11.2014 – Münchner Merkur

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Bayern & seine Menschen

UNSERE HEIMATKOLUMNE Der Kalender ist schon ganz dünn, kaum zu glauben, wie schnell auch dieses Jahr wieder verflogen ist. Zufällig habe ich entdeckt, dass an diesem Samstag die Heilige Cäcilie, Patronin der Musik, ihren Namenstag feiert. Welches Datum könnte besser geeignet sein, bundesweit den „Tag der Hausmusik“ zu begehen? Musikschulen geben kleine Konzerte, überall finden Aufführungen im privaten Rahmen statt. Und wir in Bayern erfreuen uns natürlich an der ursprünglichsten Art der alpenländischen Volksmusik, der wunderbaren Stub’nmusi. Ich habe die schönsten Erinnerungen an besinnliche Stunden, wenn im Wohnzimmer Zither, Gitarre und Hackbrett auf die staade Zeit einstimmten. Weihnachtsgeschichten wurden vorgelesen. Und in Gastwirtschaften lud man ein zur „Heiligen Nacht“ von Ludwig Thoma. Kuschelig ist es schon jetzt, wenn ab 19 Uhr auf „Bayern 1“ die schönen Weisen erklingen, während man gemütlich auf dem Sofa sitzt. Bei einem Glas selbst gemachtem Punsch die Hektik des Alltags vergessen. Die Adventszeit – manchmal scheint sie die letzte Bastion der Besinnlichkeit zu sein. Musizieren in der Familie ist zum Glück nicht aus der Mode gekommen. Kinder von ihren Computerspielen an die Instrumente zu holen, ist zwar nicht einfach, aber es lohnt. Der große Dirigent Leonard Bernstein sagte einmal: „In einer Zeit der Werteverschiebungen ist Hausmusik besonders wichtig. Musik nennt Gefühle beim Namen. Mit Tönen, nicht mit Worten.“ Eine große Freude für mich ist jedes Jahr die Begegnung

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Unter meinem weiß-blauen Himmel

Carolin Reiber schreibt heute über den Zauber der Stub’nmusi mit „meinen Engelsstimmen“. Heuer feiert der Gesangswettbewerb für begabten Nachwuchs, von Enrico de Paruta ins Leben gerufen, zehnjähriges Bestehen. Das Vorsingen war an einem heißen Julitag, und den Kleinen gehörte mein Mitgefühl, als sie voller Inbrunst „Stille Nacht, Heilige Nacht“ sangen. Am 11. Dezember werden in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz die Nachwuchsförderpreise verliehen. Danach ist der Kinderchor natürlich bis Weihnachten mit Fernsehauftritten und Aufführungen ausgebucht. Fast alle Engelsstimmen kommen übrigens aus Familien, in denen Hausmusik noch praktiziert wird. Bereits im Mittelalter entstanden in den Familien Lieder, die, zunächst nur mündlich weitergegeben, in der Romantik zum ersten dokumentierten Beispiel der Hausmusik wurden. Im 18. und 19. Jahrhundert gehörte musikali-

DAS GSTANZL DER WOCHE

sche Erziehung zu den Erziehungsstandards für Töchter aus gutem Hause. Oft habe ich schon bedauert, kein Instrument spielen zu können – mir fehlt das Talent. Nach dem Totensonntag darf man mit dem Schmücken der Stube beginnen und sich auf die Adventszeit vorbereiten. Traditionspflege – zu der natürlich auch die Sprache gehört. Bayerns Lehrer fürchten um den Dialekt im Freistaat. Ihr Verband fordert, dass in der Grundschule mehr Bairisch gesprochen wird. Man hat sich schon daran gewöhnt, wenn ein Brötchen verlangt wird statt einer Semmel. Und wenn es Tschüss heißt statt Pfiat di. Eigentlich auch nicht so schlimm. Quellen belegen die Herkunft des Wortes aus dem Spanischen: „adios“ oder dem Französischen: „adieu“ – „mit Gott“! In Dialektkursen lernen Fünf- bis Siebenjährige, dass die Mama keine Karotte mit in die Brotzeit-Dose gelegt hat, sondern eine gelbe Ruam. Bedenken, dass Kinder irgendwann nicht mehr Hochdeutsch sprechen können, sind offenbar ein Irrtum. Wer Dialekt spricht, sagen Sprachwissenschaftler, lernt sogar Fremdsprachen leichter. Bei Stub’nmusi muss man ja auch nicht unbedingt jedes Wort verstehen... die schönen Melodien sprechen für sich. Bekannte Stub’nmusi-Familien sind jetzt besonders gefragt. Auch wenn die Stub’nmusi nur aus dem Radio kommt: Ludwig Thomas Weihnachtsgeschichte, von den Gastgebern vorgelesen, hat immer ihren ganz eigenen Zauber. In diesem Sinn – herzlich Ihre Carolin

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Und koa Starl und koa Oachkatzl, möcht i net sei, da müaßt i den ganzn Tag beim Loch aus und ei. Haben Sie ein Lieblingsgstanzl?

Dann schicken Sie es uns zu. Per E-Mail an stefan.sessler@merkur-online.de. Oder per Post.

UNSERE SCHÖNSTEN KIRCHEN

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Die Alte Kirche St. Martin

Das Werdenfelser Land gehörte viele Jahrhunderte lang, bis 1802, nicht zu Bayern, sondern war mit seinen Hauptorten Garmisch, Partenkirchen und Mittenwald eine Herrschaft der Bischöfe von Freising. Bis vor einiger Zeit sagten hier ältere Leute, die nach Murnau oder München reisten, sie führen nach Bayern. Nahe der alten Handelsroute von Augsburg nach Italien steht in Garmisch die Alte Kirche St. Martin mit ihrem spitzen gotischen Turm. Sie existiert seit mindestens 807, womit sie die älteste und lange Zeit auch die einzige Pfarrkirche der Grafschaft Werdenfels war. Das heute sichtbare Bauwerk entstand zwischen 1280

und 1522. Ab 1730 erbaute man die Neue Pfarrkirche St. Martin, wodurch Alt St. Martin vor weiteren Umbauten bewahrt blieb. Allerdings hat man die Kirche in napoleonischer Zeit als Heustadel benutzt. Ab 1877 wurden in der Kirche mittelalterliche Wandmalereien entdeckt, die den kunsthistorischen Rang des Bauwerks ausmachen. Sie entstanden in mindestens sechs Etappen zwischen 1330 und 1522 und sind eine „Armenbibel“ für Leute, die nicht lesen konnten. Der Innenraum überrascht durch seine Mittelsäule, von der aus sich die Rippen des Netzgewölbes wie Äste einer Palme ausbreiten. Eine ähnli-

Die älteste Pfarrkirche der Grafschaft Werdenfels – die Alte Kirche St. Martin, die es seit mindestens 807 gibt. FOTO: THOMAS SEHR

che Mittelstütze besaß bis 1710 auch die benachbarte, gotische Klosterkirche von Ettal. Das älteste Wandbild ist an der Nordseite die sieben Meter hohe Darstellung des Riesen St. Christopherus, der das Jesuskind trägt, von etwa 1330. Der Volksfrömmigkeit nach blieb, wer ein Christophorusbild sah, an diesem Tag vor einem jähen Tod bewahrt. Daneben sieht man eine Kreuzigung mit Maria und Johannes und vier Engeln, die in Kelchen Christi Blut auffangen. Ein um 1400 gemalter Passions- und Osterzyklus vom Einzug Jesu nach Jerusalem bis zur Gefangennahme, Geißelung, Kreuzigung und Auferstehung nimmt die übrige Nordwand ein. Trotz Beschädigungen kann man diese Wandmalereien zu den besten der Gotik in Bayern zählen. Ihre Vorbilder sind in Oberitalien, etwa in Verona und Padua, zu suchen. An der Chorwand des Langhauses sind links der Drachentöter St. Georg und rechts der Kirchenpatron St. Martin zu Pferd dargestellt, der sein Gewand mit dem Bettler teilt. Darüber befindet sich ein Weltgericht: Mittig die Gestalt Christi als Weltenrichter auf dem Regenbogen sowie zehn von ursprünglich zwölf Aposteln, teils mit Namen und Attributen. Links öffnet Petrus die Himmelstür für die Seligen, rechts verschlingt ein Höllenschlund die Verdammten. Im Chor mit dem Altar von 1670 haben sich weitere Wandbilder und drei kostbare Glasgemälde von 1430 erhalten. WILFRIED ROGASCH

Telefon: (089) 53 06-424 bayern@merkur-online.de Telefax: (089) 53 06-86 54

Münchner Merkur Nr. 269 | Wochenende, 22./23. November 2014

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Bayern & seine Menschen

Nicky, der Hindu von Frauenchiemsee

Ein Hindu aus Indien und ein katholisches Kloster in Bayern – passt des zamm? Und wie! Nicky aus Mumbai gehört seit 17 Jahren zur Fraueninsel. Die Abtei war seine Rettung, als er am Boden war. Die Geschichte eines Fremden, der am Chiemsee seine Heimat fand. VON CARINA LECHNER

Am Anfang nannten sie ihn auf der Fraueninsel den „hoiberten Chines“, den halben Chinesen: Nicky Sitaram Sabnis, 54 Jahre, geboren in Indien. Indien! Jetzt ist es ja nicht so, dass die Insulaner einen Inder nicht von einem Chinesen unterscheiden können. Aber irgendwie haben die Alteingesessenen mit Nicky, diesem dünnen, kleinen Hindu aus Mumbai, gefremdelt. Kein Wunder: Die Fraueninsel ist so bayerisch, wenn man’s nicht besser wüsste, könnte man meinen, das Mini-Eiland im Chiemsee stand Modell, als der liebe Gott den Rest des Freistaats plante. Biergarten, Bauerngärten, Bergblick. Das reinste BayernKonzentrat. Zwölf Hektar, 50 Häuser, 250 Einwohner, Maibaum, Kloster, Feuerwehr. Exoten sind auf dieser Insel gar nicht so selten, im Gegenteil. Japaner, Amerikaner, Norddeutsche – jeden Tag kommen sie schiffeweise über das bayerische Meer. Sie spazieren ums Kloster, sitzen im Biergarten, kaufen im Souvenir-Laden das berühmte Marzipan der Nonnen, vielleicht noch einen Rosenkranz, und Aufwiederschau’n. Nicky Sitaram Sabnis kam – und blieb. Die, die immer hier sind, kennen sich. Jeder jeden. Alles andere wäre eine Herausforderung, aus dem Weg gehen ist schwierig – es gibt ja nicht mal eine Straße auf der Insel. Und wenn auch nicht jeder jeden mag: Die Insulaner sind eine Gemeinschaft, zusammen mit Herrenchiemsee die kleinste Gemeinde Bayerns. Und plötzlich platzt dieser Inder da rein. Warum? Weil er dem Tod einmal sehr nah war. Und weil er verdammt gut kocht. 17 Jahre schon ist er der „Hindu von der Fraueninsel“, so nennt er sich selbst. Nicky, der Vorname reicht ihm, hat Weisheiten in dieses weißblaue Paradies gebracht, die heute noch nicht jeder versteht. Oder verstehen mag. Denn Nicky ist AyurvedaKoch und gibt Kurse – ausgerechnet hier, im tiefsten Oberbayern, in der katholischen Benediktinerinnen-Abtei Frauenwörth. In der alten Küche, die aussieht wie der Hauswirtschaftsraum einer Realschule aus den 70ern, bringt er Yoga-Fans, Hausfrauen, Ernährungs-Fundamentalisten, Hobbyköchen und Profis Ayurveda bei. Ayurveda, das ist eine 6500 Jahre alte indische Heilkunst,

Nicky auf dem Steg der Fraueninsel: Hier gibt er Kochkurse, die Teilnehmer schlafen im Kloster. Sein zweites Standbein: Er verkauft Gewürze und schreibt Kochbücher.

Es zischt und dampft: Der Ayurveda-Koch röstet Gewürze für ein Dal, ein grobes, ayurvedisches Linsenpüree. die Gerichte sind vegetarisch, gewürzt mit aufregenden Zutaten wie Ajwain, Bockshornkleesamen, Tamarinde. Es geht um die fünf Elemente, Harmonie, Einklang, verschiedene Ernährungstypen – nicht nur ums Sattwerden und banale Fragen wie die, ob jetzt ein scharfer oder ein süßer Senf besser zum Leberkäs passt. „Die Leute dachten am Anfang, ich bin von einer Sekte“, sagt Nicky. Er hat das schon verstanden. „Das ist wie

wenn ein Bayer nach Indien fährt, und in einem buddhistischen Tempel Schweinsbraten kocht.“ Nicky erzählt diese Geschichte auch in seinem Kochkurs, in einem lustigen Mischmasch aus Bairisch und Indisch. Sprüche wie „So a Schmarrn“, „Ghupft wie gsprunga“ oder „Wer ko, der ko“ – kein Problem. Er ist ein netter Gute-Laune-Kasperl, lächelt viel, das ist Teil der Show. Darin hat er Routine,

Hobbyköche schnippeln Auberginen und waschen Linsen fürs Dal. oft gibt er auch Interviews im Radio und Fernsehen. Sein neues Kochbuch („Nickys Veda – Mein Ayurvedisches Kochbuch“, Irisiana Verlag) ist cool und modern gemacht – es könnte auch vom britischen Super-Koch Jamie Oliver sein. Nicky ist ein Star der Szene, doch im Mittelpunkt steht er nicht gern. Denn eigentlich ist er ein ernster, stiller Mensch. Der sitzt jetzt auf einer Bank im Innenhof der Abtei, es ist Samstag, die Sonne scheint,

Wie in einer Schulküche aus den 70ern: „Ich mag das. Ein steriler Raum würde gar nicht zu mir passen“, sagt Nicky. hinterm Zaun drängeln Touristen vom Schiffssteg zum Kloster. Der Kochkurs macht gerade Pause, und Nicky erzählt, wie er hierher kam. Mit Mitte 20 ist er heiß auf Karriere, als Hotelfachmann und Ayurveda-Koch managt er das Catering einer großen Hotelkette in Indien. Er schuftet viel, verdient sehr gut, eröffnet fünf Restaurants. Er arbeitet auch im Ausland. 1993 kocht er in einem indischen Lokal in Bayern, als er zusammen-

FOTOS: STEFAN ROSSMANN

Nickys bester Freund hilft beim Kurs (o.). Das Ergebnis: Sehr fein!

bricht. Krebs. Ärzte in München müssen ihm Organe aus dem Leib schneiden: Bauchspeicheldrüse, Milz, ein Teil des Magens. Nicky liegt auf dem Operationstisch, wiegt nur noch 30 Kilo, und schwört sich: „Wenn Du eine zweite Chance bekommst, mach nicht so weiter.“ Er schafft es – aber bis er auf die Fraueninsel kommt, passiert noch viel. Durch die lange Krankheit ist er arbeitslos, pleite, hat keine Bleibe mehr. Da tritt Gabi,

eine Sozialpädagogin, in sein Leben. Sie besorgt ihm eine Wohnung in Freising. „Ein Zimmer, vierter Stock“, erzählt Nicky. Die beiden verlieben sich, heiraten. Wenn Nicky heute von seiner Frau erzählt, lächelt er dankbar: „Sie hat mich damals genommen, als ich leere Taschen hatte.“ Er sagt auch: „Die Krankheit hat mein Leben verändert.“ Er konzentriert sich wieder auf seine Gesundheit, auf Ayurveda. Nur beruflich sieht es

Kindheit in Indien: Nicky (Mitte) wächst mit zwei Geschwistern in Mumbai auf. Von seiner Mama Aie lernt er das Kochen. Als junger Mann bewirbt er sich für eine Kochausbildung – während der er etwa 400 Kilo Zwiebeln schneiden muss. FOTO: PRIVAT Wiedersehen in Indien: Nicky mit seiner Tochter Laxmi. Nach ihr hat er seine Firma benannt, die Gewürze vertreibt. Laxmi ist die hinduistische Göttin des Glücks und der Schönheit. Sie spendet Reichtum und geistiges Wohlbefinden, Harmonie, Fülle und Überfluss. FOTO: PRIVAT

schlecht aus. „Eigentlich blieb mir nur ein Job an der Supermarktkasse“, sagt er. Doch dann kam der Ausflug auf die Fraueninsel, an einem Herbsttag vor 17 Jahren. Nicky und Gabi spazieren zur Abtei, am Tor sieht er eine Werbung für einen QigongKurs. „Das ist es“, denkt er sich. Seine Frau hält ihn für durchgeknallt, doch Nicky fragt einfach: „Kann ich für die Kursteilnehmer kochen? Ayurvedisch?“ Ein Hindu im katholischen Kloster? Die Nonnen, die in der Abtei das Sagen haben, zweifeln, ob das passt. Bis Schwester Scholastica, die Chefin der Seminarverwaltung, sein Essen probiert: „Wenn Sie nicht bleiben, entführe ich Sie“, droht die Nonne. Nicky bleibt, übernimmt die Seminarküche – und fährt seitdem mehrmals pro Woche von Rimsting, wo er inzwischen mit Gabi wohnt, nach Gstadt, über den See und abends zurück. Der neue Job gibt ihm Kraft. Die braucht er – für ein dunkles Kapitel aus seinem früheren Leben, das ihn auch in der neuen Heimat quält. Aus erster Ehe hat er in Indien eine Tochter, Laxmi. Doch seine damalige Frau verschwindet kurz nach der Geburt, taucht mit dem Baby in dem riesigen Land ab. Nicky, plötzlich allein, versteht die Welt nicht mehr. Heute erklärt er sich die Flucht mit Wochenbettdepressionen. Jahrelang sucht er Laxmi. Als sie 15 ist, bekommt er einen Tipp von einem Bekannten – der glaubt, er weiß, wo das verlorene Kind ist. Voller Hoffnung fliegt Nicky nach Indien, klopft an einer Tür, das Mädchen macht ihm auf und sagt: „Wer sind Sie?“ Und Nicky weint, vor Glück. Laxmi war noch nie in Bayern, aber irgendwann will Nicky ihr die Fraueninsel zeigen. Seine neue Heimat, seine Arbeit und die Menschen. Den König, zum Beispiel. So nennt er seinen besten Freund, manchmal sagt er Gundumaamaa zu ihm, auf indisch heißt das „dicker Onkel“. Es geht um Lenz, ein Metzger und Gärtner, ein Ur-Bayer aus Rimsting, der Milchlaster fährt, früher viel gegessen und gerne getrunken hat – und durch Nicky zum AyurvedaKoch wurde. „Der weiß über mein Leben mehr als meine Frau“, sagt Nicky. Sie reden über alles, auch über den Tod. Nicky will einmal eingeäschert werden, der Lenz wird die Asche nach Indien bringen und die Hälfte über dem Ganges, dem heiligsten Fluss der Hindus, verstreuen. Mit der zweiten Hälfte wird er zurück nach Oberbayern fliegen und sie in einem Grab auf der Fraueninsel bestatten. Der ernste Nicky sagt: „Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. “ Der lustige Nicky sagt: „Ich will 140 Jahre alt werden.“ Und: „Wenn ich nicht mehr da bin, kommt halt ein neuer hoiberter Chines auf die Fraueninsel und macht weiter.“ Weg zur Arbeit: Nicky spaziert durch den Garten der Abtei Frauenwörth. Im Hintergrund eine Klosterschwester der Benediktinerinnen mit Gästen. Die Abtei ist neben dem Nonnberg in Salzburg das älteste bestehende deutschsprachige Frauenkloster nördlich der Alpen.

Bayern-Konzentrat: Die Fraueninsel im Chiemsee ist nur zwölf Hektar groß. In der Mitte der Turm der Abtei.

Hindu und Christin: Nicky versteht sich bestens mit Schwester Scholastica, die für die Seminarverwaltung auf Frauenwörth zuständig ist. Die Britin liebt die Gerichte des Inders. Oft bekommt sie Anfragen von Gästen, die bei Nicky nur essen wollen, ohne Kurs – das geht allerdings nicht. FOTO: PRIVAT

UNSER BAIRISCHES WORT

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„Unbandig“

Wer sich über das jugendsprachliche „cool“, „lässig“ oder „geil“ mokiert, möge daran erinnert sein, dass auch frühere Generationen ziemlich lemminghaft Modeausrufe aller Art gepflegt haben: „Famos“, „superb“ und „grandios“ rief die bessere Gesellschaft und spitzte dabei das Mündchen. „Knorke“ und „Spitze“ begeisterte sich der Berliner, „leiwand“ und „klass“ steuerte der Wiener bei. Wie sollte da der Bayer eine Ausnahme ma-

Lemminghafte Modeausrufe, die jeder sagt – die kennt der Bayer auch. „Unbandig“, „bärig“, „pfundig“. So was. DPA

BAYERN & SEINE GESCHICHTEN

chen? Vielleicht liegt bei ihm die Schwelle zum emotionalen Ausbruch etwas höher, aber wenn er einmal eine entsprechende Regung zeigt, steht ihm auch ein entsprechendes Vokabular dafür zur Verfügung. „Unbandig“ und „bärig“, „pfundig“ und „pfennigguad“ sind nur einige seiner Möglichkeiten, Gefühlswallung in Worte zu fassen. Wenn Ihnen noch mehr einfallen, daats mi gfrein – narrisch!

Norbert Göttler Bezirksheimatpfleger Oberbayern

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Heute kaum mehr bekannt: ein Flachsfeld bei Lohhof.

Zwangsarbeit auf dem Feld

In Lohhof wurde Flachs angebaut – die Arbeiterinnen waren Juden Die Sonne brennt unbarmherzig. Es ist Sommer 1942, und die jüdische Zwangsarbeiterin Else Behrend-Rosenfeld aus Icking im Isartal muss auf einem Feld bei München Flachsstroh sortieren, Stängel für Stängel. Brechen sie, kommen sie in den Abfall. Viele Flachshaufen sind verschimmelt und stinken bestialisch. Schnell ist die 51-Jährige von einer grauen Staubschicht bedeckt. „Am schwersten aber ist das dauernde Stehen in der glühenden Sonnenhitze zu ertragen“, schreibt sie später in ihrem Tagebuch. So wie Else Behrend-Rosenfeld erging es vielen im Zwangsarbeiterlager Flachsröste Lohhof bei Unterschleißheim (Landkreis München). Etwa 300 jüdische Zwangsarbeiter, überwiegend Frauen, waren hier beschäftigt. Hinzu kamen noch mehr als 100 ausländische Zwangsarbeiter. Der Münchner Historiker Maximilian Strnad beleuchtet in seinem Buch „Flachs für das Reich“ (Volk Verlag, 13,90 Euro) ihr erschütterndes Leben in Lohhof. Während des Zweiten Weltkriegs mangelte es im „Reich“ an Arbeitskräften. Um die Wirtschaft am Laufen zu halten, setzte das NS-Regime Zwangsarbeiter ein. Die Frauen in Lohhof sollten Flachsfasern gewinnen – ein Stoff, der heute aus der deutschen Landwirtschaft nahezu verschwunden ist. Früher wurde daraus das qualitativ hochwertige Leintuch hergestellt, für Kleidungsstücke und Alltagsgegenstände wie Säcke, Segeltücher

BAYERISCHE SEITEN

und Zeltplanen. Im Krieg wollte man die heimische Produktion hochfahren, um von Importen unabhängiger zu werden. Um den holzigen Kern des Stängels aus der spinnbaren Faser zu lösen, mussten die Zwangsarbeiterinnen das Flachsstroh in Wasser einweichen. „Das Schleppen der feuchten, schweren Ballen war für die Frauen sehr anstrengend“, sagt Strnad. „Die Arbeit in der Flachsröste war extrem gesundheitsschädigend, häufig kam es zu Unfällen.“ Die jüdischen Frauen nannten den Arbeitseinsatz bei der Flachsröste „die Hölle von Lohhof“. Heute liegt das ehemalige Gelände der Flachsröste in einem Industriegebiet nahe des S-Bahnhofs Lohhof. Das alte Fabrikgebäude steht noch. Im Zweiten Weltkrieg arbeiteten dort zunächst französische Kriegsgefangene und belgische Zwangsarbeiterinnen. Ab Sommer 1941 wurden vor allem jüdische Frauen zwangsverpflichtet. Eine tragende Rolle spielte die Münchner Arisierungsstelle, die sich dafür einsetzte, neben den Münchner Lagern Milbertshofen und Berg am Laim auch auf dem Gelände der Flachsröste Lohhof ein Lager für bis zu 80 Münchner jüdische Frauen einzurichten. Hier wurden sie in Baracken gettoisiert und später in die Konzentrationslager deportiert. In Lohhof sollten vor allem Mädchen und junge Frauen ab 14 Jahren untergebracht werden. Wegen des Arbeitskräftemangels wurden aber bald auch ältere Frauen von teils mehr als 60 Jahren nach Lohhof überstellt. „Die Zwangsar-

beiterinnen mussten sechs Tage in der Woche im Zweischichtsystem arbeiten“, sagt Strnad. Ein Arbeitstag war militärisch straff organisiert, er begann mit Wecken um 5.30 Uhr und dauerte bis 17.30 Uhr abends. „Oft mussten sie nacharbeiten, sodass sie noch längere Arbeitszeiten hatten.“ Der karge Wochenlohn betrug etwa 10 Reichsmark, umgerechnet 30 bis 40 Euro. Für die meisten Frauen war Lohhof nur eine Etappe in den Tod. Sie wurden ab November 1942 in Lager wie Kaunas, Piaski, Theresienstadt oder Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Nur 30 überlebten. Vor Strnads Buch war über das Lager nur wenig bekannt. Die Quellenlage galt als sehr schwierig, da viele Unterlagen bei der Befreiung Lohhofs im April 1945 verbrannten. Erst der überraschende Fund der Tagesberichte des Lagerleiters Rolf Grabower gewährte Einblicke in den Alltag der Zwangsarbeiter. Nach Strnads Eindruck ist das Lager bislang nicht im Gedächtnis der Münchner angekommen: „Man sollte der Erinnerung Platz im öffentlichen Raum geben.“ Die Stadt Unterschleißheim habe durch die Finanzierung seiner Recherchen ein bemerkenswertes Interesse an der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit gezeigt. Was noch fehlt, ist eine Gedenktafel. Das ist schwierig, weil das Gelände heute in Privatbesitz ist. Die Verhandlungen ziehen sich – entgegen ersten Überlegungen wird es wohl erst 2015 klappen. MICHAEL HELLSTERN

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Alles über Bier

Bereits in den frühesten Schriftzeugnissen der Menschheit, die vor über 5000 Jahren in Mesopotamien entstanden sind, lassen sich Zeichen für Gerste, Malz und Bier entdecken. Der Mensch liebt sein Bier schon sehr lange. Zwei bayerische Experten haben die viele 1000 Jahre alte Geschichte des Biers jetzt in einem schmalen, schlauen Bändchen zusammengefasst. Der eine heißt Martin Zarnkow. Der promovierte Brauer und Mälzer lehrt Brauwesen in Wei-

henstephan. Professor Franz Meußdoerffer, der einer alten fränkischen Brauerfamilie entstammt, ist der zweite Autor. Er hält an der TU München Vorlesungen zur Geschichte des Bierbrauens. Aber die beiden Biergelehrten bleiben mit ihrem Buch nicht in der Vergangenheit stecken. Sie wagen auch einen Blick voraus. Gerade, schreiben sie, wird schon an Bieren gearbeitet, die Glückshormone enthalten und das Altern verhindern sollen. Verrückte, neue Bierwelt. sts

„Das Bier – eine Geschichte von Hopfen und Malz“ von Franz Meußdoerffer und Martin Zarnkow. C.H.Beck. 128 Seiten. 8,95 Euro.


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11.2014 – Münchner Merkur by Nicky Sitaram Sabnis - Issuu