Die Frau ohne Schatten

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Von Hofmannsthals «Quellen» zu sprechen heisst deshalb auch davon zu spre­ chen, was er nur als Verlust bewahren kann: heisst, die nostalgisch-sehnsüchtige, rückwärts gewandte Dimension seines ganzen Werkes einzugestehen. Dessen ungeachtet begleiten – neben den Erzählungen aus Tausendund­ einer Nacht, zu denen Hofmannsthal eine so unmittelbare, vitale und auch schmerzliche Beziehung hatte – noch andere Werke, die dem Autor zeitlich viel näher liegen, den Weg zum Libretto und zur Erzählung Die Frau ohne Schatten. Einige dieser Werke waren wiederum ihrerseits von Tausendundeiner Nacht oder auch von persischen Dichtern wie Hafiz und Omar Khayyam inspiriert. Hof­ mannsthal ist beileibe nicht der Erfinder des Orientalismus in der Literatur, eher einer seiner letzten Vertreter in der Nachfolge einer Vielzahl romantischer Au­ toren. Um im deutschen Sprachraum zu bleiben: der Goethe des «Westöstlichen Divan» und des «Märchens» ist ein prominenter Vorläufer. Ebenso zu nennen wäre die Zauberflöte, zu der Hofmannsthal nach eigener Aussage eine Art Analogie schaffen wollte – auch Mozarts Oper wurde zum Vorbild für dieses Werk der «Initiation» mit seinem Duft von Orient.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop Wechselnde Schatten oder am Vorstellungsabend im Foyer Betrachten wir das Sujet, das in der Erzählung von Hofmannsthal und der gleichnamigen Oper von Richard Strauss im Titelerwerben genannt wird – der Verlust des Opernhauses des Schattens –, so stellen wir fest, dass dieses an psychologischen, symbolischen und religiösen Bedeutungen reiche Sujet so alt ist wie die Menschheit; also so alt wie die Märchen ... auch das Sujet stammt aus unvordenklichen Zeiten. Im Jahre 1914, kurz bevor Hofmannsthal den Text des Opernlibrettos abschloss (aber lange, bevor er die Arbeit an der Erzählung beendete) widmete sich der Psy­choanalytiker Otto Rank in seinem Essai Der Doppelgänger aus ethnografi­ scher und psychologischer Sicht dem Motiv des verlorenen Schattens, das in den Mythen und Märchen vieler Kulturen aus unterschiedlichen Weltgegenden vorkommt. Rank stellt fest, dass der Verlust des Schattens mehr oder weniger als Symbol für die Angst vor dem Verlust der Seele zu verstehen ist. Hofmannsthal kannte das Motiv natürlich aus Chamissos Erzählung Peter Schlemihl, ebenso wie aus dem «Abenteuer in der Silvesternacht» von E.T.A.

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