MAG 20: La fanciulla del West

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Sunnyboy Dladla (Nick), Scott Hendricks (Jack Rance), Catherine Naglestad (Minnie); rechts: Zoran Todorovich (Dick Johnson), Catherine Naglestad

die Vergebung der Sünden glaubt. Sie behauptet von sich selbst, nur für dreissig Dollar Bildung zu haben, verschlingt aber Liebesromane und ist Bildungsmissionarin für die eher schlichten Goldgräbergemüter. Das alles ist nicht einfach zusammenzubringen. Deshalb steht Catherine Naglestad auf der Probebühne des Zürcher Opernhauses und nimmt sich Zeit, ihren Zugang zu dieser komplexen Rolle zu finden, die sie zum ersten Mal singt. Und schon die Art und Weise, mit der sie sich der Minnie nähert, lässt erahnen, wie sie sie am Ende interpretieren wird. Catherine Naglestad ist keine Künstlerin, die sich umstandslos und vierschrötig des Stücks bemächtigt. Behutsam, reflektierend und mit grosser Umsicht tastet sie sich in die Szenen. Ihre Minnie wird gewiss kein Flintenweib werden. Naglestad akzentuiert das Empfindsame in der Figur, die Melancholie und den Sehnsuchtston, den Puccini in seiner Partitur immer wieder für seine Hauptfigur bereit hält. Die Stärke dieser Minnie erwächst aus der Intelligenz

und der emotionalen Sensibilität, die sie in die heruntergekommene Goldgräbergesellschaft trägt. Ihre Liebesfähigkeit macht sie zum Lichtblick für die verrohten Männer. Der Regisseur Barrie Kosky gibt Catherine Naglestad den Raum, die Figur auf ihre Weise anzulegen. Es ist eine gemeinsame Suche, die von Probenwoche zu Probenwoche an Kontur gewinnt. Einmal ruft Kosky in die Runde: «Catherine, du bist eine tolle Mischung aus Filmschauspielerinnen. Du hast etwas von Rita Hayworth, von Susan Sarandon und von Julianne Moore. Und ein ganz kleines bisschen Romy Schneider ist auch dabei.» Catherine nimmt das Kompliment, wie man es von Minnie nicht anders erwartet: Distanziert, aber mit einem Lächeln. Der Filmvergleich liegt für Barrie Kosky nahe. Nicht nur, weil er selbst ein grosser Cineast ist, sondern weil er in Giacomo Puccini einen Propheten des Kinos sieht. La fanciulla del West, sagt er, habe Puccini wie ein Filmregisseur komponiert. 1910, als die Oper an der New Yorker


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