R. 2 (STUDIEN) Nr. 100

ISSN 1019-2379

RETROSPEKTIVEN IN SACHEN BILDUNG

R. 2 (STUDIEN) NR. 100

Pädagogisch-Bildungsgeschichtliche Statements VII, abgegeben am 12. September 2019 im „Historischen Klassenzimmer“, Klagenfurt-Wölfnitz

Herausgegeben von ELMAR LECHNER Klagenfurt 2019

Inhaltsverzeichnis Einleitung ......................................................................................................... I AUGUST BRUMNIK: Valentin Polanšek (1928-1985) ......................... 1 CLAUDIA FRAESS-EHRFELD: Was ein Kärntner Maturant von der Kärntner Geschichte wissen sollte ..................................... 9 FRIEDRICH FUCHS: Zu den Anfängen der Viktor Frankl Hochschule ....................................................... 15 GERALD GRIMM: 150 Jahre „Reichsvolksschulgesetz“: Österreichs Anschluss an die europaweite Bildungsexpansion im Industriezeitalter? ..................................................................... 23 HELENE KOBALD: Stenographie: Von der Kulturtechnik zur Nischendisziplin ............................................................................ 29 ELMAR LECHNER: Von den Rechten und Pflichten der Jugend nach den Bestimmungen der Grundgesetze der österreichischen Schule oder Pädagogik als Sokratik ............. 37 VERONIKA MICHITSCH: Die Zukunft lernt im Kindergarten: Kommunikations- und informationstechnische Grundbildung als „neuer“ Baustein einer medienbewussten Elementarpädagogik ...................................................................... 43 MANUEL PICHLER: Der Beitrag der Werkerziehung zur Erfüllung der Aufgabe der österreichischen Schule (SchOG) ...... 51 CHRISTIAN PIRKER: Wie viel Schumpeter braucht die Didaktik? .. 61 Anhang Ausschreibung vom 17. Juni 2019 ..................................................................... i Abbildungen: (Viertel)Stundenplan bzw. „Fahrplan“ mit Tafelbild, Referent/innen ............................................................................................... iii Titelblätter und Inhaltsverzeichnisse der seit der Tagung 2018 (inkl.) erschienenen „Retrospektiven“-Nummern.................................................... iv

Pädagogisch-Bildungsgeschichtliche Statements VII, abgegeben am 12. September 2019 im „Historischen Klassenzimmer“, Klagenfurt-Wölfnitz Herausgegeben von ELMAR LECHNER Einleitung 1. Auch für die heurige Statements-Veranstaltung galt, dass davon auszugehen ist, dass Wissenschaft und Wissenschaftstransfer als prinzipiell gleich bedeutend und damit gleichberechtigt zu gelten haben.

Denn es kommt darauf an, dem Prinzip „QUID NOVI?“ (s. S. iii) zu genügen, also mit – systematischen bzw. nachvollziehbaren – neuen Erkenntnissen anzukommen. Und es kommt auch darauf an, diese Erkenntnisse in einer Weise zu vermitteln, die ankommt, also ihre Wirkung zeigt, indem das Collegium bzw. Publikum zum Mitdenken oder auch zum Weiterdenken angeregt wird. Der dramaturgische Ansatz war somit, mit leeren Händen, also ohne Geschriebenes (oder Gezeichnetes), und vollem Hirn – was die Beherrschung des frei zu wählenden Themas bedeutete – zu operieren. Damit ist in hohem Maße Authentizität und in der Folge natürliche Aufmerksamkeit des Publikums garantiert und darüber hinaus die Möglichkeit, dessen Reaktion zu realisieren und auf sie zu reagieren; man ist gleichsam intellektuell unter sich, da man mit – von wem auch immer – vorgefertigten Materialien nicht beschäftigt bzw. bedrängt wird. Man nimmt eben ernst und zur Kenntnis nur diejenigen, die nicht irgendwohin, sondern dem Publikum in die Augen schauen. Dann geht (akademische) Lehre nicht ins Leere.

2. Das Grundgesetz der (österreichischen) Schule war auch diesmal Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung (E. Lechner, M. Pichler).

3. Das Gruppenfoto (S. iii) (Eingangstor der ehem. Volksschule Wölfnitz; Teilansicht des „Historischen Klassenzimmers“ und der Vorder-

II ansicht des – 1910 erbauten – Volksschulgebäudes hier S. III) wurde von Renate Lechner aufgenommen; rechts von Lehrer Lämpel in der vorderen Reihe (von links nach rechts): Elmar Lechner, Helene Kobald (deren thematisch einschlägige stenographische Demonstration – was die wohl bedeutet? – hier S. 35), Claudia Fraess-Ehrfeld, Veronika Michitsch, Manuel Pichler, in der dahinter stehenden Reihe (v.l.n.r.): Christian Pirker, Friedrich Fuchs, Wilhelm Kersche (Gast), Oswald Krobath (Moderator), Gerald Grimm, Daniele Kežar (Gast), August Brumnik, Vinzenz Olip (Gast).

4. Ohne etwas auf Zahlenmystik zu geben: Es liegt nun, wie ersichtlich, die 7. Statements-Sammlung und die 100. Nummer der Reihe „Studien“ der „Retrospektiven“ in Sachen Bildung“ vor.

Elmar Lechner

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AUGUST BRUMNIK

Valentin PolanSek 1928

-

1985

Foto: Peter Paul WiPlinger 1

Leben

Valentin Polan5ek wurde am 4. Februar 1928 in LeppenÄepena, Gemeinde Vellach,tsela, geboren. Seine Mutter war die Magd seines Vaters, der nicht die l8-jährige, sondem seine eigene Nichte geheiratet hat'

valentin Polansek litt an der unehelichkeit seiner Geburt, seiner Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen, und wurde auch von der volkstumspolitischen Tätigkeit seines Vaters geprägt.

Nach der Volksschule in Leppen/Lepena und Eisenkapp elläelema Kapla

besuchtePolansekvomoktoberlg42bisDezemberlg44dieLehrerbildungsanstalt in Kranj. Vom Dezember 1944 bis zum Ende des Krieges leistete er den Reichsarbeitsdienst in der Steiermark ab'

2 12 nähere Verwandte sind während des Nationalsozialismus zu Tode gekommen. Der Vater ist im KZ Dachau gestorben. Der Urgroßvater, die Tante Angela und der Onkel Johann wurden auf ihrem Hof in Leppen/Lepena umgebracht und verbrannt. Sein Halbbruder Stanko und seine Halbschwester Adele wurden zusammen mit der Peršman-Familie ermordet. Sein Cousin Jozej fiel als Widerstandskämpfer und sein Cousin Korej starb im KZ Mauthausen.

Nach dem Krieg absolvierte Valentin Polanšek die Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt/Celovec. Von 1948 bis zu seiner aus gesundheitlichen Gründen erfolgten Pensionierung im Jahre 1982 unterrichtete er als Volksschullehrer in Ebriach/Obirsko.

Er starb am 27. August 1985, einen Tag vor der geplanten Herzoperation, im Alter von 57 Jahren in Wien. Begraben ist er in Ebriach/Obirsko.

2 Beruf Valentin Polanšek hat nur an der Volksschule Ebriach/Obirsko unterrichtet. Da das Schulgebäude im Krieg niedergebrannt wurde, fand der Unterricht zunächst im Gasthaus Kovač statt. Ein neues Schulgebäude war dringend notwendig. Im Jänner 1951 sind die Schüler in das neue Schulgebäude eingezogen. Mit dem Bau des neuen Schulgebäudes mit der Aufschrift »Volksschule Ljudska šola« haben sich die Verhältnisse nicht nur für die Schüler gebessert, sondern auch für Valentin Polanšek und seine junge Familie (er hatte fünf Kinder), die sich im ersten Stock die Wohnung eingerichtet hat.

Heute können wir uns nur schwer vorstellen, wie es möglich war, in einer Klasse gleichzeitig Kinder im Alter zwischen sechs und vierzehn Jahren in acht Schulabteilungen zu unterrichten und den Kindern trotzdem einen qualitativen Unterricht zu garantieren. Viel Energie war für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin notwendig.

Als die Volksschule im Jahre 1960 den Schülerhöchststand von 57 Schülern erreicht hat, wurde die Schule für kurze Zeit zweiklassig. Im Jahre 1966 wurde die Rekordzahl von 15 Erstklasslern erreicht. Damit hat sich die Schülerzahl jedoch nicht wesentlich erhöht, da alle Schüler, die nicht

3 eine Mittelschule besuchten, ab der 4. Klasse die Hauptschule in Bad Eisenkappel/Železna Kapla besuchen mussten. Im Jahre 1971 haben 12 Schüler aus Ebriach/Obirsko die Hauptschule in Bad Eisenkappel/Železna Kapla und 14 Schüler das Slowenische Gymnasium in Klagenfurt/Celovec besucht.

In den folgenden Jahren hat Valentin Polanšek in einer Klasse in vier Abteilungen zwischen 30 und 40 Schüler unterrichtet.

Bis zur Gründung des Slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt/Celovec hat die Mehrheit der Schüler aus Ebriach/Obirsko und Trögern/Korte den Schulbesuch an der Volksschule beendet. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der ersten Matura am Slowenischen Gymnasium im Jahre 1963 haben nur vier Burschen die Mittelschule mit Matura abgeschlossen.

Valentin Polanšek war sich der Bedeutung der schulischen Ausbildung bewusst und hat von Anfang an die Eltern motiviert, ihre Kinder ins Slowenische Gymnasium zu schicken. Eine Erschwernis war die Entfernung von Klagenfurt/ Celovec. Alle Schüler mussten während des Schuljahres in Schülerheimen wohnen, was mit erheblichen Kosten verbunden war.

In den Jahren von 1963 bis zum Tod von Valentin Polanšek im Jahre 1985 haben 28 Schüler aus Ebriach/Obirsko und Trögern/Korte maturiert. Bis zum Jahre 1995 ist die Zahl auf insgesamt 39 angewachsen.

In den folgenden Jahren ist die Zahl der Volkschüler ständig gesunken.

Die Volksschule wurde nur noch als Außenstelle der Volksschule Bad Eisenkappel/Železna Kapla geführt. Im Jahre 2005 wurde die Außenstelle aufgelassen. Über Initiative der Eltern wurde die Volksschule als Privatschule weitergeführt. Zwei pensionierte Lehrer aus Ebriach/Obirsko (Marta Polanšek und Michael Traunik) haben ein Jahr lang ohne Bezahlung unterrichtet. Danach ist die Anzahl der Schüler wieder gestiegen, sodass die Volksschule als Außenstelle weitergeführt wurde. Im Jahre 2015 wurde die Volksschule Ebriach/Obirsko endgültig geschlossen.

4 3 Dichter Valentin Polanšek zählt zu den bedeutendsten Dichtern der slowenischen Volksgruppe in Kärnten. Die Gedichte hat er zunächst in Zeitschriften veröffentlicht.

Sein erster Lyrikband erschien 1963 unter dem Titel »Grape in sonce«/ »Gräben und Sonne«. Der Band ist in 4 Zyklen unterteilt.

Den zweiten Lyrikband hat er im Jahre 1971 unter dem Titel »Karantanske«/»Karantanische Gedichte« veröffentlicht. Am umfangreichsten ist der 1974 erschienene Gedichtband »Lipov bogec«/»Der Herrgott aus Lindenholz«, der 46 Gedichte enthält.

Im Jahre 2010 erschien der Gedichtband »Karantanske pesmi«/«Karantanische Gedichte«, welcher einige noch nicht veröffentlichte und eine Auswahl der bereits in den vorherigen Bänden enthaltenen Gedichte enthält.

Im Jahre 1977 erhielt er in Ljubljana den angesehenen Preis der PrešerenStiftung.

4 Kinderliteratur Pionierarbeit leistete Valentin Polanšek auf dem Gebiet der slowenischsprachigen Kinderliteratur in Kärnten. 1971 veröffentlichte er Gedichte, die er als Mitarbeiter der Kinderzeitschrift Mladi rod herausgegeben hatte, unter dem Titel »Činček« als Buch. Der zweite Teil erschien unter dem Titel »Činček in Čopka« 1980.

5 Schriftsteller Das erzählerische Werk umfasst eine Novellensammlung mit dem Titel »Velike sanje malega človeka«/«Die großen Träume eines kleinen Mannes«, erschienen 1973, und drei Romane. Die Novellen waren die ersten Versuche an der historischen Thematik.

Der Roman „Križ s križi“/ »Das Kreuz mit den Kreuzen« ist 1973 erschienen. Es ist autobiografisch und beschreibt seine Schulzeit seit dem Jahre

5 1941 in Eisenkappel/Železna Kapla, die sozialen Beziehungen zwischen den Schülern, die durch soziale Unterschiede und durch nationale Ideen beeinflusst werden. Er beschreibt seine Erlebnisse in der Lehrerbildungsanstalt in Kranj.

Besonders erschütternd ist jene Stelle im Roman, als er als Schüler der Lehrerbildungsanstalt benachrichtigt wird, nach Hause zu kommen. In Eisenkappel/Železna Kapla erfährt er, dass sein Urgroßvater von der NSPolizei erschlagen worden sei und er nun zusammen mit dem Gemeindebediensteten zum Bauernhof seines Urgroßvaters gehen und diesen indentifizieren müsse.

Der zweite Roman »Bratovska jesen/Bruderherbst« ist in zwei Teilen 1981 und 1982 erschienen. Er ist zwei Brüdern, Domen und Matevž, gewidmet, die sich den Partisanen anschließen und im Kampf mit der NSPolizei fallen.

Im dritten Roman „Sla po svobodi/Der Drang nach Freiheit“ beschreibt er die Lebensgeschichte des Janez Wutte-Luc, der zur Wehrmacht einrückt, am Russlandfeldzug teilnimmt, desertiert und sich den Partisanen anschließt.

Polanšeks Verdienst besteht darin, dass er mit seinem Prosawerk versucht hat, Interesse für die Geschichte der Kärntner Slowenen zu wecken. Es handelt sich dabei um halbdokumentarische Romane.

6 Chorleiter Als Lehrer hat er immer auch einen Schulchor geleitet. Im Jahre 1974 hat er gemeinsam mit seiner Gattin Justine das Obirski ženski oktet/Ebriacher Frauenoktett gegründet, das er bis zu seinem Tod geleitet hat.

Im Jahre 1977 erschien die LP mit dem Titel »Dečva z Obirja«/»Das Mädchen vom Obir«, welche zur Gänze Eigenkompositionen und Eigenbearbeitungen enthält.

Im Jahre 1979 wurde die LP mit dem Titel »Roža, rdeča rožica«/»Röslein, Röslein rot« veröffentlicht.

6 Nach dem Tod von Valentin Polanšek war das Ebriacher Frauenoktett noch bis zum Jahre 1994 unter der Leitung von Prof. Janez Bole aktiv. Im Jahre 1987 erschien die LP mit dem Titel »Tam doli Drava se blešči«/»Dort unten fundelt die Drau«, welche ausschließlich Texte und Melodien von Valentin Polanšek enthält.

Im Jahre 1976 hat Valentin Polanšek auch den Männerchor gegründet und bis zu seinem Tod geleitet. Auch dieser Chor pflegt insbesondere die Kompositionen von Valentin Polanšek. Nach seinem Tod hat er sich in Männerchor »Valentin Polanšek“ umbenannt und ist noch immer aktiv.

7 Komponist Valentin Polanšek hat viele seiner Gedichte selbst vertont. Weiters hat er insbesondere Volkslieder bearbeitet. Der Slowenische Kulturverband hat im Jahre 2008 die Kompositionen in einem Liederbuch mit dem Titel »Pesem živi, vest prebudi naših ljudi«/«Das Lied lebt, erweckt das Gewissen unserer Leute« zusammengefasst. Es enthält 62 Lieder für Jugend-, Frauen- und Männerchöre sowie eine Liste von anderen Komponisten, die die Gedichte von Valentin Polanšek vertont haben.

8 Gesellschaftliche Aktivitäten Valentin Polanšek war jahrelang Gemeinderat und Kulturreferent auf der Liste der SPÖ der Marktgemeinde Eisenkappel-Vellach und hat sich für die Rechte der slowenischen Volksgruppe sowie das friedliche Zusammenleben der beiden Volksgruppen in Kärnten eingesetzt.

Er war Mitglied des österreichischen und des slowenischen PEN-Clubs, Vorstandsmitglied des Kärntner Schriftstellerverbandes und erster Obmann des Verbandes slowenischer Schriftsteller in Österreich.

Gemeinsam mit dem slowenischen Dichter Andrej Kokot organisierte er in den Jahren 1979 bis 1983 jährlich das Treffen von Schriftstellern europäischer Volksgruppen in Ebriach/Obirsko.

7 Im Slowenischen Kulturverband, einer der beiden Dachorganisationen der slowenischen Kulturvereine, war er seit 1963 Vorstandsmitglied und in den Jahren 1976 bis 1984 Obmann.

Im Jahre 1975 gab er die Anregung für die Gründung des Slowenischen Kulturvereines „Obir“ in Ebriach/Obirsko. Nach seinem Tod wurde der Verein in Slowenischer Kulturverein „Valentin Polanšek“ umbenannt.

Die Marktgemeinde Eisenkappel-Vellach/Železna Kapla-Bela und der Slowenische Schriftstellerverband haben je eine Gedenktafel an der ehemaligen Volksschule Ebriach/Obirsko angebracht.

Die Erinnerung an Valentin Polanšek ist in der slowenischen Volksgruppe in Kärnten auch 34 Jahre nach seinem Tod lebendig. Viele slowenische Chöre singen die von Valentin Polanšek komponierten Lieder. Der Slowenische Kulturverein und der Männerchor in Ebriach/Obirsko tragen seinen Namen.

Literatur: Roman TILL: Valentin Polanšek. Der historische Roman. Proseminar Slowenische Literaturen. 2002 Emil CESAR: Ob izidu Polanškovega romana Bratovska jesen. In: Bratovska jesen, Bd. 2. 1982 Emil CESAR: O pesniku Valentinu Polanšku. In: Karantanske pesmi, 2010 Marta POLANŠEK: 50 let ljudske šole na Obirskem/50 Jahre Volksschule Ebriach.

2001 Avgust BRUMNIK: Slovensko prosvetno društvo »Valentin Polanšek« 1975-1995 Avgust BRUMNIK: Valentin Polanšek – učitelj na Obirskem (Referat). 2008 Irena DESTOVNIK: Življenje in delo Valentina Polanška. In: Pesem živi, vest prebudi naših ljudi, 2008 Walther NOWOTNY: Kurzer Nachruf auf ein viel zu kurzes Leben. In: Wiener Kunsthefte 2/1986

CLAUDIA FRÄSS-EHRFELD Was ein Kärntner Maturant von der Kärntner Geschichte wissen sollte Kärnten ist eines von neun Bundesländern der Republik Österreich. Fast jedes dieser Länder hat eine eigenständige Entwicklung als Staatswesen, die in das Mittelalter zurückreicht. Die bei weitem älteste Geschichte als staatliches Gebilde weist Kärnten auf.

Von überregionaler Bedeutung sind dabei die frühen Abschnitte: Schon im Jahr 976 wurde Kärnten Herzogtum des Römisch-deutschen Reichs und stand damit gleichberechtigt neben mächtigen Herzogtümern wie Bayern, Schwaben, Sachsen, Franken und Lothringen. Unter den späteren österreichischen Ländern war Kärnten das einzige alte Herzogtum. Zum Vergleich: Die Markgrafschaft Österreich, die unter den Babenbergern rasant aufstieg, wurde erst im Jahr 1156 zum Reichsherzogtum erhoben.

In der frühen Bedeutung Kärntens lag aber der Keim des Verfalls; denn zum Schutz vor Rebellion begüterte der Kaiser nach 976 im Gebiet des neuen Herzogs andere reichsfürstliche Mächte, die sich in Folge der herzoglichen Machtausübung widersetzten. Resultat: Im Späten Mittelalter, im 14. und 15. Jahrhundert, stand das einst importante Herzogtum Kärnten vor dem Zerbrechen in mehrere Teile. Die Habsburger, die seit 1335 und bis zum Ende der Monarchie Kärntner Landesfürsten waren, haben dies zwar verhindert. Auch die Landstände, d. h. vor allem die Vertreter des einheimischen Adels, trugen dazu bei, dass Kärnten gefestigt den Übergang in die Neuzeit schaffte.

Das 16. Jahrhundert, das erste neuzeitliche, war dann die absolute Blütezeit Kärntens – politisch, wirtschaftlich und kulturell. Der Aufschwung war keine Kärntner Sonderentwicklung, sondern ein gesamteuropäischer Trend. Mit dem 17. Jahrhundert, dem Ende der Montankonjunktur, der Änderung der Handelsströme Richtung Atlantik, der Gegenreformation und der Ausdünnung des Adels durch Auswan-

10 derung setzt der Niedergang ein – politisch, wirtschaftlich und kulturell.

Die massive Renaissance-Bautätigkeit des 16. Jahrhunderts fand keine Fortsetzung im Barock.

Die zentralistisch-aufklärerischen Reformen Maria Theresias und Josephs II. im 18. Jahrhundert zielten auf eine effektivere Verwaltung der Länder durch Zusammenlegung zu größeren Einheiten. Kärnten verlor seine selbständige Verwaltung, wurde Graz unterstellt, durch Napoleons Eingreifen geteilt. Der Villacher Kreis, Oberkärnten, wurde 1809 bis1813 französisch. Auch nach Napoleons Abgang blieb die Teilung bzw. der Verlust der Eigenständigkeit – das Land wurde einmal von Graz, dann von Laibach aus regiert, hatte keinen Landeshauptmann, Klagenfurt und Villach waren nur Kreisstädte.

Nach der Revolution von 1848 kehrte man zu den historisch gewachsenen Länderstrukturen zurück. Kärnten war wieder selbständiges Kronland. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schaukelten sich im Vielvölkerstaat der Habsburger Nationalitätenkonflikte auf. Die Idee einer vereinten slowenischen Nation innerhalb der Monarchie kam auf.

Der slowenische Süden Kärntens sollte dazugehören. Nach dem Ersten Weltkrieg Ende der Monarchie und Zerfall des Vielvölkerstaates in nationale Staaten. Der jugoslawische Anspruch auf die südlichen Teile Kärntens wurde auf der Pariser Friedenskonferenz monatelang von den alliierten Mächten behandelt, darunter von den Staatschefs der Siegermächte – dem US-Präsidenten Wilson, den britischen, französischen und italienischen Premiers Lloyd George, Clemenceau und Sonnino. So ausführlich wurde dieses Thema diskutiert, dass die Kärntner Frage als eine der „most important minor disputes“ der Konferenz bezeichnet wurde. Ergebnis war die Volksabstimmung. Diese Phase, als die Kärntner Frage in einem international besetzten Forum monatelang auf der Tagesordnung stand, kann als eine von überregionaler Bedeutung gesehen werden. Genauso wie die Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als im Mai 1945 die britische Besatzungsmacht auf Kärntner Boden Tito-Truppen gegenüberstand und das erneute Ausbrechen von Kampfhandlungen befürchtet wurde. Zwischen Truman, Churchill und Stalin liefen die Telefone heiß, bis schließlich die Tito-

11 Truppen abzogen. Die Friedensverhandlungen brachten im Sommer 1949 die Bestätigung der österreichischen Grenzen von 1937.

Die Kärntner Nachkriegsregierung versuchte, das schwere Unrecht, das in der Zeit des Dritten Reichs der Kärntner slowenischen Minderheit angetan worden war, gutzumachen. Die Ausgesiedelten kamen zurück und wurden entschädigt.

Der die Minderheiten betreffende Artikel 7 des Staatsvertrags von 1955 bedeutete Jahrzehnte lang Zündstoff in der Kärntner Politik. Es ging vor allem um die zweisprachige Schule und die zweisprachigen Ortstafeln.

Seit 2011 gibt es gesetzliche Vorgaben für die Aufstellung zweisprachiger Tafeln, wenn ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung der slowenischen Volksgruppe angehört. Erst seit damals ist Ruhe eingekehrt.

Was man noch wissen sollte: Damit zurück an Anfänge der Kärntner Geschichte: Von Vorteil in früher Zeit war die geschützte Lage des Landes zwischen Bergen, aber mit Öffnungen für den Durchzugsverkehr, und das Vorhandensein von Bodenschätzen. Das hochwertige Kärntner Eisen zog in der Antike römische Händler in das keltische Gebiet – Stichwort Magdalensberg. Die Metropole der späteren römischen Provinz Noricum, Virunum, entstand unweit am Zollfeld. Die Römerzeit gehört eindeutig zu den „wichtigen“ Perioden der Kärntner Geschichte.

Die Verwaltungsteilung mit zwei Stadtbezirken, Virunum und Teurnia, begründete Strukturen, die bis heute gültig sind – nämlich die Einteilung in Ober- und Unterkärnten.

Nach der Römerzeit, Beginn des Mittelalters. Slawen lassen sich in Kärnten nieder. Unter ihren Fürsten entsteht im 7./8. Jahrhundert ein „Staatswesen“, das nicht mehr Noricum heißt, sondern Karantanien/Kärnten. Mitte des 8. Jahrhunderts schließen sich unter dem Druck der Awaren die Karantanen dem Stammesherzogtum Bayern an. Vom bayerischen Bistum Salzburg aus werden die heidnischen Slawen missioniert. Der bekannte Kärntner Volksheilige Modestus gründete Kirchen und wird bis heute in Maria Saal verehrt.

12 Unter Kaiser Karl dem Großen werden Bayern und Karantanien dem großen Frankenreich einverleibt. Eine Verfügung Karls des Großen aus dem Jahr 811 behält bis ins 18. Jahrhundert Wirksamkeit: Die Drau wird als kirchliche Grenze bestimmt – nördlich ist das Erzbistum Salzburg zuständig, südlich das Patriarchat Aquileia.

In Karantanien sind im Frankenreich eine Zeit lang noch die einheimischen slawischen Fürsten akzeptiert, ab dem ersten Drittel des 9.

Jahrhunderts werden sie abgesetzt, ihr Land fällt an den König; fränkische Grafen kümmern sich um Rechtsprechung und Militärwesen.

Das „Königsland“ wird im Verlauf des Mittelalters an Gefolgsleute vergeben, vor allem die Kirche, wie Salzburg, auch Freising und Brixen.

Unter den fränkischen Grafen bzw. Verwaltern des karantanischen Reichsgebiets im Osten sticht einer besonders hervor: der Karolinger Arnulf, der später zum Kaiser erhoben wird und als solcher den Beinamen „von Kärnten“ trägt. Während seiner Zeit als Verwalter von Karantanien im 10. Jahrhundert werden viele Familien aus dem Reich nach Kärnten geholt; jüngere Söhne machen hier Karriere. Die Familie der Gräfin Hemma von Gurk, unserer hl. Hemma, etwa gehörte dazu.

976 dann – wie erwähnt – wird Kärnten von Bayern getrennt und selbständiges Reichsherzogtum. Ein mächtiges Gebilde – nicht nur das Kernland zählt dazu, auch die spätere Steiermark, Krain, der Lungau; dazu Friaul und Istrien. Und in Personalunion wurde auch die Mark Verona vom Kärntner Herzog verwaltet. Die Randgebiete spalten sich bald ab. Wesentlicher war, dass die Herzöge – es gibt viele Namen – sich nicht um den Machtausbau bemühten, sondern vor allem an der Erhebung in den Reichsfürstenstand interessiert waren. Und besonders negativ wirkte sich aus, dass die Könige, um Rebellionen vorzubeugen, den Herzögen reichsfürstliche Konkurrenzmächte ins Land setzten, die nicht bereit waren, sich dem gleichrangigen Herzog zu unterwerfen; von Salzburg war schon die Rede, Anfang des 11. Jahrhunderts wird dann das neugegründete Bistum Bamberg mit großem Besitz in Kärnten ausgestattet. Villach, das Kanaltal, der Bleiberg, das obere Lavanttal mit

13 Wolfsberg u. a. werden bambergisch.

1070 gründet Salzburg das Eigenbistum Gurk und etabliert auch damit seine Macht. Typisch für die spezielle Kärntner Situation ist auch das Städtewesen. Üblicherweise wurden vom Landesfürsten gegründete Städte Zentren. Nicht so in Kärnten. Die wichtigste Stadt im Hohen Mittelalter war das salzburgische Friesach, im Späten Mittelalter das bambergische Villach. Die landesfürstlichen Städte St. Veit, Völkermarkt und Klagenfurt lagen an Bedeutung zurück.

Als vom 11. bis ins 13. Jahrhundert die Eppensteiner und Spanheimer als Kärntner Herzogsfamilien versuchen, ihre Position im Land auszubauen, scheitern sie. In Oberkärnten, wo Salzburg, Bamberg, dazu die Grafen von Görz und Ortenburg ihre Herrschaft verfestigt hatten, können sie keinen Einfluss gewinnen. Die Kärntner Herzöge verlieren an Bedeutung. Die Babenberger in Österreich – erst viel später Herzöge geworden – hatten das Herzogtum Kärnten an Bedeutung längst überrundet und auch die Steiermark unter ihre Herrschaft gebracht. Mitte des 13. Jahrhunderts sterben die Babenberger aus, die Habsburger übernehmen.

Auch die Spanheimer sterben aus, die Görzer als habsburgische Gefolgsleute werden mit Kärnten belehnt; 1335 fällt auch Kärnten an die Habsburger.

Das 16. Jahrhundert – wie erwähnt – die Blütezeit Kärntens. In Europa herrscht Montankonjunktur – das alte Bergbauland Kärnten profitiert.

Auch der Venedighandel floriert noch; die Kärntner Landstände, die adelige Führungsschicht, die ihre eigene Landesverwaltung aufbaut, darf an den Zöllen mitverdienen. Der Kaiser braucht Geld, die Türken stehen vor der Tür. Das Geld wird von den Erbländern eingefordert. Landtage bürgern sich ein, auf denen die Stände die Steuern bewilligen. Die in der Zeit der Reformation protestantisch gewordenen Führungsschichten verwenden dies als Druckmittel – Steuern gegen Religionszugeständnisse durch die katholischen Habsburger Landesfürsten.

In dieser Periode entstehen alle unsere repräsentativen Schlösser – von Porcia über Landskron, Wernberg, Velden, Hochosterwitz, Tanzenberg

14 usw. Klagenfurt, von Kaiser Maximilian den Ständen geschenkt, wird großzügig zur Metropole ausgebaut. Mit Ende des 16. Jahrhunderts beginnt ein langer Abstieg Kärntens; eine Blütezeit in der Art des 16. Jahrhunderts kommt nie wieder.

FRIEDRICH FUCHS Zu den Anfängen der Viktor Frankl Hochschule Die Pädagogischen Akademien in Österreich wurden im Rahmen des Schulgesetzwerkes von 1962 geschaffen, sie waren also Schulen gemäß Schulorganisationsgesetz (SchOG) zur Ausbildung von Pflichtschullehrerinnen und -lehrern. Dieser Status wurde erst mit dem AkademienStudiengesetz 19991 geändert. Gleichzeitig wurde mit diesem Gesetz die Schaffung von „Hochschulen für pädagogische Berufe“ in die Wege geleitet. Das Hochschulgesetz 20052, welches den Umbau der Pädagogischen Akademien zu den Pädagogischen Hochschulen regelt, trat mit 1. Oktober 2007 in kraft.

Die Bestellung der Mitglieder des Gründungsrektorates3 erfolgte in Kärnten im Wintersemester 2006/07 in zwei Schritten; zuerst wurde die Rektorin bestellt, die dann bei der zeitversetzten Besetzung der Vizerektorate mitwirken sollte. Als designierter Vizerektor wurde ich von der Rektorin zu einem ersten persönlichen Kennenlernen in ein Lokal in Viktring eingeladen, und natürlich wollte sie von mir als langjährigem Mitglied4 des Lehrkörpers auch Details zur Geschichte des Hauses in der Hubertusstraße erfahren. Wie schon beim Hearing vor dem Hochschulrat5 vorgebracht, erzählte ich ihr dabei auch von meiner nebenberuflich begonnenen Aus1

Langtitel: Bundesgesetz über die Studien an Akademien und über die Schaffung von Hochschulen für pädagogische Berufe.

2 Langtitel: Bundesgesetz über die Organisation der Pädagogischen Hochschulen und ihre Studien.

3 Marlies Krainz-Dürr (Rektorin); Friedrich Fuchs (Vizerektor für Lehrer/innenbildung und Qualitätssicherung); Gabriele Khan (Vizerektorin für Forschung und Entwicklung).

4 Von 1976 bis 2003 in der Ausbildung für das Lehramt an Hauptschulen tätig; mit der Einrichtung einer Studienkommission durch das AStG vom Kollegium zu deren erstem Vorsitzenden gewählt (Jänner 2000); ab April 2004 Abteilungsleiter für die Studiengänge an der Pädagogischen Akademie. Die Bestellung zum (Gründungs)Vizerektor durch das damalige Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur erfolgte im April 2007 rückwirkend mit 1. März 2007.

5 Vorsitzender: Univ.-Prof. Dr. Heinrich Claus Mayr, Rektor der Alpen-AdriaUniversität Klagenfurt (AAU). Mitglieder: Univ.-Prof. i.R. Dr. Peter Posch (AAU), MMag. Gudrun Thaler (HAK Klagenfurt), Mag. Roland Prinz (Hypo Alpe Adria Bank), Dr. Claudia Egger (Amtsführende Präsidentin des LSR Kärnten).

16 bildung in Logotherapie bei Elisabeth Lukas und von deren bevorstehendem Abschluss. Ich hatte im Gedankengut von Viktor Frankl einen geistigen Schatz erkannt, der gerade im pädagogischen Bereich besonders wertvoll sein würde und im Konzept der neu zu gestaltenden Hochschule unbedingt berücksichtigt werden sollte. Zudem hatten wir ja an der Pädagogischen Akademie seit dem Wintersemester 2004/05 Akademielehrgänge zur Logopädagogik laufen.6 Warum sollte die Pädagogische Hochschule Kärnten nicht zusätzlich einen Untertitel tragen können, etwa Viktor Frankl Hochschule? Gab es möglicherweise einen Widerspruch zum Hochschulgesetz? Würden die Witwe des 1997 verstorbenen Viktor Frankl, Frau Eleonore Frankl, und ihre Familie mit dieser Namensgebung einverstanden sein? – Nun, rechtlich schien es keine Hindernisse zu geben, und von Frau Frankl erhielten wir eine ganz besonders nette Antwort, wo sie schrieb, wie sehr sich ihr verstorbener Mann gefreut hätte, einer österreichischen Hochschule mit seinem Namen ein Programm zu geben.

Mit dieser Zusage waren nun Hochschulrat, Institutsleiterkonferenz und das Kollegium zu befassen. Natürlich gab es von verschiedenen Seiten Bedenken, etwa, die Hochschule würde einseitig ausgerichtet werden, oder man würde ein noch unbekanntes Konzept übergestülpt bekommen u. ä. Doch die Zustimmung war letztlich eindeutig, vor allem als die jährliche Abhaltung eines Viktor Frankl Symposiums mit ins Konzept übernommen wurde.7 Die Reihe dieser Symposien begann dann im Oktober 2008. Das starke Interesse an dieser Veranstaltung, das sich von Jahr zu Jahr steigerte, bestätigte unser Gefühl, mit dem Symposium ein aktuelles Bedürfnis unserer Zeit zu befriedigen. Die Philosophie Viktor Frankls und sein Lebenswerk, die „Logotherapie und Existenzanalyse“ – vielfach auch als die „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ bezeichnet – bieten nicht nur eine Materialfülle für Diskussionen, Vorträge, Lehrveranstaltun-

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Der erste dieser Lehrgänge mit dem Titel „Pädagogik als Prävention“ fand im Studienjahr 2002/03 unter der Leitung von Prof. Heidemarie Zürner statt, die in den Folgejahren mit großem Engagement als Lehrende und bei der Entwicklung des Curriculums für den folgenden Hochschullehrgang aktiv war. Wertvoll war dabei auch die Kooperation mit dem Viktor Frankl Zentrum Wien.

7 An dieser Stelle soll das besondere Engagement von Wolfgang Jansche für das Frankl-Symposium erwähnt werden, der dann leider am 14. Oktober 2007 völlig überraschend verstorben ist.

17 gen und Tagungen, sondern stellen auch die Grundlage für neue pädagogische Impulse dar, die mit dem Begriff Logopädagogik8 gemeint sind.

Was ist Logopädagogik? – Darunter versteht man eine auf Sinn ausgerichtete Pädagogik, die sich an einem humanistischen Menschen- und Weltbild orientiert, in dessen Mittelpunkt der Mensch mit seinen Erkenntnis-, Bildungs- und Entwicklungsbedürfnissen steht. Auf der Grundlage des sinnorientierten Menschenbildes von Viktor E. Frankl entwickelt die Logopädagogik Haltungs- und Handlungskonsequenzen für den pädagogischen Alltag und beschreibt, wie Prävention im pädagogischen Feld gelingen kann.

Sie versteht sich als eine heute notwendige Ergänzung einer fundierten fachlichen und pädagogischen Bildung. Sie betrachtet das spezifisch Humane, nämlich die „geistige Dimension9 des Menschen“ (Frankl) als Grundlage der freien Willensentscheidung mit der daraus folgenden Fähigkeit der Stellungnahme zu Situationen und Ereignissen und der Fähigkeit zu einer verantwortlichen Lebensgestaltung. Aus der geistigen Dimension erwächst das sachliche und künstlerische Interesse, aus ihr resultieren ethisches Empfinden, soziales Erleben und Wertefühligkeit.

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Der Versuch, die Lehre von Viktor Frankl für die Pädagogik fruchtbar zu machen, führte zum Begriff Logopädagogik. Wo der Begriff erstmals verwendet wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Hier sei angemerkt, dass an der Alpen-AdriaUniversität in Klagenfurt (kurz: AAU) im Jahre 2003 von Tina Hudnik eine Diplomarbeit mit dem Titel „LOGO-Pädagogik. Eine moderne Pädagogik, angelehnt an V. E. Frankls Logotherapie mit Existenzanalyse“ verfasst wurde, in der die Frage erörtert wurde, ob V. E. Frankls Logotherapie und Exstenzanalyse auch Ansätze für die schulische Erziehungshilfe enthalte.

In ihrer an der AAU verfassten Dissertation von 2012 („Persönlichkeitsbildung als besondere Herausforderung der LehrerInnenbildung NEU“) geht Melitta Fuchs ausführlich auf Logopädagogik als eine sinnorientierte Erziehung nach Viktor Frankl und deren Bedeutung für pädagogische Kompetenzen und Haltungen in einer neu zu konzipierenden Ausbildung für das Lehramt ein.

9 Dimensionalontologie bei V. Frankl etwa in Frankl, Viktor E.: Ärztliche Seelsorge (2005). 11. überarbeitete Neuauflage. Wien: Deuticke Verlag, S. 51f Hier sei auf Art. 14 (5a) des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes hingewiesen, wo es – ganz im Sinne von Frankls Dimensionalontologie – heißt: „… Im partnerschaftlichen Zusammenwirken von Schülern, Eltern und Lehrern ist Kindern und Jugendlichen die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen, …“.

18 Frankls Logotherapie sieht den Menschen als ein Wesen mit einem freien Willen, der begründet ist in der geistigen Dimension des Menschen. Diese neben Körper und Psyche dritte menschlichen Dimension befähigt den Menschen, zu seinen inneren und äußeren Bedingungen Stellung zu beziehen; er ist nicht bloß ein reagierendes oder abreagierendes, sondern ein agierendes, ein pro-agierendes, ein gestaltendes Wesen. Das ist nicht nur für die Psychotherapie bedeutsam!

Den Schülerinnen und Schülern muss ihre Willensfreiheit bewusst werden dürfen, sie müssen lernen, in Freiheit zu entscheiden, aber auch die damit verbundene Verantwortung wahrzunehmen und zu tragen. In der Viktor Frankl Schule in Klagenfurt-Annabichl findet sich im zweiten Stock an der Wand das Frankl-Zitat: „Der Mensch entscheidet in jedem Augenblick, was (oder wer) er im nächsten Augenblick sein wird.“10 – Die jungen Menschen verstehen diesen Satz und wissen, wie sehr er ihnen im Schulalltag hilft; denn sie selber sind es ja, die entscheiden, was oder wer sie sein wollen, aggressiv und raufend oder freundlich und liebenswert, störend oder aufmerksam?

Viktor Frankl fragte nicht, was zu seiner Zeit alle fragten, nämlich was den Menschen (seelisch) krank mache, sondern er fragte zukunftsorientiert: Was lässt ihn gesund bleiben, was lässt ihn gesund werden? Und er fand heraus, dass der Mensch für seine seelische Gesundheit etwas braucht, wofür es sich zu leben lohnt, sei es eine Aufgabe, eine Sache oder eine Person. Er braucht eine Sinnperspektive.11 (Dazu sei angemerkt, dass der österreichische Gesetzgeber im Lehrplan für die 10- bis 14jährigen fordert, sie „in der Herausforderung, in ihrem Dasein einen Sinn zu finden, zu stützen“.12)

10

Cf. etwa: Frankl, Viktor E. (2005): Der Wille zum Sinn. 5. erw. Aufl. Bern: Hans Huber Verlag. S. 91.

11 Frankl, Viktor E. (2002): Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk. Ungekürzte Taschenbuchausgabe. 15. Auflage. München: Piper Verlag. Etwa: S. 141ff 12 Lehrplan der AHS und der HS: Erster Teil. Allgemeines Bildungsziel. Punkt 3, Leitvorstellungen.

19 Die Frankl-Schülerin Elisabeth Lukas13 redet vom wirklichen Menschen, das ist der, der zeigt, was einen Menschen tatsächlich ausmacht, dem es um etwas geht, was nicht er selber ist, dem es um die Sache geht, um Inhalte, um mehr Licht in der Welt, dem es um den Mitmenschen geht, der etwas bewirken will in der Welt, im Großen oder im Kleinen. Das ist das Eigentliche! Nicht die Gier nach Dank, Anerkennung und Macht, nicht die Selbstverwirklichung! Frankl spricht vom Willen zum Sinn.14 Kindern und Jugendlichen muss die Möglichkeit geboten werden, die Basis für ihre Palette an Fähigkeiten, nämlich Leistungs-, Liebes- und Leidensfähigkeit, gleichmäßig stark auszubauen, damit ihr Leben in Balance kommen und in Balance bleiben kann. Da gibt es heute große Defizite, gerade was die dritte Fähigkeit anbelangt, denn Leidensfähigkeit und Durchhaltevermögen werden als Kompetenzen im schulischen Alltagsleben, fernab von Sport, Musik oder gar Extremsport, kaum thematisiert. Sie sind aber im wahrsten Sinn des Wortes überlebenswichtig.

Lehrerinnen und Lehrer, die Bezugspersonen in der Schule, müssen über die Möglichkeit Bescheid wissen, dass jemand trotz widriger Rahmenbedingungen (bildungsfernes Elternhaus, häusliche Alkohol- oder Suchtprobleme, Migrationshintergrund, alleinerziehende Mütter oder Väter usw.) immer noch ein Mensch ist mit all seinen Potenzialen, die man erkennen und behutsam bewusst machen und fördern muss. Und dass solche junge Menschen häufig ihre unausgesprochenen seelischen Verletzungen still herumtragen, auch wenn sie sich noch so extrovertiert geben.

Schule muss sinnzentriert sein. Sinnvoll erlebtes Tun wirkt gerade beim jungen Menschen nachhaltig. Junge Menschen benötigen ein Umfeld, das bei ihnen ihre eigene Entwicklung zulässt, das sie herausfordert, fördert, aber auch Leistung erwartet. Eine Herausforderung bewusst annehmen zu können, heißt, sich selbst die Bewältigung dieser Herausforderung zuzutrauen. Das hat mit starker Motivation zu tun und mit dem Gefühl, etwas 13

Lukas, Elisabeth (2011): Der Schlüssel zu einem sinnvollen Leben. Die Höhenpsychologie Viktor E. Frankls. München: Kösel Verlag.

Lukas, Elisabeth (2002): Lehrbuch der Logotherapie. 2. Auflage, München, Wien: Profil Verlag.

14 Frankl, Viktor E. (2005): Der Wille zum Sinn. 5. erweiterte Auflage. Bern: Hans Huber Verlag.

20 Sinnvolles machen zu können, vielleicht auch an einer großen Sache mittun zu können. Die Fähigkeit, sich für etwas oder für jemanden begeistern zu können, ist die beste Motivation, wie es auch die Gehirnforschung bestätigt.15 Als Lehrerin oder Lehrer wird man sich daher immer wieder selbst die Frage stellen müssen, ob man selbst zu Begeisterung fähig sei, ob man die Unterrichtsplanung oder das persönliche Handeln als sinn-voll rechtfertigen könne, ob man bei der Vermittlung die eigene Begeisterung die Kinder spüren zu lassen vermag. In unserer Gesellschaft stehen Selbstverwirklichung, das eigene Glück, der eigene Vorteil, der Gewinn ganz hoch im Kurs – für Frankl ist eine solche egozentrierte Haltung keinesfalls sinnorientiert: Sinn ist immer eingebunden in einen Übersinn, es geht um das Beste für mich und die Welt bzw. mein Umfeld. Glück ist das, was einem als Geschenk zufällt, wenn man Sinn anstrebt. Schüler sind sehr wohl in der Lage, diese Botschaft zu verstehen, sie erkennen, dass es für einen selber zuträglich sein kann, dann und wann auch zurückzustecken und auf diese Weise der Gemeinschaft zu dienen, dass Solidarität mit dem Schwächeren der eigenen Zufriedenheit förderlich sein kann, dass Selbstdisziplin positiv erlebt werden kann, usw.

Frankls Gedankengut verändert Denkprozesse, was eine Studentin am Ende ihres Logopädagogik-Lehrgangs so formuliert hat: …Ich muss weniger und darf mehr! Meine Mitmenschen und besonders meine „schwierigen“ Schüler erscheinen mir im Licht – dort, wo ich vorher nur ins Dunkel schaute! …

Zum Schluss sei hier der Pädagogische Eid zitiert, wie er bei akademischen Feiern an der Viktor Frankl Hochschule verwendet wird:16 Ich gelobe, allen meinen Schülerinnen und Schülern mit Respekt zu begegnen, sie ihren Talenten gemäß zu fördern und an das unversehrbar Gute in ihnen zu glauben.

Die Würde des Menschen – auch des jungen Menschen – ist unantastbar.

15

Hüther Gerald (2010): Bedienungsanleitung für ein Menschliches Gehirn. 9. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Verlag.

16 https://www.phkaernten.ac.at/fileadmin/media/studienabteilung/Pädagogischer_Eid.pdf (Zugriff: 2019-08-26)

21 Ich gelobe, mich in meinem pädagogischen Tun nur von meinem fachlichen Wissen und meinem Gespür für das Rechte und Gute leiten zu lassen.

Kein Misserfolg soll mich beirren, kein Erfolg mich verführen, und keine schmerzliche Erfahrung soll mich am Sinn meines ungebrochenen Engagements für die Jugend zweifeln lassen.

Ich gelobe, bei meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stets ein offenes Ohr und Herz für sie zu bewahren, ich will klug und besonnen mit ihnen umgehen.

Sie sollen sich bedingungslos angenommen wissen, und sei es einzig und allein von mir. Es könnte für ihr weiteres Leben entscheidend sein.

GERALD GRIMM 150 Jahre „Reichsvolksschulgesetz“: Österreichs Anschluss an die europaweite Bildungsexpansion im Industriezeitalter?

Am 14. Mai 2019 jährte sich – von der Öffentlichkeit in Österreich kaum wahrgenommen – das Inkrafttreten des sogenannten „Reichsvolksschulgesetzes“ (RVG) zum 150. Mal. Am 14. Mai 1869 sanktionierte nämlich Kaiser Franz Joseph I. „dieses das Schulwesen beinahe ein Jahrhundert lang bestimmende Gesetz“, nachdem es zuvor auf Antrag des liberal gesinnten Ministers für Kultus und Unterricht Leopold Hasner Ritter von Artha im Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrates mit überwältigender Mehrheit beschlossen worden war und auch die Zustimmung des Herrenhauses erhalten hatte (vgl. Engelbrecht 1986, S. 114). Dieses zeitgemäße, im kollektiven Bewusstsein allerdings – im Unterschied zur „Allgemeinen Schulordnung“ von 1774 – offenbar nicht verankerte Gesetz leitete zweifellos eine „neue Epoche in der Geschichte des niederen Schulwesens und seiner Lehrerbildung ein“ (Gönner 1967, S. 147). Im Folgenden soll die pädagogisch-bildungspolitische Bedeutsamkeit des RVG anhand von drei Thesen illustriert werden.

Erste These: Das Reichsvolksschulgesetz von 1869 hatte ein signifikantes Ansteigen des Bildungsniveaus der österreichischen Bevölkerung zur Folge Mit dem Inkrafttreten des RVG wurde die allgemeine Unterrichtspflicht in Österreich von sechs auf acht Jahre erhöht. Parallel zur quantitativen Erweiterung erfolgte auch eine qualitative Verbesserung des Unterrichts.

Während bis 1869 nämlich die ländlichen Elementarschulen ihren curricularen Fokus primär auf Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen legten, wurden ab dem Schuljahr 1869/70 an allen österreichischen Volksschulen nunmehr auch Sachunterricht, konkret „das für Schüler Faßlichste und Wissenswerteste aus der Naturgeschichte, Naturlehre, Geographie und Geschichte mit besonderer Rücksichtnahme auf das Vaterland und dessen Verfassung“ sowie „Zeichnen“, „Gesang“, „weibliche Handarbeiten für Mädchen“ und „Turnen für Knaben“ Pflichtgegenstände (vgl.

24 Reichvolksschulgesetz 19264, § 3, S. 4). In den Städten wurden darüber hinaus die „allgemeinen Volksschulen“ ab der fünften Schulstufe als selbständige „Bürgerschulen“ geführt. Diese hatten „eine über das Lehrziel der allgemeinen Volksschule hinaus-reichende Bildung“ durch erweiterten Unterricht im sprachlichen und mathematischen Bereich („Unterrichtssprache in Verbindung mit Geschäftsaufsätzen“, „Rechnen in Verbindung mit einfacher Buch-führung“ sowie „Geometrie und geometrisches Zeichnen“) zu vermitteln. Die Bürgerschulen dienten auch der „Vorbildung für Lehrerbildungs-anstalten“ sowie „für jene Fachschulen, welche eine Mittelschulvor-bildung nicht voraussetzen“, und sollten vor allem die „Bedürfnisse der Gewerbetreibenden“ befriedigen (ebd., § 17, S. 8f.).

Wesentlich war auch, dass mit dem RVG sowie mit dem ein Jahr zuvor (1868) beschlossenen „Schule-Kirche-Gesetz“ die interkonfessionelle Simultanschule in Österreich eingeführt wurde, d. h. die neuen Volksund Bürgerschulen waren allen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen – ohne Rücksicht auf ihre Konfession, ihr Geschlecht und ihre soziale Herkunft – frei zugänglich und damit „Volksschulen“ im vollen Sinne des Wortes. Gleichzeitig konnte der Schulbesuch in der Habsburgermonarchie infolge des RVG signifikant gesteigert werden. Während bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur rund die Hälfte der österreichischen Bevölkerung tatsächlich eine Pflichtschule besuchte, stieg der Alpabetisierungsgrad der Österreicher und Österreicherinnen – von einigen Bezirken in der Obersteiermark und in Unterkärnten abgesehen – bis 1910 auf rund 96 Prozent an und erreichte in Vorarlberg und Tirol bereits 99 Prozent (vgl. Engelbrecht 1986, S. 467) – Werte, die auch im 21. Jahrhundert noch beeindrucken.

Zweite These: Das Reichsvolksschulgesetz von 1869 leistete einen substantiellen Beitrag zur Professionalisierung der österreichischen Pflichtschullehrerschaft Mit dem RVG 1869 wurde nicht nur die achtjährige interkonfessionelle Simultanschule in Österreich eingeführt, sondern auch die Professionalisierung der österreichischen Pflichtschullehrerschaft initiiert. Das RVG

25 sah nämlich auch die Errichtung von vierjährigen, der Sekundarstufe II zuzuordnenden Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten (LBAs), deren endgültige Institutionalisierung erst durch das Organisationsstatut von 1874 erfolgte, vor. Diese neuen, eine Synthese von Allgemeinbildung und Berufsbildung intendierenden Institutionen der Pflichtschullehrerbildung lösten die 1849 partiell auf zwei Jahre erweiterten Präparandenkurse endgültig ab. Die Gründung von LBAs in allen österreichischen Kronländern bedeutete nicht nur eine Verdoppelung der Ausbildungszeit, sondern hatte auch einen Qualitätsschub zur Folge, wurden die Kandidaten/-innen nunmehr doch in seminaristischer Form in Theorie und Praxis des Volksschulunterrichts eingeführt., Gleichzeitig wurden die Eingangsvoraussetzungen wesentlich erhöht. Denn für die Aufnahme in eine LBA war die positive Absolvierung eines Untergymnasiums, einer Unterrealschule oder zumindest einer Bürgerschule erforderlich. Die Absolventen/-innen der LBAs konnten erst nach mindestens zweijähriger Unterrichtspraxis die für eine definitive Anstellung erfor-derliche Lehrbefähigungsprüfung, deren Institutionalisierung eine wesentliche „Grundlage für die Professionalisierung dieses Berufs“ (Engelbrecht 1986, S. 115) darstellte, ablegen. Die Professionalisierung der österreichischen Pflichtschullehrerschaft wurde durch die Errichtung von LBAs jedenfalls entscheidend vorangetrieben.

Der Pflichtschullehrberuf wurde nunmehr explizit als ein „öffentliches Amt“ angesehen, das „für alle Staatsbürger“ zugänglich war (Reichsvolksschulgesetz 19264, § 48, S. 17). Es wurden Amtstitel (Oberlehrer, Lehrer, Unterlehrer) eingeführt und eine Gehaltsregelung eingeführt, wobei die „Minimalbezüge“ so bemessen sein sollten, dass „Lehrer und Unterlehrer frei von hemmenden Nebengeschäften ihre ganze Kraft dem Berufe widmen und erstere auch eine Familie den örtlichen Verhältnissen gemäß erhalten können“ (ebd., § 55; S. 19). Alle definitiv angestellten Lehrer sowie deren Witwen und Waisen waren ab nun pensionsberechtigt – ein großer sozialpolitischer Fortschritt im Vergleich zur Situation vor 1869. Das RVG regelte auch die „pädagogische und wissenschaftliche Fortbildung der Lehrer“, welche durch „Schulzeit-schriften, Lehrerbibliotheken, periodische Konferenzen und Fortbil-dungskurse“ erfolgen sollte und für alle Pflichtschullehrer und Pflichtschullehrerinnen

26 verpflichtend war. (ebd., § 43, S. 16). Dabei war der Umfang der Fortbildungskurse beachtlich. Die Teilnahme an den vier- bis sechswöchigen Fortbildungskursen, die an den LBAs angeboten wurden, sollte in der Regel während der unterrichtsfreien Zeit (Herbst-ferien) erfolgen, wobei in den größeren Städten auch während des Schuljahres Kurse zur Fortbildung von Pflichtschullehrer/-innen angebo-ten wurden. Inhaltlich erstreckten sich die Fortbildungskurse auf „alle Lehrgegenstände, die an den Lehrbildungsanstalten gelehrt wurden“ (Gönner 1967, S. 166). Auf dem Gebiet der Pädagogik waren es vor allem die Elementarmethode Johann Heinrich Pestalozzis sowie die Formalstufentheorie Johann Friedrich Herbarts, die in den Fortbildungs-kursen thematisiert wurden. Die angeführten zahlreichen Fortbildungs-möglichkeiten illustrieren den hohen Professionalisierungsgrad, den der Pflichtschullehrberuf in Österreich mit der Einführung des RVG bereits erreicht hatte (vgl. Grimm 2013, S. 5f.).

Dritte These: Das Reichvolksschulgesetz von 1869 begünstigte die für das Industriezeitalter charakteristische Urbanisierung von Bildung und leistete damit indirekt einen Beitrag zur Diskriminierung der ländlichen Bevölkerung in bildungsmäßiger Hinsicht Durch das RVG kam es – wie bereits erwähnt – auf dem Gebiet des heutigen Österreichs zu einer „deutlichen Anhebung des Bildungsniveaus der Grundschicht und der unteren Mittelschicht“ (Engelbrecht 1986, S. 115f.). Da die Bürgerschule als gehobene Form der Volksschuloberstufe aber nur im städtischen Raum eingerichtet wurde, blieb die ländliche Bevölkerung und damit die Mehrheit – die Bauern waren im 19. Jahrhundert in der Habsburgermonarchie noch immer die „zahlenmäßig stärkste gesellschaftliche Gruppe“ (ebd., S. 25) – von der wachsenden Zahl mittlerer Berufsfelder, zu denen auch das Lehramt an Pflichtschulen zählte, de facto ausgeschlossen. Denn die Volksschuloberstufe berechtigte weder zum Besuch einer LBA noch einer Fachschule, deren Absolvierung die Voraussetzung für eine qualifizierte Tätigkeit in den entstehenden Industriebetrieben darstellte. Dazu kam das fehlende Bildungsbewusstsein der Unterschicht: „Besonders die unwissende Landbevölkerung wie auch das Fabriksproletariat nahmen eine schul-feindliche Hal-

27 tung ein, weil die Verlängerung der Schulpflicht ihnen Arbeitshände und damit Hilfe bei der Bewältigung ihrer materiellen Not entzog“ (ebd., S. 116). Die im RVG formulierten Zugeständnisse an die Landbevölkerung (nach vollendetem sechsjährigem Schulbesuch wurde den „Kindern auf dem Lande“ auf Antrag ihrer Eltern Schulbesuchs-erleichterungen zugestanden, vgl. Reichsvolksschulgesetz 19264, § 21, S. 10) hatte folgenschwere Auswirkungen. Der Großteil der Schülerinnen und Schüler auf dem Lande besuchte nämlich die siebente und achte Schulstufe nur noch verkürzt an einzelnen Wochentagen oder halbtags, zumal Gemeindevertretungen derartige gravierende Schulbesuchserleich-terungen für die „ganze Schulgemeinde“ beantragen konnten (vgl. ebd., § 21, S. 10). Das ohnehin bestehende Stadt-Land-Gefälle im Bildungs-bereich wurde durch die großzügige Gewährung dieser Ausnahmerege-lung jedenfalls erheblich vergrößert. Um 1900 besuchte in Österreich immerhin ein Viertel der schulpflichtigen Kinder nur sechs Jahre lang die Volksschule (vgl. Maier 1967, S. 100).

Resümee Trotz dieser negativen Auswirkungen des RVG von 1869 für die ländliche Grundschicht, die freilich primär auf die auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierende schulfeindliche Bildungsmentalität der bäuerlichen Bevölkerung zurückzuführen sind, überwiegt das Innovative und Positive dieses für den Primarbereich bis in die Zweite Republik Richtung weisenden Gesetzes. Für Helmut Engelbrecht ist das RVG sogar das „damals in Europa modernste, späte-re Entwicklungen vorwegnehmende Gesetz“ (Engelbrecht 2015, S. 131). Die im Titel des vorliegenden Beitrags gestellte Frage, ob das Inkraft-treten des RVG mit dem Schuljahr 1869/70 den Anschluss Österreichs an die europaweit zu konstatierende Bildungsexpansion im Industrie-zeitalter bedeutete, kann jedenfalls vorbehaltlos bejaht werden.

Quellen und Literatur ENGELBRECHT, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 4: Von 1848 bis zum Ende

28 der Monarchie. Wien 1986.

ENGELBRECHT, Helmut: Schule in Österreich. Die Entwicklung ihrer Organisation von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien 2015.

GÖNNER, Rudolf: Die österreichische Lehrerbildung von der Normalschule bis zur Pädagogischen Akademie. Wien 1967.

GRIMM, Gerald: Thesen zur Professionalisierung der österreichischen Volksschullehrerschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Lechner, Elmar (Hrsg.): Pädagogisch-Bildungsgeschichtliche Statements I (Retrospektiven in Sachen Bildung, Reihe 2/Studien, Nr. 81). Klagenfurt 2013. S. 4-7.

MAIER, Karl Ernst: Das Werden der allgemeinbildenden Pflichtschule in Bayern und Österreich. Eine vergleichende Untersuchung von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ansbach 1967.

Das REICHSVOLKSSCHULGESETZ samt den wichtigsten Durchführungsbestimmungen einschließlich der definitiven Schul- und Unterrichtsordnung für allgemeine Volksschulen und Bürgerschulen. Wien/Leipzig 19264.

HELENE KOBALD Stenographie: Von der Kulturtechnik zur Nischendisziplin 1. Historische Entwicklung "Stenografie oder Stenographie, kurz Steno, auch Engschrift, Kurzschrift, Schnellschrift, Tachygraphie, Phonographie, Redezeichen-kunst), ist eine aus einfachen Zeichen gebildete Schrift. (…) Der Begriff Stenografie leitet sich von den griechischen Wörtern stenós („eng“) und gráphein („schreiben“, „ritzen“) her.1 Als Erfinder der Stenografie gilt Marcus Tullius Tiro (103 v. Chr. – 4. v.

Chr.). Tiro war zuerst Sklave, dann Freigelassener und Privatsekretär von Marcus Tullio Cicero (106 v. Chr. – 43 v. Chr.), dessen Reden er aufschrieb. Das System, das er entwickelt hatte, wird als "Tironische Noten"2 bezeichnet. Er verwendete auch Abkürzungen, die wir heute noch verwenden: z. B. AD - anno domini; PS (postscriptum); NB – notabene; M – mille (tausend).

Das erste deutsche Stenografielehrbuch stammt von Charles Aloysius Ramsay (gest. nach 1681), trägt den Titel "Tacheographia" und wurde 1678 veröffentlicht.3 Weitere deutsche Systemerfinder waren Heinrich August Wilhelm Stolze (1798-1867), Leopold Arends (1817-1882), Heinrich Roller (18391916), Ferdinand Schrey (1850-1938). Der bedeutendste ist Franz Xaver Gabelsberger (1789-1849). Er veröffentlichte 1934 sein Lehrbuch mit dem Titel "Anleitung zur deutschen Redezeichenkunst oder Stenogra1

Wikipedia: Stenografie. https://de.wikipedia.org/wiki/Stenografie. Abgerufen am 7.7.2019 2 Wikipedia: Tironische Noten.

Stenografie. https://de.wikipedia.org/wiki/Tironische_Noten. Abgerufen am 3.9.2019 3 Wikipedia: Charles Ramsay. https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Aloysius_Ramsay. Abgerufen am 28.7.2019

30 phie".4 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es 10 verschiedene Systeme bzw.

Kurzschriftschulen, und es kam zu Bestrebungen, diese verschiedenen deutschen Systeme zu vereinen. Nach langen Verhandlungen gelang dies; es wurde 1924 die Deutsche Einheitskurzschrift geschaffen.5 Im Jahre 1936 und 1968 wurde sie reformiert. Heute ist die DEK 1968, die sogenannte "Wiener Urkunde", das Standardsystem in Deutschland und Österreich. In der Schweiz bevorzugt man die Systeme Stolze-Schrey (in der deutschsprachigen Schweiz und im Tessin) sowie für die französischsprachige Schweiz Duployé und Aimé-Paris.

Deutsche Systemerfinder im 20. Jahrhundert: Oskar Schultze entwickelte 1958 die "Vereinfachte Kurzschrift", 1966 erfand Georg Paucker die Deutsche Notizschrift "DENO" und Helmut Stief die nach ihm benannte Stiefografie. 1978 entwickelte Nicolas Richter die Deutsche Euro-Steno.

Und im 21. Jahrhundert, im Jahre 2002, veröffentlichten Karl-Wilhelm Henke (*1948) und Konrad Weber (1930-2008) die "Neue Notizschrift".

In England sind die bekanntesten Vertreter von Kurzschriftsystemen: Thimoty Bright (geb. um 1550), John Robert Gregg (1888), Isaac Pitman (1837), Thomas Shelton (1626). Deutsche Forscher haben festgestellt, dass durch die Anwendung der Brightschen Kurzschrift ein Teil der Dramen Shakespeares der Nachwelt erhalten wurde. Sie wurden heimlich während der Aufführungen stenografiert.6 In Österreich war Ewald Brabbée (1878-1937) ein bekannter Systemtheoretiker und Dr. Karl Levasseur ein bedeutender Stenograf.

Französische Kurzschriftsysteme entwickelten Abbé Jacques Cossard 4

Winklers Verlag Gebrüder Grimm (1989) Sonderheft KMI: 200 Jahre Gabelsberger 1789-1989. Darmstadt. Winklers Verlag Gebrüder Grimm 5 Wikipedia: Deutsche Einheitskurzschrift. https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Einheitskurzschrift.

Abgerufen am 3.9.2019 6 Jülich, Bernhard, Katechismus für den Kurzschriftlehrer, S. 63

31 (1651), Hippolyte Prévost (1792), Èmile Duployé (1867).

2. Kurzschriftsysteme Es gibt zwei Systeme, das kursive und das geometrische: „‚Kursiv’ nennen wir die Schrift, wenn sie ‚einlagig’ ist, d.h., wenn sie, wie das bei der Langschrift der Fall ist, von links nach rechts in einer Richtung unter ständigem Wechsel von Auf- und Abstrichen läuft, also immer den gleichen ‚Kurs’ hat." (Jülich, Katechismus für den Kurzschriftlehrer, S. 64).

Vertreter des geometrischen Kurzschriftsystems "… wählten ihre Zeichen aus der Geometrie, aus den einfachsten Formen der Flächen-lehre, indem sie gerade und krumme Linien, Kreise und Kreisteile, Linien in verschiedener Länge und Schräglage, (…) verwandten, wobei auf jede Einheitlichkeit in der Schreibrichtung verzichtet wurde."7 „Die Hand des Schreibenden (…) hatte Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen zu machen, und das in verschiedenen Steil- und Schräglagen, so daß man eine solche Schrift auch als ‚mehrlagig’ bezeichnen kann.“ (Ebd. S. 64).

Kurzschrift wird in drei Stufen gelehrt: Die Verkehrsschrift oder auch Notizschrift genannt, ist die erste Stufe. Verkürzt wird in erster Linie durch Anwendung von Kürzeln. In der Eilschrift werden weitere Verkürzungsmittel angewendet, die in der Rede- oder Debattenschrift noch weiter ausgebaut werden.

Parlaments- und Verhandlungsstenographen verwenden noch weitere, spezielle Kürzungen, die auf bestimmte Bereiche und Themen abzielen und individuell erstellt werden. Daher spricht man von der "Hohen Praxis".

3. Kurzschrift im Lehrplan der Handelsakademie Im Folgenden wird am Beispiel der Handelsakademie Klagenfurt dargestellt, wie sich das Unterrichtsfach "Kurzschrift" verändert hat.

7

Ders.

32 Im Jahre 1918 wurde der 1. Jahrgang der Höheren Handelsschule (ab 1920 Handelsakademie) eröffnet. Stenografie wurde im Ausmaß von 2 WSt. im 1. Jg. und 3 WSt. im 2. Jg. unterrichtet.

Mit Beginn des Schuljahres 1963/64 wurde das Unterrichtsfach Kurzschrift in Stenotypie umbenannt und in folgende Bereiche gegliedert: Kurzschrift, Maschinschreiben, Stenotypie (jeweils 2 WSt. im 1. und 2.

Jg.) und 2 WSt. Stenotypie-Übungen im 3. Jg.8 Als Freigegenstand wurde Stenotypie mit 2 WSt. im 4. Jg. und 1WSt. im 5. Jg. angeboten.

Im Jahre 1969 erfolgte eine weitere Änderung: Das Unterrichtsfach Stenotypie wurde in "Stenotypie und Phonotypie" umbenannt (1. Jg. 3 WSt. KS, im 2. Jg. 2 Stunden KS, 3. Jg. 3 WSt. Stenotypie- und PhonotypieÜbungen.9 1971 wurde KS auf 1 WSt. im 1. Jg. gekürzt.10 1978 wird das Fach in "Stenotypie und Textverarbeitung" umbenannt und auch die Stundenanzahl geändert: Im 1. Jg. 5 WSt., im 2. und 3. Jg. 2 WSt.11 1981 wird der Lehrstoff auf Semester aufgeteilt: 5 WSt. im 1. Semester, 4 WSt. im 2. Semester.12 1990 erfolgte die Umbenennung in "Computerunterstützte Textverar-

8

Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 10. Juli 1963, 40. Stück, 143. Verordnung 9 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 11. Juni 1969, 50. Stück, 188.

Verordnung 10 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 22. Juni 1963, 63. Stück, 212.

Verordnung 11 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 25. Juli 1978, 121. Stück, 334.

Verordnung 12 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 10. Feber 1981, 24. Stück, 60.

Verordnung

33 beitung"13; somit wird Kurzschrift nicht mehr unterrichtet.

Im Jahre 2000 wird das Unterrichtsfach "Textverarbeitung, Office-Management und Publishing" genannt.14 4. Heutige Anwendungsgebiete Bereiche, in denen Stenografie auch heute noch zur Anwendung kommt, sind in erster Linie Parlamente, Landtage (dabei werden Sitzungen, Ausschüsse, Debatten protokolliert), Gerichte (hier wird auf Wunsch eines Beteiligten die Verhandlung wortwörtlich stenografisch festge-halten).

Weitere Tätigkeitsfelder für Stenografen bieten Organisationen, Institutionen, Verbände, Parteien, Gewerkschaften. Hier besteht die Aufgabe darin, Sitzungen, Tagungen, Besprechungen, Hauptversamm-lungen, Parteitage zu protokollieren.

Parlamentsstenografen schreiben nicht nur die Rede mit, sondern auch Zwischenrufe, Beifallskundgebungen und sonstige Ereignisse (z. B. das Hochhalten von Taferln, Verteilen von Gegenständen, oder wenn Flugblätter von Besuchern von der Galerie in den Saal geworfen werden).

Dies alles ist für das Verständnis der Rede notwendig, damit ein späterer Leser sich ein genaues Bild der Sitzung machen kann.

Die Anforderungen an einen Parlamentsstenografen sind: abgeschlossenes Hochschulstudium, ausbaufähige Stenografiekenntnisse ab ca. 250 Silben/Min., Beherrschung der deutschen Sprache, sehr gute Allgemeinbildung, Einsatzbereitschaft, Flexibilität, Teamfähigkeit, Organisationsgeschick, Erfahrung im Einsatz neuer Medien.

5. Nutzen 13

Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 12. Juli 1990, 159. Stück, 399.

Verordnung 14 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, 3. Oktober 2000, Teil II, 325.

Verordnung

34 • Zur Anwendung sind keine besonderen Hilfsmittel nötig, es genügen Papier und ein Schreibgerät.

• Stenografie ist ein Rationalisierungsmittel, vor allem, wenn sie als Notizschrift angewendet wird.

• Das Tempo gegenüber der Langschrift ist dreimal so hoch.

• Die Rechtschreibung ist vereinfacht: keine Unterscheidung zwischen Groß- und Kleinschreibung, keine Verdopplung von Konsonanten (außer ll, rr, ss, ß).

• Man kann wichtige Gedanken sofort aufschreiben und dadurch auch mehr Inhalte festhalten, was für Schüler und Studierende bedeutsam ist.

• Stenografieren fördert den Umgang mit Sprache und es werden auch persönliche Eigenschaften, wie z. B. Ausdauer, Fleiß, gestärkt.

• Man kann Aufzeichnungen machen, die nicht jeder lesen können sollte, sie ist also so etwas wie eine Geheimschrift.

"Idee und Wort im Flug der Zeit ans Räumliche zu binden, sucht' ich in ernster Tätigkeit ein Mittel zu ergründen, und was ich fand, das gab ich hin, um Nutzen zu verbreiten.

So möge stets ein gleicher Sinn auch meine Schüler leiten!"

Aus: Franz Xaver Gabelsberger "Anleitung zur deutschen Redezeichenkunst oder Stenographie". S. 20.

Literatur Gabelsberger Franz Xaver (1834): Anleitung zur deutschen Redezeichenkunst oder Stenographie. München. Im eigenen Verlage des Verfassers.

Jülich Bernhard (1947/48): Katechismus für den Kurzschriftlehrer. Wolfenbüttel.

Heckners Verlag.

35 Heckners Vedag.

Mentz Arthur (1949): Geschichte der Kurzschrift. Wolfenbüttel. Heckners Verlag.

Moser FranzlErbach Karl (19798 neu bearbeitete Auflage von Maria ErbaJh): Lebendige Kurzschriftgeschichte. Darmstädt. Winklers Verlag Gebrüder Grimm.

Truschner Brigitte (1999): Arbeitsmethoden zur Aufnahme von Texten. Hausarbeit aus dem Gegenstand "Büroorganisation". Graz: Berufspädagogische Akademie des Bundes in der Steiermark.

Winklers Verlag Gebrüder Grimm (1989) Sonderheft KMI: 200 Jahre Gabelsberger 1789-1989. Darmstadt. Winklers Verlag Gebrüder Grimm.

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ELMAR LECHNER Von den Rechten und Pflichten der Jugend nach den Bestimmungen der Grundgesetze der österreichischen Schule oder Pädagogik als Sokratik Im Verlauf eines Dutzends von Jahren, nämlich 1962 und 1974, wurden jene Gesetze beschlossen, die – im Rang von Verfassungsgesetzen – Gestalt und Gehalt der österreichischen Schule festgeschrieben haben: Das „Schulorganisationsgesetz“ (BUNDESGESETZ 1962) und das „Schulunterrichtsgesetz“ (BUNDESGESETZ 1974). In dem einen wird (§ 2, Abs. 1) definiert, worin die „Aufgabe der österreichischen Schule“ besteht, in dem andern (§ 58) – unter Bezugnahme darauf –, wie die „Schülermitverwaltung“ zu gestalten ist.

Das zuerst beschlossene und als Schlüsselgesetz zu wertende Grundgesetz der österreichischen Schule ist durch die folgenden, die Rechte und die Pflichten der „Jugend“ (Schulorganisationsgesetz, § 2, Abs. 1) betreffenden Merkmale bzw. Aspekte charakterisiert: 1. Der formale Aspekt: Die Jugend wird anhand dieses Beispiels mit der Kategorie „Gerechtigkeit“ bzw. mit dem Phänomen „Gesetz“, der im Prinzip unbedingt zu respektierenden „Majestät der Demokratie“ (LECHNER 2019, S. 3), und damit mit der zentralen Thematik der Politischen Bildung, vertraut gemacht. Dabei ist freilich auch bewusst zu machen, dass Gesetze „gesetzt“ wurden und wieder „abgesetzt“ (oder abgeändert) werden können. Von Sokratik kann in diesem Zusammenhang gesprochen werden, da Sokrates im platonischen Dialog „Kriton“ das genannte Prinzip bedingungslos – und auf eigene Kosten – anerkennt. (Dazu LESKY 1963, S. 565) (Bereits hier sei angemerkt, dass zusätzlich zum Bildungsziel Gesetzestreue bzw. Gesetzlichkeit als zweite sokratische pädagogische Kategorie das Bildungsziel Gründlichkeit zu nennen ist – sodass grosso modo die antike griechische und die neuzeitliche deutsche Pädagogik ähnlich gestimmt zu sein scheinen; hinzuzufügen ist allerdings, dass Griechenland und Deutschland Beispiel dafür sein können, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass Demokratie in Diktatur umschlägt.)

38 2. Der curriculare Aspekt: Es wird – nach einem dreißigjährigen parlamentarisch-pädagogischem Krieg (1920-33, 1945-62) – der sieben Jahre zuvor beklagte „Mangel eines allseits anerkannten Bildungsideals“ (DRIMMEL 1955, S. 5) behoben, indem sowohl maßgebliche gesellschaftliche Werte als auch ebensolche Bildungsziele nominiert werden. Sie zu beobachten bzw. zu erreichen, darin besteht die aufgrund ihres Gesetzescharakters allgemeine Kenntnisnahme und Anerkennung verdienende bzw. fordernde und zudem kurz und klar formulierte „Aufgabe der österreichischen Schule“. Diese „Aufgabe“ ist freilich begrenzt, da sie bzw. die „österreichische Schule“ „an der Entwicklung der Anlagen der Jugend“ nur „mitzuwirken“ hat. Und begrenzt ist auch die Verantwortlichkeit der Lehrerschaft, da es im Hinblick auf die vorgeschriebenen Werte und Ziele nicht um Indoktrinierung, sondern nur um Orientierung gehen kann. (Dazu EDER 1977, EVERS 1982, LECHNER 2016, MOLNAR 2016.)

3. Der bildungspolitische Aspekt: Aufgrund der allgemeinen Gültigkeit dieser „Aufgabe“ ist sie allen Arten von Schulen aufgegeben.

Damit wird eine zwar nur partielle, aber doch prinzipielle Einheitlichkeit des Schulwesens garantiert bzw. gefordert.

4. Der didaktische Aspekt: Dieselbe „Aufgabe“ ist auch den Fächern und damit den die Lehrpläne bzw. Verordnungen Vorschreibenden und den sie Umsetzenden, also den unterrichtenden Fachleuten an diesen Schulen, aufgegeben.

Für die schulische Jugend bedeutet dies, dass sie einerseits diese gesetzlichen Gegebenheiten anzuerkennen hat, dass sie aber anderseits das Recht hat, deren Kenntnis und Anerkennung seitens der Öffentlichkeit und seitens der anderen im Spiel befindlichen Stakeholder, also der Schulverwaltung, der Lehrerschaft und der Erziehungsberechtigten, zu erwarten. Über dieses prinzipielle, rechtsstaatlich begründete Recht hinaus werden ihr im „Schulunterrichtsgesetz“ Rechte zuerkannt: Bei der Leistungsbeurteilung hat die „Eigenart des Schülers“ (§ 18, Abs. 3) in Betracht gezogen zu werden, und eines der Rechte, die ihm im Kapitel „Schülermitverwaltung“ – auch sie bzw. die Schüler haben sich dabei

39 „von der Aufgabe der österreichischen Schule (§ 2 Schulorganisationsgesetz) leiten zu lassen“ – eingeräumt werden, ist „das Recht auf Mitsprache bei der Gestaltung des Unterrichtes im Rahmen des Lehrplanes“ (Schulunterrichtsgesetz, § 58, Abs. 2, a). Damit wiederum kommen die Rechte und die Pflichten der Lehrerschaft ins Spiel. Im Kapitel „Unterrichtsarbeit“ wird festgelegt, dass diese „in eigenständiger und verantwortlicher“ Weise zu erfolgen habe (§ 17, Abs. 1), wobei die Polarität von Individualität des Professionisten und Loyalität des Beamten bzw. die Spannung zwischen Methodenfreiheit und Methodengebundenheit angesprochen ist. (Dazu KULKA 1970, SCHAUER 1977, BERKA 1978, HEITGER 1989.) Der „Eigenständigkeit“ des Schülers und der der Lehrerschaft steht gegenüber die Lehrplanung der Schulverwaltung. Auch sie steht in der Pflicht des übergeordneten „Lehrplans“ bzw. der „Aufgabe der österreichischen Schule“, wie etwa im „Lehrplan der allgemeinbildenden höheren Schule, Erster Teil, Allgemeines Bildungsziel, Kap. ‚Gesetzlicher Auftrag’“ ausgeführt wird (BGBl. Nr. 88/1985), denn die genannte Schulart „hat im Sinne des § 2 des Schulorganisationsgesetzes an der Heranbildung der junge Menschen mitzuwirken …“. Der zugehörige Lehrplan etwa für den Unterrichtsgegenstand „Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung“ (Unterstufe) ist von einer Umfänglichkeit und Detailliertheit, die ein überwältigendes Übergewicht der Verantwortlichkeit / Methodengebundenheit auf Kosten der Eigenständigkeit / Methodenfreiheit offensichtlich macht. (Denn die Aufhebung des oben [Punkt 2] erwähnten Mangels „eines allseits anerkannten Bildungsideals“ hat nicht, wie erwartet, zu einer Reduzierung des „Umfanges der Lehrpläne“, sondern, was etwa den eben erwähnten Unterrichtsgegenstand angeht, zu einer Steigerung der Anzahl der Zeichen von ca. 8.000 [VERORDNUNGSBLATT 1955, S. 80-82] auf ca. 13.500 [Status vom 17.05.2019] geführt.) Unter diesen Umständen finden sich Lehrerschaft und Schuljugend in einem Boot wieder. Um dieses angesichts der Flut von verordnetem Material und ebensolchen Methoden über Wasser zu halten bzw. vernünftig, das heißt sachgerecht, zu steuern, ist zum einen der curriculare Aspekt, der Rekurs auf die und die Betonung der prinzipiellen und generellen „Aufgabe der österreichischen Schule“, und zum andern der lerntheoretische Aspekt von Bedeutung.

Mit diesem ist gemeint, dass – im Sinne einer sich an der klassischen „Pädagogik vom Kinde aus“ (BÖHM 2005, S. 480) orientierenden

40 „Methodik vom Kinde aus“ – Lernen den Vorrang vor Merken bzw.

Faktoren den Vorrang vor Fakten im haben sollen, dass die Welt als (platonischer) Dualismus von Oberfläche und Untergrund zu verstehen ist, dass Behauptung und Begründung Siamesische Zwillinge sein müssen, dass, zugespitzt formuliert, die natürliche (sokratische, auf die Vermittlung der Tugend der Gründlichkeit abzielende) Neugier als Widerpart der „unnatürlichen“ obrigkeitlichen schulpädagogischer „Habgier“ der Lehrplaner zu kultivieren ist bzw., kurz gesagt, dass die (aufmerksame bzw. aufsässige) Verwendung der Frage bzw. der Parole „Warum?“ im Unterrichtsprozess als das erste und beste Recht der Schuljugend zu gelten hat.

In Verse geschmiedet, sieht die Sache – bei Beschränkung auf Schlüsselstellen des Unterrichtsprozesses (Berichten, Begründen, Befragen, Bewahren bzw. Demonstration, Argumentation, Evaluation, Dokumentation [LECHNER 2019, S. 5]) – so aus: Dinge nicht nur anzuseh’n – ihnen auf den Grund zu geh’n, ist des Unterrichtes Krone, weiters ist es auch nicht ohne, zu prüfen, ob Versteh’n fand statt, wie weiland Sokrates es tat; schließlich eines nur noch bleibt: Dass man alles niederschreibt; denn das Reden, das ist leicht – man schreibe, da der Geist sonst weicht!

Anmerkung zu Punkt 1: Wie es um die aktuelle Gesetzeskenntnis bzw. -treue steht, lässt ein vor Kurzem gemachter Test erahnen: Am Mittwoch, den 19.6.19, haben in einer halben Stunde (17:37 bis 18:07) 165 von 238 Radfahrer(innen), also 69,3 %, an der Kreuzung der Klagenfurter Egger-Lienz-Straße (Steinerne Brücke) – Fahrradweg trotz des (beiderseitig) angebrachten Verkehrszeichen „Halt“ („Stop-Tafel“) nicht angehalten; die dieses Verkehrszeichen definierende Anordnung lautet: „Dieses Zeichen ordnet an, dass vor einer Kreuzung anzuhalten (…) ist.“ (StVO § 52, Nr. 24) – Ein Staat, der sich ernst nimmt, muss darauf bestehen, dass seine Bürger seine Gesetze ernst nehmen.

Anmerkung zu Punkt 2: Zum Begriff des neben den Werten des „Guten und Schönen“ genannten „Wahren“ die Nominierung einiger seiner Feinde bzw. einiger prominenter Lügner in der Weltgeschichte ein vor Kurzem erschienenes

41 Journal: Nero, Konstantin I., Rudolf IV., Trump, Ulbricht, (Kronprinz) Erzherzog Rudolph (!), Hitler, Bismarck, Napoleon, Heinrich VIII., Cromwell, Bush sen. u. a. (LÜGEN 2019)

Literatur Walter BERKA: Die pädagogische Freiheit des Lehrers als Rechtsproblem. In: Juristische Blätter, Wien / New York, 100 (1978), S. 571-584 BUNDESGESETZ vom 25. Juli 1962 über die Schulorganisation (Schulorganisationsgesetz). In: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jg. 1962, 61.

Stück, Nr. 242, S. 1178-1200 (Novelle: BGBl., Jg. 2015, Tl. I, Nr. 38, Art. 2, S. 2; Novelle: Bundesverfassungsgesetz „hinsichtlich des Schulwesens“, BGBl., Jg. 2005, Tl. I, Nr. 31, S. 1 f.)

BUNDESGESETZ vom 6. Feber 1974, mit dem Bestimmungen über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen erlassen werden (Schulunterrichtsgesetz). In: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jg. 1974, 46. Stück, Nr. 139, S. 939-971 Heinrich DRIMMEL: Vorwort. In: Verordnungsblatt für den Dienstbereich des Bundesministeriums für Unterricht, Wien, Jg. 1955, Stück 10a, S. 3-5 Alois EDER: Die Wertproblematik in ihrem Zusammenhang mit den Zielformulierungen für die österreichische Schule. In: Erziehung und Unterricht 127 (1977), S. 705-714 Hans-Ulrich EVERS: Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der österreichischen Schule als Rechtsproblem. In: Recht der Schule. Zeitschrift für Schulrecht, Pädagogik und Bildungswesen, Wien, 4 (1982), S. 33-43 Marian HEITGER: Pädagogische Freiheit. In: Recht der Schule. Zeitschrift für Schulrecht, Pädagogik und Bildungswesen, Wien, 1 (1979), S. 108-111, 2 (1980), S. 1-4 Ernst KULKA: Methodenfreiheit und Dienstpflicht. In: Erziehung und Unterricht 120 (1970), S. 217-225 Elmar LECHNER: Die „Aufgabe der österreichischen Schule“ (1962 ff.). Zur Form und zur Funktion eines politisch-pädagogischen Gesetzestexts (Retrospektiven in Sachen Bildung, R. 2, Nr. 90), Klagenfurt 2019 Elmar LECHNER: Ein Gesetz als Gegenstand der akademischen Lehre und des schulischen Unterrichts. Vier Thesen und zwei thematische verwandte Studien (Retrospektiven in Sachen Bildung, R. 2, Nr. 99), Klagenfurt 2019 Albin LESKY: Geschichte der griechischen Literatur, 2. Aufl., Bern / München 1963 LÜGEN in der Weltgeschichte. In: „Salzburger Nachrichten“, 27.7.19, Wochenende, S. 1-8 Reinhard MOLNAR: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf. In: Pädagogisch-Bildungsgeschichtliche Statements IV, abgegeben am 8. September 2016 im „Historischen Klassenzimmer“, Klagenfurt-Wölfnitz, hrsg.

42 von Elmar Lechner (Retrospektiven in Sachen Bildung, R. 2, Nr. 92), Klagenfurt 2016, S. 35-39 Günther SCHAUER: Hat der Lehrer einen weisungsfreien Raum? In: Erziehung und Unterricht 127 (1977), S. 221-225 VERORDNUNGSBLATT für den Dienstbereich des Bundesministeriums für Unterricht, Jg. 1955, Stück 10a, Nr. 87. Erlaß: Neuverlautbarung der Provisorischen Lehrpläne für die Mittelschulen

VERONIKA MICHITSCH Die Zukunft lernt im Kindergarten: Kommunikations- und informationstechnische Grundbildung als „neuer“ Baustein einer medienbewussten Elementarpädagogik Die Digitalisierung erobert kindliche Bildungszugänge und Lebenswelten. Als Konsequenz darauf kann die Elementarpädagogik als „Pädagogik der Zukunft“ Möglichkeiten und Wege aufzeigen, analogen und digitalen Kinderumwelten pädagogisch zu begegnen.

Moderne Kindheiten und Jugenden sind längst digital geworden. Das 21.

Jahrhundert implementiert die Welt der neuen Medien wie selbstverständlich in zeitgemäße Haushalte, moderne Familien und Spielzimmer der Kinder. Durch die weltweite Nutzung digitaler Welten, Informationssysteme und Kommunikationsmedien, rücken Globalisierung und Weltgesellschaft in die Lebenswelten von Kindern. Kinder und Jugendliche – als „Digital Natives“ oder „Prosumenten“ (Kofferwort aus „Produzent“ und „Konsument“; vgl. u. a. Grimm/Rhein 2007, S. 152 f.) – werden zu Weltbürgerinnen und -bürgern erzogen, die in ihrem „individuellen Denken und Handeln“ (Bostelmann 2019, S. 1) digital die Globalisie-rung leben, über „Informationen, Waren und kulturelle Elemente aus allen Ecken der Welt“ (ebd.) verfügen und über die modernen Kommunikationskanäle ihrem Individualisierungsstreben durch vielfältige Möglichkeiten der (Selbst-)Darstellung Ausdruck verleihen (vgl. Süss et al.

2018). Zusätzlich gestalten sie die Entwicklung digitaler Möglichkeiten aktiv mit und sind von einer Lebenswelt umgeben, die, als Kombination aus digitalen und analogen Medien, ein selbstverständliches Merkmal moderner Kindheiten und Jugenden geworden ist.

Dies darf sich jedoch nicht als unreflektiertes Element kindlicher Bildung und Erziehung manifestieren und schon gar nicht die (elementar-) pädagogische Aufgabe verschleiern, die hinter dieser medial-technischen, digital-gesellschaftlichen Entwicklung steht.

44 Medienkindheiten als elementarpädagogische Herausforderung Moderne Kindheit ist längst „Medienkindheit“ geworden (vgl. Merkel 2005, S. 227), wobei die zeitgemäße Elementarpädagogik nicht umhinkommt, moderne, digitale Technik in ihrer pädagogischen Praxis anzuerkennen, sie pädagogisch zu integrieren und schließlich konstruktiv mit ihr zu arbeiten.

Um modernen Medienkindheiten elementarpädagogisch zu begegnen, wird es wichtig sein, ein (medien-)pädagogisches Bild von frühkindlicher Bildung zu zeichnen, das eine zeitgemäße Elementarpädagogik integriert, die einen kritischen Blick auf die digitale Beeinflussung des kindlichen Spiels wirft und einen möglichen medienpädagogischen Ansatz entwirft, der versucht, digitale und reale Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen durch eine informationstechnische Grundbil-dung in der frühen Kindheit zu verbinden und dabei „holistische Prozesse“ (Krey 2010, S. 6) von physiologischen, kognitiven und sozialen Bildungserfahrungen von Kindern berücksichtigt. Interessen-geleitetes Lernen, KoKonstruktion und kindliche Selbstbildung sind elementare Bildungsansätze, die durch die Perspektiven des lebenslangen und globalen Lernens eine wesentliche Ergänzung erfahren.

Digitale Grundbildung als zusätzlicher Baustein elementarer Bildung Der kindliche Erwerb technischer Fähigkeiten führt durch den täglichen, familiären Gebrauch digitaler Medien und Kommunikationssysteme zu informell erworbenen, kommunikativen Medienfähigkeiten (vgl. Søndergaard 2019, S. 1), die in elementaren Bildungseinrichtungen Kinder hervorbringen, die den bloßen Umgang mit digitalen Medien nicht mehr erlernen müssen. Vielmehr wird es in den Kindergärten notwendig sein, den Kindern statt der praktischen Handhabe von technisch-digitalen Werkzeugen, den reflektierten Umgang damit frühzeitig beizubringen und kindliche Kompetenzen („Zukunftskompetenzen“) zu fördern, die den Kindern dabei helfen, mit der wandelbaren, nicht greifbaren, digitalen Medienkultur umzugehen und die digitale Mediennutzung in sozialkommunikative Zusammenhänge mit der realen Lebenswelt zu stellen.

45 Ebenso sollen die bereits mitgebrachten Medienkompetenzen der Kinder anerkannt und elementarpädagogische Bildungskonzepte dahingehend konstruiert werden, dass mediale Grundbildung ein dynamischer, sich ständig wandelnder Baustein frühkindlicher Bildung und lebenslangen Lernens ist. Somit gehört ein medienbewusster Fokus auf Kinder und Fachkräfte in jede Kindergartenkonzeption.

Elementarpädagogische Bildungspläne thematisieren noch nicht flächendeckend und ausreichend die Wichtigkeit medienpädagogischer Bildungs- und Erziehungsarbeit anhand formulierter Zukunftskompetenzen in ihren Bildungsbereichen.

Der Bundesländerübergreifende BildungsRahmenPlan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich zum Beispiel (Ämter der Landesregierungen der Österreichischen Bundesländer, Charlotte Bühler Institut et al. 2009), sieht im Bildungsbereich „Natur und Technik“ elementarpädagogische Medienbildung noch nicht vor. Zwar werden die Teilbereiche „Natur und Umwelt“, „Technik“ und „Mathematik“ in ihrer Relevanz für frühkindliches Lernen und die Entwicklung naturwissenschaftlich-technischer sowie mathematischer Handlungskompetenzen und Problemlösestrategien ausgeführt (vgl. ebd. S. 20 f.), die Relevanz „computer- und netzwerkgestützter Medien“ (Krey 2010, S. 1) und digitaler Darstellungsformen sowie Netzwerke und Spielmöglichkeiten, wird in der aktuellen Fassung des Österreichischen BildungsRahmenPlans (April 2009) medienpädagogisch (noch) nicht berücksichtigt oder als jedenfalls medienpädagogisch beachtenswert postuliert. Der Bildungsbereich „Sprache und Kommunikation“ (ebd. S. 14) jedoch erwähnt die Relevanz digitaler Kommunikationsmöglichkeiten in frühen Kindheiten als wichtiges „Mittel gesellschaftlicher Partizipation“ im Unterpunkt „Informations- und Kommunikationstechnologien“. Die „Förderung kindlicher Medienkompetenz“ würde Kinder befähigen, „[…] unterschiedliche Medien zunehmend selbstgesteuert und kritisch zu nutzen“ (ebd. S. 15).

Digitalen Umwelten im Kindergarten begegnen

46 Es steht außer Frage, dass bereits junge Kinder in ihren Familien (meist unreflektierte) Erfahrungen mit digitalen Medien sammeln, täglich mit ihnen Kontakt haben und diese Medien über Handyspiele und Kurzfilme eher passiv und zeitintensiv konsumieren (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/miniKIM 2014). 70% der Kindergartenkinder spielten 2017 mehr als 30 Minuten täglich mit dem Smartphone ihrer Eltern (vgl. Bundesministerium für Gesundheit / BLIKK-Medienstudie 2017).

Elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen wohnt die herausfordernde Aufgabe inne, einen adäquaten Mittelweg zwischen digitaler Medienbildung, Mediennutzung, digitaler Kommunikation und „analo-gen“ natürlichen/naturgegebenen kindlichen Bildungsformen zu finden.

Kommunikations- und informationsbezogene Grundbildung sollte den Kindern niemals von der realen Welt isoliert vermittelt werden, sondern immer in Kombination mit den weiteren Bildungsbereichen, die in den elementarpädagogischen Bildungsplänen definiert sind, sowie in Zusammenhang mit der vorherrschenden, sozialen Situation stehen: Mediennutzung sinnvoll mitzubegleiten und das kindliche Spiel dadurch nicht zu beeinflussen, zählt zum methodisch-didaktischen „Geschick“ elementar- und medienpädagogischer Fachkräfte. Elementarpädagogi-scher Wert liegt besonders in der Aufrechterhaltung und Begleitung kognitiver, sozial-kommunikativer sowie körperlich-sinnlicher Fähigkei-ten der Kinder über handlungsbezogene, interaktive, partizipative und soziale Bildungssituationen in realitas. „In keiner anderen Lebensphase sind Spielen und Lernen, Entwicklungs- und Bildungsprozesse so eng miteinander verzahnt wie in der frühen Kindheit“ (Schweizerische UNESCO Kommission et al. 2016, S. 28).

Da kindliche Bildung keine Fragmentierung sondern ein ganzheitlicher, „verzahnter“ Prozess ist, verbinden sich kindliche Beschäftigungsmöglichkeiten mit Sinneswahrnehmung und motorischer Geschicklichkeit und medial-technischen Kompetenzen – beispielsweise beim Erler-

47 nen der Handhabe einer Digitalkamera (vgl. Textor, 2017, S. 3).

Drei Vorschläge für eine medienbewusste Bildung im Kindergarten Kinderbildungs- und Erziehungseinrichtungen müssen pädagogisch auf die digitale Transformation reagieren, die Informationstechnologie effektiv in ihren pädagogischen Alltag einordnen und ihrem (noch nicht in allen elementaren Bildungsplänen) additiv definierten Bildungsauftrag der kommunikations- und informationstechnischen Grundbildung nachkommen.  Das Medienwissen der Digital Natives in eine zeitgemäße Medienpädagogik im Kindergarten zu integrieren, wäre eine sinn-volle Möglichkeit, Zuwächse in digital-pädagogischer Handlungskompetenz zu generieren.  Seit Aufkommen digitaler Medien und deren rasanter Weiterentwicklung, kommt dem Bildungsauftrag des Kindergartens mit dem Additiv „Medienerziehung“ bzw. „Kommunikations- und informationsbezogener Grundbildung“ vermehrte Beachtung zu. Ein ausgewiesener Bildungsbereich in sämtlichen elementarpädagogischen Bildungsplänen ist demnach empfohlen.  Kindlichen Bildungszugängen in der realen Umwelt ist weiterhin der Vorrang zu geben. Kindern ästhetische (Körper-)Erfahrungen und Bildungsprozesse über das sinnliche Spiel zu ermöglichen, kommt einem multiperspektivischen Bildungsauftrag gleich. Somit ist die Basis für Forschen, Fragen und Lernen geschaffen, die dem Verstehen, Entwickeln und Erkennen von technisch-digitalen Prozessen zuträglich ist und einen effektiven Umgang mit gemeinschaftlich konstruierten Handlungen ermöglicht.

Schlussfolgerungen für eine medienbewusste Elementarpädagogik Um im Kontext kindlicher Zukunftskompetenzen verantwortungsvolle Elementarpädagogik zu gestalten, bedarf es eines neuen Umganges mit Wissen, Wissensbeständen und Bildungsprozessen: Gesellschaftlich

48 „tradierte Formen des Umgangs mit Lernen und Wissen“ (Bostelmann 2019, S. 3) haben sich im Zeitalter der Digitalisierung frappant verändert. Die traditionelle Wahrnehmung und Interpretation von Allgemeinbildung, Expertenwissen und schulischer Bildung wird durch die globale Digitalisierung verändert und verlangt durch die „Kommunikations- und Informationsmaschinerie“ (ebd.) und der daraus resultierenden „Art neuer Unmündigkeit“ (ebd.) mehr denn je nach kritischem Urteilsvermögen, Verständnis für Text- und Bildsprache und Kontrolle über sozial-emotionale Reaktionen. Somit lassen sich bei den erwähnten Zukunftskompetenzen Verschiebungen dahingehend erkennen, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr ausschließlich in der realen, analogen Lebenswelt sondern zusätzlich in der digitalen Welt über Sozial-, Personal-, Fach- und digitale Kommunikationskompetenzen verfügen sollten. Ebenso die Art des kindlichen Lernens und die Vielschichtigkeit von Bildungsmöglichkeiten erlebt durch den Cyber-space eine Wendung, die sich von traditionell-kindlichen Lebensumwel-ten und darin stattfindenden, realen Lernsituationen unterscheidet.

Virtuelle Kinderumwelten erfordern ein verantwortungsvolles Umdenken in elementarpädagogischen Handlungsweisen, die darauf achten sollten, Elemente der digitalen in die analoge kindliche Lebenswelt zu integrieren, sie damit jedoch nicht zu überfrachten und der sinnlichästhetischen Lernerfahrung der Kinder weiterhin den Vorrang zu geben.

Literatur Ämter der Landesregierungen der österreichischen Bundesländer/Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur/Charlotte Bühler Institut/Magistrat der Stadt Wien (Hrsg.) (2009): Bundesländerübergreifender BildungsRahmenPlan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich.

Bostelmann, Antje (2019): Bei uns lernt die Zukunft – Pädagogik im digitalen Zeitalter. www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereicheerziehungsfelder/medienerziehung-informationstechnische-bildung/bei-unslernt-die-zukunft-paedagogik-im-digitalen-zeitalter (Abfrage: 09.09.2019).

Bundesministerium für Gesundheit/BLIKK-Medienstudie (2017): BLIKK Medien – Kinder und Jugendliche im Umgang mit elektronischen Medien. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Pra

49 evention/Berichte/Abschlussbericht_BLIKK_Medien.pdf (Abfrage: 08.09.2019).

Grimm, Petra/Rhein, Stefanie (2007): Slapping, Bullying, Snuffing! Zur Problematik von gewalthaltigen und pornographischen Videoclips auf Mobil-telefonen von Jugendlichen. Schriftenreihe der MA-HSH, Band 1, Berlin: Vistas.

Krey, Karin (2010): Kritische Analyse zum Einsatz neuer Medien im Elementarbereich. www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereicheerziehungsfelder/medienerziehung-informationstechnische-bildung/2080 (Abfrage: 08.09.2019).

Merkel, Johannes (2005): Gebildete Kindheit. Wie die Selbstbildung von Kindern gefördert wird. Handbuch der Bildungsarbeit im Elementarbereich. Bremen: Edition Lumiére. (online unter www.handbuch-kindheit.unibremen.de/kindheit.pdf (Abfrage: 05.08.2016).

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/miniKIM (2014): miniKIM 2014, Basisuntersuchung zum Medienumgang 2- bis 5-Jähriger in Deutschland. www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/miniKIM/2014/Studie/miniKIM_Studie_ 2014.pdf (Abfrage: 08.09.2019).

Schweizerische UNESCO-Kommission (Hrsg.)/Netzwerk Kinderbetreuung (Hrsg.)

(2012/2016): Orientierungsrahmen für die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz. Anwendungsinstrument für die Projekte zur Anwendung und Erprobung 2012-2014. Diskussionsgrundlage für Praxis, Ausbildung, Wissenschaft, Politik und die interessierte Öffentlichkeit. 3. erwei-terte Auflage 2016 (auch online unter https://www.netzwerkkinderbetreuung.ch/de/publikationen/20/ Abfrage: 26.08.2019).

Søndergaard, Steen (2019): Bildung / Dannelse – ein wichtiger Begriff im digitalen Zeitalter? www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereicheerziehungsfelder/medienerziehung-informationstechnische-bildung/bildungdannelse-ein-wichtiger-begriff-im-digitalen-zeitalter (Abfrage: 09.09.2019).

Süss, Daniel/Lampert, Claudia/Trültzsch-Wijnen, Christine W. (2018): Medienpädagogik: Ein Studienbuch zur Einführung. In: Bentele, Günter/Brosius, HansBernd/Jarren, Otfried (Hrsg. der Studienreihe): Studienbücher zur Kommunikationswissenschaft. 3. Auflage, Wiesbaden: Springer VS. Textor, Martin R. (2016): Informationstechnische Grundbildung in der Kita. www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereicheerziehungsfelder/medienerziehung-informationstechnische-bildung/2338 (Abfrage: 10.09.2019).

MANUEL PICHLER Der Beitrag der Werkerziehung zur Erfüllung der Aufgabe der österreichischen Schule (SchOG) Werkerziehung als Pflichtgegenstand bildet sich im österreichischen Schulwesen ausgehend vom Bereich der Elementarpädagogik bis hin zur Maturabilität über die Säule der vorwissenschaftlichen Arbeit / Diplomarbeit und die Säule der mündlichen Reifeprüfung über Wahlpflichtfächer ab. Derzeit existieren verschiedene Formen, wie sich die beiden, ursprünglich getrennten, Gegenstände Technisches Werken und Textiles Werken in den Schularten und Stufen abbilden.

Werkerziehung in den verschiedensten Ausprägungen ist im schulischen Kontext ein Bereich, der, wie kein anderer im Spannungsfeld gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und pädagogischer Ansprüche steht. Dies zeichnet sich in der wechselvollen Geschichte der Werkpädagogik und auch in der aktuellen Diskussion und den Positionspapieren der Sozialpartner deutlich ab. Werkerziehung steht im Spannungsfeld immaterielle Traditionen aufrecht zu erhalten und gleichzeitig aktuelle Strömungen und bildungspolitische Ansprüche, zum Beispiel Anforderungen der Digitalisierungsstrategien, zu assimilieren. Um diese Entwicklung bis zum aktuellen Stand der Diskussion nachvollziehen zu können ist ein kurzer Exkurs in die Geschichte der Werkerziehung vonnöten.

Mit der Einführung der allgemeinen Unterrichtspflicht 1774 durch Maria Theresia tauchen erstmals Hinweise auf die Integration textiler Techniken im schulischen Kontext auf, die Verankerung des Gegenstandes „Weibliche Handarbeiten“ im Bereich der Volksschule und den Bürgerschulen erfolgt jedoch erst 1869 durch das Reichsvolksschul-gesetz.

Knabenhandarbeiten taucht in dieser Bezeichnung noch nicht auf, erst 1883 wird der Gegenstand nach Bemühungen des Vereins für Knabenhandarbeit als mögliches Angebot geführt. 3 Jahre später wird der Bereich des Handarbeitens in die Ausbildung der PädagogInnen aufgenommen und erst mit dem Mittelschulgesetz 1927 kommt das Pflichtfach Handarbeit auch für Knaben zustande.

52 Mit dem Zustandekommen des Schulorganisationsgesetzes 1962 ändert sich nichts an der geschlechtsspezifischen Trennung im Handarbeitsunterricht, allerdings tauchen erste Diskussionen um die Fachbezeichnung in Abgrenzung zur Bildnerischen Erziehung auf. Aber erst mit der 5. Schulorganisationsgesetz-Novelle von 1975 finden sich die Fachbezeichnungen Werkerziehung für Knaben und Werkerziehung für Mädchen. Inmitten der 26. Nationalratssitzung 1983 wurde erstmals der Versuch der Zusammenlegung diskutiert, von ÖVP Seite wurden die Fächer aber massiv verteidigt und auch von Aufwertung gesprochen. Drei Jahre später kam mit der 147. Sitzung des Nationalrats der nächste Vorstoß in Richtung Fusion und Kürzung. Eine erste Form der Wahlmöglichkeit der alternativen Pflichtgegenstände kam 1987 über die 10. Schulorganisationsgesetz-Novelle.

Dem österreichischen Fachdidaktiker Gustav Zankl kommt große Bedeutung bei der Verankerung und Neuausrichtung des Bereichs Werkerziehung zu. Neben seiner Studie über Unterschiede der Ge-schlechter im Bereich der Wahrnehmung setzte er sich für eine Verankerung des Technischen Werkens im Bereich der Sekundarstufe und eine fächerübergreifende Vernetzung ein. Gustav Zankl war von 1971 bis 1984 in diversen Arbeitsgruppen des BMfUK für die Neuausrichtung der „Knabenhandarbeit“, dann „Technische Werkerzie-hung“, prägend für die Neuausrichtung.

Mit dem Bundesgesetzblatt 546 aus dem Jahr 1993 wurden die Fachbezeichnungen Technisches Werken und Textiles Werken verankert und gleichzeitig die geschlechtsunabhängige Wahlmöglichkeit verankert.

Hier zeigt sich erstmalig über die Lehrpläne die moderne Ausrichtung der Werkerziehung als Beitrag der Auseinandersetzung mit einer technisierten Welt sowie ein Herausstreichen der Nahtstellen zu Wirt-schaft und Industrie.

Mit der Einführung der Neuen Mittelschule 2012 wurden die beiden Fächer Technisches und Textiles Werken in den Pflichtgegenstand „Technisches und Textiles Werken“ zusammengeführt, ohne allerdings die beiden getrennten Lehrpläne neu zu konzipieren. Das Bundes-

53 ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur unterstützte diesen Prozess ein Jahr später über die Broschüren „Wir Werken!“ und „Wir Werken!

Konkret“, welche jedoch von der Community der Werker-ziehung aufgrund der Praxisferne und niederschwelligen Vorschläge zum großen Teil kritisiert und abgelehnt wurden.

2013 wurde das Bundesrahmengesetz zur Einführung einer neuen Ausbildung für Pädagoginnen und Pädagogen beschlossen, das die Lehramtsausbildung in vier österreichischen Verbünden neu definiert. Die pädagogischen Hochschulen und Universitäten bieten hierbei in enger Kooperation Lehramtsausbildungen auf tertiärem Niveau an, der Schlüssel für künstlerische Lehramtsstudien im Sekundarstufenbereich ist hierbei die Kooperationsklausel, für das Fach Werkerziehung bedeutet dies, dass das Studium aktuell an vier von 14 PH Standorten angeboten wird.

Oktober 2015 begann flächendeckend die neue Ausbildung für den Bereich der Primarstufe, ein Jahr später startete die Umsetzung der Lehramtsstudien für die Sekundarstufe.

2013 wurde mit dem Positionspapier der Industriellenvereinigung „MINT 2020“ offiziell seitens der Wirtschaft ein Bekenntnis zur Werkerziehung NEU als Schlüsselelement von MINT 2020 abgegeben. Ein Jahr später positionierten sich Wirtschaftskammer und Arbeiterkam-mer Österreich gemeinsam mit der Industriellenvereinigung und dem österreichischen Gewerkschaftsbund im Positionspapier Werkunterricht NEU. Der Prozess der Vorbereitung zur Zusammenlegung der beiden Pflichtgegenstände im Bereich der AHS brachte ungleich größeren Widerstand zu Tage. Dutzende parlamentarische Stellungnahmen zeugen vom öffentlichen Interesse das Fach Werkerziehung NEU nicht nur zusammengelegt zu wissen, sondern neu ausgerichtet zu denken. Über das Bundesgesetzblatt Teil II vom 29. November 2017 wurde der neue Lehrplan „Technisches und Textiles Werken“ für die Neuen Mittelschu-len als Verordnung kundgemacht. Ab dem 1. September 2021 tritt dieser Lehrplan auch für die allgemeinbildenden höheren Schulen in Kraft und bringt die beiden Pflichtgegenstände in einem neu konzipierten Fach zusammen.

54 Dass das Interesse der Wirtschaft am Fach Werkerziehung ungebrochen ist zeigt unter anderem das Statement des Generalsekretärs der Industriellenvereinigung (IV), Christoph Neumayer, anlässlich des IMST Tages 2018: „Der `Bastelunterricht` war gestern. Heute haben wir einen neuen Lehrplan für technisches und textiles Werken. Dieser beschreibt einen hochmodernen verschränkten Unterrichtsgegenstand, der die Brücke zwischen den MINT- und den künstlerischen Fächern schlagen kann.“ Weiters: „Wir sprechen von einem Schulfach, das Kindern, Lehrerinnen und Lehrern aber auch den Eltern die Tür zur Arbeitswelt von morgen öffnet. Nicht in Scheu, sondern durch Selbstkompetenz und Freude an der eigenen Gestaltungskraft. Werken fristet in den meisten Schulen leider noch ein Schattendasein. Das muss sich ändern. Denn ohne Technik geht in unserer modernen Welt beinahe nichts mehr.“ Dieses Statement ist gleichzeitig Überleitung zum Beitrag der Werkerziehung zur Erfüllung der Aufgabe der österreichischen Schule über § 2 des Schulorganisationsgesetzes aus dem Jahr 1962. § 2. Aufgabe der österreichischen Schule (1) Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.

Die jungen Menschen sollen zu gesunden und gesundheitsbewussten, arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewussten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden. Sie sollen zu selbständigem Urteil, sozialem Verständnis und sportlich aktiver Lebensweise geführt, dem politischen und weltanschauli-

55 chen Denken anderer aufgeschlossen sein sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken.

Im neuen Lehrplan definiert sich die Werkerziehung über die Bildungsund Lehraufgabe und knüpft damit gleichzeitig konkret an die Forderungen des §2 an: „Im Fach Technisches und textiles Werken eröffnet die Förderung der Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit ein Entwicklungsund Bewährungsfeld für Eigeninitiative und Innovationsbereitschaft von Schülerinnen und Schülern.

Die Lernenden werden befähigt, ihr Leben in einer technisierten und sich rasch wandelnden Alltags-, Berufs- und Wirtschaftswelt kompetent, selbstbewusst, selbstständig und in ökologischer, ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht verantwortungsvoll in die Hand zu nehmen. Damit besitzt das Fach Technisches und textiles Werken große Relevanz für die momentanen und zukünftigen Erlebniswirklichkeiten und Lebensrealitäten, sowie für die zukünftige Berufs- und Arbeitswelt sowie Berufsund Bildungswegorientierung von Schülerinnen und Schülern.“ Der geforderte selbsttätige Bildungserwerb kommt in den Beiträgen zu den Aufgabenbereichen der Schule ganz klar zum Ausdruck, wenn Kompetenzerwerb über prozessorientierte Aufgabenstellungen formuliert wird, auch der Bezug zu den Werten des Wahren, Guten und Schönen spiegelt sich hier einleitend über das Einnehmen einer gestalterisch/ästhetisch-forschenden Haltung.

Das massive Einwirken auf die einzelnen Bildungsbereiche der Schule zeigt sich gerade in den Beiträgen zu den Bildungsbereichen Natur und Technik (Physik, Informatik, Biologie und Umweltkunde, Chemie, Geografie und Wirtschaftskunde), Mensch und Gesellschaft, Kreativität und Gestaltung, Sprache und Kommunikation und Gesundheit und Bewegung. Gerade im Bezug zum Bildungsbereich Mensch und Gesellschaft erschließt sich der Zugang zur Forderung laut SchOG am Wirtschaftsund Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen, wenn es um die Erforschung historischer und gegenwärtiger Kulturtech-

56 niken und die Komplexität wirtschaftlicher Zusammenhänge geht. Im Sinne der Berufsorientierung wird hier der Konnex zur Arbeits- und Wirtschaftswelt angeführt.

Das Gesundheitsbewusstsein wird über den Bildungsbereich Gesundheit und Bewegung angesprochen, wenn über handlungsorientierten Unterricht im Umgang mit unterschiedlichen Werkstoffen, Werkzeugen und Verfahren eine differenzierte Feinmotorik sowie Gesundheit und Sicherheitsbewusstsein ausgebildet werden soll.

Das Kernstück der didaktischen Grundsätze dürfte sich im Grundsatz Forschendes und prozesshaftes Lernen verdeutlichen, der die Förderung der Eigeninitiative und Selbstständigkeit der Lernenden fordert und sich somit mit der Forderung nach selbsttätigem Bildungserwerb des Schulorganisationsgesetzes deckt. Über die Kompetenzbereiche ENTWICKLUNG, HERSTELLUNG, REFLEXION und die drei Inhaltsbereiche TECHNIK, KÖRPER, RAUM wird letztendlich das gesamte Feld der an die österreichische Schule gestellten Aufgabe angesprochen.

Inwieweit sich die Werkerziehung zum visionären Werken NEU der Sozialpartner entwickeln wird, dies hängt letzten Endes immer von bildungspolitischen Reaktionen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen, der Integration von globalen Strömungen und dem Willen zur Weiterentwicklung seitens der Fachcommunity ab.

Anhang: Formen der Werkerziehung im österreichischen Schulsystem: Im Bereich der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik und der Bildungsanstalt für Sozialpädagogik findet sich der Bereich der Werkerziehung als Werkerziehung und Textiles Gestalten, im Bereich der Bildungsanstalt für Sozialpädagogik auch im Seminar BE, WE, TG wieder.

Die beiden Pflichtgegenstände Technisches Werken und Textiles Wer-

57 ken zeichnen sich mit insgesamt 6 Wochenstunden im Volksschullehrplan ab, im NMS Bereich findet sich bereits der koedukativ verschmolzene Pflichtgegenstand Technisches und textiles Werken (5,5 – 12).

Derzeit noch getrennt bilden sich Technisches Werken und Textiles Werken in der Unterstufe des Gymnasiums (3-6), der Unterstufe des Realgymnasiums (6-12), der Unterstufe des Wirtschaftskundlichen Realgymnasiums (7-14), sowie als fakultativer Freigegenstand Technisches Werken oder Textiles Werken in der Unterstufe ab.

In der Unterstufe des Gymnasiums unter besonderer Berücksichtigung der musischen Ausbildung weist die Stundentafel die Pflichtgegenstände Technisches Werken und Textiles Werken (7-12) aus, in der Oberstufe des Gymnasiums unter besonderer Berücksichtigung der musischen Ausbildung tauchen technische und textile Werkerziehung als typenbildende Pflichtgegenstände und als Wahlpflichtgegenstand Bildnerisches Gestalten und Werkerziehung auf.

Der Lehrplan des Realgymnasiums unter besonderer Berücksichtigung der musischen Ausbildung bildet Werken in der Unterstufe als Pflichtgegenstände Technisches Werken und Textiles Werken (7-12) und als Freigegenstand ab, im Lehrplan des Bundesgymnasiums für Slowenen finden sich die Fächer in der Unterstufe als Pflichtgegenstand (3-6) und möglicher Freigegenstand wieder, weiters im Lehrplan Unterstufe des Realgymnasiums unter besonderer Berücksichtigung der sportlichen Ausbildung (3-6) und im Unterstufenlehrplan des Werkschulheims (10+10).

Im Oberstufenrealgymnasium mit Instrumentalmusik und Gesang oder Bildnerischem Gestalten und Werkerziehung taucht die Werkerziehung im Pflichtgegenstand Bildnerisches Gestalten und Werkerziehung (mindestens 6) und im Wahlpflichtgegenstand Bildnerisches Gestalten und Werkerziehung auf, im Lehrplan des Oberstufenrealgymnasiums unter besonderer Berücksichtigung der musischen Ausbildung als typenbildender Pflichtgegenstand Werkerziehung.

58 Verwendete Literatur: BREUNIG, THERESA: Neuorientierung von Technischem und Textilem Werken – von der Idee zur gelungenen Umsetzung, Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra Artium an der Universität für angewandte Kunst Wien, 2017.

BUNDESKANZLERAMT ÖSTERREICH (HERAUSGEBER): Traditionelles Handwerk als immaterielles Kulturerbe und Wirtschaftsfaktor in Österreich, Facultas Verlags- & Buchhandels AG Wien, 2016.

NEUMANN, WERNER: Werken und Bildung – Eine Studie zur pädagogischen Bedeutung der Werkarbeit, Klinkhardt, 2001.

SÖLLNER, VIKTORIA: Chancen und Voraussetzungen für das neue Unterrichtsfach „Werken“, Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Mag. art. – Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz, 2017.

SUTTERLÜTI, EVELYN: „Gender am Werk“ – Herstellungs- und Reproduktionsmechanismen von Geschlecht in den Unterrichtsfächern Technisches und Textiles Werken, Diplomarbeit – Universität für angewandte Kunst Wien, 2010.

ZANKL, GUSTAV: Zur Genesis der „Technischen Werkerziehung“, später „Technisches Werken“ im österreichischen Schulwesen, BÖKWE-Fachblatt Nr.2 2007, Wien, Astoria Druck, 2007.

Onlinequellen: BUNDESMINISTERIUM für Bildung, Wissenschaft und Forschung | https://bmbwf.gv.at/ Wichtige Meilensteine und Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung im österreichischen Bildungswesen, 12.07.2019, https://bildung.bmbwf.gv.at/schulen/bw/ueberblick/zeittafel_frauen.html, Zugriff am 9.7.2019.

INDUSTRIELLENVEREINIGUNG Österreich | https://www.iv.at/de/ LINDNER, ANNA: Was kann die Basis des gemeinsamen Werkens sein?, Vortrag, gehalten auf der Tagung des BÖKWE am 30.09.2016, https://www.bagbild.at/images/PDFs/Was-kann-die-Basis-des-gemeinsamen-Werkenssein.pdf, Zugriff am 9.7.2019.

LOEW, MARKUS, DR.: Das Schulorganisationsgesetz 1962 – Bildungsessays im Austria Forum, Seite erstellt 2011, geändert 2018, https://austriaforum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Bildung/Das_Schulorganisationsgeset z_1962, Zugriff am 9.7.2019. ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ALEX: Historische Rechts-

59 und Gesetzestexte online | http://alex.onb.ac.at RECHTSINFORMATIONSSYSTEM DES BUNDES | https://www.ris.bka.gv.at/ REPUBLIK ÖSTERREICH PARLAMENT | https://www.parlament.gv.at SCHULE.AT – mein digitales Schulportal | https://www.schule.at WIRTSCHAFTSKAMMER ÖSTERREICH, ABTEILUNG FÜR BILDUNGSPOLITIK: WKO-Die Bildungsoffensive für alle, 2019, https://news.wko.at/news/oesterreich/wko-bildungsoffensive-langfassung.pdf, Zugriff am 9.7.2019.

ZOBL, CORNELIA: Überlegungen zur technologisierten Gesellschaft, zu technologiemündigen Subjekten und der Rolle der Werkerziehung, Medienimpulse Jg. 56, Nr. 3, 2018, Medienimpulse BMBWF Abt. IT/3, https://journals.univie.ac.at/index.php/mp/article/view/mi1268/1394, Zugriff am 15.7.2019.

CHRISTIAN PIRKER Wie viel Schumpeter braucht die Didaktik?

Ich habe dieses Thema gewählt, weil mich Joseph Alois Schumpeter (1883–1950) schon immer fasziniert hat. Dadurch, dass wir beide am gleichen Tag (8. Februar) Geburtstag haben, besteht von meiner Seite eine zusätzliche Verbindung. In meiner Veröffentlichung „Joseph A. Schumpeter und das Studium der Sozialwissenschaft. Ein Beitrag zur österreichischen Wissenschaftsgeschichte“ (1999) habe ich mich erstmals wissenschaftlich mit ihm beschäftigt. Seitdem nehme ich aufmerksam und intensiv jeden Literaturhinweis und jede Meldung wahr.

Er gilt als einer der größten Nationalökonomen. Daneben war er eine interessante Persönlichkeit mit großen Ambitionen und ein vielbeachteter Lehrer, der sowohl Begeisterung als auch Ablehnung bei seinen Studenten und anderen Menschen hervorrief. Schumpeter machte interessante Scherze mit Tiefgang, wie den oft zitierten: „Schon früh hatte ich drei Ziele: der größte Ökonom der Welt, der größte Reiter Österreichs und der beste Liebhaber Wiens zu werden.“ Nach einer kurzen Pause folgte die für die Zuhörer erlösende Erklärung, die wohl nicht immer wortgleich war: „… leider habe ich nur einen schlechten Sattel geerbt.“ Der Begriff „Didaktik“ Der Begriff „Didaktik“ kommt aus dem Altgriechischen und heißt direkt übersetzt „Lehrkunst“. Nach Dieter Lenzen ist „Didaktik“ die wissenschaftliche Reflexion von organisierten Lehr- und Lernprozessen. (vgl.

Lenzen 1989, S. 307) Walter Schöler (1928–1994) verweist auf die untrennbare Einheit von Didaktik und Methodik im Unterricht. „Didaktik strukturiert Unterrichtsentscheidungen auf der Grundlage theoretischer Reflexion.“ (Schöler 1977, S. 8) Die didaktische Reflexion in Europa begann mit Wolfgang Ratke (1571– 1635), dem „Erfinder der methodisch kontrollierten pädagogischen Arbeit als einer eigenen Praxisform und Reflexionsaufgabe“ (Tenorth/Tippelt 2007, S. 595) bzw. im Jahr 1657 mit der „Didactica Magna“ von Johann Amos Comenius (1592–1670). Die gesamte Kunst, alle alles umfassend zu

62 lehren „Omnes, omnia, omnino“ steht dabei als Leitgedanke. (vgl. Tenorth/Tippelt 2007, S. 156) Wolfgang Ratke und Johann Amos Comenius bezeichneten sich beide selbst als „Didactici“ und verstanden Didaktik als Lehrkunst. (vgl. Böhm/Seichter 2018, S. 120) Der Begriff „Didaktik“ wird heute unterschiedlich aufgefasst. Wichtig ist jedoch, dass „Didaktik“ immer die Aspekte des Lehrens und des Lernens miteinschließt. (vgl.

Gudjons/Traub 2016, S. 239) Friedrich Kron, Eiko Jürgens und Jutta Standop unterscheiden fünf gängige Bestimmungen von Didaktik als Wissenschaft: (Kron/Jürgens/Standop 2014, S. 36 ff.)     

Didaktik als Wissenschaft vom Lehren und Lernen Didaktik als Theorie und Wissenschaft vom Unterricht Didaktik als Theorie der Bildungsinhalte Didaktik als Theorie der Steuerung von Lernprozessen Didaktik als Anwendung psychologischer Lehr- und Lerntheorien

Schumpeter und seine Didaktik Joseph Schumpeter sah sich selbst als Lehrer eher kritisch. Zumindest hat der das in seinen Vorlesungen so gesagt. „Schumpeter pflegte in seinen Vorlesungen zu betonen, daß es ihm an jeglichem pädagogischen Talent fehle und daß es ihm quasi des Broterwerbs wegen obliege, dem Beruf des Lehrers nachzugehen. Und seine Studenten waren manchmal bereit, ihm in diesem Punkt beizupflichten, da seine Vorträge nur allzu oft einen klaren Aufbau vermissen ließen und den Eindruck mangelnder Vorbereitung und Improvisation bei den Zuhörern hinterließen.“ (März 1983, S. 11)

Doch Eduard März (1908–1987) zeigt umgehend die andere Seite der Medaille: „Gewiß, Schumpeter war kein Pädagoge im herkömmlichen Sinne, aber seine Begeisterung für die ökonomische Disziplin, seine Liebe für jedes winzige dogmengeschichtliche Detail und seine bravouröse Beherrschung der Materie, […], übertrugen sich auf den Hörer und gaben diesem mitunter das Gefühl, Zeuge einer geradezu kultischen Handlung zu sein. Schumpeter war in der Tat so etwas wie ein Hohepriester seiner Wissenschaft.“ (März 1983, S. 11)

63 Ein Student aus der Czernowitzer Zeit, Maximilian Kössler, schrieb wenige Tage nach Schumpeters Tod einen Brief an die Witwe Elizabeth Boody Schumpeter: „Ich erinnere mich noch des gutaussehenden und elegant gekleideten jungen Mannes der … unseren Hörsaal betrat, um seine erste Vorlesung an der Universität von Czernowitz zu halten, und der uns auf der Stelle durch die Brillanz seines Vortrages und die Tiefe seiner Gedanken zutiefst beeindruckte.“ (Swedberg 1994, S. 33) Joseph Schumpeter wurde allerdings von seinen Studenten nicht immer nur positiv gesehen. Die zwei Beispiele dafür sind seine Zeit an der KarlFranzens-Universität Graz und seine späte Phase an der Harvard University. In beiden Fällen könnten seine wissenschaftliche Position, in Graz die theoretische Ökonomie („Methodenstreit“, vgl. Shionoya 1997, S. 193 ff.), in Harvard seine Kritik an John Maynard Keynes (1883–1946), gepaart mit seinen politischen Ansichten, eine Rolle für die Ablehnung durch die Studenten gespielt haben. (vgl. Kurz/Sturn 2012, S. 40 ff.) Wobei seine konsequente (und sture) Haltung in beiden Fällen einen Teil der heutigen Bewunderung ausmacht. Zudem ist man heute sowohl in Graz als auch in Boston stolz darauf, dass Schumpeter an der jeweiligen Universität gelehrt hat.

Eduard März beschreibt seine erste Begegnung mit Schumpeter im Frühjahr 1941 so, dass seine Züge im Entfernten an Napoleon erinnern und seine Vortragsweise salopp und unsystematisch war. Schumpeter hatte als Referent keinerlei Konzept und keinen geschriebenen Text vorbereitet.

Auf die Kritik an seinen Ausführungen reagierte er mit herablassender Freundlichkeit und letztlich wurde Eduard März in die Sprechstunde eingeladen. (vgl. März 1983, S. 15) Schumpeter hatte immer leere Papierstreifen in seiner Tasche, die er dann herausholte und beschrieb, wenn ihm ein neuer Gedanke kam. „So kam der Witz auf, daß seine Kollegen zu Hause vorbereitete Aufzeichnungen in ihre Vorlesungen brachten, während Schumpeter Aufzeichnungen aus seinen Vorlesungen nach Hause brachte. Er nahm Bemerkungen dieser Art nicht ohne Wohlgefallen auf.“ (März 1983, S. 16) Schumpeter kannte in seinen Lehrveranstaltungen ebenso Tabus. So weigerte er sich, seine „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ im Semi-

64 nar abzuhandeln. Dennoch dürfte der Satz von Wolfgang Stolper (1912– 2002) stimmen: „Schumpeter always took his teaching duties seriously.“ (Stolper 1994, S. 8) Die Eckpfeiler in Schumpeters Didaktik lassen sich aus meiner Sicht so zusammenstellen:

Abbildung: Die Eckpfeiler in Schumpeters Didaktik Es beginnt mit dem Ich und der Haltung. Die Persönlichkeit Joseph Schumpeters war wohl einzigartig und elitär. Er hatte ein enormes Wissen und war als Wissenschafter exponiert und auf ständiger Expedition. Er verfolgte konsequent die theoretische Ökonomie und trieb sie fast um jeden Preis voran. Es war ihm klar, was die Studenten lernen müssen. Seine Auftritte waren in bestimmter Kleidung und seine Sprache war klar (Show). Ebenso klar war sein Geist, der immer noch Kapazität für neue Gedanken hatte. Die scheinbar chaotischen Papierschnipsel, wirkten auf die Hörer überraschend, irritierend und waren eines seiner Markenzeichen.

Sein Anspruch war sehr hoch, weil er das Beste wollte. Dahingehend war er konsequent, um nicht zu sagen stur und eigenbrötlerisch. Einige Stichworte dazu sind: „Von der Kunst zum Kult (Hohepriester seiner Wissenschaft)“, „glänzender Redner“, „elegant gekleideter junger Mann“, „Brillanz seines Vortrages“ und „Tiefe seiner Gedanken“, „Schlampigkeit des

65 Genies“, „monströses Gedächtnis“, „leere Papierstreifen“, „Tabus“, „homo politicus“ und „bereit für Duelle“.

Zusammenfassung und kritischer Ausblick Dieses Statement und diese Arbeit sind eine mögliche Sicht auf das schillernde Phänomen Joseph Schumpeter und seine Didaktik bzw. der Frage „Wie viel Schumpeter braucht die Didaktik?“ Schumpeter kann man nicht kopieren und vermutlich ebenso nicht in Kategorien zwingen. Dennoch gibt uns seine Art zu leben, zu lernen, zu sein und zu lehren wertvolle Impulse für eine andere Sicht auf die Didaktik.

Nicht jeder Lehrer kann eine solche Persönlichkeit sein, aber man kann auf sein Ich achten und Haltung an- und einnehmen. Insbesondere dann, wenn der Zeitgeist auf der anderen Seite steht. Jeder Lehrer kann danach streben, dass er erstklassiges Wissen hat und per Definition muss er wissen, was die Lernenden lernen sollen. In der heutigen Zeit wird oft zu wenig auf die Kleidung und die Sprache geachtet. Zu oft wird nunmehr jeder Tag zum „Casual Friday“ und die Sprache ist oftmals geprägt von Privatfernsehsendern aus Köln. Ein brillanter Geist, das ist das, was einen hervorragenden Lehrer im Unterricht ausmacht. Dieser Punkt ist für Lehrer nicht so einfach zu verbessern. Eine echte Verbesserungsmöglichkeit besteht für viele Lehrer jedoch darin, dass sie vom zeitgeistigen „betreuten Lesen“ in Powerpointfolien zu einer echten Interaktion mit den Lernenden wechseln. Das muss nicht unbedingt ohne Konzept sein, aber es ist anzunehmen, dass auch Schumpeter ein Konzept hatte, nur eben nicht (immer) schriftlich ausgearbeitet und vor sich liegen. Anspruch und Konsequenz, das sind zwei unzeitgemäße Größen. Bedauerlicherweise – getrieben durch den Bologna-Prozess und die Unbildung im Sinne von Konrad Paul Liessmann – auch im tertiären Bildungsbereich. Hier hat die Didaktik im Jahr 2019 wohl den größten Bedarf nach Schumpeter.

Literatur Böhm, W., Seichter, S.: Wörterbuch der Pädagogik, 17. Aufl., Paderborn 2018.

Gudjons, H., Traub, S.: Pädagogisches Grundwissen. Überblick, Kompendium, Studienbuch, 12. Aufl., Bad Heilbrunn 2016.

66 Kron, F.W., Jürgens, E., Standop, J.: Grundwissen Didaktik, 6. Aufl., München, Basel 2014.

Kurz, H.D., Sturn, R.: Schumpeter für Jedermann. Von der Rastlosigkeit des Kapitalismus, Frankfurt am Main 2012.

Lenzen, D.: Pädagogische Grundbegriffe, Bd. 1, Reinbek 1989.

März, E.: Joseph Alois Schumpeter. Forscher, Lehrer und Politiker, München 1983.

Pirker, Ch.: Joseph A. Schumpeter und das Studium der Sozialwissenschaft. Ein Beitrag zur österreichischen Wissenschaftsgeschichte, Klagenfurt 1999. (= Retrospektiven in Sachen Bildung, R. 2, Studien, Nr. 27) Schöler, W.: Strukturen und Modelle des Unterrichts, Paderborn 1977. (= Lehrbücher zur Didaktik, hrsg. v. Walter Schöler, Bd. 1) Shionoya, Y.: Schumpeter and the idea of social science. A metathoeretical study, Cambridge 1997.

Stolper, W.F.: Joseph Alois Schumpeter. The public life of a private man, Princeton 1994.

Swedberg, R.: Joseph A. Schumpeter. Eine Biographie, Stuttgart 1994.

Tenorth, H.-E., Tippelt, R.: BELTZ Lexikon Pädagogik, Weinheim, Basel 2007.

67

Abb 2: Joseph Alois Schumpeter (1883-1950)

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Klagenfurt, 2019-06-17

An die R€ferentinnen der Tagung ,,pädagogisch-Birdungsgeschichtliche statements vII,. (,,Historisches Klassenzimmer" bzw. Gemeindezentrum ,,St. And.ä., Wölfnitz. Hallegger StI. 2lg, l. Stock, Do..

12.

September 2019, l4:30 ff.) (Betreff: Regtement): Avgustin Brumnik Claudia Fräss-Ehrfeld Friedrich Fuchs Franz Glaser

Gerald Grinm Helene Kobald Elmar Lechner

Veronika Michirsch Tina Novak Manuel Pichler Christian Pirker

l.

14:30. Begrüßllng und Einweisung sowie Verlosung der Reihenfolge der Statements gangsweise: Bachmann-Preis). (Moderation: Oswald Krobath)

(Vorbild Vor-

2. 14:40 Beginn

des ersten der I 5-Minuten-statements. (Einmal eine akademische viertelstunde an<lersrum.) lNach jeder akad. Viertelstunde 5 Minuten Zeit liir Nachfragen, Anmerkungen.)

3. Es ist eine altbekamte und altbewährte Erfahrung, dass der Referent dann mit aufmerksamen zuhörem rechnen kann' wenn es sich auf das wesentliche besch*inkt (was bei 15 zur Verfügung stehenden Minuten leicht fallen dürfte) bzw. das Publikum ansieht bzw. auf das wegsehen in fuchtung vorgefe(igtes Material verzichtet. (Vgl. Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung,2008, S. tS2 f; odei pestÄz_ zianisch bzw. anschaulich: Es sollte aufgekocht, also nicht kaltg Konservin aufgetischt werden; oder in ungegenderten - Reimen: ,,Nur dessen Worten man vertraut / der einem in die Augen schaut,,; als Demonstrationsfläche steht eine originale Schultafel und eine Kreide zur Verfügung.)

4. Eine ausführlichere Diskussion zu den einzelnen statements ist im Ansihluss an diese und zwar im nahe- und schön gelegenen Golf-Cafe möglich.

5. Mitgebracht und dem Moderator übergeben werden möge eine 2 bis max. 3 seiten umfassende. ggi provisorische Verschriftlichung des statements. Bis zum Fr.,20.9.19, möge die allenfalls überarbeitete Verschriftlichung per Mail übersandt werden (cl.nlar.lcchn!,rtr aau.al).

6. sodann gehen die gesamrnelten T exte in die Druckerei der Universität zwecks Veröffentlichung der Plblikaiion ,,Pädagogisch-Bildungsgeschichtliche statem€nts vII, abgegdben am 12. september 20l9 im Klassenzimmer', Klagenfurt-wölfnitz". (Ein Exemplar auf wunsch derin zwei dersel'Historischen ben werden in den nachfolgenden Tagen an die Referent/innen versandt; die veröffentlichung im Intemet bzw. in der Homepage der ÖGHPS [s. oben Briefkopf] ist für Dezember'19 in Aussicht genommen.) (Es ist meh' überflilssig als angebracht, anzurnerken, dass sich die Realisierung des wiss. priLips Neuigkeit in der Qualität der nominierten Sekund?irliteratur widerspiegelt.) (Ein - fieilich recht bescieidenel jedoch ebenso spezifisches - Honorar (,,Sachleistung.') steht zur Verftigung.) llatrl\cfti dun! Rritlciscntr .tc\hanli Kärnt.n Irl./.19 (X)0 Kkj.\r.25t02U?

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ll\\tclltci.,\.rnecnr.nr\oinlalhcnrartsch.i.Jrh)sikatisch.nundgcolrdnhischcnl,,i".t.t,ru,ui,.rn,irr.

Mit besten Crüßen

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(elmar.lechneraoaau.at)

Nachstehend di€ Titel der einzelnen Statements (Stand: 16.6.19):

Avgustin BRUMNTK: Valentin Polanöek (1928-1985) als prominenter Pädagoge slowenischer Zunge Claudia FRASS-EHRFELD: Was ein(e) Matuant(in) von der Geschichte Kämtens wissen sollte - Einige Tips Fdedrich FucHs: Zu den Anftingeo der viktor Frankl Hochschule Franz GLASER: Das Museum als Ort der Abrundung de-r schulischen Bildung Gerald GR|MM: 150 Jahe ,,Reichsvolksschulgesetz": Osterreichs Anschluss an die Bildungsexpansion im IndLstriezeitalter?

Helene KoBALD: Stenografie - Von der Kulturtechnik zur Nischendisziplin Elmar LECHNER: Eine Methodik vom Kind€ aus als Folge schulgesetzlicher Gegebenheiten Veronika MrcHrTScH: Von der Pflichtschule in die Berufsausbildung. Durchgängige Lemortkooperation zwischen Schule und Wirtschaff Tina Nov.qx: Lemen und Emotion Manuel PICHLER: Der Beitrag des Faches Werkunterricht zur Erfrillung der,,Aufgabe der östeneichischen Schule" (Schulorganisationsgesetz) Christian PIRKER: Wi€ viel Schumpeter braucht die Didaktik?

Bdntr.rbrndune: ßa,lT(i.enrard$hanl Kämr<n Bl Das

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l.ogo im Brieftopfisl Ub€ßommen vom Titclblan dcs Vorlesungslerzeichnisses des s€in€rzeitigen l. k. l,y/eums zu Klagenfun.

Es slelllein ArEnsemenl von nathematischen, physikalischcn und Smeraphischen Unlcdichlsmincln dd.

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