Fränkischer Sonntag

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KUNST 5

FRÄNKISCHER SONNTAG, SAMSTAG/SONNTAG, 25./26. JULI 2015

Van-Gogh-Motiv: In der Wassermühle von Opwetten an der Dommel in Nuenen befindet sich heute ein Ausflugslokal. Fotos: Ulrich Traub

Wo van Gogh nur Vincent genannt wird VON ULI TRAUB

W

enn Vincent van Gogh das gewusst hätte ... Der zu seinen Lebzeiten so erfolglose Künstler hätte sich möglicherweise auch noch das andere Ohr vorgenommen. Dass seine Kunst Höchstpreise erzielt, weiß man mittlerweile. Dass seine Heimat aber, das niederländische Nord-Brabant, nun mit dem Namen van Gogh um Touristen wirbt, ist neu – und hätte ihn wohl gewundert. 125 Jahre ist der Maler in diesem Jahr tot. Grund genug für die Gemeinden, in denen Vincent van Gogh gelebt hat, auf sich und ihren berühmten Sohn aufmerksam zu machen. Brabant war zu jener Zeit armes Bauernland. Das hat sich geändert. Landwirtschaft ist nur ein Wirtschaftszweig unter vielen in der Provinz im Süden der Niederlande rund um die genauso schönen wie lebendigen Großstädte Breda und ’s Hertogenbosch mit ihren historischen Stadtkernen oder dem modernen Eindhoven. Touristisch ist die Region dagegen noch eher unbekannt. Nein, van Gogh würde sich hier kaum mehr zurechtfinden. Erstaunt würde er im kleinen Ort Nuenen, wo er von 1883 bis 1885 gelebt hat, vor dem neuen „Vincentre“ stehen. Ja, tatsächlich, dieses Haus, dessen einprägsamen Namen sich die Bürger einfallen ließen, ist ihm gewidmet, seinem Leben und Schaffen. Man betritt Vincents rekonstruiertes Atelier, in dem es noch richtig nach Arbeit aussieht. In der kurzen Zeit hat der Künstler hier schließlich ein Viertel seines Gesamtwerkes geschaffen, vor allem Zeichnungen. Nebenan wird die Geschichte des weltberühmten, in Nuenen entstandenen Bildes „Die Kartoffelesser“ erzählt, das die Armut jener Jahre in dunklen Farben festgehalten hat. Klar, dass sich das Restaurant auf der anderen Straßenseite diesen Titel ausgeliehen hat. „Das ganze Dorf ist ein offenes Museum und seine Umgebung auch“, meint Van-Gogh-Fan Frans van den Bogaard, der wie so viele hier ehrenamtlich mit dem Leben des Künstlers vertraut macht. Deshalb gibt es in Nuenen auch einen (Rad-)Wanderweg, der dem Leben des Künstlers folgt. Er führt durch den Ort und hinaus in die Landschaft zu Kirchen, Wassermühlen und in ein Naturschutzgebiet. Abends radelt man über eine Wegstrecke, auf der es interaktiv funkelt wie in

KUNST Ein Streifzug durch

die niederländische Heimat des berühmten Malers der „Sternennacht“ des Künstlers. Etappenziele sind 17 Informationssäulen. „Sie sind an den Stellen platziert, an denen van Gogh Skizzen angefertigt hat“, weiß van den Bogaard. Der Kunstfreund darf sich darüber freuen, dass keine Tankstellen oder Mehrfamilienhaus-Riegel das Panorama verstellen. An manchen Säulen meldet sich „van Gogh“ auf Knopfdruck auch zu Wort und liest aus seinen vielen Briefen (auch in Englisch). „Hier können Sie tatsächlich den Spuren von Vincent folgen“, freut sich Frans van den Bogaard, der zu den vielen neuen Van-Gogh-Experten in der Gegend gehört. Bestimmt würden auch die heutigen Spurensucher dem Künstler, den in Nuenen alle nur beim Vornamen nennen, zustimmen: „Es ist hier dieser Tage wieder entzückend.“ Mit „Vincent“ durch den Ort

Wer weiter nach Zundert reist, wo van Gogh 1853 das Licht der Welt erblickt hat, wird gleich wissen, dass er richtig ist. Den Imbiss-Stand am Markt schmückt eine Kopie der „Kartoffelesser“ – mit einem Unterschied: Auf dem Teller liegen Fritten. Vis-à-vis im vor wenigen Jahren eröffneten Vincent-van-Gogh-Haus geht es ernsthafter zu. Hier wird an die Jugend des späteren Künstlers erinnert, aber auch daran, dass er zu Lebzeiten nur ein einziges Bild verkaufen konnte. Ron Dirven ist der Leiter des Hauses, das in Wechselausstellungen dem Einfluss des Namensgebers auf heutige Künstler nachspürt. „Vor allem aber sind Sie hier zu Gast bei der Familie van Gogh, lauschen den Gesprächen und können sich von Vincent durch den Ort führen lassen.“ Multimedial, versteht sich. Im realen Zundert betritt man hinter dem Haus die Welt von van Goghs Mutter. Ihr Garten wurde nach alten Dokumenten wieder angelegt. Ob damals dort auch Sonnenblumen blühten? Gleich um die Ecke liegt die Kirche, in der Vater van Gogh 22 Jahre als Pfarrer tätig war. Im benachbarten Küsterhaus aus jener Zeit (mit neuer Gale-

rie) logieren und arbeiten heute junge Künstler im Rahmen eines Artistsin-Residence-Programms. Wer weiter spaziert und auf dem Friedhof das Grab eines Vincent van Gogh findet, muss seine Künstlerbiografie nicht noch einmal lesen. Die letzte Ruhestätte des Malers ist immer noch im nordfranzösischen Auvers-sur-Oise. Aber der ein Jahr vor der Geburt des späteren Künstlers gestorbene Bruder liegt in Zundert begraben. Von ihm erhielt er seinen Namen. Das war in Zeiten hoher Kindersterblichkeit durchaus üblich. Ron Dirven betont wie alle Brabanter VanGogh-Kenner, dass der berühmte Sohn seine Heimat geliebt habe. „Er machte weite Wanderungen und genoss die Landschaft.“ Nach Etten-Leur sind es nur wenige Kilometer. Vincent sei auch hierhin gewandert, erfährt man. Wohnhaft wurde er dort aber erst viel später, nachdem seine Versuche, als Prediger und Kunsthändler Geld zu verdienen, gescheitert waren. In Etten richtete er sein erstes Atelier ein. Ein kleines Info-Zentrum am Markt erinnert daran. Die nächsten Stationen der Van-Gogh-Reise durch Brabant führen nach Tilburg ins Stadtmuseum, wo man im rekonstruierten Zeichensaal, in dem Vincent als Schüler erste künstlerische Gehversuche machte, die Schulbank drücken kann, und nicht zuletzt in die Hauptstadt ’s Hertogenbosch. Das Noord-Brabants Museum zeigt ein Dutzend Originale, an denen man van Goghs Entwicklung der frühen Jahre nachvollziehen kann. Gut, dass der arme Vincent einen so reichen Schatz an Briefen und Aufzeichnungen hinterlassen hat. Deshalb können Reisende heute seinem Leben in Brabant über viele Stationen folgen. Und so radelt man denn seit Kurzem über 335 Kilometer, verteilt auf fünf verschiedene Routen, durch die Heimat des Künstlers. Die Strecke ist abwechslungsreich. Es geht über Wiesen und Felder, vorbei an Kopfweiden und Wassserläufen. Man erreicht stille Dörfer und sehenswerte Städte über ruhige Straßen und kann lohnenswerte Abstecher unternehmen – etwa in das hübsche historische Festungsstädtchen Heusden. Ach ja, Steigungen gibt es hier keine. Und das ist wohl das einzige, worüber Vincent nicht staunen würde.

An der Stelle des Geburtshauses (linkes Bild) kann man heute im „Van-Gogh-Huis“ in der Vergangenheit schwelgen. An der Kirche von Zundert (Mitte), wo van Goghs Vater Pfarrer war, wurde ein Van-Gogh-Garten angelegt – natürlich mit Sonnenblumen. Frans van den Bogaard (rechts) zeigt eine Kopie des Bildes, das der Künstler von der kleinen Kirche in Nuenen gemalt hat.


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