Leonhard Neidhart: Das frühe Bundesparlament. Leseprobe

Page 23

Die Session war lang und ging bis Ende Juni. Man ging damals mit der Zeit flexibel um und wusste zu Beginn einer Session oft nicht immer genau, wie lange sie dauern würde und welche Traktanden behandelt werden konnten. «In der 22. Sitzung vom 16. Mai 1849 begründete Hr. Labhard im Nationalrath seine gestern gestellte Motion, dass die Sitzung des Morgens um 8 Uhr beginnen sollte. Hr. Stockmar wollte sogar schon um 7 Uhr anfangen. Hr. Bundesrath Näf machte jedoch darauf aufmerksam, dass der Bundesrath auch morgens Sitzungen abhalten müsse, und beantragt, beim bisherigen Verfahren zu bleiben. Hr. Alméraz möchte gar erst um 11 Uhr beginnen, damit die Kommissionen und Rathsmitglieder vorher arbeiten könnten. Bei der Abstimmung wird beschlossen, beim Alten zu bleiben.» «Ende Mai gab der Hr. Präsident der Versammlung einen Überblick über die noch zahlreichen Geschäfte, um die Frage einer Vertagung zu klären. Er erlaube sich keine Meinung, zählte aber die Vorlagen auf, die noch behandelt werden müssten. Das Zollwesen könne kaum mehr durchberaten werden, obwohl man schon eine Woche lang über das Eintreten geredet hatte. Auch die Zollkommission schlägt eine Vertagung auf den 15. September vor. Die Herren Hungerbühler und Stämpfli sprechen entschieden gegen eine Vertagung, weil ohne diese (Zoll-)Einnahmen nichts getan werden könnte. Hr. Almé­ raz macht darauf aufmerksam, dass man beschlussunfähig werde, wenn man sich nicht vertage, indem die meisten Mitglieder sich entfernen würden. [Sehr komfortabel dürfte das Parlamentarierleben im damaligen Bern nicht gewesen sein.] Auch Hr. Blanchenay will nicht den Krämern zu Gefallen länger hier bleiben. Gegen ihn, der immer allen Patriotismus für sich allein in Anspruche nehmen wolle, tritt Hr. Mathey äusserst heftig auf. Der Redner weist zornig nach, auf welche Weise die Kantone Genf und Neuenburg zu ihrem Wohlstande gelangt seien. Der Hr. Präsident sucht die ungestümen Herren zurechtzuweisen, kann aber nicht verhindern, dass Blanchenay wieder mit Persönlichem antwortet, was ihm eine Rüge einbringt. So ging es weiter. Der Bundesrath war gegen eine Vertagung des Zollgesetzes. Eine Abstimmung erbringt 43 Ja gegen 43 Nein, der Präsident entscheidet dagegen. Dann wird eine allgemeine Vertagung verneint und 99

Neidhart_Bundesparlament.indd 99

31.08.10 13:14


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.