«Generika sind Teil der Lösung und nicht das Problem»
Rebecca Guntern, Chief Commercial Officer des Schweizer Pharmakonzerns Sandoz, über die Notwendigkeit, die Produktion von lebenswichtigen Medikamenten in Europa zu halten – und die Voraussetzungen, die dafür nötig sind.
In der Schweiz kommt es immer wieder zu Versorgungsengpässen bei lebensnotwendigen Medikamenten, beispielsweise Antibiotika. Vor allem Generika, also Arzneimittel ohne Patentschutz, sind betroffen. Was sind die Gründe?
REBECCA GUNTERN: Es gibt viele Gründe. Insbesondere ist das Portfolio der Generikaproduzenten um einiges grösser als jenes der Originalhersteller. Es ist zudem von der Versorgungskette her viel komplexer, weil es unterschiedliche Produkte in vielen Dosierungen und Darreichungsformen umfasst. Ausserdem muss das Portfolio ständig optimiert werden, da Generikahersteller trotz minimaler Margen mit stetigen Preissenkungen konfrontiert sind. Um die Fixkosten über grosse Stückzahlen gering zu halten, müssen wir unsere Produktionskapazitäten optimal auslasten. Nur lässt sich der Bedarf an Medikamenten nicht im Voraus genau planen. So kann es vorkommen, dass die Nachfrage nach einem einzelnen Generikum höher ist als das Angebot im Markt. Viele Wirkstoffe für Generika werden in Asien hergestellt. Was bedeutet diese Abhängigkeit für die Medikamentenversorgungslage in Europa?
Während der CoronaPandemie und im Kontext der geopolitischen Spannungen wurde erkannt, wie fragil diese Lieferketten sind. Die Abhängigkeit von Asien ist riesig: Bis zu 90 Prozent der Wirkstoffe werden heute aus dieser Region bezogen. Die europäischen Gesundheitsminister bezeichnen diesen Umstand nicht grundlos als die Achillesferse der Verteidigungspolitik. Europa muss bei der Herstellung von lebenswichtigen Medikamente wieder unabhängiger werden und die verbleibenden europäischen Produktionsstätten erhalten. Bei Sandoz sind wir uns dieser Dringlichkeit bewusst und investieren darum stark in unsere elf Produktionsstandorte in Europa.
Gibt es weitere Massnahmen, welche die Versorgungslage in der Schweiz stabilisieren?
Definitiv. Ich war als Vertreterin der Industrie Teil einer Expertengruppe, die dem Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Stärkung der Versorgung bei Humanarzneimitteln vorgelegt hat. Darin wurden verschiedene Handlungsfelder definiert. Als Erstes müsste die Arzneimittelversorgung in der Schweiz als sicherheitspolitisch relevantes Thema eingestuft werden. Wir haben auch konkrete Vorschläge gemacht bezüglich Preis und Erstattungspolitik. Beispielsweise sollte bei lebensnotwendigen Arzneimitteln mit geringem Preis oder Umsatz auf weitere Senkungen verzichtet werden. Noch mehr Preisdruck bei diesen Medikamenten gefährdet die Versorgungslage zusätzlich und führt dazu, dass sie «billig», aber nicht verfügbar sind. Zudem soll es bei kritischen, lebensnotwendigen Arzneimitteln einen Inflationsausgleich geben.
Eine Preiserhöhung käme in der Bevölkerung wohl schlecht an. Das ist so ein Thema, das immer sensitiv ist. Wir müssen dies bei patentabgelaufenen Medikamenten wieder in Relation setzen: In der Schweiz haben wir Gesundheitskosten von mehr als

Weshalb wäre es so gravierend, wenn ein Hersteller ein Medikament nicht mehr produzieren würde? Rund 50 Prozent der lebenswichtigen Generika haben nur einen Hersteller –es gibt keine Mitbewerber, die den Ausfall auffangen könnten. Wenn kritische Medikamente vom Markt verschwinden, sind die daraus entstehenden Folgekosten massiv höher, als wenn man in die Wirtschaftlichkeit solcher Arzneimittel investiert. Generika tragen ja an sich dazu bei, die Gesundheitskosten zu senken. Sie sind Teil der Lösung und nicht das Problem. Im Jahr 2024 erreichte man dank dem Einsatz von Generika in der Schweiz mehr als 700 Millionen Franken Einsparungen für die Prämienzahler. Von diesem eingesparten Geld könnte man einen Teil in die Arzneimittelsicherheit und Medikamentenversorgung der Zukunft reinvestieren.
Die Expertengruppe machte auch Vorschläge bezüglich der regulatorischen Hürden in der Schweiz. Ja, denn einige davon sind mit sehr viel Komplexität, Kosten und Ineffizienzen verbunden. Ein Beispiel ist die elektronische Patienteninformation. Jede Medikamentenpackung enthält eine Patientenbeilage aus Papier. Diesen Beipackzettel könnte man ganz einfach durch einen QRCode ersetzen, was sehr viel effizienter wäre. Wenn es zu einem Engpass käme und man Medikamente von einem Land in ein anderes verschieben müsste, wäre man nicht gezwungen, alle Verpackungen mit neuen Beipackzetteln umzurüsten, sondern hätte die Patienteninformationen in vielen verschiedenen Sprachen immer auf dem neusten Stand. Nebenbei würde man viel Papier beziehungsweise entsprechende Ressourcen sparen. Was könnte sonst noch vereinfacht werden?
Und wie verhält es sich bei den Biosimilars, den Nachahmerprodukten von patentabgelaufenen Biologika? Bei den Biosimilars ist zeitverzögert ein ähnlicher Trend festzustellen wie bei den Generika. Aktuell nimmt Europa bei den Biosimilars zwar noch eine führende Rolle ein. Etwa 51 Prozent der Wirkstoffe werden in Europa hergestellt. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die erste Welle der Biosimilars, die zwischen 2006 und 2015 auf den Markt kamen, überwiegend von europäischen Unternehmen wie Sandoz entwickelt und eingeführt worden ist. Heute wird aber bereits über ein Drittel der Wirkstoffe, die für die Herstellung der in Europa zugelassenen Biosimilars benötigt werden, in Asien produziert. Zeitgleich sehen wir in gewissen Märkten vergleichsweise negative Preisentwicklungen wie bei den Generika. Es könnte also bei den Biosimilars zu einer ähnlichen Situation kommen wie bei den Generika. Dies gilt es zu verhindern. Darum investieren wir auch stark in den Ausbau unseres Produktionsnetzwerks für Biosimilars in Europa, namentlich in Slowenien und Frankreich. Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Dass dem Wert und Nutzen der Generika und Biosimilars Rechnung getragen wird und die aufgezeigten Massnahmen zeitnah umgesetzt werden. Die anhaltende Konsolidierung und der Preisdruck haben uns in eine unbequeme und gefährliche Lage gebracht. Wir müssen jetzt handeln, damit wir auch in fünf bis zehn Jahren in Europa noch Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln haben.
Sandoz
«Europa muss bei der Herstellung von lebenswichtigen Medikamenten wieder unabhängiger werden.»
90 Milliarden Franken im Jahr, davon machen Generika etwa 2 Prozent aus. Wenn man die kritischen Medikamente betrachtet, machen diese noch einen Bruchteil dieser 2 Prozent aus. Wir sprechen also von einer Teilmenge, die sehr begrenzt ist. Es ist nicht so, dass die Generikaindustrie sämtliche Preise erhöhen möchte. Wir sprechen lediglich von den lebenswichtigen, kritischen Medikamenten, bei denen man sieht, dass die Preise zu niedrig sind, um die Kosten zu decken, und deshalb die Gefahr besteht, dass sie vom Markt verschwinden. Damit der Markt funktioniert, müssen die Rentabilität und die Attraktivität für Hersteller, auch Investitionen zu tätigen, gegeben sein.
Von was für Preisen sprechen wir?
Eine Dosis der Antibiotikatherapie mit Co Amoxicillin kostet in der Schweiz rund 1,90 Franken. Für jeden Cappuccino bezahlt man mehr als 5 Franken. Während die Preise bei
anderen Gütern des täglichen Bedarfs stetig steigen, werden sie bei lebensnotwendigen, lebensrettenden Medikamenten stetig gesenkt. So wurde beispielsweise bei Co Amoxicillin der Preis in der Schweiz für uns als Hersteller in den vergangenen zwanzig Jahren um 38 Prozent gesenkt. Die Teuerung bei Konsumgütern betrug im gleichen Zeitraum 9 Prozent. Heute gibt es eine riesige Schere zwischen den Herstellkosten und den Preisen, die ein solches Medikament im Markt hat. Da muss man sich schon fragen, was der Wert eines lebensnotwendigen, lebensrettenden Medikaments ist. Wir sprechen hier von sehr tiefpreisigen Arzneimitteln. Eine Investition in die Versorgungssicherheit dieser Medikamente würde nicht viel kosten, hätte aber einen gewaltigen Einfluss für die Zukunft. Der Preis, den wir in fünf bis zehn Jahren in Europa für eine verschärfte Mangellage bei lebenswichtigen Medikamenten bezahlen würden, wäre viel höher.
Ein weiterer Vorschlag ist mehr Flexibilität bei den Verpackungen: Heute müssen Generika in der Schweiz grundsätzlich in sämtlichen Dosierungen und Verpackungsgrössen wie das Original auf den Markt gebracht werden. Dies verursacht erhebliche Kosten – mit der Konsequenz, dass gewisse Arzneimittel gar nicht mehr angeboten werden. Es wäre ökonomischer, ökologischer und letztlich der Versorgungslage förderlich, wenn Generikahersteller auf diejenigen Verpackungen fokussieren könnten, nach denen es im Markt eine Nachfrage gibt, anstatt jede Originalpackung zwingend spiegeln zu müssen. So könnte man mehr und kostengünstiger produzieren. Dies sind einige der für mich relevantesten Punkte aus dem Paket.
Was tut Sandoz, um die Medikamentenversorgung in Europa zu gewährleisten?
Wir sind in Europa historisch verwurzelt. Wir verfügen hier über ein starkes Produktionsnetzwerk und erzielen hier auch die Hälfte unseres Umsatzes. Der österreichische Standort Kundl spielt bei der Versorgung mit lebenswichtigen Antibiotika eine besondere Rolle, wir betreiben dort die letzte grosse vollintegrierte Penizillinproduktion ausserhalb Asiens.
Sandoz mit Hauptsitz in Basel ist der weltweit führende Anbieter von Generika und Biosimilars (Nachahmerprodukte von patentabgelaufenen Medikamenten), beschäftigt rund 20000 Mitarbeitende und verfügt über ein Portfolio von rund 1300 Produkten. Mit diesen ermöglicht das Unternehmen jährlich über 900 Millionen Patientenbehandlungen in mehr als 100 Ländern. Sandoz steht für hochqualitative Arzneimittel mit Fokus auf den patentfreien Markt. Die Erfolgsgeschichte lässt sich bis ins Jahr 1886 zurückverfolgen, mit der Gründung von Kern & Sandoz in der Schweiz. Zu den Meilensteinen der Marke Sandoz zählen die Markteinführung von Calcium Sandoz (1929), das erste orale Penicillin (1951) sowie die Entdeckung der immunsuppressiven Wirkung von Cyclosporin (1972), das heute bei Transplantationen eingesetzt wird. 2006 brachte Sandoz das weltweit erste Biosimilar, ein Nachahmerprodukt von patentabgelaufenen Biologika, auf den Markt.
Dieser Inhalt wurde von NZZ Content Creation im Auftrag von Sandoz