Lady Macbeth von Mzensk

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TRAGISCH SATIRISCH Dmitri Schostokawitsch über «Lady Macbeth von Mzensk» An Lady Macbeth habe ich ungefähr drei Jahre lang gearbeitet. Ich hatte sie mir als eine Trilogie über die Lage der Frauen in verschiedenen Epochen der russischen Geschichte gedacht. Als Sujet lag ihr Leskows Erzählung Lady Macbeth von Mzensk zugrunde. Diese Erzählung reisst den Leser durch ihre ungewöhnliche Prägnanz und Fülle mit. Es ist die wahrhaftige und tragische Schilderung des Schicksals einer begabten, klugen und ausserordentlichen Frau, die an den alptraumhaften Zuständen im vorrevolutionären Russland scheitert. Ich halte diese Erzählung für eine der besten ihrer Art. Maxim Gorki sagte anlässlich der Feier seines 60. Geburtstages: «Man muss lernen. Man muss sein Land kennenlernen, seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft.» Und Leskows Erzählung entspricht wie kaum eine andere dieser Forderung Gorkis. Eine unerhört starke Darstellung einer der dunkelsten Epochen des vorrevolutionären Russland. Für einen Komponisten ist die Lady Macbeth geradezu ein Schatz. Die lebendig gezeichneten Charaktere, die dramatischen Konflikte – all das zog mich mächtig an. Das Libretto schrieb der junge Leningrader Dramaturg Alexander Preiss zusammen mit mir. Es basierte fast ausschliesslich auf Leskow, mit Ausnahme des dritten Akts, der in seiner schärferen sozialen Aussage von Leskow abweicht. Wir fügten eine Eingangsszene auf der Polizeistation hinzu und nahmen den Mord an Katerina Lwowna Ismailowas Neffen heraus. Ich plante Lady Macbeth als tragische Oper, besser gesagt als tragisch-sati­ rische Oper. Wenn Katerina Lwowna auch eine Mörderin ist, gehört sie doch nicht zum Abschaum. Ihr Gewissen quält sie. Sie denkt an die Menschen, die sie umgebracht hat. Ich sympathisiere mit ihr. Das ist schwer darzustellen. Und ich bekam eine Menge Einwände zu hö­ ren. Doch ich wollte diese Frau als hoch über ihrer Umgebung stehend zeigen. Katerina Lwowna lebt inmitten von Räubern. Sie leidet – wie im Gefäng­nis – fünf Jahre lang. Wer Katerina Lwowna kategorisch verurteilt, geht davon aus,

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