
5 minute read
Der Borkenkäfer, Freund oder Feind?
by ÖH_Magazin
Der Borkenkäfer ist wegen großflächigen Schäden an Waldbeständen immer wieder in den Medien. Dabei würde er in einem natürlichen Ökosystem eine wichtige Rolle spielen. Was können wir daraus für die Forstwirtschaft lernen?
Autorinnen: Rebekka Jaros, Agnes Straßer / Fotos: Laurens Pichler
Advertisement
Kaum ein Waldschädling hat so viel Aufsehen erregt wie der Borkenkäfer. Rindenbrütende Borkenkäferarten verursachen seit den 1990er-Jahren zunehmende Schäden an Wirtschaftswäldern. Besonders seit dem Jahr 2015 kam es zu einem starken Anstieg von, durch Käferarten dieser Gattung verursachten, Schadholzmengen. Zwar waren die Zahlen ab 2019 wieder leicht rückläufig, Entwarnung gibt es dem Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) zufolge jedoch keine.[1] „Für die Forstwirtschaft interessant sind vor allem zwei Arten: Der Buchdrucker und der Kupferstecher, welche zur Massenvermehrung neigen.“, so Klaus Katzensteiner vom Institut für Waldökologie der BOKU. Zwar gebe es noch andere Borkenkäferarten, die sich ebenfalls stark vermehren könnten, die beiden oben genannten seien jedoch auf die Fichte, die (ehemalige) Brotbaumart der Forstwirtschaft, spezialisiert.
Buchdrucker haben ein ausgeprägtes Kommunikationssystem, wie Sigrid Netherer vom Institut für Forstentomologie, Forstpathologie und Forstschutz erklärt. Bei einem guten Wirtsbaum produzieren Buchdruckermännchen Aggregationspheromone auf Basis der Rindeninhaltsstoffe des Baumes. Dadurch werden weitere Artgenossen angelockt, welche bei starkem Befall sogar die natürlichen Abwehrmechanismen gesunder Bäume überwinden können. Das unterscheide den Buchdrucker von harmloseren Borkenkäferarten, welche zumeist nur tote und kranke Bäume befallen. Zudem komme es bei Buchdruckern unter günstigen Bedingungen häufig zu bis zu drei Generationen pro Jahr. Insbesondere im Zuge des voranschreitenden Klimawandels ist das problematisch: „Je wärmer es wird, desto mehr werden auch solche multivoltine (sich mehrmals jährlich fortpflanzenden) Generationen begünstigt“, so Netherer. Neben besseren Brutbedingungen führen zudem veränderte Temperatur- und Niederschlagsmuster zu stärker gestressten Bäumen, was diese anfälliger für Borkenkäferschäden macht.[2]
Auch in naturnahen Wäldern können starke Borkenkäferbefälle auftreten. „Es gibt auch natürliche Ökosysteme, in denen Massenvermehrungen stattfinden.“, so Katzensteiner. Zwar gebe es Antagonisten wie den Dreizehenspecht, und meist bestehe ein gewisses Gleichgewicht, „Wenn aber eine größere Störung eintritt oder es zu Klimaextremen kommt, kann diese Antagonistenpopulation nicht so schnell nachziehen und es kommt zu einer zeitlichen Verzögerung. Da kann es auch in natürlichen Systemen zu Massenvermehrungen kommen“. Das Risiko, dass dies einem natürlichen Waldökosystem mit verschiedenen Bestandesentwicklungsphasen und unterschiedlichen Baumartenmischungen geschieht, sei jedoch verhältnismäßig geringer.
Im Nationalpark Gesäuse experimentiert man mit den Auswirkungen des Borkenkäfers in naturnahen Wäldern. „Der Nationalpark Gesäuse ist ein Schutzgebiet der IUCN-Kategorie II. Das bedeutet, dass das vorrangige Naturschutzziel auf drei Viertel der Fläche ist, die Natur sich selbst zu überlassen und keine Eingriffe vorzunehmen. Es gibt in Österreich jede Menge eingriffsfreie Flächen, die sich jedoch zum Großteil im Hochgebirge befinden. Wilde Wälder wie im Gesäuse sind selten.“, erklärt Magdalena Kaltenbrunner. Die BOKU-Absolventin arbeitet im Nationalpark als Fachassistentin im Bereich Naturschutz & Forschung.

Frassbild des Borkenkäfers
©Nationalpark Gesäuse GmbH
Magdalena Kaltenbrunner Während Waldbesitzer*innen in Österreich forstrechtlich dazu verpflichtet sind, Borkenkäferbefälle bestmöglich einzudämmen und befallenes Material zu räumen, lässt man im Nationalpark Gesäuse der Natur freien Lauf. „Die Möglichkeit, Sukzession auf Borkenkäferflächen ohne Aufräumungstätigkeit zu erforschen, gibt es sonst kaum.“ so Kaltenbrunner. Neben den Naturschutzaspekt ließen sich daher aus den Abläufen in Prozessschutzgebieten wichtige Erkenntnisse in der Waldökologie, der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und für phytosanitäre Waldschutzstrategien gewinnen. In einem naturnahen Wald habe der Borkenkäfer eine wichtige ökologische Rolle. „Ohne menschliches Zutun gibt er den Anstoß zur Entwicklung standorts- und klimaangepasster Wälder. Das vermeintliche Chaos, das ein Borkenkäferbefall hinterlässt, ist der Natur egal. Eigentlich hat sie für jeden Fall die passenden Antworten parat.“, so Kaltenbrunner.
Der Natur gänzlich freien Lauf lassen – das ist so natürlich nicht auf Wirtschaftsforste umlegbar, dennoch gibt es einige Dinge, die wir aus Prozessen in natürlichen Ökosystemen lernen können. So sind vielfältige, artenreiche Bestände weniger anfällig für Borkenkäfer-Massenausbreitungen: „Gleichaltrige Bestände, die sich in in einer kritische Phase befinden, sind gefährdeter als gut strukturierte, altersmäßig oder von der Baumartenzusammensetzung gemischte Bestände.“, so Katzensteiner. Artenreiche Waldbestände haben zudem viele Vorteile. Zum einen bieten sie Habitate für Antagonisten, wie Netherer erläutert: „Sehr viele Parasitoide haben ihren Lebensraum auf Blühpflanzen. Sie ernähren sich beispielsweise zwischenzeitlich auch von Nektar. Es siedeln dann vielleicht auch andere Strauch- und Baumarten, auf denen sie andere Wirte finden, falls sie nicht spezialisiert sind.“ Andererseits habe ein Mischwald eine abwehrende Wirkung für den Buchdrucker: „Die Geruchssignale, die von Laubbäumen kommen, kennt der Buchdrucker zwar, aber vermeidet sie. Er wird also zurückgestoßen von diesen Duftstoffen und findet damit auch weniger leicht seine Wirtsbaumart.“
In vielen forstwirtschaftlichen Betrieben ist hierfür bereits Bewusstsein vorhanden: „Bei vielen Betrieben setzt man bereits auf eine Baumartenkombination, die sich an naturnahen Waldzuständen orientiert“, so Kaltenbrunner. „Was die Wissenschaft und letztlich auch die Natur selbst zeigen ist, dass Mischwälder allein durch die Streuung des Risikos auf verschiedene Altersklassen und Baumarten viel resilienter gegenüber unterschiedlichsten Störungen, so auch Borkenkäferkalamitäten“.
Eine Räumung befallener Bäume ist zudem zwar gesetzlich vorgeschrieben, es hat sich jedoch gezeigt, dass die Entfernung von Totholz nicht immer notwendig ist. „Einzelne durch den Borkenkäfer abgestorbener Bäume in den Wäldern sind nicht schlimm. Bei frischem Befall ist es natürlich gut, sie zu entfernen, um die Ausbreitung einzudämmen. Wenn die Käfer allerdings schon ausgeflogen sind, bietet stehendes Totholz extrem wertvollen Lebensraum für viele verschiedene Arten, die darauf angewiesen sind.“, so Kaltenbrunner. Dieses Totholz kann zudem die freigewordenen Flächen vor Degradation schützen und eine natürliche Verjüngung ermöglichen, wie Katzensteiner erklärt: „In einer natürlichen Dynamik, wie man es beispielsweise im Nationalpark Bayerischer Wald ablaufen lässt, hat man sehr stark strukturiert stehendes, liegendes Totholz. Man hat Pioniergehölze und man ist sehr erstaunt, dass sich die Baumart, von welcher die Altbestände abgestorben sind, trotzdem relativ gut verjüngt.“. Diskutiert werde dies vor allem im Zusammenhang mit Schutzwäldern. „Im Nationalpark wird das ja im Prinzip genauso gehandhabt, im Nationalpark Bayerischer Wald haben sie beispielsweise Pufferzonen, wo sehr wohl darauf geachtet wird, ob der Buchdrucker auftritt. Man könnte das genauso auf Schutzwald mit Ertrag auslegen.“, so Netherer. Inwieweit das möglich ist, sei jedoch vom jeweiligen Wald und seiner Nutzung abhängig, daher könne man hier auch keine 100%ige Empfehlung abgeben.
Fazit: Wirtschaftswälder sind mit naturnahen Ökosystemen nicht vergleichbar. Während Borkenkäferbefälle in einem naturnahen Wald Teil eines natürlichen Prozesses sind, kommt es bei ersterem zu Konflikten mit forstwirtschaftlichen Interessen. Trotzdem gilt: Desto vielfältiger und artenreicher ein Forst, desto besser kann dieser auch mit der Herausforderung Borkenkäfer umgehen. Gleichzeitig wird man dieses Risiko nicht vollständig eliminieren können.

