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Mehr, als nur ein Brieffreund Der Liebe wegen zog Scot Gall von Australien nach Oranienburg
foto: privat
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ber 1,90 Meter groß, rotes Haar, fester Händedruck: Scot Gall ist eine imposante Erscheinung. Die Neubauwohnung, in der er mit seiner Frau Melanie und der gemeinsamen Tochter in der Nähe des Oranienburger Schlossparks wohnt, wirkt fast zu klein für den Hünen. Ein ausladendes Sofa füllt das Wohnzimmer aus. Auf dem macht es sich Scot Gall bequem und erzählt von seiner Heimat. Vor drei Jahren kehrte er Down Under den Rücken, um mit seiner Melanie zusammen sein zu können. Gefunden hat sich das Paar 1996 über die Organisation „International pen friends“ – Melanie wollte ihr Englisch verbessern, Scot Menschen aus anderen Ländern kennenlernen. Zwei Jahre später dann das erste Treffen in Europa. „Ich wollte Melanie und das Land, in dem sie lebte, kennenlernen“, erzählt Gall in perfektem Deutsch. „Zoom“ hat es aber erst ein Jahr später gemacht, wie er schmunzelnd verrät. Diesmal stieg Melanie in den Flieger und besuchte ihren Brieffreund auf der heimischen Farm in Victoria, dem zweitkleinsten der sechs australischen Bundesstaaten. Inzwischen sind die quirlige Oranienburgerin und der eher ruhige „Aussie“ neun Jahre verheiratet. „Wir waren für ein paar Tage in einem kleinen isolierten Ort namens Woods Point in Victoria und während einer Wanderung hielt Scot um meine Hand an“, erinnert sich Melanie. Zwei Monate später feierten sie Hochzeit in Euroa. Töchterchen Emily kam 2009 in Australien zur Welt. Es war der zweite längere Aufenthalt für das Paar in Galls Heimat. Bereits von 2002 bis 2004 lebten sie auf dem Kontinent.
„Ich mag die Abgelegenheit, die Weite und die Felder“, verrät Scot Gall und blättert durch ein Fotoalbum. Aufnahmen zeigen ihn beim Picknick mit seiner Familie, das Haus seiner Eltern, Kängurus, blauen Himmel und Menschenleere, soweit das Auge reicht. Aufgewachsen ist der Australier auf einer 250-Hektar-großen Schaf- und Rinderfarm inmitten von Feldern und Wäldern in dem 3000-Seelen-Dorf „Euroa“ im Herzen Victorias. Die nächste Stadt in der Größe von Oranienburg ist 50 Kilometer entfernt, nach Melbourne ist es sogar dreimal soweit. Gestört hat das Scot Gall nie, er könnte auch „auf einer einsamen Insel leben“, Großstädte hingegen sind ihm ein Graus. Farmer wie sein Vater wollte er trotzdem nicht werden. „Meine Geschwister und ich, wir haben mit der Familientradition gebrochen“, sagt Gall und lacht. Seine Schwester arbeitete als Krankenschwester und ist heute Mutter und Hausfrau. Sein Bruder lebt seit zehn Jahren in Tokio und unterrichtet dort Englisch. Gall, das jüngste der drei Kinder, träumte von einer Karriere als Journalist und studierte nach der Highschool Publizistik. „Aber ich war nicht überzeugt, dass ich es als Journalist schaffen würde und habe deshalb noch Grundschullehramt studiert“, erklärt der 34-Jährige. Denn Lehrer, vor allem männliche, seien in Australien Mangelware.
Ein Mann und sein Land: Englischlehrer Scot Gall vor der heimischen Farm im australischen Victoria.
In Oranienburg ist er seit seiner Ankunft als Englischlehrer tätig. Momentan gibt er fünf Kurse für Erwachsene an der Kreisvolkshochschule sowie einen Sprachkurs für Kinder am Lernstudio Barbarossa. Zu seinen Schülern hat er einen guten Draht - und das nicht nur, weil Muttersprachler bei den Sprachschülern immer heiß begehrt sind, sondern auch weil das Lehrbuch Scot Gall nur als Grundlage dient. „Ich finde es wichtig, lustige Übungen zu machen. Es darf nicht alles nur nach Plan laufen.“ Dass er und seine Frau freiberuflich arbeiten, ermöglicht dem Paar, regelmäßig in Scot Galls Heimat zu fliegen. Mindestens einmal im Jahr packen sie ihre Koffer für einen Trip ans andere Ende der Welt. Noch ein- oder zweimal wollen sie einen längeren Aufenthalt in Down Under einlegen, bevor sie sich endgültig niederlassen. Doch obwohl Scot Gall die Farm liebt und gerne Zeit dort verbringt, wird die Familie dort nicht leben. „Aber ich würde das Land niemals verkaufen, sollten meine Eltern mal nicht in der Lage sein, es zu bewirtschaften, sondern es lieber verpachten“, betont Scot Gall.