Umstellung auf biogene Rohstoffe

Page 1

Umstellung auf biogene Rohstoffe

Biomasse ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität, insbesondere als Ersatz für fossile Rohstoffe und Energieträger. Die verfügbare Biomasse reicht aber nicht aus, um alle Anwendungsfelder (strukturell, stofflich und energetisch) zu defossilisieren. Limitierend sind hierbei sowohl der Erhalt der Biodiversität als auch die Klimawirkung. Der aktuelle Diskurs vernachlässigt oft, dass die Nutzung von Biomasse aus wissenschaftlicher Sicht nicht klimaneutral ist, da z. B. durch Forstarbeiten Methan und CO2 emittiert werden. Bei der Nutzung als Energieträger wird außerdem das CO2, das von einem Baum jahrzehntelang über Photosynthese gebunden wurde, bspw. bei der Verbrennung von Pellets innerhalb weniger Wochen wieder freigesetzt. Außerdem darf die Nutzung von Biomasse nicht in Konkurrenz zur Bereitstellung von Lebensmitteln treten.

Der Inhalt dieser Publikation entstand im Rahmen der Arbeit des Industriepakts. Es wird damit die Diskussion im Industriepakt abgebildet, wobei dies nicht zwingend die Position einzelner IN4climate.NRW-Partner oder des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen wiedergibt.

Aus diesen Gründen muss ihr Einsatz priorisiert und strategisch erfolgen. Er sollte sich auf Einsatzbereiche fokussieren, in denen sowohl eine Dekarbonisierungalso ein Verzicht auf Kohlenstoff z. B. durch die Nutzung anderer Energieträger wie Strom oder Wasserstoff - ausgeschlossen ist, oder die Versorgung mit kohlenstoffhaltigen Rohstoffen nicht ausreichend durch z. B. Sekundärmaterial gedeckt werden kann, sodass hier mit Biomasse ergänzt werden muss. Nach der Biomasse-Nutzungshierarchie (siehe Abb. 1) muss Biomasse primär strukturell, anschließend stofflich und nur nachgelagert energetisch verwertet werden. Des Weiteren müssen Wertschöpfungsketten entwickelt werden, die die Nutzung von biogenen Reststoffen und Abfällen sowohl gegenüber fossilem Kohlenstoff als auch frischer Biomasse bevorzugen und so auch hier das Prinzip der zirkulären Wirtschaft anwenden. Dies kann vor allem Produktionsprozesse betreffen. Bei der energetischen Nutzung im großen Maßstab sollte an diese Punktquelle das biogene CO2 über die CO2-Abscheidung und -nutzung im Kreislauf geführt werden, um einen Beitrag zur Deckung der Kohlenstoffbedarfe zu leisten und die CO2-Emission in die Atmosphäre zu verringern.

Definitionen

Neben der Definition für Biomasse liefert die Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/28/EG der EU ebenfalls eine Definition der Begriffe “Reststoffe” und “Abfälle”. Die Unterscheidung hat u. a. Einfluss auf die Zertifizierung der Biomasse bzw. die daraus resultierenden Verpflichtungen zum Nachweis der Nachhaltigkeit.

Ein Reststoff ist demnach ein Stoff, der kein Endprodukt ist. Das bedeutet, dass dessen Produktion nicht unmittelbar durch den Produktionsprozess angestrebt wird.

Letzteres gilt auch für Abfall, wobei hier noch zusätzlich, u. a. im Kreislaufwirtschaftsgesetz, festgehalten ist, dass dieser keine Zweckbestimmung hat und/ oder gefährlich ist und deshalb der Entsorgung zugeführt wird.

Holz ist ein wertvoller Rohstoff und sollte primär strukturell, wie z. B. im Möbelbau genutzt werden

Verfügbarkeit1

Das genutzte Biomassepotenzial aus Rest- und Abfallstoffen lag von 2014 bis 2020 bei durchschnittlich 212 Terrawattstunden, wogegen für 2050 ein Potenzial von durchschnittlich 271 Terawattstunden prognostiziert wird. Gleichzeitig gibt es aber auch Studien, die keine Steigerung des Potenzials prognostizieren, sodass von einem konstanten bis steigenden Biomassepotenzial aus Rest- und Abfallstoffen bis 2050 im Vergleich zum Status Quo ausgegangen wird. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass immer mehr Anwendungsbereiche für Biomasse hinzukommen werden.

Biomasse-Nutzungshierachie

Strukturelle

Anbaupflanzen

z. B. Holz

z. B. Stroh, Biogas

Nebenprodukte und Rückstände

AUFBEREITUNG

Nutzung

Beispiele – Konstruktionsmaterialien & Möbelbau – Papier und Zellstoff – Textilfasern & Kleidung

Stoffliche Nutzung

Beispiele – Feedstock für chemische Industrie – Kohlenstoffquelle zur Herstellung von Werkstoffeigenschaften (z. B. in der Metallurgie)

z. B. Biokohle

Abfälle

z. B. Altholz, Klärschlamm

Die Grafik stellt ein vereinfachtes Schema dar und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie berücksichtigt daher nicht jeden Einzelfall. Je nach Art der Biomasse oder Anwendung können Sonderfälle auftreten.

Abb. 1: Biomasse-Nutzungshierarchie

Prognose der Bedarfe in 20451

Während für die strukturelle Nutzung in der Papier-, Zellstoff- und Textilindustrie keine nennenswerte Veränderung der Biomassebedarfe in NRW erwartet wird, könnte die Bauindustrie bei einer Ausweitung u. a. auf Holzbauweise und biomassebasierte Dämmstoffe vermehrt Biomasse nachfragen.

Zudem werden aktuell neue Anwendungsfelder für die stoffliche Nutzung entwickelt: Die chemische Industrie plant den Umstieg von fossilen Rohstoffen auf Rezyklate, Biomasse und die Nutzung von CO2

Die Bedeutung von Biomasse als Rohstoff wird demnach zunehmen, wobei unklar ist, welche Kohlenstoffbedarfe die weiterverarbeitende Industrie zusätzlich zu den Zwischenprodukten hat, die sie direkt von der Grundstoffchemie bezieht. Um dem bereits abzusehenden Bedarf gerecht zu werden, müssen die Potenziale statt energetisch zukünftig in erster Linie stofflich genutzt werden.

Energetische Nutzung

Beispiele – Hochtemperaturwärme (vor Niedertemperaturwärme) – Kraftstoffe für Flug- und Seeverkehr – KWK (gleichzeitige Strom- und Wärmeerzeugung)

Berücksichtigungder absteigenden Wertigkeit (z.B.anhandvon Exergie)

Biogenes CO2 als nachhaltige C-Quelle BECCU an Punktquellen

Negative Emissionen BECCS an Punktquellen

Emissionen

Strukturelle Nutzung

Minimierung klimaschädlicher Emissionen (z. B.: CO2, H2, CH4, N2O)

Papier- und Zellstoffproduktion in Deutschland:

a 5.900 m³ Rundholz,

a 4.200 m³ Sägenebenprodukte

a 890.000 Tonnen Stärke

Textilherstellung in Deutschland:

a 148 Kilotonnen Fasern

a Zzgl. Bauindustrie für Holzbauweise & Dämmfasern

Stoffliche Nutzung

Metallurgie zur Aufkohlung bzw. Reduzierung:

a Mind. 2.600 Kilotonnen Kohlenstoff

Basischemikalien:

a 11,4 Mio. Tonnen Biomasse

Möglichkeiten der Nutzung biogener Rohstoffe als Prozessmaterial

Als Prozessmaterial werden Werkstoffe bezeichnet, die nicht energetisch verwertet werden, sondern dem Prozess als Rohstoff dienen, wobei hier auch Hilfsstoffe wie beispielsweise Klebstoffe oder Farben berücksichtigt werden. Ob Biomasse als Prozessmaterial eingesetzt werden kann, muss durch eine Prozessanalyse herausgefunden werden. Dabei wird unterschieden, ob es sich um reine Substitution der Rohstoffe handelt, wie bspw. bei der Substitution von Erdgas durch Biomethan, oder ob Anpassungen bei den Substraten oder im Prozess selbst vorgenommen werden müssen. Die Umstellung auf biogene Rohstoffe kann in vielen Fällen sukzessiv erfolgen, wobei sie im Prozess mit fossilen Rohstoffen vermischt werden. Ein Teil der so produzierten Produkte kann entsprechend über die Massenbilanz als biobasiert bzw. bio-attribuiert zertifiziert werden.

Beispiele für biobasierte Produkte aus NRW:

a Klebstoffe aus Reststoffen der Zellstoffherstellung, wobei das hierbei eingesetzte Kiefernholz aus kontrollierter und nachhaltiger Forstwirtschaft stammt

a Reinigungsmittel basierend auf Bio-Ethanol aus Agrarreststoffen

a Trockeneis auf Basis von biogenem CO2

a Phenol und Aceton aus bio-attribuiertem Cumol, welche zu Hochleistungskunststoffen weiterverarbeitet werden

a Cyclohexan aus biobasierten Rohstoffen, das zu Hochleistungskunststoffen weiterverarbeitet wird

Ist eine Dekarbonisierung von Prozessen möglich?

Diese Frage sollte regelmäßig gestellt und geprüft werden. Biomasse ist eine begrenzt verfügbare Ressource, deren Nutzungskonkurrenzen in der Zukunft noch ansteigen werden. Damit verbunden wird auch der Druck auf die Nachhaltigkeit der Biomasse steigen. Aus diesem Grund sollte stets erwogen werden, ob auf Biomasse bei der energetischen Nutzung teilweise oder komplett verzichtet werden kann.

Einsatz von Biomasse notwendig?

Identifizieren geeigneter biogener Reststoffe / Prozessmaterialien inkl. erster Preisabschätzung

identifiziertes Material vorhanden?

Lieferanten suchen und Material einkaufen

Technische Prüfung geeigneter biogener Reststoffe / Prozessmaterialien / Testprojekt im kleinen Maßstab erfolgreich?

Analyse der Verfügbarkeit des nachhaltigen biogenen Reststoffs / Prozessmaterials inkl. konkreterer Preisprognose

ausreichend nachhaltiges Material zu vertretbarem Preis vorhanden?

Skalierung: Prüfung des Substrats im Prozess – Teil- oder Voll-Substitution

Langfristige Lieferverträge falls extern mit Definition der Qualität

Produkt-Zertifizierung (Beispiel BAFA)

Investieren in eigenes Marketing Mehrerlöse durch grünes Produkt beim Kunden erhöhen

Regelmäßiges Monitoring und Prüfung

Dekarbonisierung eigener Prozesse

Abb. 2: Decision Tree bei der Umstellung auf biogene Rohstoffe
identifiziertes Material nicht vorhanden anderes Material prüfen anderes Material prüfen selber Material aus Reststoffen herstellen
nein nein ja ja
ja ja

Wichtige Aspekte bei der Umstellung auf biogene Rohstoffe

Identifikation geeigneter biogener Reststoffe/Prozessmaterialien Biomasse bildet eine sehr heterogene Gruppe von Stoffen. Für die Substitution von fossilen Rohstoffen und Energieträgern muss zuerst ein geeigneter Reststoff, dessen Nutzung im Idealfall regionale Wertschöpfungsketten erschließt, gefunden oder durch Umwandlung hergestellt werden. Der Import von Biomasse sollte möglichst vermieden werden oder zumindest einen nachvollziehbar verifizierten Product Carbon Footprint vorweisen können.

Technische Eignung

Biogene Reststoffe sind in der Regel deutlich heterogener als fossile. Beim Wechsel von Erdgas auf Biomethan ist die Substitution bezogen auf den reinen Einsatz im Prozess mit keinem zusätzlichen Aufwand verbunden, da die chemische Struktur der Stoffe identisch ist. Beim Ersatz von Kohle durch Biokohle ist der Unterschied dagegen signifikant, da es sich um zwei Stoffe mit unterschiedlichen chemischen und physikalischen Eigenschaften handelt. Da biogene Reststoffe nicht nur heterogen sind, sondern auch deutlichen Qualitätsschwankungen unterliegen, sollte frühzeitig in der Prozesskette die vorherige Umwandlung und Herstellung von standardisierten biogenen Prozessmaterialien oder Plattformchemikalien erwogen werden.

Analyse der Verfügbarkeit

Biogene Reststoffe sollten idealerweise aus regionalen Prozessen bezogen werden, damit der Transport der Biomasse mit geringeren Emissionen verbunden ist und ihre Nachhaltigkeit präziser nachverfolgt werden kann. Nachhaltigkeit sollte bereits ein Kriterium für die Ausschreibung sowie später für die Auswahl der biogenen Rohstoffe darstellen. Die Analyse von Rohstoffpotenzialen sollte darüber hinaus die langfristige Verfügbarkeit - vor allem im Kontext von Nutzungskonkurrenzen und der Entwicklung von Wertschöpfungsketten - berücksichtigen. Mit steigendem Bedarf der Industrie wird die regionale Nachfrage und somit auch der Preis für die Biomasse mittelfristig steigen.

Zertifizierung

Die Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Biomasse gemäß der Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/28/EG bezieht sich auf die energetische Nutzung. Die biogenen Stoffe, die als Prozessmaterial eingesetzt werden, obliegen keiner Pflicht zur Zertifizierung und werden in der Bilanz mit Null angerechnet. Trotzdem kann es sinnvoll sein, die Nachhaltigkeit auch bei der strukturellen und stofflichen Nutzung zu betrachten, z. B. wenn das hergestellte Produkt als „nachhaltig“ vermarktet werden soll. Dafür muss die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden. Angelehnt an die Zertifizierung der energetischen Biomasse wurden von ISCC und REDcert Zertifizierungssysteme entwickelt, mit denen auch die Nachhaltigkeit belegt werden kann.

Biomasse bildet eine sehr heterogene Gruppe von Stoffen

Konversionspfade und Arten von biogenen Prozessmaterialien

Biomasse

Bereitstellung

Umwandlung

Anbaupflanzen (z. B. Mais, Zuckerrüben, Algen)

Produkt

Mechanische Vorbehandlung (z. B. Pressen, Zerkleinern, Separieren)

Thermo-Chemisch

Pyrolyse Vergasung

Nebenprodukte & Rückstände (z. B. Stroh, Gülle, Sägespäne)

Ernte, Sammlung, Verfügbarmachung

Transport (z. B. LKW, Traktor, Förderband)

Physikalisch-Chemisch

Pressen/Extrahieren Chemische Umwandlung

Abfälle (z. B. Klärschlamm, Bioabfälle)

Nutzung

Fest (z. B. Pellets, Biokohle, Hackgut)

Flüssig (z. B. Pflanzenöl, Bioethanol, chemische (Zwischen-)Produkte, organische Säuren)

Bio-Chemische / Elektro-Chemische Umwandlung

Bio-Chemische / Elektro-Chemische Umwandlung ggf. chemische Umwandlung

Strukturelle Nutzung (z. B. Bauholz, Papier)

Stoffliche Nutzung

(z. B. Methanol, Polymere, Waschmittel, Eisen- und Stahlerzeugnisse)

Abb. 3: Konversionspfade und Arten von biogenen Prozessmaterialien

Lagerung (z. B. Tank, Silo)

Bio-Chemisch Alkoholische Fementation

Anaerobe Fementation

Gasförmig (z. B. Synthesegas, Biogas, Biomethan)

Energetische Nutzung (z. B. Strom, Wärme)

Verbrennung
Oxidation
/ vollständige

Quellenangaben

1 NRW.Energy4Climate (2023), Nachhaltiger Einsatz von Biomasse Kontakt

industriewaerme@energy4climate.nrw industriepakt@energy4climate.nrw

Diese Publikation entstand im Rahmen des Industriepakts. Sie dient der Orientierung, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Der Industriepakt ist Teil der Landesinitiative IN4climate.NRW. IN4climate.NRW ist als Initiative der Landesregierung Nordrhein-Westfalens eine zentrale Arbeitsplattform rund um Klimaneutralität in der Industrie. Unter dem Dach der Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz NRW.Energy4Climate bringt der Thinktank Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen, um die klimaneutrale Transformation der produzierenden Branchen voranzutreiben. Mittlerweile engagieren sich mehr als 70 Industriepartner in verschiedenen Arbeitsformaten in der Bearbeitung der zentralen Transformationsthemen.

IN4climate.NRW lebt von der Diskussion und den verschiedenen Standpunkten der beteiligten Unternehmen, Verbände und Forschungseinrichtungen. Diese Diskussionen werden in unterschiedliche Arbeitsprodukte überführt und können innerhalb von Arbeitsgremien der Initiative von einzelnen Mitgliedern zur Veröffentlichung ausformuliert werden. Die Geschäftsstelle von IN4climate.NRW stellt Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten sicher.

IN4climate.NRW arbeitet unter dem Dach von:

Impressum:

NRW.Energy4Climate GmbH

Kaistraße 5

40221 Düsseldorf

0211 822 086-555 kontakt@energy4climate.nrw www.energy4climate.nrw © NRW.Energy4Climate / K24004

Stand: 3/2024

Bildnachweis:

Titel: Patrick24-iStock.com

Seite 2: g3c1aeaa6e-pixabay.com

Seite 5: oilseed-rape-pixabay.com

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.