ein Auslandssemester nach Darmstadt kam. Aus diesem einen Semester ist ein Studium geworden – und mittlerweile ist Darmstadt mein Zuhause. Als Ausländerin will ich mich in meiner Stadt zugehörig fühlen, unabhängig davon, wo ich herkomme oder wie lange ich vielleicht bleiben werde. Als Leiterin von Integrationskursen frage ich mich, was es eigentlich heißt, integriert zu sein. Integration ist schließlich kein Ziel, das erreicht werden kann, sondern vielmehr ein Prozess – ein Prozess in Richtung einer vielfältigeren, multikulturellen Gesellschaft.

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