Rolex (D)

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Seine Forschung lässt Paraplegiker hoffen

Der Neurowissenschafter Grégoire Courtine, Professor an der EPFL, hilft querschnittsgelähmten Menschen, die Kontrolle über ihren Körper zurückzugewinnen. Für seinen Unternehmungsgeist wurde er 2019 mit dem Rolex Award ausgezeichnet.

Nach einem verunglückten dreifachen Salto sass der angehende Sportlehrer David Mzee sieben Jahre lang im Rollstuhl. 2011 nahm er mit zwei anderen Patienten an einer bahnbrechenden Studie teil, die vom Neurowissenschafter Grégoire Courtine (ETH Lausanne, EPFL) und der Neurochirurgin Jocelyne Bloch (Universitätsspital Lausanne, CHUV) geleitet wurde. Dank einer Elektrode, der direkt auf das Rückenmark implantiert wurde und den Bereich unterhalb der Verletzung elektrisch stimulierte, konnte David nach nur sechs Monaten Training ein paar vorsichtige selbständige Schritte machen.

Diese Bilder gingen 2018 um die Welt und sorgten international für enormes Aufsehen. Der erste Geherfolg des querschnittsgelähmten Sportlehrers markiert einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von Rückenmarksverletzungen – dieser Moment bleibt auch für Courtine und Bloch unvergesslich. Ein Jahr später erhielt der EPFLProfessor für seinen Unternehmungsgeist den Rolex Award (siehe Kasten oben rechts).

«Herzzerreissend»

Dass Grégoire Courtine seine Karriere der Wiederherstellung motorischer Funktionen bei Menschen mit Rückenmarksverletzungen widmen wollte, war für den 50 ­jährigen Rolex­Preisträger klar, seit er in jungen Jahren an der Universität Zürich einem Gleichaltrigen gegenüberstand, der wegen einer Sportverletzung zum Paraplegiker wurde: «Ich liebe

Extremsportarten und bin passionierter Bergsteiger. Durch Forschungsarbeiten habe ich erfahren, wie das Gehirn das Rückenmark und die Bewegungen steuert. Nun arbeitete ich zum ersten Mal mit jemandem, der auch Sport getrieben hatte, aber seit einem Unfall im Rollstuhl sass», erinnert sich Courtine. «Ich konnte mich gut in ihn hineinversetzen – es war herzzerreissend, zu sehen, dass er eine Fähigkeit verloren hatte, die auch in meinem Leben so wichtig ist. Der Kontakt zu solchen Menschen, die für mich fast wie mein eigenes Spiegelbild sind, motiviert mich seit 20 Jahren, meine Forschungsarbeit auf eine Therapie zu konzentrieren, die gelähmten Patienten hilft, wieder zu laufen.»

Der französische Staatsbürger Courtine studierte Mathematik, Physik und Neurowissenschaften; promovierte in Experimenteller Medizin an der Universität Pavia (Italien); war Postdoktorand im Edgerton­Labor an der University of California, Los Angeles (UCLA); wurde 2008 Labordirektor an der Universität Zürich; und ist seit 2011 Professor an der EPFL, wo er gemeinsam mit Jocelyne Bloch das Defitech Center for Interventional Neurotherapies leitet. Wie Courtine erklärt, gibt es unzählige Menschen mit Rückenmarksverletzungen auf der Welt. Und manchmal würden sie von der Forschung schlichtweg vergessen: «Jemand, der eine Rückenmarksverletzung hat, macht normalerweise eine monatelange Rehabilitation durch – und dann kommt die Genesung zum Stillstand. Physiotherapie hilft ein bisschen, aber danach gibt es keine

weitere Verbesserung mehr.» Für die Patienten bedeutet dies, dass sie ihre Beine nie wieder gebrauchen können. Mit seiner Forschung will der Wissenschafter dies ändern.

Innovativer Ansatz

Bislang konzentrierte man sich bei der Behandlung von Rückenmarksverletzungen darauf, den Patienten ein mehr oder weniger beschwerdefreies Leben zu ermöglichen und sie dabei zu unterstützen, den Alltag trotz Lähmung meistern zu können. Damit wollte sich Courtine nicht zufriedengeben. Im Gegensatz zu den

meisten seiner Forscherkollegen konzentrierte sich der Laureat des Rolex Award –vergeben im Rahmen der Rolex Perpetual Planet Initiative (siehe Kasten unten rechts) – nicht auf die Verletzung des Rückenmarks selbst, sondern fokussierte auf eine Stelle weiter unten: einen Bereich in der Lendenwirbelsäule, das als eine Art zweite Steuerzentrale für die Beine fungiert – einigermassen unabhängig von der Verbindung, die das Rückenmark zum Gehirn bildet.

Wie Grégoire Courtines Forschungspartnerin Jocelyne Bloch erklärt, gleicht das Rückenmark einer «Autobahn, und nach einer Rückenmarksverletzung ist

«Unsere Methoden können Querschnittlähmungen nicht heilen. Sie helfen aber dabei, das Leben der Betroffenen einfacher zu gestalten.»

die Strecke ganz oder teilweise unterbrochen». Ursachen können ein Unfall, eine Infektion oder ein Tumor sein. Ist die obere oder mittlere Halswirbelsäule betroffen, sind die Patienten vom Hals abwärts gelähmt – wenn Arme und Beine nicht mehr bewegt werden können, also alle vier Extremitäten, spricht man von Tetraplegie. Sofern die Schädigung unterhalb des siebten Halswirbels in der unteren Halswirbelsäule liegt, können in der Regel nur die Beine nicht mehr bewegt werden – man bezeichnet dies als Paraplegie.

Courtines Patienten sind Paraplegiker, sie haben keine Kontrolle mehr über ihre Beinmuskulatur und können nach einem Unfall oder wegen einer Krankheit nicht mehr selbständig gehen. Dies, weil der neuronale Informationskanal in der Wirbelsäule unterbrochen ist und sensorische Botschaften aus dem Körper nicht mehr ins Gehirn gelangen können. Die Füsse fühlen sich taub an. Umgekehrt kommen die Befehle des Hirns nicht mehr in den Muskeln an, weshalb sich die Beine nicht mehr bewegen lassen. Doch wenn nach der Verletzung schnell genug reagiert wird, ist es möglich, dass gewisse Fähigkeiten erhalten bleiben.

Idealerweise absolvieren Betroffene im Rahmen ihrer Behandlung ein umfangreiches Rehabilitationsprogramm, sobald sie körperlich dazu in der Lage sind. Unter gewissen Umständen können Training, Operationen, Medikamente und gezielte Physiotherapie einen Teil der verlorenen «Datenverbindung» zurückbringen.

Ob ein solches Vorgehen erfolgversprechend ist, zeigt sich rasch. In der Regel gilt: Was nach einem halben Jahr nicht wieder da ist, kommt auch nicht wieder. Für die Patienten bedeutet dies, sich mit dem Status quo zu arrangieren. Mit einem Leben im Rollstuhl oder an Krücken, und mit einer enorm eigeschränkten Freiheit. Trotz zahlreichen Forschungsprojekten, die sich meist darauf konzentrierten, in der unterbrochenen Region des Rückenmarks neue Nervenverbindungen wachsen zu lassen, konnte man keine echten Fortschritte verzeichnen. Zwar gab es kleinere Erfolge, unter anderem beim Einsatz von Stammzellen – ein tatsächlicher Durchbruch blieb aber aus.

Faktor Zeit überlisten

Dies änderte sich, als Courtine neue Wege ging. Der etwa fünf Zentimeter lange Bereich des Rückenmarks, auf den er sich konzentriert, koordiniert etwa 60 Prozent der Muskelaktivität in den Beinen. Und dies auch ohne die entlang der Wirbelsäule verlaufende Verbindung, die bei einer Querschnittlähmung unterbrochen wurde. Der Kopf setzt dieses zweite Steuerungsnetzwerk in Gang und justiert die Bewegungen nach – beispielsweise, wenn wir uns einem Hindernis nähern.

«Bei vielen Betroffenen ist dieser Bereich noch völlig intakt. Weil er von der Befehlskette abgeschnitten ist, befindet er sich nur in einem posttraumatischen Tiefschlaf – wir wecken ihn einfach wieder auf», führt der EPFL­Professor aus. Zu diesem Zweck entwickelte Grégoire Courtine gemeinsam mit seiner For­

schungskollegin Jocelyne Bloch eine Technologie namens Epidural Electrical Stimulation (epidurale elektrische Stimulation, EES) für das Rückenmark, die den Patienten helfen soll, ihre Beweglichkeit wiederzuerlangen. Den gelähmten Patienten werden Elektroden implantiert, die sich unmittelbar an das Rückenmark schmiegen. Per Drahtlosverbindung können die Forscher dort mit einem Laborcomputer Impulse auslösen, die ganz gezielt einzelne Muskelgruppen aktivieren. Nach einer Trainingsphase waren gelähmte Probanden wieder in der Lage, in einem Haltegeschirr zu stehen und kleine Schritte auf dem Laufband zu machen. «Es ist ein ganz besonderer Moment, wenn jemand, dem gesagt wurde, dass er nie wieder würde gehen können, nach zehn Jahren wieder auf seinen eigenen Beinen steht», sagt Courtine. Durch weiteres hartes Training konnten besonders die Patienten, die noch ein minimales Gefühl in den Beinen hatten, grosse Fortschritte erzielen. Weil sie noch über einige wenige intakte Nervenbahnen verfügen, kommen die Befehle aus dem Gehirn quasi nur noch als Flüsterton im Bewegungszentrum an. Allerdings ist der Befehl zu leise, um den Apparat aus seinem Tiefschlaf zu wecken. Mit Courtines Neuroimplantat wird das Rückenmark geweckt und in Rufbereitschaft versetzt. «Es spitzt sozusagen die Ohren», umschreibt es der RolexPreisträger. Während der Stimulation werden die leisen Befehle nun wieder gehört und der Patient kann seine Bewegungen bewusst steuern, trotz Querschnittlähmung.

Rolex Awards

Mit den Rolex Awards unterstützt die Schweizer Uhrenmanufaktur seit mehr als vier Jahrzehnten aussergewöhnliche Menschen, die Unternehmungsgeist zeigen und mit Mut und Überzeugung bahnbrechende Projekte in Angriff nehmen, die dem Wissen und dem Wohl der Menschheit dienen. Die Auszeichnung wurde 1976 anlässlich des 50­jährigen Jubiläums der Rolex Oyster ins Leben gerufen, der ersten wasserdichten Armbanduhr der Welt. Sie gilt als Meilenstein der Uhrmacherkunst und verkörpert die Werte, die Rolex ausmachen und die mit dem

«Heute können einige vormals gelähmte Probanden auch ausserhalb des Labors mit einer Gehhilfe selbständig laufen. Teilweise sogar bei ausgeschalteter Stimulation», ergänzt der Neurowissenschafter. Was bedeutet, dass sich die beschädigte Nervenverbindung durch die Stimulation und hartes Training ein Stück weit regeneriert hat. Ein bahnbrechender Erfolg, vor allem natürlich für die betroffenen Menschen. «Sie haben einen Teil ihrer verlorenen Freiheit zurückerlangt», freut sich Courtine.

Schweren Fällen helfen

Ganz anders verhält sich die Sache bei Paraplegikern, deren Nervenverbindung im Rückenmark fast ganz unterbrochen ist. Zwar können auch sie im Labor dank Haltegeschirr stehen und ein paar Schritte machen, haben aber kaum oder gar keine Kontrolle über ihre Beine –diese werden weitgehend von aussen ferngesteuert. Grégoire Courtine arbeitet derzeit an einer Lösung, die auch in diesen schweren Fällen helfen soll. Dank der Unterstützung von Rolex und ihrer Perpetual Planet Initiative hat er die Möglichkeit, seine Forschung auf ein neues Level zu heben: «Mein Projekt ist es nun, das Gehirn, die Gedanken des Patienten, mit dem elektrischen Stimulator zu verbinden. Eine digitale Brücke zwischen dem Gehirn und dem Rückenmark zu schaffen, so dass der Patient die elektrische Stimulation kontrolliert. Allein dadurch, dass der Proband an die Bewegung denkt, kann er eine Stimulation auslösen. Es gibt kleine Anzeichen, dass er die willkürliche Kontrolle über seine gelähmten Muskeln wiedererlangt. Dies zeigt, dass die Nerven vielleicht langsam wieder zusammenwachsen.»

Dazu entwickelt der Wissenschafter ein System, das durch künstliche Intelligenz (KI) erkennt, welche Bewegungen ein Patient ausführen will. Auf die Frage, ob es dabei keine ethischen Bedenken gebe, antwortet Courtine: «In unserem Szenario schicken wir lediglich einen Code, der die Muskeln aktiviert. Unsere KI ist sehr einfach – ‹streck das Bein, bieg das Bein›. Die Patienten fokussieren auf die Vorteile, die für sie entstehen, und weniger darauf, was KI mit ihren Körpern macht.» Und Jocelyne Bloch ergänzt, man dringe definitiv nicht in die intimen Gedanken der Probanden ein. Stattdessen analysiert das System die Hirnaktivitäten des Patienten. Dabei entsprechen bestimmte Muster bestimmten Bewegungen. Weil aber die Verbindung

Rolex Award gefördert werden: Qualität, Innovationskraft, Zielstrebigkeit und ungebrochener Unternehmungsgeist, der Rolex seit ihrer Gründung beflügelt. Von Beginn an zielte die Ehrung darauf ab, eine Lücke im Bereich der Unternehmensphilanthropie zu schliessen, indem bemerkenswerte Menschen aus allen Teilen der Welt gefördert werden –Pioniere, die oft nur begrenzten Zugang zu herkömmlichen Finanzierungen haben, aber mit ihren innovativen Lösungen auf die grossen Herausforderungen unserer Zeit reagieren. rolex.org/de/rolex-awards

zu den Beinen nicht mehr funktioniert, muss die Rückenmarksverletzung überbrückt werden. Das System, das Courtine mit seinem Team entwickelt, soll genau dies tun. Es nimmt die Bewegungswünsche auf und sendet sie an das Implantat im Rückenmark. Das stimuliert anschliessend das Rückenmark mit dem passenden Impulsmuster und löst so die entsprechende Bewegung aus. Diese elektronische Brücke sorgt dafür, dass die Befehle des Hirns über einen Umweg wieder zu ihrem Zielort gelangen. So können Patienten die Stimulation und damit auch ihre Bewegungen kontrollieren. Kürzlich durften Courtine und Bloch weitere Durchbrüche feiern: EES konnte erfolgreich bei Patienten eingesetzt werden, die einen Schlaganfall erlitten haben oder an Parkinson erkrankt sind. Bei all diesen bahnbrechenden Erkenntnissen bleibt der EPFL ­ Professor bescheiden: «Unsere Methoden können Querschnittlähmungen nicht heilen. Sie helfen aber dabei, das Leben der Betroffenen einfacher zu gestalten und ihnen ein Stück Selbstbestimmung zurückzugeben.» Diese Ansicht teilt David Mzee vollumfänglich: «Als ich nach sieben Jahren im Rollstuhl wieder zu laufen anfing, war das überwältigend. Was für einen Veränderung in meinem Leben!» Grégoire Courtines Ziel: «Eine Therapie für alle Patienten auf der Welt. Und Rolex hilft uns dabei, diese Hoffnung in die Realität umzusetzen und unsere Forschung weltweit sichtbar zu machen», erklärt der Neurowissenschafter.

Zeit fürs Klima

Die Artikel unserer Verlagsserie «Zeit fürs Klima» in Kooperation mit Rolex veranschaulichen das Engagement der Schweizer Uhrenmanufaktur im Rahmen ihrer globalen Perpetual Planet Initiative, Forschung und Entwicklung zu Klimafragen zu unterstützen und dafür mit Persönlichkeiten sowie Organisationen zusammenzuarbeiten, die aktiv Lösungen für den Umweltschutz suchen.

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Dieser Inhalt wurde von NZZ Content Creation erstellt.

Grégoire Courtine: Neurowissenschafter und Professor an der ETH Lausanne (EPFL).
Universitätsspital Lausanne (CHUV): Die NeuroRestore-Patientin Suzanne Edwards bereitet sich dank der Technologie des Rolex-Preisträgers Grégoire Courtine darauf vor, wieder laufen zu können.

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