Matthias Daum, Paul Schneeberger: Daheim

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tal meine Heimat.» Von Oberengstringen, wo er über Jahre wohnte, bis nach Wettingen und Baden. Hier leben seine Familie, seine Freunde, seine Kollegen. «Aber», wirft er ein, «das ist wohl ein Zufall.» Hätte er eine Lehrerstelle in einem anderen Teil des Kantons angenommen, wäre er vermutlich dorthin gezogen. «Bemerkenswert», sagt von Aesch, «ist aber, dass italienische Secondos, die hier aufgewachsen sind, ein Heimatgefühl für Schlieren empfinden.» Diese Heimweh-Schlieremer haben einige der Wohnungen bezogen, die in den letzten Jahren in grosser Zahl entstanden. Für den Rückkehrer von Aesch hingegen ist Schlieren ein Stadtquartier. Von Zürich, versteht sich. «Ich bin schnell weg von hier.» In 10 Minuten ist er am Hauptbahnhof und in einer Viertelstunde am See. Ja, er ist ein urbaner Mensch. «In einem Krachen leben? Nein, das könnte ich nicht.» «Wieso ziehen Sie denn nicht gleich in die Stadt?» «Das ist jetzt genau so eine überhebliche Frage, wie sie nur Stadtzürcher stellen können. Schlieren gehört zu Zürich. Nein: Zürich gehört zu Schlieren. Punkt.» Und wie als Beweis dafür, dass die Städter einen sonderbaren Blick auf sein Schlieren haben, reicht uns Martin von Aesch ein Buch, das er schon die ganze Zeit unter dem Arm trägt. Es ist eine fotografische Dokumentation des «räumlichen Wandels», «der Urban­isierung der Schweiz». Menschenleere Landschaften. Agglomerations-Einöde. Ob wir damit etwas anfangen könnten? Er nicht. «Das ist nicht mein Schlieren.» Die Uhr zeigt 10.30 Uhr. Zeit für eine Einkehr. Aber eben, Beizen sind rar. Das «Stürmeierhuus» ist geschlossen. So landen wir im «Salmen», einem Traditionslokal mit 1950er-Jahre-Flair. Auf der Bühne im angebauten Saal trat jeweils von Aeschs Vater Werner mit dem Cabaret Rotstift auf. Und von Aesch Junior lernte hier den Jazz kennen, der ihn seit damals begleitet. Heute ist der «Salmen» eine Pizzeria mit einem Wirt aus Albanien. Die grosszügige Gaststube ist gut gefüllt, Arbeiter sitzen bei der Znüni­ pause. Eine Seniorenrunde am Nebentisch bestellt Feldschlösschenbier. «Vier Grosse, bitte!» Und genüsslich paffen die Herren ihre Zigaretten. Der Kellner verteilt tellergrosse Aschenbecher.

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