neunernews 23 Juni 2014

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NEUNERNEWS NR. 23 / Juni 2014

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EDITORIAL

Liebe LeserInnen, das Leben geht viele Wege. Und manch­ mal kommt alles auf einmal oder ganz anders als gedacht. Das zeigen auch die bewegenden Geschichten der Bewohne­ rInnen, die Ihnen in dieser neunernews Ausgabe Einblick in ihr Leben geben. In schwierigen Zeiten ist es wich­ tig, zu wissen, dass es jemanden gibt. Der zuhört, hilft und motiviert. Genau das machen wir im neunerhaus. Wir unterstützen unsere BewohnerInnen und PatientInnen dabei, ihr Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen. Mit medizinischer Versorgung, sozial­ arbeiterischer Betreuung und mit einem Zuhause, das seinen Namen auch verdient. Aber auch wir brauchen Unterstützung: gerne von Ihnen! Für unsere ambitionierten Vorhaben sind wir auch weiterhin auf Spenden angewiesen. Daher zählen wir auf Sie. Mit Ihrer Spende sichern Sie unsere Arbeit für obdach- und wohnungslose Menschen. Vielen Dank!

2013 AUF EINEN BLICK In ganz Wien. neunerhaus Wohneinrichtungen und medizinische Versorgung.

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Ihre Redaktion

NEUNERHAUS ANGEBOTE IN WIEN IMPRESSUM HERAUSGEBER: neunerhaus, Margaretenstraße 166/1. Stock, 1050 Wien Tel.: +43/1/990 09 09-900, E-Mail: verein@neunerhaus.at, www.neunerhaus.at ZVR-Zahl: 701846883, DVR-Nr.: 2110290 FÜR DEN INHALT: Monika Pfeffer CHEFREDAKTION: Flora Eder TEXT: Flora Eder, Bettina Figl, Elisabeth Scharang, Ines Schmiedmaier FOTOS: Sabine Hauswirth, Hannes Horvath, Eveline Knapp, Christoph Liebentritt, Johanna Rauch, Johannes Zinner GESTALTUNG: Schrägstrich Kommunikationsdesign e.U.; DESIGN: Büro X DRUCK: Donau Forum Druck Fotos und Gestaltung wurden kostenlos zur Verfügung gestellt. Das neunerhaus dankt sehr herzlich. Spendenkonto RLB NÖ-Wien IBAN: AT25 3200 0000 0592 9922; BIC RLNWATWW Spendenkonto Erste Bank: IBAN GIBAATWWXXX; BIC AT38 2011 1284 3049 1706 Spenden an das neunerhaus sind steuerlich absetzbar.

neunerhaus Wohneinrichtung

neunerhaus Tierärztliche Versorgungsstelle, Zahnarztpraxis, Arztpraxis und Vereinsbüro

Housing Firstund Startwohnungen

Team neunerhausarzt mit Praxis vor Ort in 16 Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe

OBDACH. UND MEHR.

398 135

Wohnen im neunerhaus Menschen mit Wohnen und Betreuung versorgt

Stunden pro Woche Ärztliche Hilfe

84

2.650 PatientInnen insgesamt

Medizinische Versorgung

Menschen in eine eigene Wohnung gezogen vier Wände

Tierärztliche Versorgungsstelle

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MEHR INFOS: WWW.NEUNERHAUS.AT/JAHRESBERICHT2013

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Tiere versorgt


INTERVIEW

ES BRAUCHT MEHR Es braucht einen leichteren Zugang zu leistbaren Wohnungen, fordert Markus Reiter, neunerhaus Geschäftsführer. Redaktion: BETTINA FIGL, WIENER ZEITUNG / Foto: SABINE HAUSWIRTH Inwiefern hat sich die Lage für wohnungslose Menschen verschärft? Die Fallzahlen sind massiv gestiegen, in Wien haben sie sich seit Beginn der Finanzkrise verdoppelt: Heute sind in Wien 10.000 Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen, bis 2006 waren es noch unter 5.000 Menschen. Die Wohnungslosenhilfe kann mit ihren Angeboten gar nicht schnell genug wachsen, um den gesamten Bedarf abzufangen. Wir brauchen viel mehr Zugänge zu Wohnraum für unsere KlientInnen, wenn sie aus unseren Betreuungsmöglichkeiten ins eigene Wohnen übersiedeln.

„Wir brauchen viel mehr Zugänge zu Wohnraum für unsere KlientInnen“, sagt neunerhaus Geschäftsführer Markus Reiter.

Wie viele wohnungslose Menschen wenden sich pro Monat an Sie? In Wien gab es zuletzt über 7.600 Anträge auf Delogierungen, das ist ein Anstieg von 20 Prozent. Es gibt nun 200 bis 300 neue Anfragen pro Monat in der gesamten Wiener Wohnungslosenhilfe. Derzeit übersiedeln Ihre KlientInnen nach einiger Zeit des betreuten Wohnens in Gemeindewohnungen – welche Wohnungen gibt es außerdem? Abgesehen von unserem Projekt ERST WOHNEN de facto keine: Derzeit gibt es fast ausschließlich Zugang zu Gemeindewohnungen, und deren Kapazitäten sind nahezu erschöpft. Wir, also die gesamte Wiener Wohnunglosenhilfe, betreuen rund 10.000 wohnungslose Menschen, dem stehen 4.500 Wohnplätze in den Übergangshäusern und betreute Wohnplätze gegenüber. 2012 haben 700 Menschen es geschafft, eine Wohnung zu bekommen, davon hat die Gemeinde Wien 600 zur Verfügung gestellt. Doch zwei Drittel des Marktes bestehen aus Privat- und Genossenschaftswohnungen, hier ist viel mehr möglich. So gibt es supergünstige 30 Jahre alte Genossenschaftswohnungen, aber da braucht es das Goodwill der gemein-

nützigen Bauträger. Und der private Wohnungsmarkt ist mittlerweile kaum mehr erschwinglich. Wir benötigen zusätzlich ein eigenes Kontingent von 500 Wohnungen und wollen für diesen Zweck eine eigene Vermittlungsagentur gründen, bei der sich alle Sozialträger einbringen können. Worauf setzen Sie beim vorübergehenden Wohnen, wie wichtig ist Selbständigkeit? Die Menschen sollen wieder rasch eigenständig wohnen. Früher führte der Weg von der Straße ins Notquartier, dann ins Übergangswohnheim und schließlich in die eigene Wohnung. Da besteht die Gefahr, dass die Menschen wieder zurückfallen. Uns geht es nach dem Housing-First-Modell um eigenständiges Wohnen mit Betreuung von Anfang an.

Wer ist Ihre Zielgruppe? Hat sich das Bild des wohnungslosen Menschen verändert? Sehr häufig kommen Familien, AlleinerzieherInnen und Alleinstehende mit Belastungen: Diese Menschen sind chronisch krank, haben Schulden oder eine Lebenskrise hinter sich, aber es sind nicht mehr „die Verwahrlosten von der Straße“. Drei Viertel von ihnen kommen aus gesicherten Wohnverhältnissen. Warum gibt es weniger, leistbare Wohnungen am Markt? Für SMART-Wohnungen braucht es nur 60 Euro Eigenmittel – das ist leistbar. Aber die Stadt Wien sieht derzeit nicht vor, dass diese für unsere KlientInnen verfügbar sind. In den vergangenen 20 Jahren sind viele Mittelstandard- und Luxuswohnungen gebaut worden, aber kaum kleine, leistbare Wohnungen.

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LEISTBARES WOHNEN

PLÖTZLICH WOHNUNGSLOS Im neunerhaus Übergangswohnen im 19. Bezirk treffen wir zwei Bewohner, die nie gedacht hätten, dass sie einmal von Wohnungslosigkeit betroffen sein würden – eine Reportage. Text: BETTINA FIGL, WIENER ZEITUNG / Foto: JOHANNA RAUCH

Karl Meixner * zieht sein T-Shirt ein wenig in die Höhe und zeigt die Narben auf der Höhe seiner Rippen. Er sitzt auf einer Holzbank in dem ruhigen Innenhof des neunerhaus Billrothstraße im 19. Bezirk und erzählt, wie es dazu gekommen ist, dass er hier wohnt: Nach einem Autounfall im Vorjahr musste er eine Operation über sich ergehen lassen, und als er wieder aus der Reha entlassen wurde, wusste er nicht wohin. Denn bereits vor seinem Unfall war er delogiert worden. Er hatte sich die Miete in seiner Wohnung im Stuwerviertel im 2. Bezirk, in der er seit fast 20 Jahren gewohnt hatte, nicht mehr leisten können. Zuletzt war sie auf

Betreuung und nach sechs Monaten meist Zugang zur „sozialen Schiene“ der Wiener Gemeindewohnungen. Auf fünf Stockwerken leben 44 Männer und Frauen jeden Alters. Dusche und Kochnische befinden sich in den Garconnieren, das WC ist am Gang. „Für die Übergangszeit gibt‘s nichts Schöneres“, sagt Meixner. Der Weg zur Gemeindewohnung. Früher ist er ab und zu bei Freunden untergekommen, erzählt der 45-Jährige. Doch er will niemandem zur Last fallen. Im Gegenteil: Sooft er kann, fährt er nach Niederösterreich, um einem Freund beim Hausbau zu helfen. „In

» ICH MUSS MICH NICHT SCHÄMEN. UM DAS ZU ERKENNEN, HABE ICH LANGE GEBRAUCHT. « Dietmar Bayer, Bewohner neunerhaus Billrothstraße 570 Euro angestiegen – und nach nur einer unbezahlten Monatsmiete musste Meixner aus seiner Wohnung raus, wie er erzählt. Das denkmalgeschützte Übergangswohnhaus in der Billrothstraße ist als Unterstützung beim Weg zurück ins eigenständige Wohnen gedacht: In dieser neunerhaus Wohneinrichtung erhalten die Bewohner sozialarbeiterische

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Wien geh‘ ich ja doch nur ins Wirtshaus und gebe Geld aus“, sagt er, lacht und zieht an seiner Zigarette. Bald schon wird Meixner in seinen eigenen vier Wänden wohnen: Gerade eben hat er bei seinem wöchentlichen Gespräch mit der Sozialarbeiterin sein Ansuchen um eine Gemeindewohnung besprochen. Derzeit gibt es etwa 30.000 Anmeldungen für Gemeindewohnungen – laut

der MA 50 der Stadt Wien ist die Kapazitätsgrenze erreicht – 2.000 werden über die soziale Wohnungsvergabe vergeben. Wohnungslose Menschen wie Meixner werden in den Wartelisten Wiens vorgereiht: In nur etwa einer Woche wird er seinen Besichtigungstermin bekommen. Doch dieser ist eher pro forma; ob man die Wohnung will oder nicht, man muss sie nehmen, sonst fliegt man für immer aus dem Vergabe-System. Doch immer öfter handelt es sich bei diesen Wohnungen um Substandard der Kategorie C: Manchmal muss die Heizung oder Dusche erst eingebaut werden. Können sich die BewohnerInnen das nicht leisten, wird eben nicht geheizt. Im neunerhaus Billrothstraße leben Männer zwischen 19 und 72 Jahren. Dass Obdachlosigkeit längst kein Randphänomen mehr ist, zeigt auch das Gespräch mit Dietmar Bayer *. Der 37-Jährige stand plötzlich ohne Wohnung da: Nach der Matura begann er mit dem „falschen Studium aus den falschen Gründen“ wie er erzählt, brach das Studium später wieder ab, und verlor schließlich auch den Job im Elektroeinzelhandel. Aus Scham verheimlichte er die Kündigung vor seiner Familie und seiner Freundin, mit der er zusammenlebte. Er baute eine Fassade auf: Täglich verließ er das Haus, als würde er zur Arbeit gehen. Tatsächlich aber litt er unter Depressionen. Da er nicht beim AMS gemeldet war, war er nicht


„DER GRÖSSTE BROCKEN IM HAUSHALTSBUDGET“ In Wien sollten jährlich 8.000 geförderte Wohnungen neu gebaut werden, sagt Gabriele Zgubic, Leiterin der Abteilung Konsumentenpolitik in der Arbeiterkammer (AK) Wien. Vorweg: Warum steigen die Mieten? In Wien gibt es einen starken Zuzug: Pro Jahr kommen 14.000 Menschen hinzu. Dem ist das Angebot am Wohnungsmarkt nicht gewachsen. In Wien sollten jährlich 10.000 Woh­ nungen, davon 8.000 gefördert, neu gebaut werden. Warum ist die Wohnungssuche so schwierig?

Gut einteilen. Das gilt auch fürs Geld. Mehr als ein Viertel fürs Wohnen ausgeben, ist nicht mehr „leistbar“, sagt Gabriele Zgubic von der AK (Interview rechts).

Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass es zu wenige neue, geförderte Wohnungen gibt. Auch die Einmal­ kosten stellen eine große Belastung dar: Die Kaution beträgt im Schnitt 2.200 Euro, Maklergebühren rund 1.700, die Ablöse etwa 4.000 Euro. Dazu kommt, dass oft Sanierungsar­ beiten notwendig sind oder eine neue Küche angeschafft werden muss. Warum ist auch der Zugang zum sozialen Wohnbau teuer?

einmal versichert. Er lebte von seinem Ersparten, bis dieses aufgebraucht war. Als er eines Tages reinen Tisch machte, setzte ihn seine Freundin vor die Tür. Seit er im neunerhaus wohnt, geht er zur kostenlosen Psychotherapie: „Ich muss mich nicht schämen. Um das zu erkennen, habe ich lange gebraucht.“ Im neunerhaus lebt er auf rund 20 Quadratmetern: Zugezogene Vorhänge, ordentlich geschlichtet stapeln sich die Cola-Plastikflaschen, auf dem Couchtisch liegt loser Tabak – sein Zimmer ist spartanisch eingerichtet und erinnert ein wenig an das in einem Studierendenheim. Eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt zu finden, war für Bayer nach seiner Trennung unmöglich. Er konnte sich weder eine Kaution noch eine Maklerprovision leisten. Rund 40 Prozent teurere Mieten. In Wien leben 76 Prozent der Menschen in einer Mietwohnung, rund ein Drittel in einer Wohnung der Gemeinde. In einer Gemeindewohnung zu leben,

gilt als die günstigste Wohnform (im Schnitt zahlt man 5,64 Euro pro Quadratmeter). Am teuersten ist der private Wohnungsmarkt mit durchschnittlich 6,81 Euro pro Quadratmeter, befristete Wohnungen liegen bereits bei unerschwinglichen 9,41 Euro. Doch in allen Wohnungssegmenten stieg die Miete in den vergangenen zehn Jahren um rund 40 Prozent. Bayer freut sich auf sein neues Zuhause und schmiedet Pläne für die Zukunft: Ab Herbst will er an der Pädagogischen Hochschule Lehramt studieren – zu unterrichten war immer sein Traum. Das Studium will er sich wieder durch Jobs im Verkauf finanzieren, derzeit macht er eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann. *  Namen wurden geändert, beide wohnen zum Erscheinungszeitpunkt bereits wieder eigenständig.

Bei den Genossenschaften beträgt der Eigenmittelaufwand im Schnitt 21.000 Euro, das muss man einmal aufbringen können. Es gibt aber güns­ tige Eigenmittelersatzdarlehen von der Stadt Wien. Bei den sogenannten SMART-Wohnungen ist der Finanzie­ rungsbeitrag aber deutlich niedriger. Was genau versteht man überhaupt unter leistbarem Wohnen? Nicht mehr als 25 Prozent des Netto­ haushaltseinkommens für Wohnen auszugeben. Ein Drittel ist schon sehr viel. Oft ist auch nicht klar, welche Rechte die Mieter und welche Pflichten die Vermieter haben … Die Erhaltungspflichten müssen z.B. neu geregelt werden. Ist die Therme kaputt, besteht zwar ein Mietzins­ minderungsanspruch, aber wenn der Vermieter sie nicht repariert, wird es der Mieter selbst tun – und bleibt oft auf den Kosten sitzen.

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ZAHNARZTPRAXIS

MUNDPROPAGANDA Seit fünf Jahren baut die neunerhaus Zahnarztpraxis eine Brücke zum Gesundheitssystem. Text: FLORA EDER / Fotos: JOHANNA RAUCH

Seit 2009 ist die neunerhaus Zahnarztpraxis für alle obdach- und wohnungslosen Menschen in Wien da: Unkompliziert, freundlich, offen und akzeptierend werden die PatientInnen hier empfangen. Einen Termin auszumachen ist nicht notwendig. Niederschwellig soll der Zugang zu diesem zentralen Grundrecht sein

– zum Menschenrecht auf medizinische Versorgung. Weltweit kommen Studien übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass obdachund wohnungslose Menschen besonders häufig an schlechten Zähnen leiden. Die Gründe dafür reichen von länger unbehandelter Karies über schlechte

Hygienebedingungen – bis hin zu den vielfältigen Hürden, die es für obdachund wohnungslose Menschen zum Gesundheitssystem gibt: Viele waren schon jahrelang nicht mehr beim Zahnarzt. Oft aufgrund bürokratischer Hindernisse, aus Scham oder aus Angst vor unangenehmen Blicken im Wartezimmer.

VON TAG ZU TAG, VON NACHT ZU NACHT Mario lebt seit fünf Jahren auf der Straße.

Wenn um 22:00 Uhr Nachtruhe ist, ist Mario einer von 117 Männern, die in „seinem“ Nachtquartier unterkommen. Neben ihren schlichten Betten stehen Rucksäcke, Plastiktüten und jeweils ein Paar Schuhe. Eistee, Aufstrich und Brot finden sich auf den Fensterbänken im Freien: Wer keine Wohnung hat, hat auch keinen Kühlschrank. Mario lebt von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht. Sein Rhythmus ist durch Schließ- und Öffnungszeiten der Hilfsangebote für obdachlose Menschen vorgegeben. Während Mario erzählt, wippt sein linkes Bein in schnellem Takt. Langsam und in breitem Wienerisch spricht er von jenem Tag, an dem ihn seine Freundin nach einem Streit vor die Tür setzte. Es ist mittlerweile fünf Jahre her, dass er plötzlich auf der Straße stand. Zu seiner Mutter konnte er nicht. Seine Tante ließ ihn für einige Tage auf ihrer Couch übernachten. Doch das war keine Dauerlösung. Mario musste ausziehen – und stand ohne Geld, ohne Job, ohne soziales Netz allein da. Ein Notquartier war die einzige Lösung.

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Mit Unterstützung von SozialarbeiterInnen suchte er um eine Gemeindewohnung an. Doch weil es die bedarfsorientierte Mindestsicherung vor September 2010 noch nicht gab, musste er, wie er sagt, mit 400 Euro auskommen. Davon konnte er die Miete aber bald nicht mehr bezahlen. Er stand erneut auf der Straße und kam in Notquartieren unter. Nach der Zwischenstation in einem Übergangswohnhaus schläft er nun seit einem Jahr hier. „Das Schlimmste daran ist aber, dass es mir körperlich so schlecht geht“, sagt Mario. Er leidet an Lungen- und Herzpro­ blemen, nach nur wenigen schnellen Schritten bekommt er kaum noch Luft. Auch seine Zähne habe er mittlerweile alle verloren, erzählt der 33-Jährige. Zu groß sei früher die Angst gewesen, zu einem Zahnarzt zu gehen. Nur einmal, als die Schmerzen unerträglich wurden, ging Mario in eine Klinik. „Doch dort wurde ich wegen meiner schlechten Zähne laut angeschrien“, erinnert er sich. Danach habe er sich noch weniger getraut, zu einem Zahnarzt zu gehen. „Bis ich vor einem Jahr zur neunerhaus Zahnarztpraxis gekommen bin“, sagt Mario. Seither habe Gesundheit generell einen wichtigeren Stellenwert für ihn. Wie es weitergehen soll, ist für ihn nicht leicht zu beantworten, Pläne seien schwierig. „Aber irgendwo muss ich anfangen. Und das sind jetzt einmal die Zähne, also eine gut sitzende Prothese.“


ZAHNARZTPRAXIS

GUTE ZÄHNE GEFRAGT Für Patrick (23) sind gute Zähne unabdingbar, um wieder einen Job zu finden.

„Obwohl viele einen sehr schlechten Zahnstatus haben, versuchen wir jeden Zahn zu retten“, sagt Anna Timmermann von der neunerhaus Zahnarztpraxis.

Die Nachfrage steigt. Gegenüber 2012 ist 2013 die PatientInnenanzahl in der neunerhaus Zahnarztpraxis von 813 auf 1.135 um rund 40 Prozent angewachsen. Immer mehr Kinder und Jugendliche suchen nach Unterstützung. Und immer mehr Menschen, die sich erst seit kurzem in Österreich aufhalten, benötigen niederschwellige zahnmedizinische Hilfe. „Obwohl viele einen sehr schlechten Zahnstatus haben, versuchen wir bestmöglich, jeden einzelnen Zahn zu retten und zu sanieren“, sagt Anna Timmermann, zahnärztliche Assistentin in der neunerhaus Zahnarztpraxis. „Dafür ist es wichtig, unsere PatientInnen immer wieder für Zahngesundheit zu sensibilisieren. Viele von ihnen haben ein sehr forderndes Leben – da verliert Mundhygiene leider oft an Wichtigkeit“, weiß sie. Zusätzlich zur medizinischen Versorgung ist aber auch die Verknüpfung mit Sozialer Arbeit wichtig. Beratung, Information und Vermittlung an weiterführende Stellen gibt es bei jedem

Erstgespräch. Sozialarbeiterin Magdalena Schleinzer: „Empowerment ist uns wichtig – so bauen wir gemeinsam eine Brücke ins reguläre Gesundheitssystem.“

Es war Glück im Unglück, als Patrick seine Wohnung verlor. Denn gleich einen Tag, nachdem er sich an die Wohnungslosenhilfe wandte, wurde ein Platz in einem Übergangswohnhaus frei und er konnte sofort einziehen. Und würde er nicht ohne Umschweife davon erzählen, würde man ihm seine Wohnsituation nicht ansehen. Patrick plant seine Zukunft und ist dabei sehr zuversichtlich. „Ich fühle mich wie auf Bewerbungsjagd – und schicke täglich mehrere Bewerbungen ab, um bald wieder einen Job zu bekommen“, sagt er. „Und dann hoffentlich auch eine Wohnung.“ Nebenbei lernt er für seinen Lehrabschluss als Einzelhandelsverkäufer – in wenigen Tagen wird die Prüfung stattfinden. Dann ist Patrick endlich „fertiger“ Verkäufer. Ein wichtiger Schritt am Weg dorthin sind aber seine Zähne. „Seit meinem zehnten Lebensjahr habe ich Probleme – ich habe leider eine starke Fehlstellung und einige Zähne verloren“, sagt Patrick. Dabei seien Zähne ein wichtiger sozialer Faktor – gerade im Verkauf. „Ohne sanierte Zähne bin ich mir unsicher, ob ich einen Job finde“, sagt er. Daher kommt er regelmäßig in die neunerhaus Zahnarztpraxis. So eine aufwändige Behandlung kann er sich in einer herkömmlichen Praxis nicht leisten. „Es gibt so viele Leute, die auf die neunerhaus Zahnarztpraxis angewiesen sind, es muss diese Einrichtung unbedingt weiterhin geben“, sagt er. „Super ist aber, dass bei der Behandlung selbst alles wie beim normalen Arzt ist. Nur ein wenig persönlicher. Man ist gleich per du und fühlt sich wohl.“

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KURZBERICHTE

FÜR DEN GUTEN ZWECK

SAVE THE DATE

Tatkräftige UnterstützerInnen begleiten das neunerhaus seit nun beinahe 15 Jahren: Mit all dieser wertvollen Unterstützung haben wir es geschafft, von einer engagierten Privatinitiative zu einer innovativen und erfolgreichen Trägerorganisation in der Wiener Wohnungslosenhilfe zu werden. Auch Sie möchten uns unterstützen? Spenden können Sie wie gewohnt auch gerne weiterhin – online oder mit beiliegendem Zahlschein. Aber es gibt viele weitere Möglichkeiten, selbst aktives soziales Engagement zu leben. Persönliche Spendenaktionen können Spaß machen und geben Ihrem Engagement eine Reichweite. So motivieren Sie auch andere Menschen, selbst für ein soziales Miteinander aktiv zu werden. Ein großes Fest oder Jubiläum steht beispielsweise vor der Tür? Sie könnten „Ihr Geschenk“ einem guten Zweck zukommen lassen! Oder laden Sie Ihre FreundInnen zu einem kleinen, aber fei-

Susanne Pöchacker & Gäste – Benefiz für das neunerhaus Donnerstag, 13. November 2014, 20:00 Uhr Geben Sie Ihrem Lachen einen Sinn und kommen Sie in das Theater an der Gumpendorfer Straße! Erleben Sie einen bunten und unterhaltsamen Abend mit Susanne Pöchacker & Gästen. Der Erlös dieses Abends unterstützt die neunerhaus Arbeit. Das Detailprogramm wird gerade ausgearbeitet. Karten & Infos auf www.dastag.at

nen selbstgekochten Benefizdinner ein. So bitten Sie mit kulinarischen Köstlichkeiten zu Tisch, Ihre Gäste „bezahlen“ in Form von Spenden: Gemeinsam gutes Tun kann herrlich schmecken! Sie haben noch weitere Ideen für Unterstützung? Wir freuen uns auf Ihr soziales Engagement. Kontaktieren Sie uns noch in der Planungsphase, gerne unterstützen wir Sie mit Informationen und Unterlagen zum neunerhaus. Weitere Ideen, uns aktiv zu unterstützen: neunerhaus.at/ Spenden

sponsoring.casinos.at Serviceline +43 (0) 50 777 50

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Foto: Mike Ranz

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KURZBERICHTE Zu Redaktionsschluss wurden die tragenden Wände und die Decke des dritten Obergeschoßes des Neubaus neunerhaus Hagenmüllergasse errichtet, der Innenausbau des Untergeschoßes steht bevor.

BÖSE DINGE

Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks 19.2. – 6.7.2014, Di-So 10-18 Uhr

NACH DER DECKE STRECKEN Die Bauarbeiten für den Neubau des neunerhaus Hagenmüllergasse im dritten Wiener Gemeindebezirk schreiten zügig voran. „Einzigartig an diesem Neubau ist, dass neunerhaus BewohnerInnen zu allen Phasen in die Planung einbezogen waren“, sagt Architektin und Teilprojektleiterin Tanja Pastirova: Beginnend mit dem Ausarbeiten der Anforderungen über die Sichtung der

Wettbewerbsarbeiten bis hin zum gemeinsamen Workshop mit den Architekten waren sie mit dabei. „Inzwischen ist der Rohbau so weit fortgeschritten, dass die Qualitäten des Hauses in der Realität erkennbar werden – Stock für Stock stärkt das meine Überzeugung, dass das neue neunerhaus Hagenmüllergasse ein Erfolg sein wird“, freut sich Pastirova.

ZIELE KANN MAN ERREICHEN, SCHRITT FÜR SCHRITT INS EIGENE LEBEN Zoran Todorovic kommt gerne zurück in das neunerhaus Billrothstraße. Allerdings nicht, um hier zu wohnen, sondern um den derzeitigen Hausbewohnern Mut zu machen. Auch er hat einmal alles verloren – nach ein paar Wochen auf der Straße konnte er 2012 ins neunerhaus Billrothstraße einziehen und bereits nach drei Monaten in eine Gemeindewohnung übersiedeln. Geschafft hat er es mit Disziplin: beim Sparen, mit regelmäßigen Mietzahlungen und dem Einhalten diverser Termine. Ein wenig von seiner Motivation möchte der gebürtige Serbe nun anderen Menschen weitergeben. Nach einer Weiterbildung als Integrationsberater absolvierte er ein einwöchiges Praktikum und verbrachte Nachmittage und Abende mit den BewohnerInnen: gemeinsames Kochen, Gartenarbeit und Gespräche standen am Programm. Vor allem die Gespräche mit den Menschen sind ihm wichtig. Er möchte sie motivieren, ihr Bestes zu geben und zu lernen, „als Erstes sich selbst zu respektieren, erst dann kann man andere respektieren“. Den Menschen mitzugeben, dass sie ihre Ziele erreichen können, wenn sie nur motiviert sind, ist ihm ein Anliegen. Um sich Schritt für Schritt wieder ins eigene Leben vorzuwagen. Von Ines Schmiedmaier

Obwohl sich über „guten“ oder „schlechten Geschmack“ bekanntlich nicht streiten lässt, greift das Hofmobiliendepot den Diskurs von gutem und schlechtem Geschmack auf und zeigt die vom Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, entwickelte Ausstellung „Böse Dinge“. Bring Dein Ding. Im Rahmen der Ausstellung können Sie all Ihre schlecht gebauten, überdekorierten, bizarren oder unzweckmäßigen Dinge, aus der Mode gekommene Deko-Stücke, Möchtegern-Lustiges, überflüssige Souvenirs und aus einer Laune heraus gekaufte, KitschArtikel mitbringen. Markt der bösen Dinge 6. Juli 2014 von 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei Die Gegenstände werden zugunsten des neunerhauses verkauft. Hofmobiliendepot Andreasgasse 7, 1070 Wien www.hofmobiliendepot.at

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KURZBERICHTE

WELTWUNDERN Meeresspiegel steigt – Geburtenrate sinkt – Politiker macht müde – Bienen sterben – Rettungsgasse stockt – Weltuntergang abgesagt Über 10.000 Schlagzeilen rattern jedes Jahr durch das menschliche Gehirn. Meistens denkt man sich nur noch: Uff. Ich vermute, das Problem ist Folgendes: Die Erde wiegt 5,972 Trillionen Tonnen. Das Gehirn 1,3 Kilo. Die ganze Welt passt einfach nicht unter eine Schädeldecke. Es wird Zeit, das Gehirn auf den Kopf zu stellen. Was wäre, wenn negative Gedanken dick machen würden? der Neandertaler vor der Keule das iPad erfunden hätte? man sich im Internet ein neues Gewissen kaufen könnte? die Idioten aller Länder ein eigenes Land gründen müssten? beim Pyramidenbau eine Gewerkschaft mitgesprochen hätte? der Sensenmann völlig unerwartet den Löffel abgibt? Diese und viele weitere Gedanken warten ungeduldig darauf, gedacht zu werden. Klaus Eckel widmet sich diesmal ganz dem Staunen und Wundern. Das Gehirn auf den Kopf stellen – mit Kabarettist Klaus Eckel am 9.9. für das neunerhaus!

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Am 9. 9. 2014 spielt Klaus Eckel um 20:00 Uhr zu Gunsten des neunerhauses im Stadtsaal. VVK Kategorie 1: € 22,50 / VVK Kategorie 2: € 18,50 Tickets unter: www.oeticket.com oder www.stadtsaal.com


IM RAMPENLICHT

THEATER WIE WIR WOLLEN neunerhaus BewohnerInnen schlüpfen in neue Rollen und tauchen ein in die Welt der Improvisation. Text: FLORA EDER / Foto: JOHANNA RAUCH

„Nie hätte ich mir gedacht, dass ich noch einmal Schauspielerin werde“, sagt Burgi stolz. Die 60-jährige Wienerin sitzt im neunerhaus Beisl in der Kudlichgasse und nippt an ihrem Mineralwasser. Sie macht es sich gemütlich, während sie vom Theaterkurs „Theater wie wir wollen“ erzählt, der nun bereits zum zweiten Mal im neunerhaus Kudlichgasse stattfindet. Gemeinsam mit der etwa zwölfköpfigen Gruppe spielt sie erfundene und alltägliche Szenen nach – vom Piratenüberfall über die Fahrscheinkontrolle in der Bim bis hin zum Essenseinkauf im Supermarkt. Einfach einmal in eine andere Rolle schlüpfen und das eigene Leben hinter sich lassen. Sich ausprobieren und auf die Kreativität und Dynamik der Gruppe vertrauen. Darum geht es in dem von Sozialarbeiter und Theaterpädagoge Markus Reisinger geleiteten Kurs. Mit Leib und Seele. „Das Besondere am Theaterspielen ist, dass man mit Leib und Seele dabei ist: Körper, Sprache, Stimme und Mimik spielen zusammen“, sagt Reisinger. Hinzu komme noch insbesondere die Improvisation. „Spontaneität und Unkontrolliertheit, das Fallenlassen und nicht ständige Bewerten sind mir sehr wichtig.“ Dabei entstehe viel aus dem Moment heraus, abseits der eigenen Erfahrungen. „Das bewirkt, dass man spielerisch die Rollenvielfalt ausweiten und gewohnte Denkmuster aufbrechen kann“, so Reisinger. Die Themen entstehen in der Gruppe selbst – und nicht das Ergebnis, sondern das Tun sei das Ziel: „Ich möchte die Hemmschwelle nehmen, aktiv zu werden.“ Im neunerhaus Kudlichgasse leben 32 Männer und 28 Frauen, die meisten sind über 50 Jahre alt. Die BewohnerInnen, die lange Jahre obdachlos waren

und häufig Pflegebedarf haben, können hier dauerhaft mit sozialarbeiterischer Betreuung wohnen. Temperament. Bei der Theaterprobe wird an diesem Nachmittag ein Banküberfall nachgespielt. Der Polizist, der zum Überfall eilt und den Räuber in Sekundenschnelle schnappt, ist heute Hans Anton. 68 Jahre alt, hat er sein ganzes Leben lang gearbeitet und „immer eine schöne Wohnung“ gehabt, erzählt er nach der Probe. Doch als er vor drei Jahren die Arbeit verlor, sei er „abgestürzt“. Erst im neunerhaus habe er wieder Boden unter den Füßen gespürt. Schauspielen falle ihm leicht, sagt Hans Anton – „ich versetze mich nicht nur in die Rollen, teilweise steigere ich mich richtig rein“, sagt er lachend. Hans Anton beschreibt sich selbst als Temperamentbündel, Perfektionist – und eigentlich als Literat. Kilometerlange Gedichte könne er schreiben. „Gib mir nur ein Stichwort und es sprudelt los“, sagt der gelernte Autobus-Mechaniker, der eigentlich Tischler werden wollte.

Und obwohl er lieber lese statt fernzusehen, freue er sich gemeinsam mit der gesamten Gruppe „schon riesig“ auf das Highlight des diesjährigen Kurses: Eineinhalb Monate lang wurde die Theatergruppe von Filmemacherin Mar Costa für die Okto-Sendung „Nebenan“ begleitet. „Beeindruckend ist, wie viel Kreativität hier zum Vorschein kommt, wie viel Spaß die BewohnerInnen an den Kursen haben“, sagt Costa. „Ich vermute, das liegt an der Kraft des Theaters, mit Realität spielen und über sie hinauswachsen zu können. Deswegen finde ich es wunderbar, wenn im neunerhaus die Kreativität eine so wichtige Rolle spielt.“

Webtipp: www.theatergenossenschaft.com Die Sendung zum Nachsehen: okto.tv/nebenan

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DAS BIN ICH

ICH FIND ES SCHÖN, DAS LEBEN. Redaktion: ELISABETH SCHARANG / Foto: CHRISTOPH LIEBENTRITT

Wir stehen am Balkon im vierten Stockwerk des neunerhaus Riedelgasse. Die Sonne strahlt Gottfried A. ins Gesicht und er lächelt zurück. Ihm gefällt, was er sieht: die große Rasenfläche hinter

stück, das er sich über das Sammeln von Pfandflaschen geleistet hat. „Das Geld liegt auf der Straße, man muss nur hinschauen.“ Aber man müsse vom Alkohol wegbleiben. Nach einer kurzen Pause

» DAS GELD LIEGT AUF DER STRASSE, MAN MUSS NUR HINSCHAUEN. « Gottfried A., 47 Jahre, Bewohner neunerhaus Riedelgasse / Hagenmüllergasse dem Haus, wo regelmäßig mit den anderen Hausbewohnern und Bewohnerinnen gegrillt wird, der Blick in die Gärten rundum und der Wienerwald in fast greifbarer Nähe. „Diese Aussicht ist unbezahlbar“, sinniert Gottfried. „So etwas werde ich mir in Zukunft wahrscheinlich nicht leisten können.“ Und schon lächelt er wieder. Weil er gerne an die Pläne und Ziele denkt, die er hat: bald in eine eigene Wohnung ziehen, den Privatkonkurs unter Dach und Fach bringen und dann einen fixen Job. Wobei Gottfried immer gearbeitet hat. Auch als er ohne Wohnung war und von April bis Oktober auf der Wiener Donauinsel geschlafen hat. „Ich hatte in der Gruft meinen Spind mit meinen Kleidern und im Winter habe ich dort auch geschlafen, in den Sommermonaten bin ich mit dem Schlafsack auf die Donauinsel gezogen.“ Wenn man auf der Straße lebt, ist es wichtig, den Tag zu strukturieren. Der begann bei Gottfried mit einem Früh-

und einem Blick ins Narrenkastel seiner Vergangenheit erzählt Gottfried, dass mit den Drogen sein sozialer Abstieg begonnen habe. Neun Jahre lang war er mit seiner Freundin zusammen und hat deren Drogensucht finanziert. „Ich war halt sehr verliebt, sie hatte ein Kind und keine Versicherung. Also hab ich alles bezahlt. Die neuen Zähne und auch die Drogen. Aber niemand kann so viel Geld verdienen!“ Diebstähle, Vorstrafen, der Verlust des Jobs und schließlich die Delogierung. „Es war trotzdem eine schöne Zeit. Ich war halt auch selber schuld.“ Seit zwei Jahren wohnt Gottfried nun im neunerhaus. Er arbeitet zurzeit bei der Caritas als Möbelpacker. „Sie glauben gar nicht, was man da alles erlebt! Gestern haben wir ein Reihenhaus geräumt, in dem drei Generationen alles aufgehoben und in der zweiten Etage gelagert haben. Und im Keller stand noch der Nussschnaps aus dem

Jahr 1960.“ Abwechslung müsse eine Arbeit bieten, ansonsten mache er fast alles gerne. Als gelernter Karosseur ist Gottfried handwerklich geschickt und er mag Menschen; ob er deren Rasen mäht, deren Häuser räumt oder deren Bäder verfliest, ist egal. Hauptsache etwas Sinnvolles tun. „Ich war nie stolz darauf, dem Staat auf dem Säckl zu liegen. Ich geh lieber arbeiten, bin am Abend müd’ und spar’ mir zusammen, was ich mir leisten will.“ Was er sich von seiner eigenen Wohnung wünscht, frage ich ihn. Einen Ausblick, kommt die schnelle Antwort.

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